T 2166/13 () of 23.7.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T216613.20190723
Datum der Entscheidung: 23 Juli 2019
Aktenzeichen: T 2166/13
Anmeldenummer: 05715209.2
IPC-Klasse: C07C 253/34
C07C 255/04
C07C 255/07
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HYDROCYANIERUNG
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: INVISTA Technologies S.à.r.l.
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 100(b)
Schlagwörter: Alle Anträge: Klarheit (ja) - Ausreichende Offenbarung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 5. August 2013, mit welcher das Streitpatent in geänderter Fassung auf der Grundlage des damaligen Hauptantrages aufrecht erhalten wurde.

II. Im Einspruchsverfahren war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang u.a. wegen mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ) angegriffen worden.

III. Der Wortlaut von Anspruch 1 des damaligen Hauptantrages lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Verringerung des Gehaltes an Cyanwasserstoff in Pentennitrilen und Cyanwasserstoff enthaltenden Mischungen, dadurch gekennzeichnet, dass die Verringerung des Gehaltes an Cyanwasserstoff durch eine Abtrennung von Cyanwasserstoff mittels einer azeotropen Destillation mit 1,3-Butadien erfolgt, gekennzeichnet durch die folgenden Verfahrensschritte:

(1) Hydrocyanierung von 1,3-Butadien durch dessen Umsetzung mit Cyanwasserstoff in Gegenwart mindestens eines Hydrocyanierungskatalysators unter Erhalt eines Hydrocyanierungsstromes, der 3-Pentennitril, 2-Methylbutennitril, Cyanwasserstoff, 1,3-Butadien und den mindestens einen Hydrocyanierungskatalysator enthält,

(2) Abtrennung eines Gemisches aus Cyanwasserstoff und 1,3-Butadien, das ein Azeotrop bildet, aus dem Hydrocyanierungsstrom durch Destillation, wobei das auf die Masse bezogene Verhältnis von 1,3-Butadien zu Cyanwasserstoff im Verfahrensschritt (2) 5 bis 2000 beträgt."

IV. In ihrer Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß des damaligen Hauptantrages ausführbar im Sinne des Artikels 83 EPÜ sei, da im Beispiel des Streitpatentes erkennbar sei, dass im Abzugsstrom der höhersiedende Cyanwasserstoff zu finden sei, während sich gleichzeitig im Sumpf noch eine geringe Menge an 1,3-Butadien finde. Somit habe die Patentinhaberin belegt, dass bei einem Masseverhältnis von 1,3-Butadien zu Cyanwasserstoff von 5 bis 2000 ein Azeotrop abdestilliert werde. Die Verringerung des Gehaltes an Cyanwasserstoff habe die Patentinhaberin mit ihrem nachgereichten Beispiel, datiert vom 7. Februar 2013, belegt.

V. In der Beschwerdebegründung trug die Beschwerdeführerin erstmals vor, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 nicht klar sei, da nicht erkennbar sei, ob sich das Verhältnis von Butadien zu Cyanwasserstoff auf den Reaktionsaustrag aus Stufe (1) beziehe, oder auf den Butadien und Cyanwasserstoff enthaltenden Strom, welcher in Stufe (2) abgetrennt werde. Sie rügte auch, dass das Beispiel des Streitpatents nicht unter Anspruch 1 falle, das hierin keine Verringerung des Gehaltes an Cyanwasserstoff erreicht werde, sondern im Gegenteil, dass nach dem Verfahrensschritt (2) sogar eine höhere Konzentration an Cyanwasserstoff beobachtet werde. Dies zeige die Massebilanz dieses Beispiels, die sich auf die Angaben der Tabellen 1 und 2 des Streitpatentes beziehe und die als Druckschrift (8) bereits mit Schriftsatz vom 8. August 2012 während des Einspruchsverfahrens eingereicht worden war. Das von der Beschwerdegegnerin nachgereichte Beispiel sei nicht Bestandteil der ursprünglichen Anmeldung und könne nicht zur Ausführbarkeit beitragen.

VI. Zusammen mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Hilfsanträge 1 bis 5 ein.

a) Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 basiert auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Zusätzlich wurden die Merkmale der erteilten Ansprüche 4, 5 und 6 aufgenommen, welche definieren, wo weiteres 1,3 Butadien zugesetzt wird.

b) Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 basiert auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1, wobei zusätzlich das Verhältnis von 1,3-Butadien zu Cyanwasserstoff im Verfahrensschritt (2) auf 5 bis 40 begrenzt wurde.

c) Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 basiert auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2, wobei zusätzlich die Apparaturen definiert wurden, in denen der Verfahrensschritt (2) durchgeführt wird.

d) Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 basiert auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3, wobei zusätzlich der Druck im Verfahrensschritt (2) auf 0.02 bis 5 bar begrenzt wurde.

e) Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 basiert auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4, wobei zusätzlich als Hydrocyanierungskatalysator in Verfahrensschritt (1) ein Nickel(0)-Katalysator definiert wurde.

