European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T158613.20190510 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 10 Mai 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1586/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06723073.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | C12P 7/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR ENANTIOSELEKTIVEN ENZYMATISCHEN REDUKTION VON KETOVERBINDUNGEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Cambrex IEP GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | BASF SE | ||||||||
Kammer: | 3.3.10 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsanträge (nein) |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 851 322 zurückzuweisen.
II. Der unabhängige Anspruch 1 des erteilten Patents, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht, lautet wie folgt:
"Verfahren zur enantioselektiven enzymatischen Reduktion von Ketoverbindungen der allgemeinen Formel I
R1-C(O)-R2 (I)
in der R1 für einen der Reste
1) -(C1-C20)-Alkyl, worin Alkyl geradkettig oder verzweigtkettig ist,
2) -(C2-C20)-Alkenyl, worin Alkenyl geradkettig oder verzweigtkettig ist und gegebenenfalls bis zu vier Doppelbindungen enthält,
3) -(C2-C20)-Alkinyl, worin Alkinyl geradkettig oder verzweigtkettig ist und gegebenenfalls bis zu vier Dreifachbindungen enthält,
4) -(C6-C14)-Aryl,
5) -(C1-C8)-Alkyl-(C6-C14)-Aryl,
6) -(C5-C14)-Heterocyclus, der unsubstituiert oder ein-, zwei- oder dreifach durch -OH, Halogen, -NO2 und/oder -NH2 substituiert ist, oder
7) -(C3-C7)-Cycloalkyl;
steht, wobei die oben unter 1) bis 7) genannten Reste unsubstituiert sind oder unabhängig voneinander ein-, zwei- oder dreifach durch -OH, Halogen, -NO2 und/oder -NH2 substituiert sind,
und R2 für einen der Reste
8) -(C1-C6)-Alkyl, worin Alkyl geradkettig oder verzweigtkettig ist,
9) -(C2-C6)-Alkenyl, worin Alkenyl geradkettig oder verzweigtkettig ist und gegebenenfalls bis zu drei Doppelbindungen enthält,
10) -(C2-C6)-Alkinyl, worin Alkinyl geradkettig oder verzweigtkettig ist und gegebenenfalls zwei Dreifachbindungen enthält, oder
11) -(C1-C10)-Alkyl-C(O)-O-(C1-C6)-Alkyl, worin Alkyl gerade oder verzweigtkettig ist und unsubstituiert ist oder ein-, zwei- oder dreifach durch -OH, Halogen, -NO2 und/oder - NH2 substituiert ist.
steht, wobei die oben unter 8) bis 11) genannten Reste unsubstituiert sind oder unabhängig voneinander ein-, zwei- oder dreifach durch -OH, Halogen, -NO2 und/oder -NH2 substituiert sind,
dadurch gekennzeichnet, daß
eine flüssige, einphasige Mischung, welche
(a) mindestens 5 Gew./Vol.-% eine Verbindung der Formel (I),
(b) mindestens 15 Vol.-% 2-Propanol und/oder 2-Butanol, und
(c) Wasser
enthält, mit einer R-spezifischen Oxidoreduktase in Gegenwart eines Co-Faktors behandelt wird, um eine chirale Hydroxyverbindung der allgemeinen Formel II
R1-CH(OH)-R2 (II)
zu bilden, in welcher R1 und R2 die oben angegebene Bedeutung haben,
wobei der Co-Faktor durch Oxidation des 2-Propanols und/oder 2-Butanols regeneriert wird."
III. In der Einspruchsschrift war das Patent unter Artikeln 100(a)(c) EPÜ wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und unzulässiger Erweiterung angegriffen worden. Ein Einspruchsgrund unter Artikel 100(b) EPÜ wegen mangelnder Ausführbarkeit wurde erst im späteren Verlauf des Verfahrens vorgebracht.
IV. In ihrer Entscheidung berief sich die Einspruchsabteilung u. a. auf folgende Dokumente
E2 |EP 1 179 595 |
E3 |EP 1 568 780 |
E4 |US 2003/0171544 |
E5 |Eckstein et al., Biocatalysis and Biotransformation, 2004, Vol. 22, Seiten 89-96|
E10|WO 03/078615 |
Die Einspruchsabteilung kam in der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss, dass der Gegenstand der erteilten Ansprüche nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Form hinausging.
Die Neuheitseinwände gegenüber E2 und E3 wurden verworfen.
Der verspätet vorgebrachte Einspruchsgrund unter Artikel 100(b) EPÜ wurde unter Artikel 114(2) EPÜ nicht mehr ins Verfahren zugelassen.
