European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T193413.20180426 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 26 April 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1934/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08007905.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B29C 47/90 B29C 47/34 B29C 47/92 |
||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung von rohrförmigen Kunststoffprofilen | ||||||||
Name des Anmelders: | INOEX GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | KraussMaffei Technologies GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Spät eingereichte Dokumente - mit der Beschwerdebegründung vorgebracht (zugelassen) Spät eingereichtes Dokument - in der mündlichen Verhandlung vorgebracht (nicht zugelassen) Neuheit (ja) Erfinderische Tätigkeit (ja) |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde eingelegt gegen die am 22. Juli 2013 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 985 433 B zurückzuweisen.
II. Der Einspruch war gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt worden und mit den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) begründet worden.
III. Am 26. April 2018 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer stattgefunden.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
VI. Im Beschwerdeverfahren wurde auf folgende Dokumente Bezug genommen:
E6: EP 1 627 724;
E7: JP 56-44628 mit Übersetzung;
E9: US 2,559,386;
E10: DE 44 08 064 C1;
E11: DE 200 00 872 U1;
E12: DE 31 22 744 A1;
E13: Wikipedia-Eintrag zu "Intervall (Mathematik)";
E14: Auszug aus dem Duden - Deutsches Universal-Wörterbuch, 2. völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage, veröffentlicht im Jahr 1989.
VII. Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Verfahren zur Herstellung rohrförmiger Kunststoffprofile, wobei eine Rohrextrusionslinie mit einem Extruder (1), einer stufenlos auf verschiedene Durchmesser einstellbaren Kalibrierhülse (10) und einer Abzugseinheit (7) mit regelbarer Abzugsgeschwindigkeit verwendet wird, dadurch gekennzeichnet, dass rohrförmige Kunststoffprofile, deren Dimension sich über die Länge ändert, hergestellt werden, wobei die Kalibrierhülse (10) in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren wird."
VIII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Zulassen des Dokuments E7
Im Dokument E7 zeige die Figur 2 oben ein durch abwechselndes Auf-und Zufahren hergestelltes Rohrprofil, die entsprechenden Zeitintervalle seien im unteren Bereich dargestellt. Das Dokument E7 sei daher relevant. Da ungültige Patente von der Kammer zu widerrufen seien, sei das Dokument E7 trotz des späten Vorbringens zuzulassen.
Neuheit
Im Streitpatent seien die im Anspruch 1 genannten Zeitintervalle nicht näher spezifiziert. Eine breite Auslegung dieses Merkmals sei geboten, die die Möglichkeit einschließe, dass das festgelegte Zeitintervall zufällig, frei wählbar oder willentlich vorbestimmt sei. Dies sei im Dokument E6 offenbart (vgl. Absätze [0017] und [0018], insbesondere die Herstellung DIN-gerechter Rohre über den gesamten Durchmesserbereich). Dieser Aspekt sei also nicht geeignet, den Anspruchsgegenstand von der Druckschrift E6 abzugrenzen. Das abwechselnde Auf- und Zufahren sei in der Beschreibung ebenfalls nicht näher erläutert. Hinsichtlich dieses Merkmals sei der Anspruch jedenfalls nicht beschränkt auf vorbestimmte, nahtlos aneinander angrenzende, gleich lange Auf- und Zufahrvorgänge. Die Figur 7 des Streitpatents zeige ein Rohrprofil, bei dem die Kalibierhülse einmalig zugefahren worden sei. Da diese Figur ein Ausführungsbeispiel des Anspruchsgegenstandes sei, könne der Anspruchswortlaut "abwechselnd auf- und zugefahren" auch ein einmaliges Zu- (oder Auf)fahren bedeuten. Eine derartige einmalige Durchmesseraufweitung sei aus dem Dokument E6 (vgl. beispielsweise Anspruch 1 und Absatz [0015]) bekannt. Dieses Merkmal umfasse aber auch ein einmaliges Auffahren gefolgt von einem einmaligen Zufahren der Kalibrierhülse in egal welchen, auch zufallsgesteuerten, Zeitintervallen. Im Dokument E6 sei in Spalte 3, Zeile 34 bis 40 und Spalte 4, Zeilen 5 bis 10 insbesondere offenbart, dass die Kalibrierhülse bei laufender Produktion stufenlos im Durchmesser einstellbar sei und auf einen größeren Durchmesser aufgeweitet werde. Da es unsinnig wäre, eine Kalibrierhülse immer nur aufzufahren und nie zuzufahren, sei für einen Fachmann klar, dass er die Kalibrierhülse auch zufahren könne. Dann sei es nur zwangsläufig, dass das extrudierte Rohr sich auf den neu eingestellten Durchmesser verkleinere. Somit sei im Dokument E6 das Auffahren explizit und das Zufahren implizit offenbart. Der Anspruchsgegenstand sei gegenüber dieser Entgegenhaltung nicht neu.
