T 1758/13 () of 7.11.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T175813.20181107
Datum der Entscheidung: 07 November 2018
Aktenzeichen: T 1758/13
Anmeldenummer: 05772204.3
IPC-Klasse: A61B 17/32
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: CHIRURGISCHES SCHNEIDINSTRUMENT
Name des Anmelders: Da Rold Engineering AG
Name des Einsprechenden: Schmitt-Nilson, Dr. Gert
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung (ja)
Ausführbarkeit (ja)
Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0896/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der Einsprechende legte Beschwerde gegen die am 29. Mai 2013 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung über die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents Nr. 1 773 215 in geändertem Umfang ein.

II. Die Beschwerde wurde am 7. August 2013 eingelegt und am gleichen Tag wurde die entsprechende Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 7. Oktober 2013 eingereicht.

III. Die folgenden Dokumente sind für diese Entscheidung von Bedeutung:

E0: EP-A-0 557 044

E1: US-B1-6 620 180

E2: US-A-6 053 928

E11: US-B1-6 217 598

E13: US-A-4 203 444

E14: C.W. Gross et al.: "Instrumentation in endoscopic sinus surgery", Current Opinion in Otolaryngology & Head and Neck Surgery, Vol. 4, pages 28-33, 1996

E14a: Vergrößerung von Figur 1 von E14

E15: Livantec News, Ausgabe 03/2002

E15a: Internet Ausdruck http://www.-conmed.com/products/power-dual-function-shaver.php ("last updated 10/4/2013")

IV. Am 7. November 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Der Beschwerdeführer (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

V. Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anspruchssatzes lautet wie folgt:

"1. Chirurgisches Schneidinstrument grosser Länge, bestehend aus einem Aussenrohr (10), welches im Endbereich (2) mit einem Aussenkopfstück (11) verbunden ist, das mindestens eine seitlich nach vorne gerichtete Aussenöffnung (12) mit mindestens zwei Aussenschneidkanten (121',121") aufweist und einem Innenrohr (20), welches im Endbereich (2) mit einem Innenkopfstück (21) verbunden ist, das mindestens eine seitlich nach vorne gerichtete Innenöffnung (22) mit mindestens zwei über ihre Länge wellenförmig verlaufenden Innenschneidkanten (221',221") aufweist, wobei das Innenrohr (20) im Aussenrohr (10) drehbar gelagert ist, und sich bei relativer Drehung des Innenrohres (20) im Aussenrohr (10) die Aussenschneidkanten (121',121") und die Innenschneidkanten (221',221") mit wenig Spiel aneinander vorbei bewegen, dadurch gekennzeichnet, dass die Aussenschneidkanten (121',l21") zur Tangente nach innen einen, spitzen Winkel alpha von 10 - 90° bilden und über die Länge wellenförmig mit aufstehenden runden Zähnen (224) und runden Zahnlücken (225) verlaufen und die Innenschneidkanten (22l',221") zur Tangente nach aussen einen spitzen Winkel beta von 10 bis 90° bilden

und ebenfalls wellenförmig mit aufstehenden runden Zähnen und runden Zahnlücken verlaufen."

VI. Die von dem Beschwerdeführer (Einsprechenden) vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- Artikel 123(2) EPÜ

Der Begriff "aufstehende Zähne" der Schneidkanten käme in der ursprünglichen Beschreibung nicht vor. Die begriffliche Trennung von "aufstehenden Zähnen" und "Zahnlücken" käme nur im Anspruch 9 vor, wo allerdings zusätzlich beschrieben werde, dass die aufstehenden Zähne doppelt so breit wie die Zahnlücken seien. Das Wort "Zahnlücke" käme nur auf Seite 12, Zeilen 5-7 vor, wo allerdings auf die Ausgestaltung mit "breitem Zahn 224 und schmaler Zahnlücke 225" Bezug genommen werde. Da Anspruch 1 das Breitenverhältnis aus Anspruch 9 nicht enthalte, liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor. Die in den Figuren der ursprünglichen Anmeldung dargestellten runden Zähne und runden Zahnlücken würden mit einer Vielzahl anderer Merkmale untrennbar verbunden gezeigt. So sei aus den Figuren nicht nur die Rundung der Zähne und der Zahnlücken ersichtlich, sondern ebenfalls bestimmte Breitenverhältnisse zwischen Zähnen und Zahnlücken, eine Neigung der Außenschneidkanten, eine bestimmte Anzahl der Zähne auf Außen- und Innenschneidkanten oder bestimmte Krümmungsradien der aufstehenden Zähne. Aus der Beschreibung ergäbe sich weiterhin, dass diese Merkmale zu dem gewünschten Schneidergebnis beitragen würden. In Bezug auf diese Merkmale liege bei der Formulierung des Anspruchs 1 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.

