T 1757/13 () of 23.11.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T175713.20181123
Datum der Entscheidung: 23 November 2018
Aktenzeichen: T 1757/13
Anmeldenummer: 08169057.0
IPC-Klasse: H02J 3/18
H02P 21/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorsteuerung eines Voltage Source Converters
Name des Anmelders: Siemens Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: GE Energy Power Conversion GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, mit welcher das europäische Patent Nr. 2 068 416 widerrufen wurde.

II. Die Einspruchsabteilung war in der angefochtenen Entscheidung der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 wurde wegen mangelnder Klarheit (Artikel 84 EPÜ) für nicht gewährbar erachtet.

III. Eine mündliche Verhandlung fand am 23. November 2018 in Anwesenheit der Parteien vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrecht zu erhalten (Hauptantrag), hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in folgender geänderter Fassung aufrecht zu erhalten:

Ansprüche: Nr. 1 bis 5 des ersten Hilfsantrags, eingereicht mit Schreiben vom 12. September 2013.

Beschreibung: Seiten 1 bis 11, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2018.

Zeichnungen: Figuren 1 bis 3 der Patentschrift.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. Die folgenden im Einspruchsverfahren und im Beschwerdeverfahren genannten Dokumente sind für diese Entscheidung relevant:

D3: DE 103 36 068 A1

D5: DE 195 39 557 A1

D10: "PWM Rectifier with LCL-Filter using different Current Control Structures"; J. Dannehl et al; EPE 2007, Aalborg: 2-5 September 2007

D11: "A Novel Control to Actively Damp Resonance in Input LC Filter of a Three-Phase Voltage Source Converter"; V. Blasko et al; IEEE Transactions on Industry Applications; Vol. 33, No. 2 March/April 1997

V. Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"Vorrichtung zum Regeln eines an einen Gleichspannungskreis und an ein mehrere Phasen aufweisendes Wechselspannungsnetz angeschlossenen Umrichters mit einer Zündeinheit, die mit steuerbaren Leistungshalbleitern des Umrichters verbindbar ist und Steuersignale zum Ansteuern der besagten Leistungshalbleiter bereitstellt, und mit einer Regelungseinheit (3), die eingangsseitig mit Istwerte (UNS,I) bereitstellenden Messsensoren und ausgangsseitig mit der Zündeinheit verbunden ist, wobei die Regelungseinheit (3) eine Führungsgröße (U'VSCd, U'VSCq) für die Zündeinheit in Abhängigkeit wenigstens eines vorgegebenen Sollwertes (IdSoll, IqSoll) und der Istwerte (UNS,I) bereitstellt und die Zündeinheit die Leistungshalbleiter so ansteuert, dass wenigstens einer der Istwerte (UNS,I) oder eine aus den Istwerten abgeleitete Größe wenigstens einer Sollwerte entsprechen beziehungsweise entspricht, wobei eine Vorsteuereinheit (9) vorgesehen ist, deren Ausgang mit der Zündeinheit verbunden oder verbindbar ist und die Mittel zum Berechnen einer Sprungführungsgröße (UVSCd, UVSCq) für die Zündeinheit auf der Grundlage wenigstens einer der Sollwerte (IdSoll, IqSoll) aufweist, und die Zündeinheit die Leistungshalbleiter in Abhängigkeit der Sprungführungsgröße (UVSCd, UVSCq) ansteuert, dadurch gekennzeichnet, dass zwischen Umrichter und Wechselspannungsnetz ein Transformator geschaltet ist und die Vorsteuereinheit die Impedanz des Transformators als Parameter zur Berechnung der Sprungführungsgröße verwendet."

VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 setzt sich aus den erteilten Verfahrensansprüchen 7 und 10 zusammen und lautet wie folgt:

