T 1879/13 () of 4.4.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T187913.20170404
Datum der Entscheidung: 04 April 2017
Aktenzeichen: T 1879/13
Anmeldenummer: 03757950.5
IPC-Klasse: A61K 49/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERWENDUNG EINES FÄRBEMITTELS ZUR ANFÄRBUNG VON DER AUGENLINSENKAPSEL ODER VON AN DER NETZHAUT DES AUGES ENTSTANDENEN MEMBRANEN
Name des Anmelders: FLUORON GMBH
Name des Einsprechenden: Digital Simplex Pte Ltd.
Kammer: 3.3.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 101(3)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. EP 1 553 984 wurde mit elf Patentansprüchen erteilt.

Der einzige unabgängige Anspruch des Patents hat den folgenden Wortlaut:

"1. Verwendung einer wässrigen, physiologisch kompatiblen Lösung, in welcher ein biokompatibler Triphenylmethan-Farbstoff gelöst ist, zur Herstellung eines Färbemittels zur Anfärbung der Linsenkapsel eines Auges oder zur Anfärbung von aus dem Auge zu entfernen­den Membranen bei Netzhaut- oder Glaskörperchirurgie."

II. Gegen die Erteilung des Patents wurden zwei Einsprüche eingelegt, wobei als Einspruchsgründe fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit, unzureichende Offenbarung und unzulässige Erweiterung unter Artikel 100 a), b) und c) EPÜ angeführt wurden.

III. In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchs­abteilung in der Sache zu dem Ergebnis, dass der während der mündlichen Verhandlung von der Patentinhaberin als neuer Hauptantrag vorgelegte Anspruchssatz nicht in das Verfahren zuzulassen sei.

Der mit Schriftsatz vom 7. März 2013 eingereichte bis­herige Hauptantrag verstoße gegen Artikel 123(3) EPÜ. Dasselbe gelte für die Hilfsanträge 1A, 1B, 2A, 2B, 3A, 3B und 4.

Aufgrund des in Anspruch 1 von Hilfsantrag 5 aus der Beschreibung aufgenommenen Merkmals, wonach der einzusetzende Farbstoff "keinen Vitalfarbstoff" darstelle, erfülle dieser Anspruch nicht die Kriterien von Artikel 84 EPÜ, da nicht deutlich werde, welche Farbstoffe unter den Patentanspruch fielen.

IV. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und legte mit der Beschwerdebegründung einen neuen Hauptantrag und sieben Hilfsanträge vor.

V. Nachdem sie zunächst auf die Beschwerde erwidert hatte, zog die Einsprechende 1 später ihren Einspruch zurück und ist damit nicht mehr am Verfahren beteiligt.

VI. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 teilte lediglich ihre Absicht mit, an der von der Kammer anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen.

VII. Mit Schriftsatz vom 7. Februar 2017 ersetzte die Beschwerdeführerin ihre bisherigen Anträge durch einen neuen Hauptantrag und die Hilfsanträge 1, 2, 3A, 3B, 4A und 4B.

VIII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK erläuterte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung, unter anderem im Hinblick auf einen Einwand zur Klarheit (Artikel 84 und 101(3) EPÜ) eines negativen Anspruchsmerkmals betreffend den Farbstoff ("kein Vitalfarbstoff").

IX. Mit Schriftsatz vom 31. März 2017 zog die Beschwerde­führerin ihren Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 2, 3B und 4B zurück.

X. Eine mündliche Verhandlung fand am 4. April 2017 in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Beschwerde­gegnerin-Einsprechenden 2 statt. Im Verlauf der Verhandlung ersetzte die Beschwerdeführerin den bisherigen Hilfsantrag 1 durch einen neuen Hauptantrag.

Der einzige unabhängige Anspruch dieses Antrags lautet wie folgt:

"1. Verwendung einer wässrigen, physiologisch kompatiblen Lösung, in welcher ein biokompatibler Triphenylmethan-Farbstoff, gelöst ist, zur Herstellung eines Färbemittels zur Anfärbung von der aus dem Auge zu entfernenden Membrana limitans interna bei Netzhaut- oder Glaskörperchirurgie, wobei der Farbstoff neben toten Zellen zur Unterscheidung vom lebenden Material auch die lebenden Zellen einfärbt."

Die abhängigen Ansprüche entsprechen den abhängigen Ansprüchen 6 bis 11 des Streitpatents.

XI. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Der zu verwendende Farbstoff sei durch die Angabe der chemischen Klasse sowie seiner Eigenschaften im Hinblick auf die Biokompatibilität und die erfindungsgemäße Färbewirkung im Sinne von Artikel 84 EPÜ ausreichend deutlich definiert.