VII. Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass der Einwand der mangelnden Klarheit erstmals während des Beschwerdeverfahrens vorgetragen worden sei und der Einwand daher als verspätet nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden solle. Darüber hinaus sei der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag klar. Zur Ausführbarkeit trug sie vor, dass das Beispiel des Streitpatentes dazu dienen solle, die Existenz eines azeotropen Gemisches aus Cyanwasserstoff und Butadien zu belegen. Die Verringerung des Cyanwasserstoff-Gehaltes könne der Fachmann durch einfache Optimierung der Destillationsparameter erreichen. Dies zeige auch das im Einspruchsverfahren nachgereichte Versuchsbeispiel, datiert vom 7. Februar 2013. Daher sei belegt, dass der Fachmann das beanspruchte Verfahren ausführen könne.

VIII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung wie durch die Einspruchsabteilung aufrechterhalten. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 13. März 2014.

IX. Am 23. Juli 2019 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

2.1 Die Beschwerdeführerin hatte gerügt, dass durch die Änderung im unabhängigen Anspruch 1 eine Unklarheit in Anspruch 1 entstehe. Insbesondere sei nicht klar, auf welchen Strom sich das Masseverhältnis von 1,3-Butadien zu Cyanwasserstoff von 5 bis 2000 beziehe. Die Beschwerdegegnerin rügte diesen Einwand als verspätet und beantragte, dass dieser Einwand nicht in das Verfahren vor der Kammer zugelassen werde.

2.2 Indessen ist festzustellen, dass die von der Beschwerdeführerin gerügte Passage im Anspruch 1 der Beschreibung entstammt. Die Kammer hat daher grundsätzlich die Befugnis, den geänderten Wortlaut des Anspruchs im Hinblick auf das Erfordernis der Klarheit zu untersuchen. Ungeachtet dessen, ob im vorliegenden Fall dieser Einwand in das Verfahren vor der Kammer zuzulassen ist, oder nicht, ist die Kammer aber auch der Auffassung, dass der Wortlaut des geänderten Anspruchs nur eine Deutung zulässt, nämlich dass sich das Massenverhältnis von 1,3-Butadien zu Cyanwasserstoff von 5 bis 2000 auf den Destillationsschritt (2) bezieht und nicht auf den als Kondensat abgezogenen Strom oder die Zusammensetzung des Azeotrops.

2.3 Daher ist die Kammer der Auffassung, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 klar ist und die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt sind.

3. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) i. V. m. Artikel 83 EPÜ)

3.1 Das in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag definierte Verfahren - jedenfalls nach Wortlaut des Anspruchs -dient zur Verringerung des Gehaltes an Cyanwasserstoff in Pentennitrilen und Cyanwasserstoff enthaltenden Mischungen.

3.2 Dieser im Anspruch definierter Effekt soll durch eine Abtrennung von Cyanwasserstoff mittels einer azeotropen Destillation mit 1,3-Butadien erreicht werden, wobei das auf die Masse bezogene Verhältnis von 1,3-Butadien zu Cyanwasserstoff im Verfahrensschritt (2) 5 bis 2000 beträgt.

3.3 Im einzigen Beispiel des Streitpatentes wird ein Hydrocyanierungsstrom verwendet, der durch Reaktion von 1,3-Butadien und Cyanwasserstoff unter Verwendung eines Nickel(0)-Katalysators hergestellt wurde (siehe Paragraph [0101]). Dieser aus dem ersten Verfahrensschritt erhaltene Hydrocyanierungsstrom wird in eine Destillationskolonne überführt, die mit MontzPak Typ B1-350 ausgestattet ist, also eine Packungskolonne ist. Die Destillation wird bei einer Sumpftemperatur von 90°C und einer Kopftemperatur von 15°C betrieben. Der Druck am Kopf der Kolonne beträgt 2,02 bar, wobei sich über die Länge der Kolonne ein Druckverlust einstellt. Dem Kondensatstrom, der als Ablaufstrom am Kopf der Kolonne entsteht, wird vor der Rückführung in den Rücklauf frisches 1,3-Butadien zugeführt, so dass während der Destillation ein Verhältnis von 1,3-Butadien zu Cyanwasserstoff von 29 vorliegt. In den Tabellen 1 und 2 sind jeweils die prozentualen Zusammensetzungen und die anfallenden Massen der einzelnen Ströme angegeben.

3.4 Die Beschwerdeführerin hatte die in Tabelle 1 und 2 angegebenen Werte in einer Zusammenstellung als Druckschrift (8) eingereicht. Diese Zusammenstellung gibt die prozentuale Zusammensetzung der einzelnen Ströme des einzigen Beispiels des Streitpatentes unter Berücksichtigung der jeweils anfallenden Masseströme an. Es zeigt sich, dass der Gehalt an Cyanwasserstoff in den Hydrocyanierungsströmen 1a und 1b, die dem Sumpf der Kolonne zugeführt werden, 0,37% beträgt. Der entsprechend des beanspruchten Verfahrens erhaltene Produktstrom 2s, der im Sumpf der Destillationskolonne erhalten wird, enthält jedoch 0,41% an Cyanwasserstoff. Folglich hat das Verfahren, bei dem durch Abdestillieren eines Azeotrops von 1,3-Butadien und Cyanwasserstoff eine Verringerung des Gehaltes an Cyanwasserstoff erreicht werden sollte, tatsächlich eine Anreicherung des unerwünschten Cyanwasserstoffes im Produktstrom bewirkt.