"Verfahren zum Regeln eines an einen Gleichspannungskreis und an Phasen eines Wechselspannungsnetzes angeschlossenen Umrichters mit steuerbaren Leistungshalbleitern, bei dem einer Regelungseinheit (3) Sollwerte (IdSoll, IqSoll) vorgegeben werden, Istwerte (UNS,I) wechselspannungsseitig des Umrichters mit Phasenmesssensoren erfasst und der Regelungseinheit (3) zugeführt werden, die Regelungseinheit (3) die Istwerte (UNS,I) oder eine aus den Istwerten (UNS,I) abgeleitete Größe mit wenigstens einem der Sollwerte (IdSoll, IqSoll) vergleicht, ein Regler (7) in Abhängigkeit des Vergleichs eine Führungsgröße (U'VSCd, U'VSCq) erzeugt und an eine Zündeinheit überträgt und die Zündeinheit die Leistungshalbleiter so ansteuert, dass die Istwerte (UNS,I) oder eine aus den Istwerten (UNS,I) abgeleitete Größe wenigstens einem Sollwert (IdSoll, IqSoll) entspricht, wobei eine Vorsteuereinheit (9) auf der Grundlage von Parametern (R,X) wenigstens eine Sprungführungsgröße berechnet und jede Sprungführungsgröße (UVSCd, UVSCq) an die Zündeinheit übertragen wird, und die Ansteuerung der Leistungshalbleiter in einem Bedarfsfall in Abhängigkeit wenigstens einer der Sprungführungsgrößen erfolgt, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorsteuereinheit (9) die Impedanz (R+jX) eines Transformators (2) als Parameter für die Berechnung der Sprungführungsgrößen (UVSCd, UVSCq) verwendet, wobei der Transformator (2) zwischen den Umrichter und das Wechselspannungsnetz geschaltet ist und die Vorsteuereinheit (9) die Übertragung der Führungsgrößen (U'VSCd, U'VSCq) von der Regelungseinheit (3) an die Zündeinheit im Bedarfsfall unterbricht und stattdessen jede Sprungführungsgrößen (UVSCd, UVSCq) an die Zündeinheit überträgt."

Ansprüche 2 bis 5 sind von Anspruch 1 abhängig.

VII. Die relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Dokument D10 offenbare weder eine Vorsteuereinheit noch von dieser berechnete Sprungführungsgrößen, sondern zeige in Figur 4 lediglich zwei als "omegaLT" bezeichnete Blöcke, wobei D10 keine weitere Beschreibung bezüglich der Funktion dieser Blöcke liefere. Die naheliegendste Interpretation der Blöcke sei, dass es sich um die Darstellung eines mathematischen Modellierungsansatzes der Kreuzkopplung zwischen den d- und q-Komponenten handelt. Eine Entkopplung derselben sei notwendig, da die Regelung sonst Ungenauigkeiten aufweise. Dabei handele es sich aber nicht um eine Vorsteuereinheit im Sinne des Anspruchs 1 des Streitpatents. Die in Figur 4 dargestellten Blöcke omegaLT seien im Übrigen entgegen dem Wortlaut des Anspruchs 1 nicht mit der Zündeinheit des Umrichters verbunden. Weiterhin offenbare D10 nicht die Verwendung der Impedanz des unstreitig vorhandenen Transformators.

D11 offenbare wie D10 allenfalls eine Entkopplung der die Kreuzkopplungsterme omegaLi**(e)d und omegaLi**(e)q aufweisenden Differentialgleichungen (9) und (10) der D11. D11 offenbare ferner keinen Transformator und dementsprechend auch nicht die Verwendung einer Transformatorimpedanz für die Berechnung von Sprungführungsgrößen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents werde im Übrigen weder durch D10 noch durch D11 nahegelegt. Die Aufgabe des Streitpatents sei es, eine verbesserte Steuerung bereitzustellen, die besser auf Sprünge im Sollwert reagieren kann. Bezüglich des Dokuments D10 halte sich der Fachmann strikt an die dort festgelegten mathematischen Vorgaben und würde daher ausschließlich die Transformatorinduktanz X = omegaL, nicht aber zusätzlich den ohmschen Widerstand R und damit die Transformatorimpedanz R+jX für die Vorsteuerung berücksichtigen. Einen Anlass, zusätzliche Terme bei der Berechnung der Sprungführungsgrößen zu berücksichtigen, hatte der Fachmann nicht.

Zudem beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D10 und D11, weil in diesen Dokumenten notwendigerweise eine fortwährende Kompensation zum Zwecke der Entkopplung stattfindet, während das Verfahren nach Anspruch 1 die Übertragung der Sprungführungsgrößen an die Zündeinheit lediglich im Bedarfsfall vorsieht. Eine derartige zweiteilige Regelung sei weder in D10 noch in D11 offenbart. Der Bedarfsfall könne im Übrigen nicht "alles" sein, sondern werde gemäß Anspruch 1 klar als Ausnahmezustand definiert, der sich von einem Normalbetrieb unterscheidet. Im Falle großer Sprünge im Sollwert würden zur Vermeidung einer Überlastung der Regelungseinheit als übliche Gegenmaßnahme die Umrichter zumindest kurzzeitig vom Netz genommen, nicht aber die Führungsgröße der Regelungseinheit durch die Sprungführungsgröße der Vorsteuereinheit ersetzt.