- Ausführbarkeit

Absatz [0022] des Patents erwähne, dass die Wahl des richtigen Materials essentiell für die Erfindung sei. Der Absatz stelle heraus, dass das richtige Material, das "sehr zäh und trotzdem schweißbar" sein müsse, gefunden worden sei, ohne jedoch anzugeben, welches Material dies sei. Somit sei kein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung angegeben, so dass das Patent gegen Regel 42(1)(e) und Artikel 83 EPÜ verstoße.

- Neuheit

Dokument E1 offenbare verschiedene Ausführungsformen eines chirurgischen Schneidinstruments bestehend aus einem Innenrohr mit Innenschneidkanten, das in einem Außenrohr mit Außenschneidkanten drehbar gelagert sei , wobei die Schneidkanten wellenförmig verlaufen und mit Zähnen versehen seien. In sechs Figuren (Figuren 4, 6, 20, 22, 34 und 41) seien die Übergänge zwischen den Zahnflanken am oberen wie am unteren Ende der jeweiligen Zähne gerundet gezeigt. Bei einer solchen Masse an Offenbarung könne nicht auf ein Versehen bzw. eine ungewollte Erscheinung im Druckbild abgestellt werden. Vielmehr müsse von einer gewollten, eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung ausgegangen werden. Es sei wichtig, dass dieselben Kriterien, die bei der Beurteilung der schematischen Figuren der ursprünglichen Anmeldung angewendet werden, auch bei der Beurteilung des Offenbarungsgehalts der schematischen Figuren der Entgegenhaltungen (z.B. E1) zu gelten haben.

- Erfinderische Tätigkeit

Ausgehend von Dokument E1 bestehe die objektive technische Aufgabe darin, die Form der aufstehenden Zähne von E1 abzuändern und ebenfalls gute Schnitteigenschaften zu erreichen. In anderen Worten bestehe die objektive technische Aufgabe im Auffinden einer alternativen Geometrie der aufstehenden Zähne mit guten Schnitteigenschaften.

Die Lösung dieser Aufgabe habe sich dem Fachmann in Dokument E2 in naheliegender Weise präsentiert. Aus der Figur 25 von E2 gehe klar hervor, dass die gezeigte Schneidkante des Außenrohrs 330 wellenförmig verläuft. Ferner werde in Spalte 10, Zeilen 3 bis 5 offenbart, dass die Zahnlücken rund ausgebildet seien. Auch die oberen Enden der Zähne, die als "top edges 339 and 340" bezeichnet werden, seien als "curved" beschrieben, und somit rund. Die Zusammenschau der Figuren 25, 26 und 27 mit der Textstelle auf Spalte 10, Zeilen 2-7 ließe nur den Schluss zu, dass E2 "aufstehende runde Zähne und runde Zahnlücken" an der Außenscheindkante offenbare.

Die Lösung der objektiven technischen Aufgabe sei für den Fachmann auch durch die Offenbarungen E13, E14 und E15 nahegelegt. Diese Dokumente seien bereits mit der Beschwerdebegründung, also zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren, eingereicht worden und folglich im Einklang mit Artikel 12(4) VOBK ins Verfahren aufzunehmen.

In Dokument E13 sei die Außenschneidkante der Figuren 3, 4, 7 und 7a mit einem runden, wellenförmigen Verlauf mit dem Begriff "serrations" beschrieben (Spalte 4, Zeilen 18-26). Das Wort "serrations" sage nichts darüber aus, dass die Geometrie der Zähne spitz oder gezackt sein müsse. Auch wenn E13 nicht explizit das Vorsehen von "aufstehenden runden Zähnen und runden Zahnlücken" auf der Innenschneidkante offenbare, sei es für den Fachmann ein naheliegender Schritt, auf der Innenschneidkante die gleiche Verzahnung wie auf der Außenschneidkante vorzusehen.

