T 1671/13 () of 14.6.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T167113.20170614
Datum der Entscheidung: 14 Juni 2017
Aktenzeichen: T 1671/13
Anmeldenummer: 06007399.6
IPC-Klasse: C08G 69/26
G02B 1/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Transparente, amorphe Polyamidformmassen und deren Verwendung
Name des Anmelders: EMS-CHEMIE AG
Name des Einsprechenden: ARKEMA FRANCE
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(3)
European Patent Convention R 115(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Ladung zur mündlichen Verhandlung - Fernbleiben eines Beteiligten
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Änderung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die am 24. Mai 2013 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent 1 845 123 widerrufen wurde. Der Entscheidung lagen als Hauptantrag die Zurückweisung des Einspruchs, sowie zwei geänderte Anspruchsätze als Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht mit Schreiben vom 28. April 2011, bzw. während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 23. April 2013, zu Grunde.

II. Anspruch 1 des Patents lautete wie folgt:

,,1. Transparente, amorphe Polyamidformmassen, enthaltend durch Polykondensation einer aliphatischen Dicarbonsäure mit einem cycloaliphatischen Diamin gebildete Polyamide, sowie Blends hiervon, sowie Additive und/oder Farbstoffe dadurch gekennzeichnet, dass

die aliphatische Dicarbonsäure aus Dicarbonsäuren mit 17 bis 21 C-Atomen ausgewählt und dass das Diamin bis(3-methyl-4-aminocyclohexyl)methan (MACM) ist und dass bei den Additiven Vernetzungsadditive und bei den Farbstoffen photochrome Farbstoffe ausgeschlossen sind."

Die Ansprüche 2 bis 7 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der Polyamidformmassen gemäß Anspruch 1. Der Anspruch 8 definiert die Verwendung der transparenten, amorphen Polyamidformmassen nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 7 zur Herstellung von transparenten Formkörpern und der Anspruch 9 spezifische Verwendungen der transparenten Formkörper nach Anspruch 8.

III. In der angefochtenen Entscheidung wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D3: US 6204355-B1

D6: Nylon Plastics Handbooks, Melvin I. Kohan, 1995, Seiten 38, 39, 62, 63, 331-333, 358, 384 und 385

D11: Vergleichstabelle zu Eigenschaften von verschiedenen Polyamiden, eingereicht mit Schreiben der Einsprechenden von 25. Februar 2013.

IV. In der angefochtenen Entscheidung wurde die Neuheit anerkannt. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit wurde die Entgegenhaltung D3 als nächstliegender Stand der Technik betrachtet. Die beanspruchten Polyamidformmassen würden sich von denen aus D3 dadurch unterscheiden, dass das Polyamid nicht auf Dicarbonsäuren mit 8 bis 14 Dicarbonsäuren, bevorzugt Dodecandisäure, sondern auf Dicarbonsäuren mit 17 bis 21 Kohlenstoffatomen beruhe. Im Hinblick auf die experimentellen Ergebnisse in der Tabelle 2 des Streitpatents und den relativ engen Bereich für die Zahl an Kohlenstoffatome in der Dicarbonsäure von 17 bis 21 gebe es keinen Grund daran zu zweifeln, dass die mit dem Streitpatent zu lösende Aufgabe durch die beanspruchten Polyamidformassen erfolgreich gelöst worden sei. Diese bestehe in der Bereitstellung von Polyamidformmassen mit verbesserter Fließfähigkeit, Flexibilität, chemischer Beständigkeit gegenüber polaren Lösemitteln und Lichttransmission und mit geringerer Dichte. Als einzige Möglichkeit, die Dichte des Polyamids zu reduzieren, komme für den Fachmann lediglich eine Erhöhung der Anzahl der Kohlenstoffatome in den Monomereinheiten in Frage, wie es in D6 gezeigt sei. Daher, ausgehend von D3, das bevorzugt Polyamid auf Basis von MACM und Dodecandisäure offenbare, sei es für den Fachmann naheliegend gewesen, eine aliphatische Dicarbonsäure mit 17 bis 21 Kohlenstoffatomen zu verwenden. Allein aus diesem Grund sei die im Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung nicht erfinderisch. Alle anderen erzielten Effekte seien lediglich Bonuseffekte, die gemäß Praxis des EPA zur erfinderischen Tätigkeit keinen Beitrag leisten würden. Aus den gleichen Gründen wie für den Hauptantrag sei der Gegenstand der Hilfsanträge 1 und 2 nicht erfinderisch.