Der Fachmann, der diesen Fehlschlag in eine erfolgreiche Verringerung des Cyanwasserstoffgehaltes verwandeln will, findet jedoch in der ursprünglichen Beschreibung keine Hinweise, wie er in zielgerichteter Weise die Parameter der Destillation abändern muss, um tatsächlich eine Verringerung des Cyanwasserstoffgehaltes zu erreichen. Er wird daher alle Parameter der Destillation beliebig innerhalb der Grenzen des Anspruchs variieren, um eine Verringerung des Cyanwasserstoffgehaltes zu erzielen. Dies entspricht der Aufforderung zur Durchführung eines Forschungsprogrammes und stellt einen unzumutbaren Aufwand an Versuchen dar.

3.5 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass es im Fachwissen des Fachmanns liege, die Parameter der Destillation zu optimieren, um den Cyanwasserstoffgehalt im Produktstrom 2s zu verringern. Dies sei einfach zu erreichen, wie das nachgereichte Beispiel vom 7. Februar 2013 zeige. Dieses Beispiel erziele im Sumpfaustrag eine Verringerung des Cyanwasserstoffgehaltes bis zu 1 ppm.

Indessen ist festzustellen, dass das nachgereichte Beispiel nicht Teil der ursprünglichen Offenbarung ist, die neben dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns als einzige Informationsquelle dient. Darüber hinaus liegen die in dem nachgereichten Beispiel gewählten Parameter nahe an jenen des Beispiels im Streitpatent, so dass der Fachmann daraus auch keine essentiellen Informationen ziehen könnte. Daher kann dieses Argument der Beschwerdegegnerin nicht überzeugen.

3.6 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die ursprüngliche Anmeldung das beanspruchte Verfahren nicht so ausreichend offenbart, dass der Fachmann es unter Zuhilfenahme seines Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand über den gesamten beanspruchten Bereich ausführen kann.

Hilfsanträge 1 bis 5

4. Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 5 enthielt jeweils weitere bevorzugte Ausführungsformen. Dabei enthielt der Anspruch 1 jedes Hilfsantrages alle technischen Merkmale des jeweils höherrangigen Hilfsantrages und jeweils ein weiteres beschränkendes Merkmal (siehe Paragraph VI. supra). Der am stärksten eingeschränkte Anspruch 1 ist daher jener des Hilfsantrages 5.

4.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 ist gegenüber dem Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag eingeschränkt, indem er definiert, an welcher Stelle im Verfahren weiteres 1,3 Butadien zugesetzt wird (siehe auch Hilfsantrag 1), indem er das Verhältnis von 1,3-Butadien zu Cyanwasserstoff im Verfahrensschritt (2) auf 5 bis 40 begrenzt (siehe auch Hilfsantrag 2), indem er die Apparaturen definiert, in denen der Verfahrensschritt (2) durchgeführt wird (siehe auch Hilfsantrag 3), indem er den Druck im Verfahrensschritt (2) auf 0.02 bis 5 bar begrenzt (siehe auch Hilfsantrag 4) und indem er als Hydrocyanierungskatalysator in Verfahrensschritt (1) einen Nickel(0)-Katalysator verwendet.

4.2 Wie von den Parteien festgestellt, finden sich alle zusätzlichen technischen Merkmale, die in Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 5 eingeführt wurden, bereits im einzigen Beispiel des Streitpatentes verwirklicht (siehe Paragraph 3.3, supra). Da jedoch durch das in diesem Beispiel beschriebene Verfahren keine Verringerung des Gehaltes an Cyanwasserstoff erreicht wird, können die zusätzlich in Anspruch 1 der Hilfsanträge definierten technischen Merkmale ebenfalls nicht zur Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens beitragen, obwohl es sich bei diesen Merkmalen um jeweils besonders bevorzugte Ausführungsformen handelt.

4.3 Daher gilt für den Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 5 die selbe Argumentation, wie für den Anspruch 1 des Hauptantrages, mit der Folge, dass auch deren Gegenstand nicht ausführbar im Sinne des Artikels 83 EPÜ ist.

5. Aus den oben genannten Argumenten und Schlussfolgerungen kommt die Kammer daher zu dem Ergebnis, dass das Streitpatent das Verfahren gemäß Anspruchs 1 aller Anträge nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann es unter Zuhilfenahme seines Fachwissens über den gesamten beanspruchten Bereich ausführen kann. Der Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit gemäß Artikel 100 b) EPÜ greift durch für alle Anträge, somit das Patent widerrufen werden muss.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen

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