Erfinderische Tätigkeit
Das Dokument E6 stelle den nächstkommenden Stand der Technik dar. Unter Berücksichtigung des Unterscheidungsmerkmals, dass die Kalibrierhülse in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren wird, sei die objektive technische Aufgabe darin zu sehen, eine neue Fahrweise der Rohrextrusionsline vorzuschlagen. Der Anspruchsgegenstand sei naheliegend im Hinblick auf das allgemeine Fachwissen. Insbesondere erhalte der Betreiber der Extrusionslinie, d.h. der Anwender des Verfahrens gemäß dem Dokument E6, durch das Formulieren der Kundenanfrage auch gleich die Lösung mitgeliefert. Habe nämlich ein Kunde Bedarf ausschließlich an konischen Rohrstücken (bspw. wie in der Figur 1 der Streitpatentschrift dargestellt) und trete der Kunde mit dieser Anfrage an den Betreiber der Extrusionslinie heran, so bedürfe es ausgehend vom Dokument E6 mit seiner stufenlos verstellbaren Kalibrierhülse und dem Verweis auf die Herstellung DIN-gerechter Rohre (vgl. Absatz [0018]) keiner erfinderischen Überlegungen, die geraden Rohrstücke wegzulassen und ausschließlich konische Rohrstücke herzustellen. Dafür werde die stufenlos verstellbare Kalibrierhülse lediglich abwechselnd auf- und zugefahren, wie in der Figur 1 der Streitpatentschrift dargestellt. Außerdem sei der Anspruchsgegenstand durch die Dokumente E9 (vgl. Anspruch 1 und Spalte 5, Zeilen 12 bis 18, insbesondere "gradual increase or decrease in the size of the tubing"), E10 (vgl. Spalte 5, Zeilen 10 bis 30, insbesondere "ständige selbsttätige Durchmesserregelung"), E11 (vgl. Seite 2, letzter Absatz; Seite 4, erster Absatz; Seite 5, vorletzter Absatz) und E12 (vgl. Figuren 1 und 2, Seite 7, Zeilen 14 bis 17 und Seite 5, Zeilen 1 bis 13, insbesondere "während einer vorbestimmten Zeit vergrößert und danach wieder verkleinert","Querschnittsänderungen periodisch zu bewirken") nahegelegt.
IX. Der Vortrag der Beschwerdegegnerin war im Wesentlichen wie folgt:
Zulassen des Dokuments E7
Das verspätet vorgebrachte Dokument E7 sei mangels Relevanz nicht zuzulassen. Insbesondere zeige es keine Kalibrierhülse und könne daher den Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahelegen.
Neuheit
Die Formulierungen "abwechselnd auf- und zugefahren " und "in festgelegten Zeitintervallen" seien selbsterklärend und nicht auslegungsbedürftig. Im Dokument E6 sei kein periodisches, abwechselndes Auf- und Zufahren der Kalibrierhülse in festgelegten Zeitintervallen offenbart. Zudem sei dort das erste kennzeichnende Merkmal der rohrförmigen Kunststoffprofile, deren Dimension sich über die Länge ändert, nicht gezeigt. Der Gegenstand von Anspruch 1 sei somit neu gegenüber der Druckschrift E6.
Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend vom Dokument E6 sei der Anspruchsgegenstand auch bei Berücksichtigung der Dokumente E9 bis E12 nicht nahegelegt. Das Dokument E9 betreffe eine verstellbare Vorrichtung an einer Blasfolienanlage, die dem Fachmann im Hinblick auf die Rohrherstellung nach Dokument E6 keine Anregung geben könne, zum erfindungsgemäßen Verfahren zu gelangen. Gleiches gelte für die Druckschriften E10 und E11, die zwar verstellbare Kalibrierhülsen zeigten, hinsichtlich ihrer Verfahrweise aber nicht über das Dokument E6 hinausgingen. Im Dokument E12 werde ein fertiges Rohr außen mit einer Schutzhülle versehen. Das Merkmal "wobei die Kalibrierhülse (10) in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren wird" im Anspruch 1 sei vom Stand der Technik folglich nicht nahegelegt.
