T 2032/13 (Identifizieren eines mobilen Endgeräts/THALES) of 25.5.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T203213.20180525
Datum der Entscheidung: 25 Mai 2018
Aktenzeichen: T 2032/13
Anmeldenummer: 06753729.0
IPC-Klasse: H04W 12/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zum Identifizieren eines mobilen Endgeräts in einem digitalen zellulären Mobilfunknetz
Name des Anmelders: Thales Defence Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der am 19. März 2013 festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen, legte die Einsprechende Beschwerde ein.

II. Die Einsprechende und Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt. Ferner wurde mit Schreiben vom 25. April 2018 beantragt das Verfahren auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland über die dort anhängigen Verfassungsbeschwerden 2 BvR 2435/13, 2 BvR 421/13 und 2 BvR 2480/13 entschieden hat, wenn in der mündlichen Verhandlung dem Antrag auf Widerruf des Patents nicht stattgegeben werden kann.

III. Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

IV. Die Einspruchsabteilung kam in der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausginge (Artikel 123 (2) EPÜ). Der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags erfülle die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ. Zu dem Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ wurde zu diesem Antrag nicht explizit Stellung genommen. Ferner erfülle der Anspruch 3 des ersten Hilfsantrags das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ. Schließlich sei der Gegenstand des Anspruchs 1 dieses Antrags neu gegenüber E1 und beruhe dieser Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit für den von E1 ausgehenden Fachmann unter Berücksichtigung der Dokumente E6 und E19 in Kombination oder des Dokuments E10 oder des Dokuments E20. Auch beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit für den von E10 ausgehenden Fachmann unter Berücksichtigung des Dokuments E1.

V. Folgende Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung relevant:

E1: DE 199 20 222 A1;

E10: Meyer, U. et al.: "A Man-in-the-Middle Attack on UMTS", WiSe '04, October 1, 2004, Philadelphia, Pennsylvenia, USA, Seiten 90-97;

E19: 3GPP TS 33.102 V6.3.0 (2004-12), 3rd Generation Partnership Project; Technical Specification Group Services and System Aspects; 3G Security; Security architecture (Release 6); und

E20: 3GPP TS 24.008 V6.3.0 (2003-12), 3rd Generation Partnership Project; Technical Specification Group Core Network; Mobile radio interface Layer 3 specification; Core network protocols;

Stage 3 (Release 6).

VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung mit.

VII. Die mündliche Verhandlung fand am 25. Mai 2018 vor der Kammer statt. Die Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin nahm, wie im Schreiben vom 14. März 2018 angekündigt, nicht an der Verhandlung teil.

Die Beschwerdeführerin bestätigte ihre zuvor gestellten Anträge.

Am Ende der Verhandlung schloss der Vorsitzende die Debatte und verkündete nach Beratung die Entscheidung der Kammer.

VIII. Anspruch 1 in der Fassung des Patents, die die Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend gesehen hat, und des einzigen Antrags lautet unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 19. Mai 2014 eingeführten Merkmalsnummerierung wie folgt:

"1.1 Verfahren zum Identifizieren eines mobilen Endgeräts (7) in einem digitalen zellulären Mobilfunknetz, in dem Daten nach einem Codemultiplexverfahren übertragen werden umfassend die nachfolgenden, im Umfeld des Mobilfunknetzes ausgeführten Schritte:

1.2 in räumlicher Nähe zu dem zu identifizierenden Endgerät (7) wird ein Simulator (1) angeordnet;

1.3 von einem Messsystem (11) werden die für die Datenübertragung relevanten Parameter von Basisstationen (6) des Mobilfunknetzes in räumlicher Nähe zum Simulator (1) ermittelt und an den Simulator (1) übergeben;

1.4 der Simulator (1) wird unter Berücksichtigung der ermittelten Parameter mit einem anderen Location Area Code als eine neue Basisstation betrieben;

1.5 das zu identifizierende Endgerät (7) erkennt den Simulator (1) als neue Basisstation (2) und meldet sich dort mit seinen Identifikationsparametern an, wobei

1.6a falls das zu identifizierende Endgerät (7) beim Anmelden bei dem Simulator (1) lediglich eine TMSI (Temporary Mobile Subscriber Identity) als Identifikationsparameter übermittelt,

1.6b eine Authentifizierungsprozedur gestartet wird, das zu identifizierende Endgerät (7) die Authentisierungsprozedur als fehlerhaft abweist,

1.7 der Simulator (1) eine Identifizierungsprozedur startet, in deren Verlauf der Simulator (1) das zu identifizierende Endgerät (7) nach seiner IMSI (International Mobile Subscriber Identity) oder seiner IMEI (International Mobile Equipment Identity) fragt und der Simulator (1) die IMSI oder die IMEI des zu identifizierenden Endgeräts (7) empfangt; und

1.8 das Endgerät (7) wird im Umfeld des Mobilfunknetzes anhand der übermittelten Identifikationsparameter identifiziert."