VIII. Die relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Figur 4 der D10 entspreche der Figur 3 des Streitpatents und offenbare folglich eine Vorsteuereinheit mit Mitteln zum Berechnen einer Sprungführungsgröße im Sinne des Anspruchs 1. Auch wenn Figur 4 nicht näher erläutert sei, sei es für den Fachmann völlig klar, dass es sich bei den Blöcken omegaLT um die Aufschaltung der inversen Kreuzkopplungsterme handelt, was mangels einer anderslautenden Definition im Streitpatent dem entspricht, was der Fachmann unter einer Vorsteuerung versteht. Dies sei auch aus den Definitionen gemäß Anlage A3 (Wikipedia Artikel zum Thema "Vorsteuerung") und Anlage A4 (Seite 285 des Fachbuchs "Regelungstechnik - Einführung in die Methoden und ihre Anwendung", 8. Auflage, Hüthig, 1994) ersichtlich. Ferner werde in D10 bei der Verwendung der Induktanz omegaL von einem idealen Transformator ausgegangen, bei dem der Wirkwiderstand folglich vernachlässigbar sei. Es sei aber fachüblich, sowohl die Induktanz (Wechselstromwiderstand) als auch den Wirkwiderstand bei der Vorsteuerung zu berücksichtigen, wie beispielsweise aus D3 (Absatz [0054] ff. in Verbindung mit Figur 4) und D5 (Seite 3, Zeilen 25, 35 und 51) ersichtlich sei. Auch D10 offenbare somit zumindest implizit die Verwendung der Transformatorimpedanz für die Berechnung der Sprungführungsgrößen. In D10 werde im Übrigen der Wirkwiderstand des Tranformators in Kapitel III auf Seite 3, vorletzter Absatz dieses Dokuments berücksichtigt ("RT models the parasitic resistance of LT").

Auch das Dokument D11 offenbare auf Seite 544, rechte Spalte, erster Absatz und Figur 5 eine Vorsteuereinheit im Sinne des Anspruchs 1 des Streitpatents. Weiterhin offenbare die D11 auf Seite 542, rechte Spalte unten in Verbindung mit Figur 1 die Verwendung eines Wirkwiderstands R und einer Induktivität L zur Modellierung der Regelung. Zudem wisse der Fachmann, dass es sich bei dem in Figur 5 mit "L" bezeichneten Element um jegliches induktives Bauteil, mithin auch um einen Transformator, handeln kann.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents beruhe zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D10 und D11. Der Fachmann sei stets bestrebt, die Regelstrecke so genau wie möglich zu modellieren, um die Regelgenauigkeit zu erhöhen. Aus Kapitel III der D10 erhält der Fachmann den Hinweis, den Wirkwiderstand des Transformators zu berücksichtigen, sollte dieser nicht vernachlässigbar sein. Ausgehend von D11 wird der Fachmann statt der dort gezeigten Netzdrossel im Bedarfsfall einen Transformator verwenden. Sollten die (ohmschen) Verluste dieses Transformators nicht ausreichend gering gehalten werden können, müssten diese bei der Vorsteuerung berücksichtigt werden.

Bezüglich des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 werden die in erster Instanz vorgebrachten Klarheitseinwände angesichts der Entscheidung G3/14 der Großen Beschwerdekammer nicht aufrechterhalten. Der Gegenstand dieses Anspruchs beruhe aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Bei großen Regelabweichungen stieße der Regler an seine Grenzen und es sei eine fachübliche Schutzmaßnahme, die Regelungseinheit in diesem Fall abzuschalten, sodass bei Zugrundelegen einer in D10 gezeigten Regelung nur noch die Vorsteuerung weiterbetrieben werde. Der mit der Regelungseinrichtung verbundene Umrichter werde normalerweise nicht abgeschaltet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Nächstliegender Stand der Technik

2.1 Nach der angefochtenen Entscheidung offenbart das Dokument D10 eine Vorsteuereinheit im Sinne des Anspruchs 1 (vgl. Entscheidungsgründe, Absatz 3.1.2). Diese Feststellung wurde von der Beschwerdeführerin bestritten.

