T 1649/13 () of 13.3.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T164913.20150313
Datum der Entscheidung: 13 März 2015
Aktenzeichen: T 1649/13
Anmeldenummer: 05817921.9
IPC-Klasse: B60T 13/74
F16D 65/14
F16D 65/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Elektromechanische Feststell-Bremsanlage und elektronisches System zum betreiben derselben
Name des Anmelders: Lucas Automotive GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1819567 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 24. Juni 2013.

II. Die Einspruchsabteilung hat das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage des ersten Hilfsantrags, vorgelegt während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung aufrechterhalten.

Dabei hat sie insbesondere die folgenden Dokumente in Betracht gezogen:

DE 199 54 284 A1 (E2)

DE 198 31 733 A1 (E8)

III. Am 13. März 2015 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragt die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hauptantrags, bestehend aus den Ansprüchen 1 bis 7, den Beschreibungsspalten 1 bis 6, mit Einfügung der Seiten 1a und 1b in Spalte 1 und den Figuren 1 bis 4, eingereicht in der mündlichen Verhandlung. Die im schriftlichen Verfahren gestellten Anträge wurden zurückgenommen.

IV. Anspruch 1 gemäß dem einzigen Antrag lautet wie folgt:

Elektronisches System zum Betreiben einer elektromechanischen Feststell-Bremsanlage eines Fahrzeugs, mit wenigstens einer Eingabeeinheit (10) zum Erfassen eines Fahrerwunsches, der von einer Steuer­einheit ausgewertet wird, die wenigstens eine Stelleinheit (31, 32) zum Betätigen wenigstens einer Bremse ansteuert, wobei

die Steuereinheit wenigstens zwei Steuerkomponenten (21, 22, 23) umfasst, von denen eine erste Steuerkomponente (21) der Eingabeeinheit (10) zugeordnet ist und wenigstens eine zweite Steuerkomponente (22, 23) der wenigstens einen Stelleinheit (31, 32) zugeordnet ist,

wobei die erste Steuerkomponente (21) und die wenigstens eine zweite Steuerkomponente (22, 23) in einem Master-Slave-Verhältnis zueinander stehen und die wenigstens eine? zweite Steuerkomponente (22, 23), die der wenigstens einen Stelleinheit (31, 32) zugeordnet ist, zum Ansteuern der Stelleinheit erforderliche Leistungsschalter umfasst, wobei ferner eine einem Automatikgetriebe zugeordnete Systemeinheit (50) mit einer dritten Steuerkomponente (51) vorgesehen ist, die mit der wenigstens einen zweiten Steuerkomponente (22, 23) der wenigstens einen Stelleinheit (31, 32) zum Betätigen der Feststell-Bremsanlage kommuniziert.

V. Die Argumente der Beschwerde­führerin/Einsprechenden lauten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem einzigen Antrag beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Das dem erteilten Anspruch hinzugefügte Merkmal "wobei ferner eine einem Automatikgetriebe zugeordnete Systemeinheit (50) mit einer dritten Steuerkomponente (51) vorgesehen ist, die mit der wenigstens einen zweiten Steuerkomponente (22, 23) der wenigstens einen Stelleinheit (31, 32) zum Betätigen der Feststell-Bremsanlage kommuniziert" sei nicht in der Lage, einen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit zu liefern.

Ausgehend von Dokument E2, welches alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 offenbare und den nächsten Stand der Technik darstelle, werde der Fachmann durch das Dokument E8 dazu angeregt, die Parksperre des Automatikgetriebes mit der Funktion der Feststellbremse zu verbinden. Eine derartige Verbindung sei im übrigen bereits im Stand der Technik bekannt gewesen, vgl. E8, Spalte 1, Zeilen 30 ff. Dokument E8 lehre nun weiter, dass die Betriebssicherheit erhöht werden könne, wenn die Steuerungen von Feststellbremse und Automatik­getriebe so verbunden wären, wie dies insbesondere in der Figur der E8 gezeigt sei, um bei Ausfall der einen Einheit deren Funktion durch die andere übernehmen zu lassen. Daher wisse der Fachmann, dass die elektromechanische Feststellbremse über das Automatikgetriebe bedienbar sei; dies sei somit die vorliegend zu lösende Aufgabe.