Entscheidungsgründe
1. Dokumente E9 bis E14 und E7
1.1 Für die Frage der Zulässigkeit von verspätetem Vorbringen unterscheidet die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern generell zwischen Vorbringen, das erstmals mit der Beschwerdebegründung bzw. Beschwerdeerwiderung eingereicht wurde (vgl. Artikel 12 (1), (2) und (4) VOBK) und einem Vortrag, der zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt (vgl. Artikel 13 VOBK), wobei die für die Zulässigkeit zu überwindenden Hürden mit dem Fortschreiten des Verfahrens höher werden.
1.2 In diesem Sinne ist vorliegend bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegten Eingaben zu berücksichtigen, dass die Dokumente E9 bis E14 mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden sind. Ihre Zulassung steht daher nach Artikel 12 (4) VOBK im Ermessen der Kammer. Die Bestimmungen von Artikel 12 (4) VOBK sehen grundsätzlich vor, dass die Kammer das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12 (1) VOBK zu berücksichtigen hat, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK erfüllt. Jedoch wird in Artikel 12 (4) VOBK die Nicht-Zulassung von Tatsachen, Beweismitteln oder Anträgen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind, ausdrücklich ins Ermessen der Kammer gestellt. Spätes Vorbringen kann dann gerechtfertigt sein, wenn es nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren veranlasst war, sondern sich als angemessene und alsbaldige Reaktion auf Vorgänge in der letzten Phase des Verfahrens vor der ersten Instanz oder auf Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung darstellt.
1.3 Da sich die Einspruchsabteilung im vorliegenden Fall vor der mündlichen Verhandlung nicht zu dem im Einspruchsverfahren vorgelegten Stand der Technik geäußert hat, ist nicht ersichtlich, dass für die Beschwerdeführerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren eine unmittelbare Veranlassung zur Vorlage der weiteren Dokumente E9 bis E14 bestandenen hätte, was zu Folge hätte, dass das Einreichen dieser Druckschriften erst im Beschwerdeverfahren als zu spät und somit als unzulässig anzusehen wäre. Vielmehr kann das Einreichen der Dokumente zusammen mit der Beschwerdebegründung als angemessene und zeitnahe Reaktion auf die angefochtene Entscheidung angesehen werden. Die Zulässigkeit der Dokumente E9 bis E14 wird von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten. Unter diesen Umständen sind die Dokumente E9 bis E14 nicht nach Artikel 12 (4) VOBK als unzulässig anzusehen. Sie sind daher im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.
1.4 Das Dokument E7 ist im Beschwerdeverfahren erstmals in Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit während der mündlichen Verhandlung genannt worden. Für die streitige Frage der Zulässigkeit dieses Dokuments ist zu berücksichtigen, dass sich die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung nicht auf diese Entgegenhaltung gestützt hat, obwohl sie es schon im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hatte. Der später geltend gemachte, auf dem Dokument E7 beruhende Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit war folglich nicht Teil des Sachvortrags der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 12 (2) VOBK. Er stellt eine Änderung des anfänglichen Vorbringens dar, deren Zulassung nach Artikel 13 (1) und (3) VOBK im Ermessen der Kammer liegt. Relevante Kriterien für die Ausübung dieses Ermessens umfassen die Komplexität des neuen Sachverhalts, der aktuelle Stand des Verfahrens, die Notwendigkeit der Verfahrensökonomie und seine Signifikanz hinsichtlich der zu klärenden Fragen.
1.5 Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass das Dokument E7 und der darauf beruhende Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit im Beschwerdeverfahren erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, also erst in der abschließenden Phase des Verfahrens genannt worden ist. Da die Beschwerdegegnerin das Streitpatent bis zuletzt nur in der erteilten Fassung verteidigt hat, kann das späte Vorbringen der Druckschrift E7 nicht als Reaktion auf eine geänderte Antragslage der Beschwerdegegnerin gerechtfertigt werden. Darüber hinaus ist in substantieller Hinsicht festzustellen, dass das Dokument E7 weder eine Kalibrierhülse noch ein Auf- und Zufahren eines formgebenden Bauteils betrifft. Es bleibt somit im Hinblick auf das streitige Anspruchsmerkmal "wobei die Kalibrierhülse in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren wird" inhaltlich hinter dem Offenbarungsgehalt der übrigen, im Verfahren genannten Entgegenhaltungen zurück und ist prima facie nicht geeignet, die erfinderischen Tätigkeit in Frage zu stellen. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kommt die Kammer zum Ergebnis, die Druckschrift E7 (und ihre Übersetzung) nach Artikel 13 (1) VOBK nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
2. Neuheit
2.1 Auslegung des Merkmals "wobei die Kalibrierhülse in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren wird"
Generell ist festzuhalten, dass den in Patentdokumenten verwendeten Begriffen die im einschlägigen Fachgebiet übliche Bedeutung zu geben ist, sofern ihnen nicht in der Beschreibung ein besonderer Sinn zugewiesen wird. Nach allgemeinem Verständnis bedeutet das Wort "Zeitintervall" einen zeitlichen Abstand zwischen zwei Ereignissen. Der Zusatz "festgelegt" schränkt diesen zeitlichen Abstand dahingehend ein, dass er nicht zufällig ist.