V. Gegen diese Entscheidung erhob die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) Beschwerde.

VI. Mit Schreiben vom 9. Juni 2017 teilte die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) mit, dass sich die Vertreterin aus medizinischen Gründen kurzfristig entschuldigen müsse und sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde. Ferner wurde gebeten, die Verhandlung zu verschieben, wenn dies möglich sei. Dennoch erklärte die Beschwerdegegnerin ihr Verständnis damit, dass die mündliche Verhandlung auf Grund ihrer kurzfristigen Angabe in ihrer Abwesenheit stattfindet. Ein neues Dokument D19 ("Industrial biotechnology provides opportunities for commercial production of new long-chain dibasic acids", Kyle Kroha, inform, September 2004, Vol. 15(9), Seiten 568-571) wurde eingereicht.

VII. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand wie angesetzt am 14. Juni 2017 statt.

VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

a) In Übereinstimmung mit der Einspruchsabteilung sei der nächstliegende Stand der Technik D3, welcher Polyamide beschreibe, die auf alkyl-substituierten cycloaliphatischen Diaminen mit 14 bis 22 Kohlenstoffatomen und unverzweigten aliphatischen Dicarbonsäuren mit 8 bis 14 Kohlenstoffatomen beruhen würden. Als cycloaliphatisches Diamin komme dabei zum Beispiel MACM in Frage (Anspruch 5) und Beispiel 1 beschreibe ein Polyamid aus MACM und Dodecandisäure, ein Polyamid wie im Vergleichsbeispiel 1 des Streitpatents verwendet.

b) Die mit der vorliegenden Erfindung demgegenüber erfolgreich gelöste Aufgabe sei der Entscheidung der Einspruchsabteilung folgend die Bereitstellung von Polyamidformmassen mit verbesserter Fließfähigkeit, Flexibilität, chemischer Beständigkeit gegenüber polaren Lösemitteln und hoher Lichttransmission bei gleichzeitig geringer Dichte.

c) Die längsten Dicarbonsäuren, die aus D6 hervorgehen würden, seien Dicarbonsäuren mit 12 Kohlenstoffatomen. An keiner Stelle erwähne D6 Polyamide, die aus der Kondensation eines cycloaliphatischen Diamins mit aliphatischen Dicarbonsäuren mit mehr als 12 Kohlenstoffatomen entstanden seien. D6 beschreibe des Weiteren keine amorphe Polyamidformmassen, sondern eine andere Kategorie von Polyamiden. Alle untersuchten Polyamide, die in den Figuren von D6 gezeigt seien, würden eine gewisse Kristallinität aufweisen. Alle zitierten Passagen der D6 würden nur linear aliphatische und somit teilkristalline, nicht transparente Polyamide betreffen. Auf Grund des großen Einflusses der Kristallinität auf die Dichte, wie aus dem Figur 10.50 und Absatz 10.5.3 von D6 zu entnehmen sei, sei eine Übertragung der an teilkristallinen Polyamiden gewonnenen Erkenntnisse auf amorphe Polyamide nicht statthaft. Die Länge der Dicarbonsäure in den jeweiligen Polyamiden sei nicht das einzige und demnach entscheidende Kriterium, das Auswirkung auf die Dichte der Polyamide habe. Entscheidender sei, dass der Fachmann Erkenntnisse, die für rein aliphatische Polyamide bekannt seien, nicht automatisch auf eine andere Kategorie von Polyamiden, nämlich cycloaliphatische Polyamide, übertragen würde.

d) Im Gegensatz zur Auffassung der Einspruchsabteilung handele es sich bei den zusätzlichen verbesserten Eigenschaften nicht um Bonuseffekte. Die optischen Eigenschaften der erfindungsgemäßen Polyamide, wie verbesserte Lichttransmission und Haze-Werte, würden sich ohnehin nicht aus der D6 ableiten lassen, da die dort beschriebenen Polyamide teilkristallin und somit nicht transparent seien. Der D6 sei nicht zu entnehmen, wie kombinatorisch sowohl die mechanischen als auch optischen Eigenschaften wie auch die Dichte einer amorphen Polyamidformmasse, basierend auf MACM und aliphatischen Dicarbonsäuren, sich verbessern ließen.

e) Der Gegenstand der vorliegenden Erfindung sei daher nicht naheliegend im Hinblick auf D3 und D6 und beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

IX. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, insofern sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

a) Aus dem einzigen Grund, dass das Streitpatent ein Beispiel lediglich für ein Polyamid mit einer aliphatischen Dicarbonsäure mit 18 Kohlenstoffatomen enthalte, beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern seien Vorteile, auf die sich die Patentinhaberin gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik berufe, die aber nicht hinreichend belegt seien, bei der Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. Die Aufgabe könne bei der Beurteilung der erfinderische Tätigkeit nur dann berücksichtigt werden, wenn es anerkannt werden könne, dass praktisch alle beanspruchten Verbindungen diese Aufgabe erfolgreich lösen würden.