Letztlich müsse der Fachmann nur die Verbindung zwischen dem Automatikgetriebe und der Steuerung (5) gemäß E2 herstellen, um zum Gegenstand des strittigen Anspruchs 1 zu gelangen.

Da E2 der nächstkommende Stand der Technik sei und somit das erfolgversprechendste Sprungbrett, werde auf die weiteren Argumentations­linien, wie sie im schriftlichen Verfahren vorgetragen worden seien, verzichtet.

VI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) entgegnete diesen Argumenten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem einzigen Antrag beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Schon das dem erteilten Anspruch hinzugefügte Merkmal "wobei ferner eine einem Automatikgetriebe zugeordnete Systemeinheit (50) mit einer dritten Steuerkomponente (51) vorgesehen ist, die mit der wenigstens einen zweiten Steuerkomponente (22, 23) der wenigstens einen Stelleinheit (31, 32) zum Betätigen der Feststell-Bremsanlage kommuniziert" liefere einen wesentlichen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit.

Zum einen habe der Fachmann, ausgehend von E2, keine Veranlassung das Dokument E8 in Betracht zu ziehen, da E2 keinen Hinweis auf eine Verbindung mit weiteren Steuereinheiten, insbesondere mit einer Steuereinheit eines Automatikgetriebes, offenbare:

Die Erfindung gemäß Dokument E8 habe ausweislich der Beschreibung eine Erhöhung der Betriebssicherheit zum Ziel, während gemäß Patent­schrift des Streitpatents durch den Wegfall der Parksperre des Getriebes Aufwand und damit Kosten reduziert werden sollen. Dies sei eine völlig andere Zielsetzung, die den Fachmann davon abhalte, das Dokument E8 überhaupt in Betracht zu ziehen.

Hinzu komme, dass die Kombination von E2 und E8 nicht zum Gegenstand des strittigen Anspruchs 1 führe.

So sei gemäß E8, Figur, die Getriebesteuerung (10) mit dem Steuergerät (12) der Feststellbremse verbunden. Erfindungsgemäß kommuniziere die Steuerkomponente des Automatikgetriebes aber mit der zweiten Steuer­komponente, die der Stelleinheit der Feststellbremse zugeordnet ist, vgl. Anspruch 1. Die zweite Steuereinheit der Feststellbremse entspreche in der Figur der E8 aber dem Element 16.

Somit könne der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahegelegt sein.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Die in Anspruch 1 des einzigen Antrags (Hauptantrags) definierte Erfindung beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ.

Dieser erst in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hauptantrag basiert im Wesentlichen auf dem ersten Hilfsantrag, vorgelegt mit der Beschwerdebegründung.

2.1 E2, welches den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, offenbart (siehe Fig. 2) ein elektronisches System zum Betreiben einer elektromechanischen Feststell-Bremsanlage eines Fahrzeugs, mit wenigstens einer Eingabeeinheit (3) zum Erfassen eines Fahrerwunsches, der von einer Steuer­einheit (2, 5) ausgewertet wird, die wenigstens eine Stelleinheit (in der Arretiervorrichtung 7) zum Betätigen wenigstens einer Bremse (6) ansteuert, wobei

die Steuereinheit zwei Steuerkomponenten (2, 5) umfasst, von denen die erste Steuerkomponente (2) der Eingabeeinheit (3) zugeordnet ist und die zweite Steuerkomponente (5) der Stelleinheit zugeordnet ist.