Dokument E14 zeige in der Figur 1 sowohl auf der Außenschneidkante als auch auf der Innenschneidkante "aufstehende runde Zähne und runde Zahnlücken". Zur besseren Verdeutlichung sei eine Vergrößerung der Figur 1 als Dokument E14a eingereicht.

Dokument E15 sei ein weiterer Beleg dafür, dass chirurgische Instrumente mit derartigen Schneidkanten lange vor dem Prioritätszeitpunkt in der Endoskopie allgegenwärtig waren. Auf der ersten Seite sei ein "bone cutter" gezeigt, der als "Mako Xtra-Sharp Shaver Blade" bezeichnet sei. Auf der Innenschneidkante seien ohne Weiteres "aufstehende runde Zähne und runde Zahnlücken" zu sehen. Zur Verdeutlichung der Zahngeometrie sei ein aktueller Prospektauszug als Dokument E15a beigelegt, der mit besserer Auflösung die "aufstehenden runden Zähne und runden Zahnlücken" des "Mako"-Cutters zeige.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei ferner gegenüber der Kombination aus E11 und einem der Dokumente E2, E13, E14 und E15 nicht erfinderisch. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von E11 darin, dass die aufstehenden Zähne rund seien. Demzufolge bestehe die objektive technische Aufgabe im Auffinden einer alternativen Geometrie der aufstehenden Zähne mit guten Schnitteigenschaften. Die beanspruchte Lösung dieser Aufgabe in Form von runden Zähnen finde der Fachmann in jedem der Dokumente E2, E13, E14 und E15.

VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) trug die Argumente vor, auf die sich die unten aufgeführte Begründung stützt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Erfindung

Die Erfindung betrifft ein chirurgisches Schneidinstrument bestehend aus einem Innenrohr (20) mit zwei Innenschneidkanten (221', 221"), das in einem Außenrohr (10) mit zwei Außenschneidkanten (121', 121") drehbar gelagert ist, wobei sich bei relativer Drehung der beiden Rohre die Außenschneidkanten und die Innenschneidkanten mit wenig Spiel aneinander vorbei bewegen.

Ausweislich Seite 1, erster Absatz und Seite 4, zweiter Absatz der ursprünglichen Anmeldung geht die Erfindung von einem derartigen Schneidinstrument aus, wie es im Dokument E0 offenbart wird. Bei diesem Instrument werden die Schneidkanten des Innenrohres mit sägezahnartigen Schneiden ausgebildet. Dadurch wird erreicht, dass elastisches und hartes Gewebe "gepackt" werden kann. Darin besteht allerdings auch das mit dieser Art herkömmlicher Schneidkantenausbildung entstehende Problem. Das Werkzeug packt sich Gewebe und hat die Tendenz, sich im Gewebe zu verhaken, wobei dem zu behandelnden Gewebe zu große Teile herausgerissen werden. Mit dem erfindungsgemäßen Schneidinstrument wird versucht, diese Nachteile zu vermeiden.

3. Artikel 123(2) EPÜ

3.1 Anspruch 1 basiert zunächst auf dem ursprünglichen Anspruch 1, der ein chirurgisches Schneidinstrument mit zwei Innen- und zwei Außenschneidkanten definiert, die über die Länge wellenförmig verlaufen. Der definierte wellenförmige Verlauf beider Innen- und Außenschneidkanten wird im Anspruch 1 zusätzlich dahingehend präzisiert, dass die besagten Schneidkanten "mit aufstehenden runden Zähnen und runden Zahnlücken" versehen sind (Hervorhebung durch die Kammer).

3.2 Ein wellenförmiger Verlauf einer Schneidkante impliziert im Allgemeinen nicht, dass Zähne und Zahnlücken "rund" sein müssen. Beispielsweise sind bei einem Schneidmesser mit Wellenschliff die Zähne der Schneidkante spitz.

Das Merkmal "runde Zähne" wird jedoch explizit auf Seite 16, Zeilen 14 bis 15 der ursprünglichen Anmeldung offenbart, und zwar im Gegensatz zu "spitzen Zähnen bekannter Werkzeuge". Derartige bekannte Werkzeuge werden ebenfalls in der ursprünglichen Anmeldung erwähnt, beispielsweise auf Seite 1, erster Absatz und Seite 4, zweiter Absatz, mit explizitem Verweis auf die sägezahnartigen Schneidkanten des Innenrohres in Dokument E0 und die dadurch auftretenden Nachteile, insbesondere das Verhaken des Instruments im Gewebe oder das Herausreißen von Gewebeteilen, die die Erfindung zu vermeiden versucht (siehe Punkt 2 oben).