b) Experimentelle Daten mit aliphatischen Dicarbonsäuren mit einer Anzahl von Kohlenstoffatomen zwischen 15 und 17 oder von mindestens 19 seien nicht vorgelegt worden. Der von der Beschwerdeführerin ausgewählten Bereich für die Anzahl an Kohlenstoffatome der aliphatischen Dicarbonsäure sei daher als willkürlich zu betrachten. Die Beweislast für das Vorbringen, dass die Erfindung über den gesamten beanspruchten Bereich funktioniere, obliege der Patentinhaberin.

c) Die Tabellen 1 und 2 von D11 würde zeigen, dass die Zunahme der Fließfähigkeit der Polyamidformmasse mit der Anzahl an Kohlenstoffatomen der aliphatischen Dicarbonsäure vorhersehbar sei. Die Tabellen 3 und 4 von D11 und die Tabelle 2 des Streitpatents für die Beispiele 1 bis 3 würden zeigen, dass das Erzielen eines niedrigeren Moduls mit einer aliphatischen Dicarbonsäure mit 18 Kohlenstoffatomen ebenfalls vorhersehbar und logisch sei. Die chemische Beständigkeit sei durch Spannungstests gemessen. Daher würden sich die Verformung und der Modul gleich entwickeln bei Zunahme der Anzahl an Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäure.

d) Die anderen Ergebnisse, die in der Tabelle 2 des Streitpatents für eine aliphatische Dicarbonsäure mit 18 Kohlenstoffatomen gezeigt seien, würden lediglich der Kontinuität der bekannten Entwicklung der Dichte, der Dauerfestigkeit (Wechselbiegetest und Kugeldruckhärte) und der optischen Eigenschaften (Lichttransmission und Haze) bei zunehmender Anzahl der Kohlenstoffatomen entsprechen. Da die vom Stand der Technik zitierten Dokumente auf keine schlechten Ergebnisse für die Auswahl von aliphatischen Dicarbonsäuren mit 17 bis 21 Kohlenstoffatomen hinweisen würden, hätte der Fachmann die Verwendung dieser aliphatischen Dicarbonsäuren ernsthaft in Betracht gezogen, womit diese Auswahl nicht patentfähig sei (T 0026/85 und T 0666/89). Alle im Streitpatent genannten zusätzlichen Effekte seien Bonuseffekte im Sinne der Rechtsprechung (T 0936/99, T 0231/97, T 0170/06). Dass es im Stand der Technik keinen Anhaltspunkt dafür gebe, dass Raum für eine Verbesserung existiere, bedeute nicht, dass ein bislang unerkanntes Problem entdeckt worden sei (T 0252/10).

e) Den nächstliegenden Stand der Technik bilde das Dokument D3, welches transparente amorphe Polyamide aus einem cycloaliphatischen Diamin und einer aliphatischen Dicarbonsäuren mit 8 bis 14 Kohlenstoffatomen beschreibe. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents unterscheide sich davon lediglich in der Auswahl einer aliphatischen Dicarbonsäure mit 17 bis 21 Kohlenstoffatomen. Die daraus im Streitpatent erwähnten resultierenden Effekte seien hauptsächlich eine Abnahme der Dichte (wie im D3 angestrebt; Spalte 2, Zeile 37) und eine Verbesserung der chemischen Beständigkeit gegenüber den selben Lösemitteln wie in D3 (Alkoholen und Ketonen) (Spalte 2, Zeilen 40-42), so dass die gegenüber D3 zu lösende Aufgabe diesen Zielen entspreche. Die anderen in der Tabelle 2 des Streitpatents beschriebenen Effekte seien ebenfalls in D3 beschrieben (Wechselbiegefestigkeit, Härte, Transparenz und Transmission).

f) Aus dem Dokument D6, welches ein Referenzwerk auf dem Gebiet von Polyamiden sei, gehe hervor, dass die Dichte des Polyamids mit zunehmender Anzahl der Kohlenstoffatome in der Dicarbonsäure abnehme (Seiten 331 bis 333, Figuren 10.49 und 10.48 und Tabelle 10.26). Es sei daher naheliegend gewesen, selbst ohne Routineversuche, dass der beanspruchte Teilbereich diese Aufgabe löse. Es sei auch aus D6 bekannt (Seite 39, Punkt 3.1 und Tabelle 3.1; Seite 62, Punkt 3.7.1 und Seite 385, Punkt 11.4.5.5), dass die chemische Beständigkeit (Spannungsrissbeständigkeit) gegenüber polaren Lösemitteln mit zunehmendem CH2/CONH Ratio verbessert werde. Darüber hinaus sei der Fachmann durch die Offenbarung von D3 (Ansprüchen 1, 9, 10 und 12 und Spalte 3, Zeilen 21-22) angeregt worden, eine Dicarbonsäure mit 12 Kohlenstoffatomen durch eine andere mit mehr als 12 Kohlenstoffatomen zu ersetzen. Die Auswahl einer Dicarbonsäure mit 17 bis 21 Kohlenstoffatomen, um die chemische Beständigkeit (oder die Spannungsrissbeständigkeit) gegenüber Polyamiden mit weniger Kohlenstoffatomen zu verbessern, beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher nicht erfinderisch im Hinblick auf D3 und D6. Das gleiche gelte für den Gegenstand der Ansprüche 2 bis 9. Hinsichtlich der Oktadecandisäure, die im Hilfsantrag 2 als Dicarbonsäure für das Polyamid definiert sei, sei ihre Verwendung naheliegend, da es sich um das einzige Produkt von Cognis, welches durch Biofermentation hergestellt sei, handele, wie in D19 belegt.

X. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs (Hauptantrag), hilfsweise, das Patent auf der Grundlage der der erstinstanzlichen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträge 1 oder 2 aufrechtzuerhalten.

XI. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Vertreterin der Beschwerdegegnerin teilte mit Schreiben vom 9. Juni 2017 mit, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen würde und bat gleichzeitig, um eine Verlegung der mündlichen Verhandlung, wenn dies möglich sei. Zusätzlich erklärte sie im nächsten Satz, dass sie auf Grund ihrer kurzfristigen Angabe, Verständnis dafür habe, wenn die mündliche Verhandlung in ihrer Abwesenheit trotzdem stattfinden sollte.

1.1 Eine solche Anfrage der Beschwerdegegnerin hinsichtlich einer Verlegung der mündlichen Verhandlung kann nicht als ein Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung im Sinne von Artikel 15(2) VOBK und der Mitteilung des Vizepräsidenten der DG3 des EPA vom 16. Juli 2007 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 3, 115, nachstehend "Mitteilung") bewertet werden, insbesondere weil sie nicht ausreichend begründet, bzw. nicht substantiiert ist, wie im Artikel 15(2) VOBK und in der Mitteilung (supra, Punkte 2, 2.1 und 2.3) verlangt wird. Darüber hinaus wird der Antrag nur konditional formuliert ("si possible": wenn es möglich ist).

1.2 Neben dem Wunsch der Beschwerdegegnerin an der Verlegung der mündlichen Verhandlung, sind auch der effizienten Nutzung der Ressourcen und Kapazität der Beschwerdekammern, sowie den Interessen der anderen beteiligten Parteien, wie die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall, an einer Entscheidung über die Beschwerde, Rechnung zu tragen. Diese Aspekte, die in allen Fällen gegen die Verlegung einer Verhandlung sprechen, sind entscheidend für die Ausübung des der Kammer eingeräumten Ermessens in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Antrag nicht ausreichend begründet und konditional ist.

1.3 Infolgedessen gab es für die Kammer keinen Anlass, die mündliche Verhandlung zu verlegen, die somit ohne die ordnungsgemäß geladene Beschwerdegegnerin fortgesetzt wurde (Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK).

Hauptantrag

2. Die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass die Neuheit gegeben ist, wurde nicht in Frage gestellt. Die Kammer hat keinen Grund, eine andere Meinung zu vertreten, so dass nur der Einwand einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Die Beschwerdegegnerin hat zu diesem Zweck eine Analyse auf der Basis des Aufgabe-Lösung-Ansatzes ausgehend von D3 vorgebracht und zusätzlich ein weiteres Vorbringen, das diesem Ansatz nicht folgt und vom Stand der Technik, inklusive allgemeinen Fachwissens, losgelöst ist. Da die erfinderische Tätigkeit, wie im Artikel 56 EPÜ gefordert, angesichts des Stands der Technik im Sinne des Artikel 54(2) EPÜ zu beurteilen ist, kann dieses zusätzliche Vorbringen als solches nicht überzeugen. Zu Gunsten der Beschwerdegegnerin wurde dennoch dieses weitere Vorbringen, insofern es die Ermittlung der durch den beanspruchten Gegenstand erfolgreich gelösten Aufgabe betrifft, berücksichtigt.

Erfinderische Tätigkeit

Nächstliegender Stand der Technik

3. Aufgabe der vorliegenden Erfindung ist gemäß Absatz [0008] des Streitpatents, eine transparente Polyamidformmasse anzugeben, mit der transparente Formkörper herstellbar sind, wobei eine möglichst hohe Fließfähigkeit der Polyamidformmasse gefordert ist und wobei gleichzeitig der Formkörper ausgezeichnete mechanische Eigenschaften und eine möglichst hohe Transparenz aufweisen soll.

3.1 D3 betrifft ebenfalls transparente amorphe Polyamidformmassen, die sich zur Herstellung von optischen Formkörper eignen und sehr gute mechanische Eigenschaften aufweisen (Anspruch 1, Spalte 2, Zeilen 54-60). Insbesondere betrifft D3 Polyamidformmassen, welche ein Homopolyamid aus MACM und unverzweigten aliphatischen Dicarbonsäuren mit 8 bis 14 Kohlenstoffatomen enthalten (Ansprüche 1, 3 und 5), bevorzugt ein Homopolyamid aus MACM und Dodecandisäure, wie im Beispiel 1 beschrieben.