Gestützt auf Dokument E14 ist das Teilmerkmal, dass "abwechselnd auf- und zugefahren wird", so zu verstehen, dass das Auf- und Zufahren im Wechsel erfolgt, wobei der Wortlaut eine Phase konstanten Durchmessers zwischen dem Auf- und Zufahren der Kalibierhülse nicht ausschließt. Letzteres ist in Einklang mit den Ausführungsbeispielen im Streitpatent, insbesondere auch mit jenem nach Figur 7. Zum diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin ist anzumerken, dass die von ihr vorgeschlagene Auslegung des Teilmerkmals "abwechselnd auf- und zugefahren" als ein einmaliges Zu- (oder Auf)fahren von der genannten Figur 7 nicht gestützt wird. Absatz [0014] des Streitpatents stellt klar, dass die Figuren 2 bis 7 verschiedene Kunststoffprofile nach dem Ablängen von dem extrudierten Hohlstrang darstellen. Die Figur 7 zeigt also nur einen Abschnitt des längeren extrudierten Hohlstranges. Für die Herstellung mehrerer derartiger Abschnitte (vgl. die Mehrzahl im Wortlaut von Anspruch 1: "Verfahren zur Herstellung rohrförmiger Kunststoffprofile") ist es erforderlich, dass die Kalibierhülse nicht nur einmalig auf- oder zugefahren wird, sondern dass ein mehrmaliges, im Wechsel vorgenommenes Auf- und Zufahren der Kalibrierhülse stattfindet.
Aus den genannten Gründen interpretiert die Kammer das streitige Merkmal dahingehend, dass die Kalibrierhülse anspruchsgemäß in bestimmten zeitlichen Abständen im Wechsel auf- und zugefahren wird.
2.2 Offenbarung im Dokument E6
Das Dokument E6 offenbart im Wesentlichen, dass während der laufenden Produktion der Durchmesser des extrudierten Rohres mit Hilfe einer Kalibierhülse mit stufenlos verstellbarem Durchmesser und bei einer koordinierten Veränderung des Massendurchsatzes und/oder der Abzugsgeschwindigkeit verändert werden kann (vgl. Absätze [0015] bis [0017]). Dabei kann der Durchmesser der Kalibierhülse bei laufender Produktion vergrößert oder verkleinert werden (Absätze [0009] bis [0010]), wodurch rohrförmige Kunststoffprofile, deren Dimension sich über die Länge ändert, hergestellt werden. Was in der Druckschrift E6 jedoch nicht unmittelbar und eindeutig offenbart ist, ist die zeitliche Abfolge dieser Durchmesserveränderungen. Insbesondere gibt es keine eindeutige Offenbarung dafür, dass die Kalibrierhülse in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren wird.
Folglich ist der Gegenstand von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) und (2) EPÜ neu gegenüber der Druckschrift E6.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Nächstkommender Stand der Technik, Unterscheidungsmerkmal und Aufgabenstellung
Wie oben festgestellt, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 vom nächstliegenden Stand der Technik in Form des Dokuments E6 durch das Merkmal, dass die Kalibrierhülse in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren wird.
Beide Parteien stimmen mit der angefochtenen Entscheidung darin überein, dass die objektive technische Aufgabe darin besteht, eine neue Fahrweise der Rohrextrusionslinie vorzuschlagen.