3.3 Der in der ursprünglichen Anmeldung offenbarte wellenförmige Verlauf von Schneidkanten mit runden Zähnen impliziert bereits, dass die runden Zähne "aufstehend" und durch "Zahnlücken" beabstandet sind. Darüber hinaus wird diese Terminologie von "aufstehenden" Zähnen und "Zahnlücken" im ursprünglichen Anspruch 9 explizit verwendet. Dass diese Begriffe im abhängigen Anspruch 9 zur Definition eines bevorzugten Breitenverhältnisses von Zähnen und Zahnlücken verwendet wird, bedeutet jedoch nicht, dass das angegebene Breitenverhältnis untrennbar mit der verwendeten Terminologie verbunden ist.

In den verschiedenen Figuren der ursprünglichen Anmeldung werden wellenförmigen Verläufe der Innenschneidkanten des Innenrohrs 20 (Figuren 4, 5, 10, 12, 13 und 17) und der Außenschneidkanten des Außenrohrs 10 (Figuren 3 und 8) gezeigt. Daraus ergibt sich eindeutig, dass die aufstehenden Zähne und Zahnlücken sowohl auf den Innenschneidkanten und Außenschneidkanten vorgesehen sind.

3.4 Die ursprüngliche Anmeldung offenbart nicht explizit, dass die Zahnlücken ebenfalls "rund" sind. Allerdings sind in einer Vielzahl von Figuren (Figuren 3 bis 5, 8, 10, 12, 13 und 17) die Zahnlücken mit dergleichen - wenn auch schematischen - Abrundung dargestellt wie die der Zähne, die, wie oben erwähnt, im Text der Beschreibung explizit als rund im Gegensatz zu spitz offenbart werden.

Daraus ergibt sich zweifelsfrei die Folgerung, dass die in den Figuren in gleicher Weise schematisch rund dargestellten Zahnlücken ebenfalls nicht spitz sein können. Sie können ferner auch nicht flach sein, da in dem Falle die Schneidkanten nicht "wellenförmig" verlaufen würden. Es folgt somit eindeutig und unmissverständlich, dass die Zahnlücken rund sind.

3.5 Der Beschwerdeführer mahnte zu Recht an, dass dieselben Kriterien, die bei der Beurteilung der schematischen Figuren der ursprünglichen Anmeldung angewendet werden, auch bei der Beurteilung des Offenbarungsgehalts der schematischen Figuren der Entgegenhaltungen (z.B. E1) zu gelten haben. Die Kammer hat sich dieser berechtigten Aufforderung in der nachfolgenden Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit durchaus angeschlossen.

3.6 Der Beschwerdeführer erhob den Einwand, dass die in den Figuren gezeigten runden Zähne und runden Zahnlücken mit einer Vielzahl anderer Merkmale untrennbar verbunden gezeigt werden. Da letztere Merkmale im Anspruch 1 nicht definiert werden, ergäbe sich eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung.

Die Kammer sah diesen Einwand jedoch als unbegründet an. Wie oben dargelegt, wurde im Anspruch 1 die ursprünglich offenbarte Wellenform der Schneidkanten weiter eingeschränkt durch das im Text ebenfalls explizit offenbarte Merkmal runder aufstehender Zähne und das in diesem Zusammenhang aus den Figuren eindeutig zu entnehmende Merkmal, dass die Zahnlücken ebenfalls rund sind. Demzufolge ist es unerheblich, ob weitere Merkmale, die den Figuren entnommen werden könnten - wie Breite der Zähne und Zahnlücken, Neigung der Außenschneidkanten, Anzahl der Innenöffnungen oder Radius der aufstehenden Zähne -, mit dem Merkmal runder Zahnlücken untrennbar verbunden sind oder nicht. Somit sind sie auch nicht zwangsläufig in den Anspruch aufzunehmen.

3.7 Die Kammer kommt folglich zu dem Schluss, dass Anspruch 1 das Erfordernis von Artikel 123(2) EPÜ erfüllt.

4. Artikel 83 EPÜ

4.1 Der Beschwerdeführer war der Auffassung, dass das Patent unzureichend offenbare, wie die Erfindung auszuführen sei. Insbesondere sei im Patent nicht konkret angegeben, welches Material für das Innenkopfstück auszuwählen sei, das gemäß Absatz [0022] sehr zäh und trotzdem schweißbar zu sein habe.