2.2 Nach Ansicht der Kammer offenbart das Dokument D10 eine Vorsteuereinheit, die Mittel zum Berechnen einer Sprungführungsgröße gemäß Anspruch 1 aufweist. D10 zeigt in Figur 1 einen PWM-Gleichrichter mit einer Zündeinheit ("Driver Circuit"). Ferner ist eine Regelungseinrichtung ("Dspace (DS1106)") vorgesehen, deren Ausgang mit der Zündeinheit verbunden ist. Die vollständige Regelungsstruktur ist der Figur 3 zu entnehmen. Demnach ist ein Block für die Stromregelung vorgesehen ("Current Control"), der als Eingangssignal eine Führungsgröße idq* erhält, und deren Ausgangssignal Udq* eindeutig der Zündeinheit ("PWM") als Führungsgröße zugeführt wird. Die gegenteilige Behauptung der Beschwerdeführerin, wonach das Ausgangssignal des Stromregelblocks nicht der Zündeinheit zugeführt wird, hält die Kammer daher für nicht überzeugend. Die Kammer folgt der Beschwerdegegnerin im Übrigen darin, dass es sich bei idq* um einen Sollstromwert handelt. Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.

2.3 Zwei mögliche Ausgestaltungen der Stromregelung sind in Figur 4 gezeigt. Die Bildunterschrift lautet "Current control structure using line current feedback (left)..." und die Kammer ist daher überzeugt, dass Figur 4 mögliche Implementierungen des Stromregelblocks "Current Control" in Figur 3 zeigt. Die einzige Beschreibung der Figur 4 findet sich in Abschnitt III ("Control Design") auf Seite 3. Dort ist angegeben, dass in beiden in Figur 4 gezeigten Ausführungsformen eine Entkopplung der d- und q-Komponenten stattfindet ("In both structures a decoupling between the d and q component [...] is used"). Es wurde seitens der Beschwerdeführerin nicht bestritten, dass Figur 4 in der links dargestellten Ausführungsform eine entsprechende Entkopplung zeigt, welche durch die mit "omegaLT" bezeichneten Blöcke angedeutet ist. Dabei handelt es sich nach Ansicht der Kammer nicht, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen wurde, um die Darstellung eines reinen mathematischen Modellierungsansatzes, sondern der Fachmann versteht Figur 4 vielmehr als mögliche Implementierung des in Figur 3 gezeigten Stromregelblocks.

2.4 Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen wurde, bezieht sich die genannte Entkopplung zwischen den d- und q-Komponenten auf die in den zugehörigen Differentialgleichungen vorhandenen Kreuzkopplungsterme -omegaLIq bzw. omegaLId. Zum Zwecke der Entkopplung werden die Induktanzen omegaLT jeweils mit den Stromsollwerten iLq* bzw. iLd* multipliziert und zu den jeweiligen Führungsgrößen am Ausgang der PI-Regler mit umgekehrten Vorzeichen hinzu addiert. Hierbei handelt es sich nach Ansicht der Kammer um eine Vorsteuereinheit im Sinne des Anspruchs 1. Unter einer Vorsteuerung wird der Fachmann jedenfalls eine Steuerung verstehen, welche die Stellgröße unabhängig von der Regelung mit einem Wert beaufschlagt, der unabhängig von den Zuständen der Regelstrecke und daraus resultierenden Messungen ist. Diese Merkmale werden von der in Figur 4 gezeigten Stromregelung erfüllt. Zwar wird die genaue Funktion der Blöcke omegaLT nicht näher beschrieben. Der Fachmann erkennt jedoch ohne jegliche Spekulation und Interpretation auch ohne genauere Beschreibung unmittelbar und eindeutig, dass es sich bei den resultierenden Kreuzkopplungstermen omega­LTiLq* bzw. -omegaLTiLd* um Sprungführungsgrößen handelt, deren "überkreuzte" Aufschaltung zu den Führungsgrößen am Ausgang der PI-Regler der Funktion einer Vorsteuereinheit entspricht. Das Streitpatent gibt außerdem keinen Anlass dazu, weder dem Begriff "Vorsteuereinheit" noch dem abgewandelten Begriff "Sprungführungsgröße" eine weitergehende inhaltliche Bedeutung zuzumessen.