3.2 Diese Polyamidformmassen wurden in der angefochtenen Entscheidung und von beiden Parteien als nächstliegender Stand der Technik betrachtet. Die Kammer hat keinen Grund, einen anderen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu nehmen.

Aufgabe und Lösung

4. Entsprechend der Ausführungen der Beschwerdeführerin war die Aufgabe des Streitpatentes, ausgehend von Dokument D3 als nächstliegendem Stand der Technik, Polyamidformmassen mit verbesserter Fließfähigkeit, Flexibilität, chemischer Beständigkeit gegenüber polaren Lösemitteln und hoher Lichttransmission, bei gleichzeitig geringerer Dichte bereitzustellen. Als Lösung schlägt das Streitpatent gemäß geltendem Anspruch 1 Polyamidformmassen vor, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie Polyamide enthalten, die durch Polykondensation von MACM mit einer aliphatischen Dicarbonsäure mit 17 bis 21 Kohlenstoffatomen gebildet werden.

5. Zwischen den Parteien ist nun streitig, ob diese technische Aufgabe durch die vorgeschlagene anspruchsgemäße Lösung im gesamten Umfang erfolgreich gelöst wird. Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin auf die experimentellen Ergebnisse des Streitpatents verwiesen, die in dessen Tabelle 2 dargestellt werden.

5.1 Diese Experimente bestehen aus einer Reihe aus 4 Versuchen (Beispiele 1 bis 4), bei denen Polyamidformmassen durch Polykondensation von MACM mit einer aliphatischen Dicarbonsäure, deren Kohlenstoffanzahl variiert wird, erhalten wurden. Die somit hergestellten Formmassen unterscheiden sich lediglich durch die verwendete aliphatische Dicarbonsäure. Allein Beispiel 4 stellt eine Ausführungsform des Streitpatents dar, bei der Oktadecandisäure als aliphatische Dicarbonsäure verwendet wurde. Die Beispiele 1, 2 und 3, die jeweils als aliphatische Dicarbonsäure Dodecandisäure, Tridecandisäure und Tetradecandisäure verwenden, stellen Vergleichsbeispiele dar, die den nächstliegenden Stand der Technik widerspiegeln.

In dieser Experimentreihe werden für jede Formmasse, bzw. für jeden damit hergestellten Prüfkörper die Fließfähigkeit (im Spiralfließtest), die Flexibilität (anhand von Messungen des Zug-E-Moduls, der Kugeldruckhärte und der Wechselbiegefestigkeit), die chemische Beständigkeit gegenüber Aceton und Isopropanol (als Stellvertreter für polare Lösemitteln in einem Spannungsrisstest), die optischen Eigenschaften (Lichttransmission und Haze) und die Dichte ermittelt.

5.2 Aus den Ergebnissen, die in der Tabelle 2 dargestellt werden, ist zu entnehmen, dass bei Zunahme der Anzahl an Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäure eine kontinuierliche Zunahme der Flexibilität des geformten Polyamidprüfkörpers erzielt wird, wobei gleichzeitig eine kontinuierliche Abnahme der Dichte des Polyamids beobachtet wird. Da sich die hergestellten Formmassen lediglich durch die verwendete aliphatische Dicarbonsäure unterscheiden, kann festgestellt werden, dass die beobachtete kontinuierliche Zunahme der Flexibilität und Abnahme der Dichte ursächlich auf die Erhöhung der Anzahl an Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäure zurückzuführen sind. Somit ist es glaubhaft gezeigt worden, dass alle Polyamidformmassen gemäß dem Anspruch 1 des Streitpatents, die durch Polykondensation von MACM mit einer aliphatischen Dicarbonsäure mit 17 bis 21 Kohlenstoffatomen gebildet werden, gegenüber denen aus dem nächstliegenden Stand der Technik, die durch Polykondensation von MACM mit einer aliphatischen Dicarbonsäure mit weniger Kohlenstoffatomen, d.h. 8 bis 14, gebildet werden, eine höhere Flexibilität und eine niedrigere Dichte aufweisen.

Des Weiteren ist festzustellen, dass die Lichttransmission mit der Anzahl an Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäure zwischen 12 und 14 kontinuierlich zunimmt, bevor diese konstant bleibt, wenn die Anzahl an Kohlenstoffatomen auf 18 erhöht wird. Somit ist die Kammer ebenfalls der Überzeugung, dass alle Polyamidformmassen gemäß dem Anspruch 1 des Streitpatents ebenfalls eine hohe Lichttransmission aufweisen, d.h. eine Lichttransmission, die nicht niedriger ist, als die, die in D3 erzielt wird.