Entscheidungsgründe

1. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ)

1.1 E1 wird als nächstliegender Stand der Technik betrachtet. Dieses Dokument zeigt ein Verfahren zum Identifizieren des Benutzers eines Mobiltelefons (E1, siehe Anspruch 1). Dieses Verfahren wird in E1 anhand des GSM-Mobilfunknetzes erläutert (Spalte 1, Zeilen 29-32).

1.2 Das in Anspruch 1 beanspruchte Verfahren unterscheidet sich unbestritten (siehe Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin vom 12. März 2014, Seite 9, erster Absatz und erster Satz des zweiten Absatzes) von dem aus E1 bekannten Verfahren durch die folgenden Merkmale (unter Verwendung der von der Beschwerdeführerin eingeführten Merkmalsnummerierung):

1) Übertragen der Daten nach dem Codemultiplexverfahren;

2) 1.6a falls das zu identifizierende Endgerät (7) beim Anmelden bei dem Simulator (1) lediglich eine TMSI (Temporary Mobile Subscriber Identity) als Identifikationsparameter übermittelt,

1.6b eine Authentifizierungsprozedur gestartet wird, das zu identifizierende Endgerät (7) die Authentisierungsprozedur als fehlerhaft abweist,

1.7 der Simulator (1) eine Identifizierungsprozedur startet, in deren Verlauf der Simulator (1) das zu identifizierende Endgerät (7) nach seiner IMSI (International Mobile Subscriber Identity) oder seiner IMEI (International Mobile Equipment Identity) fragt und der Simulator (1) die IMSI oder IMEI des zu identifizierenden Endgeräts (7) empfängt.

1.3 Die durch diese Merkmale zu lösende Aufgabe kann darin gesehen werden, das aus E1 bekannte Verfahren dahingehend weiterzuentwickeln, dass Identifizieren von Endgeräten in Mobilfunknetzen zu ermöglichen, die nach anderen Standards als GSM arbeiten (siehe z.B. Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin vom 12. März 2014, Seite 11, letzter Absatz).

1.4 Das Merkmal 1 war für den vor diese Aufgabe gestellte Fachmann naheliegend, da es immer im Bestreben des Fachmannes liegt, bekannte Verfahren dahingehend weiterzuentwickeln, dass sie unter neuen Gegebenheiten - hier der neuere UMTS-Standard, der nach dem Codemultiplexverfahren arbeitet - funktionieren.

1.5 Das Merkmal 2 betrachtet den Fall, dass statt einer IMSI oder IMEI lediglich eine TMSI von dem zu identifizierenden Endgerät an den Simulator übermittelt wird. Die TMSI ist bekanntermaßen nicht ausreichend, das mobile Endgerät zu identifizieren, wenn der Simulator nicht eine gültige Basisstation des Netzwerks ist, was bei einem Simulator normalerweise auch nicht der Fall ist. Gemäß E1 strahlt die dem Simulator entsprechende virtuelle Basisstation einen von den Zellen in der Nachbarschaft unterschiedlichen "location area code" (LAC) ab, woraufhin das mobile Endgerät die relevanten Parameter wie IMSI, IMEI und dergleichen Kennungen an die virtuelle Basisstation überträgt (E1, Spalte 2, Zeilen 27-43). Der Fall, dass dennoch eine TMSI übertragen wird, wird in der E1 nicht behandelt. Diese Situation kann jedoch zumindest im Rahmen des UMTS-Standards auch bei einer Wiederzuweisung zu einer Basisstation mit einem neuen LAC auftreten, woraufhin die TMSI neu berechnet wird und in der Folge statt einer IMSI oder IMEI übertragen wird (E20, Punkt 4.3.1). Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten. Dies folgt aus der Bemerkung, dass in einem UMTS-Mobilfunknetz durchaus Situationen auftreten können, in denen das Endgerät beim Anmelden bei einem Simulator nicht die TMSI übermittelt (Beschwerdeerwiderung vom 12. März 2014, der die Seiten 12 und 13 überbrückende Absatz). Dies impliziert nämlich, dass es auch andere Situationen gibt, in denen die TMSI beim Anmelden bei einem Simulator übertragen wird. Daher ist der von E1 ausgehende Fachmann für die Lösung der oben gestellten Aufgabe gezwungen, eine Lösung für diesen Fall (Übertragung der TMSI trotz Änderung des LAC) zu finden.