4.2 Im vorliegenden Fall enthält das Patent in der Tat keine explizite Angabe des auszuwählenden Materials. Das EPÜ enthält allerdings keine Vorschrift, wonach die Ausführung der beanspruchten Erfindung ausdrücklich beschrieben sein muss, so lange der Fachmann aufgrund seines Fachwissens in der Lage ist, die Erfindung ohne erfinderisches Zutun nachzuarbeiten. Ist diese Voraussetzung erfüllt, ist es für die ausreichende Offenbarung unerheblich, wenn laut Darstellung der Anmeldung die Ausführbarkeit von nicht offenbartem Erfinderwissen abhängt. Die subjektive Sicht des Anmelders ist für die Beurteilung der Nacharbeitbarkeit irrelevant.

4.3 Die Kammer ist der Auffassung, dass diese Voraussetzung im vorliegenden Fall gegeben ist. Beispielsweise wird in den Absätzen [0002] und [0008] des Patents das Dokument E0 als Stand der Technik erwähnt, in dem offenbart wird, dass "300 Series stainless steel" ein adäquates Material für ein ähnliches Schneidinstrument darstellt. E0 hebt wichtige Materialeigenschaften wie dessen Härte, Zähigkeit und Schweißfähigkeit besonders hervor (Zusammenfassung; Spalte 13, Zeilen 31 bis 33; Spalte 16, erster Absatz). Folglich würde der Fachmann beim Nacharbeiten der vorliegenden Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand beispielsweise die Materialempfehlungen von E0 berücksichtigen. Der Beschwerdeführer stritt im Übrigen auch nicht ab, dass das in E0 angegebene Material auch zur Verwendung bei der vorliegenden Erfindung geeignet sei.

4.4 Die Kammer ist demzufolge der Auffassung, dass der Fachmann das im Absatz [0022] des Patents erwähnte adäquate Material für das erfindungsgemäße Schneidinstrument ohne unzumutbaren Aufwand auffinden konnte.

Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, im Einklang mit Artikel 83 EPÜ.

5. Neuheit

5.1 Dokument E1 offenbart verschiedene Ausführungsformen eines chirurgischen Schneidinstruments bestehend aus einem Innenrohr mit Innenschneidkanten, das in einem Außenrohr mit Außenschneidkanten drehbar gelagert ist (Spalte 3, Zeilen 48 bis 56), wobei die Schneidkanten mit Zähnen versehen sind (Spalte 4, Zeilen 10 bis 15). Der Text des Dokuments erwähnt jedoch an keiner Stelle, dass die Schneidkanten wellenförmig verlaufen und dass die Zähne und Zahnlücken rund sind. Nach Auffassung des Beschwerdeführers seien diese Merkmale jedoch den Figuren 4, 6, 20, 22, 34 und 41 zu entnehmen.

5.2 Für die Offenbarung eines nur in den Zeichnungen gezeigten Merkmals sollte nicht nur die Struktur des Merkmals hinreichend deutlich aus den Zeichnungen hervorgehen, sondern auch die technische Funktion daraus ableitbar sein (T 896/92).

5.3 Im vorliegenden Fall sind jedoch beide Kriterien nicht erfüllt.

Eine eindeutige und unmissverständliche Offenbarung der Merkmale, dass die Zähne und die Zahnlücken rund sind, ist aus der schematischen Darstellung der Figuren nicht möglich. Die Zeichnungen erlauben keine Unterscheidung zwischen runden und spitzen Zähnen und zwischen runden und spitzen Zahnlücken. Auch der Umstand, dass es mehrere Figuren sind, die schematisch den gezahnten Verlauf der Schneidkanten zeigen, ändert nichts an der schematischen Eigenschaft der Figuren. Dass in einigen Figuren (z.B. Figuren 34 und 41) die Zähne und Zahnlücken womöglich etwas runder dargestellt sind als in anderen Figuren, ist für sich auch kein eindeutiger und unmissverständlicher Beleg dafür, dass ein tatsächlicher qualitativer Gegensatz zu spitzen Zähnen gewollt war. Eine etwaige technische Funktion von runden Zähnen und runden Zahnlücken ist aus den Figuren nicht ableitbar und, wie oben erwähnt, ist dem Text der Beschreibung hierzu ebenfalls nichts zu entnehmen.