Infolgedessen kann der ausgewählte Bereich für die Anzahl an Kohlenstoffatomen der aliphatischen Dicarbonsäure wie im Anspruch 1 des Streitpatents definiert, als zielgerichtet betrachtet werden, entgegen den Ausführungen der Beschwerdegegnerin.

5.3 Für die anderen von der Beschwerdeführerin behaupteten verbesserten Eigenschaften, nämlich Fließfähigkeit und chemische Beständigkeit gegenüber polaren Lösemitteln, lässt sich anhand des angestrebten Vergleichs kein Trend für eine Verbesserung oder Verschlechterung dieser Eigenschaften erkennen. Besonderes bemerkenswert ist, dass die Fließfähigkeit zuerst mit steigender Anzahl an Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäure von 12 bis 14 abnimmt, während sie mit einer weiteren steigenden Anzahl an Kohlenstoffatomen von 18 deutlich zunimmt, was von der Beschwerdeführerin als ein für einen Fachmann in keinem Falle vorhersehbarer Effekt angesehen wird (siehe Absatz [0048] des Streitpatents). Eine technische Erklärung für das Verhalten des Polyamids hinsichtlich seiner Fließfähigkeit oder seiner chemischen Beständigkeit gegenüber polaren Lösemitteln in Abhängigkeit der Anzahl an Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäurekompnente wurde von der Beschwerdeführerin nicht angeboten, sodass es für die Kammer keinen Grund zur Annahme einer Verbesserung dieser Eigenschaft ebenfalls mit weiteren aliphatischen Dicarbonsäuren gemäß Anspruch 1 gibt (d.h. mit 17 bzw. 19 bis 21 Kohlenstoffatomen in der Dicarbonsäure).

Die Beschwerdeführerin hat daher weder einen experimentellen Nachweis geliefert, auf dessen Basis empirisch glaubhaft wäre, dass die von ihr behaupteten Wirkungen hinsichtlich der Fließfähigkeit und der chemischen Beständigkeit gegenüber polaren Lösemitteln der Polyamiden gemäß Anspruch 1 im gesamten beanspruchten Bereich eintreten, noch eine technische Erklärung erbracht, die die von ihr behauptete Verbesserung glaubhaft erscheinen lassen würde. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern sollen Vorteile, auf die sich die Patentinhaberin gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik beruft, die aber nicht hinreichend belegt sind, bei der Festlegung der objektiven Aufgabenstellung des Streitpatentes und der Beurteilung dessen erfinderischer Qualität unberücksichtigt bleiben.

5.4 Aus diesen Gründen ist die vorstehend in Punkt 4 supra angeführte Aufgabenstellung umzuformulieren. Ausgehend von Dokument D3 als nächstliegendem Stand der Technik liegt dem Streitpatent somit die objektive Aufgabe zugrunde, Polyamidformmassen mit verbesserter Flexibilität bei gleichzeitig geringerer Dichte und hoher Lichttransmission bereitzustellen. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent die Polyamidformassen gemäß Anspruch 1 vor.

Naheliegend

6. Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregung bot, die unter Punkt 5.4 supra genannte Aufgabe durch die Bereitstellung der anspruchsgemäßen Polyamidformmassen zu lösen. Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Zusammenhang lediglich auf D3, D6 und D11 Bezug genommen.

6.1 Wie im obigen Punkt 3 dargestellt wird, offenbart D3 Polyamidformmassen, welche ein Homopolyamid aus MACM und unverzweigten aliphatischen Dicarbonsäuren mit 8 bis 14 Kohlenstoffatomen enthalten (Ansprüche 1, 3 und 5). Der Hinweis auf ,,Dicarbonsäure mit mehr als 12 C-Atoms" ist nur im Kontext des ganzen Dokuments D3 und insbesondere im Hinblick auf die gesamte Textstelle der Spalte 3, Zeilen 19-22 zu verstehen. Diese Passage lautet "Es hat sich auch als vorteilhaft erwiesen, die Dodecandisäure teilweise oder vollständig durch Sebazinsäure oder Azelainsäure oder eine andere aliphatische Dicarbonsäure von mehr als 12 C-Atomen zu ersetzen". Diese Passage spiegelt sich in Unteranspruch 12 wider, welcher im Lichte der Ansprüche 10, 9 und 1 von D3 zu verstehen ist. Demnach sind diese "Dicarbonsäure mit mehr als 12 C-Atoms" lediglich welche, die bis 14 Kohlenstoffatome enthalten können, wie im Anspruch 1 von D3 definiert wird. Folglich, ist die Verwendung von aliphatischen Dicarbonsäuren mit mehr als 14 Kohlenstoffatomen in D3 nicht offenbart, womit D3 keinen Hinweis auf die beanspruchte Lösung enthält.