Die Einschränkung der anzufärbenden Strukturen auf die Membrana limitans interna beruhe auf Seite 4, Zeilen 15 bis 20 und Seite 5, Zeilen 13 bis 17 der veröffentlichten Fassung der Anmeldung (WO 2004/035091 A1), während die Angabe, dass der Farbstoff neben toten Zellen zur Unterscheidung von lebendem Material auch die lebenden Zellen einfärbe, ihre Grundlage in der Passage auf Seite 2, Zeile 34 bis Seite 3, Zeile 6 finde. Wie aus dem Text der Anmeldung hervorgehe, stelle letzteres Merkmal eine Konkretisierung des zuvor im Verfahren als unklar beanstandeten Merkmals "kein Vitalfarbstoff" dar. Somit führten die vorgenom­menen Änderungen nicht zu einer unzulässigen Erweiterung im Sinne von Artikel 123(2) EPÜ.

c) Weiter bestehe auch kein Anlass zu einem Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ, da die Änderungen den Schutzumfang im Vergleich mit den erteilten Ansprüchen einschränkten.

XII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Hauptantrages oder hilfsweise auf der Basis eines der mit Schriftsatz vom 7. Februar 2017 als Hilfsanträge 3A und 4A eingereichten Anspruchssätze.

XIII. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 äußerte sich im Beschwerdeverfahren nicht zur Sache und stellte keine Anträge.

Entscheidungsgründe

1. Neuer Hauptantrag - Änderungen

1.1 Die Kammer sieht für den vorliegenden Anspruchssatz keinen Anlass zu Einwänden unter Artikel 123(2) oder 123(3) EPÜ (vgl. hierzu im Sachverhalt Abschnitt XI.b) und c)).

1.2 Was Artikel 123(2) EPÜ betrifft, so sieht es die Kammer insbesondere nicht als erforderlich an, das Merkmal, dass der Farbstoff "keinen Vitalfarbstoff" darstellt, in den Ansprüchen zu nennen.

In der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung wird der bei der Erfindung zur Anwendung kommende Farbstoff unter anderem dadurch charakterisiert, dass mit ihm neben den toten Zellen zur Unterscheidung vom lebenden Material auch die lebenden Zellen eingefärbt werden können (vgl. Seite 2, Zeile 34 bis Seite 3, Zeile 6 der veröffentlichten Fassung der Anmeldung). In diesem Zusammenhang wird angegeben, aufgrund eben dieser Färbewirkung unterscheide sich der erfindungs­gemäß einzusetzende Farbstoff von "herkömmlichen" Vitalfarbstoffen (Seite 3, Zeilen 2 bis 3) bzw. er stelle "keinen Vitalfarbstoff" dar (Seite 2, Zeilen 25 bis 26). Relevant für die Beschreibung und Auswahl des erfindungsgemäß einzusetzenden Farbstoffs ist aber die konkrete Färbewirkung, die nunmehr in Anspruch 1 des neuen Hauptantrags angegeben ist. Das Merkmal "kein Vitalfarbstoff" ist daher überflüssig.

2. Neuer Hauptantrag - Klarheit

2.1 Der gemäß Anspruch 1 einzusetzende Farbstoff ist im vorliegenden Anspruch 1 wie auch bereits im erteilten Anspruch 1 des Streitpatents erstens durch seine chemische Klasse (Triphenylmethan-Farbstoffe) und zweitens durch die für die erfindungsgemäße Verwendung erforderliche Biokompatibilität definiert.

2.2 Drittens wird in Anspruch 1 des vorliegenden Haupt­antrags die Wirkung des Farbstoffs bzw. Färbemittels dahingehend definiert, dass sowohl lebende als auch tote Zellen und speziell die Membrana limitans interna angefärbt werden. Diese aus der Beschreibung in den Anspruch aufgenommenen Merkmale führen nach Ansicht der Kammer nicht zu einem Mangel an Klarheit, der unter Artikel 84 und 101(3) EPÜ zu beanstanden wäre, da ein Fachmann durchaus in der Lage wäre, zu prüfen, ob mit der wässrigen Lösung eines gegebenen Farbstoffs die Membrana limitans interna angefärbt werden kann und ob ein gegebener Farbstoff neben toten auch lebende Zellen einfärbt (wobei außerdem technisch nicht ausgeschlossen ist, dass nach der Einfärbung diese Zellen voneinander unterscheidbar sind).

3. Zurückverweisung

3.1 Da die Einspruchsabteilung noch nicht über die Einspruchsgründe unter Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ entschieden hat, hält es die Kammer im vorliegenden Fall für angebracht, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (Artikel 111(1) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Hauptantrages zurückverwiesen.

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