2.5 Die Einspruchsabteilung vertrat in der angefochtenen Entscheidung weiterhin die Auffassung, dass die Verwendung der Transformatorimpedanz zur Berechnung der Sprungführungsgrößen nicht in dem Dokument D10 offenbart ist (vgl. Entscheidungsgründe, Absatz 3.1.2). Die Kammer ist der Meinung, dass die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt nicht zu beanstanden ist.

2.6 D10 offenbart in Abschnitt II ("System Description") auf Seite 2 unstreitig die Berücksichtigung der Induktivität des Transformators in der Gesamtinduktivität LT. Diese wird gemäß Figur 4 auch zur Berechnung der Sprungführungsgröße im Rahmen des Kopplungsterms omega­LTiLq* bzw. -omegaLTiLd* verwendet. Nicht offenbart in D10 ist hingegen die Berücksichtigung des Realteils der Impedanz, d.h. des Wirkwiderstands R des Transformators bei der Berechnung der Sprungführungsgröße. Das Argument der Beschwerdegegnerin unter Verweis auf die Dokumente D3 und D5, wonach die Berücksichtigung der Impedanz des Transformators bei der Modellierung des Regelsystems üblich ist und in D10 lediglich von einem idealen Transformator ausgegangen wird (R = 0), vermag die Tatsache nicht zu ändern, dass der Realteil der Impedanz in D10 keinen Eingang in die Berechnung der Sprungführungsgröße findet und damit nicht offenbart ist. Es mag auch zutreffen, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen wurde, dass in Abschnitt III auf Seite 3 der D10 der parasitäre Wirkwiderstand RT des Transformators erwähnt wird. Dies ist jedoch ausschließlich in Zusammenhang mit der Berechnung der Zeitkonstante des PI-Reglers und nicht in Zusammenhang mit der Vorsteuerung der Fall. Das in Rede stehende Merkmal ist dem Dokument D10 damit nicht zu entnehmen.

2.7 Das Dokument D11 offenbart nach Ansicht der Kammer keinen Transformator. Zwar wird auf Seite 542, rechte Spalte unten in Verbindung mit Figur 1 ein Wirkwiderstand R und eine Induktivität L erwähnt. Diese beziehen sich jedoch auf eine Netzdrossel ("line reactor") und nicht auf einen Transformator. Die Kammer ist auch nicht überzeugt vom Argument der Beschwerdegegnerin, wonach der Fachmann wisse und mitlese, dass es sich bei dem in Figur 5 mit "L" bezeichneten Element um jegliches induktives Bauteil, mithin auch um einen Transformator handeln kann. Das Dokument D11 liefert keinen, auch keinen impliziten Hinweis auf die Verwendung eines Transformators.

2.8 Wie oben ausgeführt, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der in D10 gezeigten Vorrichtung lediglich durch die Verwendung der Transformatorimpedanz anstelle der Transformatorinduktanz. Das Dokument D10 liegt damit näher am Gegenstand des Anspruchs 1 als das Dokument D11.

3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

3.1 Die Verwendung der Transformatorimpedanz anstelle der Transformatorinduktanz für die Berechnung der Sprungführungsgröße kann nach Ansicht der Kammer keine erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ begründen.

3.2 Als Aufgabe der Erfindung hat die Beschwerdeführerin die Schaffung einer verbesserten Steuerung genannt, die besser auf Sprünge im Sollwert reagieren kann. Die Kammer ist in diesem Zusammenhang überzeugt vom Argument der Beschwerdegegnerin, dass der auf dem Gebiet der Erfindung tätige Fachmann stets bestrebt ist, die Übertragungsfunktion der Regelstrecke so genau wie möglich abzubilden, um die Genauigkeit der Regelung zu verbessern.

3.3 Die Beschwerdeführerin trug hingegen vor, dass der Fachmann sich an die in D10 getroffenen Vorgaben gehalten hätte, d.h. ausschließlich die Induktanz des Transformators berücksichtigt hätte, und keinen Anlass hatte von diesen Vorgaben abzuweichen. Das Dokument D10 nehme sogar Bezug auf den Widerstand RT des Transformators, berücksichtige diesen aber explizit nicht bei der Berechnung der Sprungführungsgröße.