6.2 Über den Einfluss der Anzahl an Kohlenstoffatomen einer Dicarbonsäure auf die Dichte der damit hergestellten Polyamide, kann ein Hinweis aus dem Dokument D6 lediglich für aliphatische Dicarbonsäuren mit maximal 12 Kohlenstoffatomen gewonnen werden, und zwar nur im Kontext von aliphatischen Diamine (Tabelle 10.26 und Figuren 10.48 bis 10.50, Seiten 331 und 332). Im Kontext von aliphatischen Diaminen, und nur in diesem Kontext, ist aus D6 zu entnehmen, dass die Dichte des Polyamids mit zunehmender Anzahl an Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäure abnimmt. Ob dieser Trend für weitere aliphatische Dicarbonsäuren mit einer höherer Anzahl an Kohlenstoffatomen anhält, lässt sich aus D6 nicht erkennen. Ob dieser Trend ebenfalls für Polyamide auf der Basis von cycloaliphatischen Diaminen zu erwarten wäre, ist in D6 nicht angegeben. Das einzige Polyamid auf der Basis von cycloaliphatischen Diaminen in D6, dessen Dichte angeben wird, und zwar in der Tabelle 10.26, ist als 6I/6T/PACMI/PACMT gekennzeichnet. Es betrifft somit ein Polyamid, welches keine aliphatische Dicarbonsäure, sondern lediglich aromatische Dicarbonsäuren (Isophaltsäure und Terephthalsäure) enthält. Daher kann D6 kein Indiz für den Einfluss der Anzahl an Kohlenstoffatomen in einer aliphatischen Dicarbonsäure auf die somit hergestellten, auf cycloaliphatischen Diaminen basierenden Polyamiden, liefern. Somit hat der Fachmann keinen Grund zur Annahme, dass die Lehre aus D6 bezüglich der Senkung der Dichte des Polyamids auf die Polyamide gemäß D3 übertragbar wäre.

6.3 Ein Hinweis über den Einfluss der Kohlenstoffatomanzahl einer aliphatischen Dicarbonsäure auf die Flexibilität und die Lichttransmission der damit hergestellten Polyamide ist aus dem D6 ebenfalls nicht zu entnehmen. Eine solche Information ist insbesondere für Dicarbonsäuren mit mehr als 12 Kohlenstoffatomen, die in D6 nicht erwähnt werden, oder für Polyamide auf der Basis von cycloaliphatischen Diaminen, aus D6 nicht zu entnehmen. Argumente diesbezüglich wurden von der Beschwerdegegnerin nicht vorgebracht.

6.4 Folglich, kann D6 dem Fachmann nicht anregen, die aliphatischen Dicarbonsäuren mit 8 bis 14 Kohlenstoffatomen, unter anderem Dodecandisäure, die zur Herstellung des Homopolyamids mit MACM in D3 umgesetzt werden, durch eine aliphatische Dicarbonsäure mit 17 bis 21 Kohlenstoffatomen zu ersetzen, wenn er die in Punkt oben 5.4 definierte Aufgabe lösen wollte.

6.5 Die Beschwerdegegnerin hat des Weiteren ihre Argumentation auf Dokument D11 bezogen, welches nach Angabe der Beschwerdegegnerin einen Nachweis für das allgemeine Fachwissen liefern soll (Seite 4 der Beschwerdeerwiderung). D11 besteht aus 4 Tabellen und 2 Diagrammen, die Daten über spezifische Polyamide enthalten sollen. D11 enthält keinerlei weitere Angaben, wie Titel, Veröffentlichungsdaten, Kommentare oder Beschreibung hinsichtlich der Herkunft der darin dargestellten Daten. Es wurde des Weiteren nicht angegeben, ob es sich bei D11 um Daten handelt, die von der Beschwerdegegnerin zusammengestellt wurden, oder um eine Zusammenstellung von Daten, welche als solche zum Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ gehören.

Festzustellen ist, dass nicht angegeben wurde, dass D11 die Verwendung von aliphatischen Dicarbonsäuren mit mehr als 14 Kohlenstoffatomen oder die Verwendung von cycloaliphatischen Diaminen zur Herstellung von Polyamiden offenbart. Des Weiteren enthält D11 keinen Kommentar hinsichtlich der darin offenbarten Eigenschaften. Es enthält auch kein Indiz dafür, dass eine Tendenz bezüglich des Einflusses der steigenden Anzahl an Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäure auf etwa Flexibilität oder Dichte der damit hergestellten Polyamide, die für rein aliphatische Polyamide mit einer Dicarbonsäure mit 6 bis 14 Kohlenstoffatomen in diesem Dokument festzustellen wäre, in dem anderen Kontext der Polyamiden auf der Basis von cycloaliphatischen Diaminen zu erwarten wäre und darüber hinaus anhalten würde, wenn die Anzahl an Kohlenstoffatomen in der Dicarbonsäure über 16 steigt. D11 kann daher nicht zeigen, dass die anspruchsgemäße Lösung für den Fachmann im Hinblick auf den Stand der Technik naheliegend war.