Anspruch 1 unterscheidet sich von diesem Stand der Technik mindestens dadurch, dass

"eine einem Automatikgetriebe zugeordnete Systemeinheit (50) mit einer dritten Steuerkomponente (51) vorgesehen ist, die mit der wenigstens einen zweiten Steuerkomponente (22, 23) der wenigstens einen Stelleinheit (31, 32) zum Betätigen der Feststell-Bremsanlage kommuniziert".

Diese Punkte sind unstrittig.

2.2 Die mit dem genannten Merkmal zu lösende Aufgabe besteht darin, die sonst übliche Getriebeverriegelung, die sogenannte Parksperre, einzusparen.

Diese Aufgabe ist in der Patentschrift in Bezug auf das o.g. Merkmal genannt (vgl. Spalte 4, Zeilen 56 ff); daher folgt die Kammer nicht der Sicht der Einsprechenden, die angibt, die Aufgabe bestehe darin, ein elektronisches System zum Betreiben einer elektro­mechanischen Feststellbremse derart weiterzubilden, dass die Feststellbremsanlage auch unabhängig von der der ersten Steuereinheit zugeordneten Eingabeeinheit betätigbar ist.

2.3 Die Kammer sieht es zwar als gegeben an, dass die Verbindung von Automatikgetrieben und Feststell­bremsen zum Prioritätszeitpunkt des strittigen Patents dem Fachmann bereits bekannt waren, siehe Dokument E8, Spalte 1, Zeile 30 ff.

Allerdings gibt E2 dem Fachmann keinen Hinweis auf eine Verbindung des elektrisch gesteuerten Bremssystems mit einem Automatikgetriebe. Auch das Dokument E8 selbst offenbart nicht, die Parksperre eines Automatikgetriebes einzusparen. E8 geht von einer Aktivierung der Feststellbremse durch die Parksperre aus und lehrt die Übernahme der Funktion der Parksperre bzw. der Feststell­bremse, wenn das jeweils andere System ausfällt, vgl. Spalte 1, Zeilen 40 bis 44. In E8 steht also - wie von der einsprechenden Beschwerdeführerin ausgeführt - offensichtlich die Erhöhung der Betriebssicherheit im Vordergrund.

Damit aber unterscheidet sich die Zielsetzung des Dokuments E8 von der des Streitpatents und von der ausgehend von dieser objektiv zu lösenden Aufgabe, so dass es für die Kammer schon nicht erkennbar ist, warum der Fachmann das Dokument E8 in Betracht ziehen sollte.

2.4 Selbst wenn dies der Fall wäre, würde eine Kombination der Merkmale aus den Dokumenten E2 und E8 zudem nicht zum Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1 führen.

Gemäß dem Anspruchswortlaut ist die zweite Steuerkomponente dem Stellteil der Feststellbremse zugeordnet. Das Stellteil entspricht in E8 dem Element 16 - Feststellbremse. Gemäß der Figur in E8 ist aber die Steuereinheit des Automatikgetriebes nicht mit dem Stellteil, bzw. dessen zweiter Steuerkomponente verbunden, sondern mit dem Steuergerät 12 der Feststellbremse, welches der Steuerkomponente der Eingabeeinheit in der vorliegenden Erfindung entspricht.

Daraus folgt: Selbst wenn der Fachmann, entsprechend der Argumentation der einsprechenden Beschwerdeführerin, ausgehend von E2 auch das Dokument E8 in Betracht ziehen würde, gelangte er mit der Lehre der E8 noch nicht zum Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1.

2.5 Dieser ist daher nicht im Sinne von Artikel 56 EPÜ nahegelegt.

3. Das Patent gemäß der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fassung entspricht somit den Erfordernissen des EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf der Basis der folgenden Unterlagen, eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 13. März 2015 aufrecht zu erhalten:

Ansprüche 1 bis 7,

Beschreibungsspalten 1 bis 6,

mit Einfügung der Seiten 1a und 1b in Spalte 1,

Figuren 1 bis 4.

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