5.4 In diesem Zusammenhang sieht die Kammer einen grundsätzlichen Unterschied zum Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung des vorliegenden Patents. Im Gegensatz zum Offenbarungsgehalt von E1 ist nämlich in der ursprünglichen Anmeldung das Ersetzen von spitzen Zähnen des Standes der Technik (E0) durch runde Zähne explizit als zentrale Aufgabe erwähnt (siehe obige Punkte 2 und 3.2).

5.5 Folglich ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1 Zur Frage der erfinderischen Tätigkeit war die Beschwerdegegnerin der Auffassung, dass Dokumente E13 bis E15 nicht zu berücksichtigen seien, da sie vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht worden waren. Die Kammer sah jedoch keine Veranlassung diese Dokumente nicht ins Verfahren zuzulassen, da sie bereits mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden waren (Artikel 12(4) VOBK). Da die besagten Dokumente somit ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren vorgelegen haben, hatte die Kammer und die Beschwerdegegnerin hinreichend Zeit, die Dokumente gebührend zur Kenntnis zu nehmen.

6.2 Der Beschwerdeführer ging einerseits von Dokument E1 als nächstkommendem Stand der Technik aus.

6.2.1 Wie oben bereits dargelegt, ist in E1 nicht eindeutig und unmittelbar offenbart, dass die Schneidkanten mit aufstehenden runden Zähnen versehen sind. Dieses Merkmal unterscheidet folglich das Schneidinstrument des Anspruchs 1 von dem aus Dokument E1.

6.2.2 Der Beschwerdeführer war der Meinung, dass die sich daraus ergebende objektive technische Aufgabe darin bestehe, die Form der aufstehenden Zähne von E1 abzuändern und ebenfalls gute Schnitteigenschaften zu erreichen. In anderen Worten bestehe die objektive technische Aufgabe im Auffinden einer alternativen Geometrie für die aufstehenden Zähne mit guten Schnitteigenschaften. Die Lösung dieser Aufgabe (in Form runder Zähne) habe sich dem Fachmann in E2 in naheliegender Weise präsentiert.

6.2.3 Zunächst stellt die Kammer fest, dass die vom Beschwerdeführer formulierte technischen Aufgabe bereits deshalb nicht stichhaltig erscheint, weil es keinen klaren Sinn ergibt, eine Alternative zu einem nicht offenbarten Merkmal bereitzustellen. Jenseits der Sinnhaftigkeit der formulierten technischen Aufgabe ist die Kammer der Auffassung, dass E2 ebenfalls keine Offenbarung von Schneidkanten mit runden Zähnen enthält. Aus der Figur 25 von E2 geht zwar klar hervor, dass die gezeigte Schneidkante des Außenrohrs 330 wellenförmig verläuft. Ferner wird in Spalte 10, Zeilen 3 bis 5 offenbart, dass die Zahnlücken rund ausgebildet sind ("troughs 346 and 348 between adjacent teeth are also curved"), wobei sich der Ausdruck "also curved" auf die oberen Kanten 339 und 340 bezieht, die als rund offenbart werden. Die besagten oberen Kanten 339 und 340 führen allerdings von der (in Figuren 26 und 27 gezeigten) Schneidkante 341 weg und beziehen sich folglich nicht auf die aufstehenden Zähne 336 der Schneidkante 341. Zu besagten Zähnen wird auch im Text, insb. auf Spalte 10, Zeilen 2 bis 7, nichts gesagt.

6.2.4 Somit ist in E2 nicht explizit offenbart, und Figuren 25 bis 27 auch nicht zweifelsfrei entnehmbar, dass die Schneidkanten des Außenrohrs mit aufstehenden runden Zähnen versehen sind. Die gleiche Feststellung ist auch hinsichtlich der Schneidkanten des Innenrohrs zu treffen (Satz zwischen Spalten 8 und 9).

Demzufolge würde der Fachmann (selbst mit der vom Beschwerdeführer postulierten Absicht, eine "alternative" Geometrie bereitzustellen) das in E2 nicht offenbarte Merkmal nicht in E1 vorsehen.

6.2.5 Die erfindungsgemäße Ausgestaltung der Schneidkanten des Außen- und Innenrohrs mit runden - im Gegensatz zu spitzen - aufstehenden Zähnen ist gezielt, wie dies im Absatz [0008] des Patents dargelegt wird. Sie vermeidet, dass sich das Schneidinstrument im Gewebe verhakt oder dass zu große Teile des Gewebes herausgerissen werden.