1.6 Die für diesen Fall beanspruchte Lösung, nämlich Punkt 1.7 des Anspruchs 1, war jedoch für den von E1 ausgehenden Fachmann unter Berücksichtigung des UMTS-Standards naheliegend. Im Rahmen des UMTS-Standards als Beispiel eines zellulären Mobilfunknetzes, in dem Daten nach einem Codemultiplexverfahren übertragen werden, ist bekannt (E20, Punkt 4.3.3.2), dass ein mobiles Endgerät bei Bestehen einer Radio-Verbindung immer zum Antworten auf eine Identifizierungsanforderung bereit ist, wobei die Antwort die von dem Netzwerk angeforderten Identifizierungsparameter enthält. Letztere umfassen insbesondere die IMSI und die IMEI (Punkt 4.3.3).

Folglich war das Merkmal 1.7 in Abhängigkeit von der Bedingung 1.6a für den von E1 ausgehenden Fachmann unter Berücksichtigung des UMTS-Standards (E20) naheliegend.

Weiterhin kann im Rahmen des UMTS-Standards jederzeit eine Authentifizierungs­prozedur von Seiten des Netzwerks begonnen werden (siehe E20, Punkte 4.1.1.1 und 4.3.2.2). Wenn diese Situation auftritt, wird eine Authentisierungsprozedur, die von einer nicht gültigen Basisstation, was bei einem Simulator typischerweise der Fall ist, begonnen wird, als fehlerhaft abgewiesen (Punkt 4.3.2.6, Unterpunkt (c)). Dieses Abweisen der Authentifizierungsprozedur als fehlerhaft erlaubt jedoch weiterhin das Durchführen einer Identifizierungsprozedur und steht dazu nicht im Gegensatz, wie sich aus dem in Figur 4.2 von E20, Seite 67, gezeigten Datenaustausch ergibt.

Folglich ist auch das Merkmal 1.6b für den von E1 ausgehenden Fachmann unter Berücksichtigung des UMTS-Standards (E20) naheliegend.

1.7 Die Kammer stellt fest, dass Anspruch 1 keine Reihenfolge der Schritte 1.6b und 1.7 festlegt. Nach dem Verständnis der Kammer kann eine Authentifizierungsprozedur jederzeit erfolgen. Falls sie vor einer Identifizierungsprozedur erfolgt und sie als fehlerhaft abgewiesen wird, tritt der in Figur 4.2 der E20 gezeigte Ablauf in Kraft, der die Schritte 1.6b und 1.7 umfasst. Im umgekehrten Falle ist eine Authentifizierungsprozedur zur Identifizierung des Endgerätes nicht notwendig, aber auch nicht ausgeschlossen.

1.8 Die Einspruchsabteilung argumentierte, E20 behandele die Authentifizierungsprozedur von der Seite eines regulären Netzwerkes und bezöge sich nicht wie das Patent auf einen Simulator. Dem ist entgegenzuhalten, dass gemäß E1 die einem Simulator entsprechende virtuelle Basisstation wie eine übliche, also standardgemäße, Basisstation aufgebaut ist und als solche betrieben wird. Gleiches würde der Fachmann in naheliegender Weise auch mit einem Simulator in einer UMTS-Umgebung tun.

Weiterhin wurde argumentiert, dass gemäß E20 (Absatz 4.3.2.1 mit dem Hinweis auf 3GPP TS 33.102, als E19 im Verfahren, dort insbesondere Seite 30, Figur 14) eine Authentifizierung auch alternativ zu dem in Figur 4.2 gezeigten Verfahren ablaufen kann, so dass die Anwendung der Lehre von E20 den Fachmann nicht zwangsläufig zu dem beanspruchten Gegenstand führen würde. Dieses im Absatz 4.3.2.1 erwähnte Authentifizierungsverfahren entspricht aber dem Verfahren in einer Situation, in der die Authentifizierung der Basisstation nicht als fehlerhaft abgewiesen wird. Letzteres ist aber wegen fehlender Netzdaten bei Verwendung eines Simulators statt einer echten Basisstation jedoch nicht der Fall, so dass der Fachmann diesen Fall nicht in Betracht ziehen würde.

Einige der von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Argumente (insbesondere unter Punkt 2.1 der Beschwerdeerwiderung vom 12. März 2014) betreffen die Unmöglichkeit einer Man-in-the-Middle Attacke im UMTS-Standard. Diese Argumente sind jedoch für den beanspruchten Gegenstand irrelevant, da er die Identifizierung des Endgeräts betrifft, die lediglich eine Voraussetzung einer nachfolgenden Man-in-the-Middle Attacke bildet. Eine solche Identifizierung ist im UMTS-Standard jedoch, wie weiter oben ausgeführt, explizit vorgesehen, wie sich auch die E20 bestätigend aus E10 (Figur 2, Schritt 3) ergibt.

1.9 Aus vorstehenden Gründen folgt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des einzigen Antrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ). Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ steht demzufolge der Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage dieses einzigen Antrags entgegen. Das Patent ist folglich zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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