6.6 Es wurde nicht argumentiert, dass ein weiterer Stand der Technik den Fachmann angeregt hätte, eine Dicarbonsäure gemäß Anspruch 1 einzusetzen, wenn er die in Punkt oben 5.4 definierte Aufgabe lösen wollte. Der Vollständigkeit halber ist festzustellen, dass D19 lediglich zitiert wurde, um das Interesse des Fachmannes für Oktadecandisäure auf Grund seiner Verfügbarkeit zu zeigen. Da die Verfügbarkeit für diese Verbindung nicht in Frage gestellt wurde, und D19 über den Einfluss von Oktandecandisäure auf die Eigenschaften von Polyamide keine Angabe macht, ist der Inhalt dieses Dokuments nicht relevant hinsichtlich der Frage, ob die anspruchsgemäße Lösung für den Fachmann im Hinblick auf den Stand der Technik naheliegend war.

7. Weitere Argumente bezüglich des Naheliegens der vorliegenden Erfindung wurden von der Beschwerdegegnerin vorgebracht und wie folgt analysiert.

7.1 Es wurde auf der Basis einer Kontinuität der Entwicklung der Eigenschaften des Polyamids wie Dichte, Elastizität und optische Eigenschaften in Abhängigkeit der Anzahl am Kohlenstoffatomen in der aliphatischen Dicarbonsäurekomponente argumentiert, dass die im Streitpatent definierte Auswahl der Dicarbonsäuren naheliegend war. Ein solche Kontinuität ist im Lichte der im Streitpatent dargestellten experimentellen Ergebnisse plausibel (siehe Punkt 5.2 oben). Dennoch geht ein solcher Trend für Polyamide auf der Basis von MACM und aliphatischen Dicarbonsäuren mit mindestens 12 Kohlenstoffatomen nicht aus dem vorgelegten Stand der Technik im Sinne von Artikel 54(2) EPÜ hervor. Eine solche Betrachtungsweise in Kenntnis des Streitpatents allein ist bei der Analyse des Naheliegens der beanspruchten Lösung nicht zulässig. Dieses Argument kann daher nicht überzeugen.

7.2 Der Argument der Einspruchsabteilung, der von der Beschwerdegegnerin weiter vorgetragen wurde, dass alle im Streitpatent zusätzlichen Effekte (d.h. alle anderen Effekte als die Reduzierung der Dichte) Bonuseffekte im Sinne der Rechtsprechung seien, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Wie oben dargestellt, hätte der Fachmann im Stand der Technik keinen Hinweis gefunden, die Anzahl der Kohlenstoffatome in der Dicarbonsäure zu erhöhen, wenn er die Dichte des Polyamids reduzieren wollte. Des Weiteren wurde von der Beschwerdegegnerin weder gezeigt noch vorgetragen, dass der Fachmann mit dem Ziel, die Dichte des Polyamids zu senken, gezwungen gewesen wäre andere aliphatische Dicarbonsäuren einzusetzen. Dafür sollte glaubhaft gemacht werden, wofür kein Beleg geliefert wurde, dass die Verwendung zum Beispiel von anderen Diaminen oder/und zusätzlichen Co-Monomeren vom Fachmann, der dieses Ziel verfolgte, ausgeschlossen worden wäre.

7.3 Die Beschwerdegegnerin gründete ihre Argumentation ebenfalls auf Entscheidungen der Beschwerdekammern, die aber für den vorliegenden Fall irrelevant sind. Die Antwort auf die Frage, ob die vorliegende Erfindung auf der Entdeckung eines bislang im nächstliegenden Stand der Technik unerkannten Problems beruht (T 0252/10), spielt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit im vorliegenden Fall keine Rolle. Das weitere Argument, dass der Fachmann die Verwendung der im Anspruch 1 definierten aliphatischen Dicarbonsäuren ernsthaft in Betracht gezogen hätte, womit diese Auswahl nicht patentfähig wäre, basiert auf einer Rechtsprechung (T 0026/85 und T 0666/89), die die Frage der Neuheit bei überlappenden Bereichen und somit eine andere Sach- wie Rechtslage betrifft.

8. Die Kammer kommt daher zum Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 dem Fachmann durch keines der angezogenen Dokumente weder einzeln noch in Kombination nahegelegt wird und damit auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht. Die gleiche Schlussfolgerung gilt sowohl für die Ansprüche 2 bis 7 betreffend bevorzugte Ausführungsformen der Polyamidformmassen gemäß Anspruch 1, als auch für die Ansprüche 8 und 9, die Verwendungen von solchen Formmassen definieren.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Einspruch wird zurückgewiesen.

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