6.2.6 Demzufolge kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Fachmann aufgrund der Kombination der Dokumente E1 und E2 nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen würde.

6.2.7 Auch für die Schneidinstrumente der Dokumente E13 bis E15 ist nicht offenbart, dass das Außen- und Innenrohr mit Schneidkanten mit runden Zähnen versehen sind:

Dokument E13 offenbart ein chirurgisches Schneidinstrument mit einem Innenrohr mit Innenschneidkanten, das in einem Außenrohr mit Außenschneidkanten drehbar gelagert ist. Die Schneidkanten 34 des Innenrohrs 32 verlaufen spiralförmig (Spalte 3, Zeilen 55 bis 59; Figur 6), also nicht wellenförmig, und folglich auch nicht mit runden Zähnen und runden Zahnlücken. Ferner sind zwar die Längsränder des Außenrohrs 22 sägezahnförmig ("serrated") ausgebildet (Spalte 4, Zeilen 18 bis 26; Figuren 3a, 4, 7), und obwohl damit ein wellenförmiger Verlauf der Schneidkanten des Außenrohrs einhergeht, fehlt in E13 eine explizite Offenbarung von Schneidkanten des Außenrohrs mit runden Zähnen und runden Zahnlücken.

Dokumente E14 und E15 offenbaren chirurgische Schneidinstrumente bestehend aus einem Innenrohr mit Innenschneidkanten, das in einem Außenrohr mit Außenschneidkanten drehbar gelagert ist.

In Dokument E14 werden sägezahnförmige Schneidkanten explizit offenbart (Seite 28, rechte Spalte, dritter Absatz). Diese sind zudem in der Fotografie der Figur 1, die vergrößert als E14a eingereicht wurde, ebenfalls erkennbar. Allerdings lässt die Qualität der Abbildung nicht zweifelsfrei die Form der Zähne erkennen.

Auch in Dokument E15 ist die Qualität der gezeigten Fotografien nicht ausreichend, um die Form der Zähne erkennen zu können. Zur Verdeutlichung des in der oberen Fotografie auf Seite 1 abgebildeten Instruments reichte der Beschwerdeführer einen Auszug aus einem im Internet veröffentlichten Katalog ein, E15a, in dem ein Instrument mit derselben Produktbezeichnung "Mako" gezeigt wird (erste Seite unten) wie die des in der oberen Fotografie auf Seite 1 von E15 gezeigten Instruments (Seite 1, letzten 8 Zeilen). Allerdings liegt das Publikationsdatum von E15a unbestrittener Weise nach dem Anmeldedatum des Patents, so dass E15a kein Stand der Technik darstellt. Dass die Produktbezeichnung "Mako" sowohl in E15 als auch in E15a angegeben wird, bedeutet nicht, dass diese zeitlich beabstandeten Publikationen zwangsläufig das gleiche Produkt betreffen. Es ist nämlich durchaus möglich, dass Merkmale von Produkten mit einer bestimmten Bezeichnung im Laufe der Zeit Änderungen erfahren.

6.2.8 Demzufolge würde der Fachmann aufgrund der Kombination von E1 mit E13, E14 oder E15 nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

6.3 Der Beschwerdeführer ging des Weiteren von Dokument E11 als nächstkommendem Stand der Technik aus.

Im Absatz [0002] des Patents wird Dokument E11 als Stand der Technik dargestellt, der die Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1 offenbart. In den Figuren 1 bis 5 von E11 wird ein Innenrohr (12) mit wellenförmigen gezahnten Schneidkanten und in Figur 22 ein Außenrohr (214) mit wellenförmigen gezahnten Schneidkanten dargestellt (Spalte 6, Zeilen 64 bis 67). Die Figuren zeigen die Schneidkanten mit lediglich schematischen gezackten zahnförmigen Erhebungen. Es gibt in E11 keine Offenbarung dafür, dass die aufstehenden Zähne rund sind, wie Anspruch 1 definiert.

In dieser Hinsicht ist es somit äquivalent, von E11 oder von E1 als nächstem Stand der Technik auszugehen. Demzufolge würde der Fachmann aus analogen Gründen zu denen, die oben bezüglich E1 genannt wurden, mittels der Kombination von E11 mit den besagten Dokumenten E2, E13, E14 oder E15 nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

6.4 Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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