3.2 Naheliegen der Lösung
3.2.1 Zur Frage des Naheliegens der beanspruchten Lösung ist festzustellen, dass das nächstkommende Dokument E6 selbst darauf abzielt, bei der Herstellung von Rohren mit unterschiedlichem Durchmesser den Dimensionswechsel ohne Umbauten an der Extrusionslinie zu ermöglichen (vgl. E6, Absätze [0002] bis [0006]). Um einen Dimensionswechsel im laufenden Betrieb zu ermöglichen, schlägt das Dokument E6 vor, eine stufenlos verstellbare Kalibierhülse für die Einstellung des Rohraußendurchmessers einzusetzen und die Wanddicke durch eine koordinierte Veränderung von Massedurchsatz und/oder der Abzugsgeschwindigkeit des extrudierten Rohres zu justieren (vgl. E6, Anspruch 1). Für die Abfolge des Auf- und Zufahrens der Kalibrierhülse gibt es im Dokument E6 keinerlei Anhaltspunkte. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der allgemeine Verweis auf die DIN-Konformität der mit dem Verfahren nach dem Dokument E6 hergestellten Rohre (vgl. E6, Absatz [0018]) von einem Fachmann als ein Hinweis darauf zu verstehen ist, dass die Kalibrierhülse in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren werden soll. Folglich kann das Dokument E6 selbst einen fachmännischen Leser nicht zu der im Streitpatent beanspruchten Fahrweise der Rohrextrusionslinie anregen.
3.2.2 Das Dokument E9 betrifft die Herstellung von Folienschläuchen aus Kunststoff, deren endgültiger Durchmesser mit einer Anordnung aus verstellbaren, ringförmig angeordneten Rollen eingestellt wird. Kalibrierhülsen werden im Dokument E9 nicht thematisiert. Zudem bietet der von der Beschwerdeführerin zitierte Verweis, dass durch mehrere hintereinander geschaltete ringförmige Anordnungen von Rollen der Schlauchdurchmesser bis zum Erreichen des gewünschten Durchmessers graduell reduziert oder erhöht wird (Spalte 5, Zeilen 13 bis 18: "It will be understood, however, that the several rings may define successively larger or smaller sizing openings so as to provide for a gradual increase or decrease in the size of the tubing T to a desired final shape and size."), keine Anregung für ein abwechselndes Vergrößern und Verkleinern des Durchmessers des Extrudats. Insofern ist das Dokument E9 in mehrfacher Hinsicht nicht geeignet, das beanspruchte Bewegungsprofil der Kalibrierhülse nahezulegen.
3.2.3 Das Dokument E10 betrifft ein Verfahren zur Durchmesserregelung von extrudierten Rohren. Dabei wird der Ist-Wert des Rohrdurchmessers ständig erfasst und mit Hilfe einer im Durchmesser einstellbaren Kalibrierhülse auf einem Soll-Wert gehalten (vgl. E10, Spalte 5, Zeilen 10 bis 30, insbesondere "ständige selbsttätige Durchmesserregelung"). Dass die Kalibrierhülse dabei in festgelegten Zeitintervallen abwechselnd auf- und zugefahren wird, lässt sich dem Dokument E10 nicht entnehmen und würde der eigentlichen Zielsetzung, dass die Kalibrierhülse in Abhängigkeit von einem aktuell gemessenen Durchmesserwert laufend nachjustiert wird, sogar zuwiderlaufen.
3.2.4 Das oben Gesagte gilt im Wesentlichen auch für das im Dokument E11 angestrebte maßgenaue Kalibrieren des Kunststoffprofils, um dessen geforderte Toleranzen einzuhalten (vgl. E11, Seite 2, letzter Absatz; Seite 3, letzter Absatz; Seite 4, erster Absatz; Seite 5, vorletzter Absatz).
3.2.5 Das Dokument E12 schließlich zeigt ein Beschichtungsverfahren, bei dem auf ein bestehendes Rohr eine Beschichtung mit in bestimmten Abständen vorgesehenen Schutzpuffern aufgebracht wird, wobei der entsprechende Extruder einen Spritzkopf aufweist, dessen Durchmesser während einer vorbestimmten Zeit vergrößert und danach wieder verkleinert wird. Es ist nicht ersichtlich, aus welcher Veranlassung heraus der Fachmann auf der Suche nach einer neuen Fahrweise der Rohrextrusionslinie nach Dokument E6 das Beschichtungsverfahren von Dokument E12 heranziehen sollte. Zudem würde eine Zusammenschau der Dokumente E6 und E12 eher zu einer neuen anlagentechnischen Lösung führen, bei der die Rohrextrusionslinie nach dem Dokument E6 mit einem zusätzlichen Spritzkopf nach dem Dokument E12 ausgestattet ist, als zu einer neuen Fahrweise der bekannten Rohrextrusionslinie.
3.2.6 Aus den genannten Gründen kann das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht überzeugend belegen, dass das Verfahren nach Anspruch 1 bei objektiver Betrachtung ohne Kenntnis der Erfindung für einen Fachmann tatsächlich naheliegend ist. Dem Gegenstand der Ansprüche ist daher die erfinderische Tätigkeit nicht abzusprechen (Artikel 56 EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.