3.4 Die Kammer ist jedoch vom Argument der Beschwerdegegnerin überzeugt, dass für den Fall, dass der Wirkwiderstand des Transformators nicht vernachlässigbar gewesen wäre, der Fachmann diesen bei der Berechnung der Sprungführungsgröße berücksichtigt hätte. Nach Ansicht der Kammer handelt es sich dabei um eine fachübliche Maßnahme, die sich bereits aus dem Bestreben heraus ergibt, die Regelgenauigkeit durch eine möglichst genaue Modellierung der Regelstrecke zu erhöhen. Insbesondere hätte der Fachmann den Realteil der Impedanz, d.h. den Wirkwiderstand R, zusätzlich zu dessen Imaginärteil X = omegaL berücksichtigt, sofern dessen Größe Auswirkungen auf die Regelgenauigkeit gehabt hätte und folglich nicht vernachlässigbar gewesen wäre.

3.5 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.

4. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 umfasst die Merkmale des erteilten Verfahrensanspruchs 7 des Streitpatents, die im Wesentlichen den Vorrichtungsmerkmalen des erteilten Anspruchs 1 entsprechen, sowie die Merkmale des erteilten Anspruchs 10. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 umfasst somit das zusätzliche Merkmal, dass "die Vorsteuereinheit (9) die Übertragung der Führungsgrößen (U'VSCd, U'VSCq) von der Regelungseinheit (3) an die Zündeinheit im Bedarfsfall unterbricht und stattdessen jede Sprungführungsgrößen (UVSCd, UVSCq) an die Zündeinheit überträgt.".

4.2 Die Beschwerdegegnerin hat vorgetragen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 gegenüber den Dokumenten D10 und D11 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, da der "Bedarfsfall" in Anspruch 1 nicht näher spezifiziert und daher breit auszulegen sei. Der "Bedarfsfall" könne somit auch dauerhaft vorliegen. Ferner sei es eine übliche Maßnahme, im Falle eines Sollwertsprungs die Regelungseinheit abzuschalten, wenn diese an ihre Regelgrenze stößt.

4.3 Die Kammer ist jedoch überzeugt vom Argument der Beschwerdeführerin, dass der Verfahrensanspruch 1 zwei alternative Betriebszustände beschreibt, von denen ein Betriebszustand der "Normalzustand" ist, in welchem die Regelungseinheit aktiv ist, und der andere Betriebszustand der "Bedarfsfall", in welchem die Regelungseinheit abgeschaltet und stattdessen ausschließlich die Sprungführungsgröße an die Zündeinheit übertragen wird.

4.4 Ferner hält die Kammer das Argument der Beschwerdeführerin für überzeugend, wonach sowohl in D10 als auch in D11 eine permanente Berechnung der Sprungführungsgrößen mittels der Vorsteuereinheit zur Kompensation der Kreuzkopplungsterme erfolgen muss und eine Beschränkung der Berechnung der Sprungführungsgrößen durch die Vorsteuereinheit auf den Bedarfsfall nicht offenbart ist. Hingegen kann die Kammer der Beschwerdegegnerin nicht darin folgen, dass es fachüblich sein soll, im Falle eines Sollwertsprunges, mithin also im Bedarfsfall, die Regelungseinheit zu unterbrechen. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragene Möglichkeit, in diesem Fall den Umrichter wenigstens kurzzeitig vom Netz zu trennen, erscheint der Kammer hingegen plausibel. Jedenfalls stellt "das Umschalten" auf die Vorsteuerung im Bedarfsfall nach Ansicht der Kammer weder die einzige noch die naheliegendste Möglichkeit dar, um im Falle eines Sollwertsprunges die Regelungseinheit zu entlasten. Da weder D10 noch D11 eine zweiteilige Regelung im Sinne des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 offenbaren, und die Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang keine weiteren Belege vorgebracht hat, hält die Kammer den Gegenstand des Anspruchs 1 für nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.

4.5 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht. Das gleiche gilt für die abhängigen Ansprüche 2 bis 5. Die Beschwerdeführerin hat die Beschreibung an die geänderten Ansprüche angepasst. Die Beschwerdegegnerin hat keine weiteren Einwände gegen diesen Antrag erhoben. Dem Hilfsantrag 1 der Beschwerdeführerin war damit stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in folgender geänderter Fassung aufrecht zu erhalten:

Ansprüche: Nr. 1 bis 5 des ersten Hilfsantrags, eingereicht mit Schreiben vom 12. September 2013.

Beschreibung: Seiten 1 bis 11, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2018.

Zeichnungen: Figuren 1 bis 3 der Patentschrift.

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