Ausgehend von E4 als nächstem Stand der Technik wurde der Inhalt der erteilten Ansprüche als erfinderisch angesehen. Das beanspruchte Verfahren löse das Problem der Erhöhung der Raum-Zeit-Ausbeute. Dies werde dadurch erreicht, dass im Vergleich zu dem Verfahren aus E4 eine höhere Substratmenge eingesetzt werde. Ein Fachmann hätte Vorbehalte gegen die Erhöhung der Substratmenge gehabt, da er bei Reaktionen mit substratgekoppelter Cofaktorregenerierung aufgrund des herrschenden Gleichgewichts angenommen hätte, es müsse dabei ebenfalls die Konzentration des Co-Substrats Isopropanol entsprechend erhöht werden. Da E4 bereits an der Obergrenze der Isopropanolkonzentration arbeite, und bei weiterer Erhöhung eine Deaktivierung des Enzyms zu befürchten wäre, wäre der Fachmann daher von einer Erhöhung der Substratmenge abgehalten worden.
V. Mit Schreiben vom 21. Januar 2014 reichte die Beschwerdegegnerin vier Anspruchssätze als Hilfsanträge ein.
In Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 wird die Konzentration des 2-Propanols/2-Butanols auf 25-90% festgelegt.
In Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 wird der Anteil des Substrats (I) an der flüssigen einphasigen Mischung auf 15-50 Gew./Vol.% festgelegt.
In Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 wird der Cofaktor als NAD(P)H festgelegt.
In Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 wird die Konzentration des Cofaktors NAD(P)H auf 0,001 mM bis 1 mM festgelegt.
VI. In Bezug auf die entscheidungswesentliche Frage der erfinderischen Tätigkeit brachten die Parteien vor:
a) Die Beschwerdeführerin geht von E4 als nächstem Stand der Technik aus, von dem sich das beanspruchte Verfahren in der Substratkonzentration unterscheide. Da keine Verbesserungen nachgewiesen seien, sei die gelöste technische Aufgabe das Bereitstellen eines alternativen Verfahrens. Ein Fachmann würde die Konzentration der Ketoverbindung als Substrat erhöhen. Darin bestärke ihn zudem die Lehre des Übersichtsartikels E5, die hohe Substratkonzentrationen vorschlage.
E10 sei ebenfalls als nächster Stand der Technik geeignet.
b) Die Beschwerdegegnerin geht ebenfalls von E4 als nächstem Stand der Technik aus. Der Fachmann hätte allerdings ausgehend von E4 die Konzentration des Substrats nicht erhöht, da er davon ausgegangen wäre, auf diese Weise die Reaktionsausbeute zu vermindern. In diesem Zusammenhang verwies sie auf den Übersichtsartikel E5.
Auch ausgehend von E10 sei das beanspruchte Verfahren nicht nahegelegt.
VII. Am 10. Mai 2019 fand in Anwesenheit der Beschwerdeführerin die mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdegegnerin hatte mit Schreiben vom 23. April 2019 angekündigt, der Verhandlung fernzubleiben.
VIII. Anträge:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1851322.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte schriftlich die Zurückweisung der Beschwerde oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit Schreiben vom 21. Januar 2014.
IX. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
2.1 Die Ansprüche richten sich auf ein Verfahren zur enantioselektiven enzymatischen Reduktion von Ketoverbindungen in Gegenwart von 2-Propanol oder 2-Butanol, das durch eine R-spezifische Oxidoreduktase unter Mitwirkung eines Co-Faktors katalysiert wird. Der Co-Faktor wird dabei durch Oxidation des 2-Propanols und/oder 2-Butanols regeneriert. In der Gesamtreaktion wird die Ketoverbindung (I) daher durch das 2-Propanol/2-Butanol als Reduktionsmittel zum Alkohol reduziert.
2.2 Nächster Stand der Technik
Von den beiden von den Parteien vorgeschlagenen Dokumenten E4 und E10 sieht die Kammer E4 als nächsten Stand der Technik an.
E4 beschreibt eine neue R-spezifische Alkoholdehydrogenase (d. h. Oxidoreduktase), siehe etwa Absatz [0023]. Reaktionsbedingungen und Lösungsmittel entsprechend den vorliegenden Ansprüchen sind in Absätzen [0027] und [0028] beschrieben. In Absatz [0048] und Tabelle 1 werden Testreaktionen u. a. mit Acetophenon als Modellsubstrat offenbart, wobei 20% Isopropanol zur Regeneration des Co-Faktors NADH verwendet wird.
Dagegen beschränkt sich die Offenbarung der E10 auf Seite 37 im ersten Absatz auf maximal 10% Gehalt an 2-Propanol. Bei den in Tabelle 7 aufgelisteten Reaktionen findet keine Regeneration des Co-Faktors statt, da dieser in tausendfachem Überschuss eingesetzt wird. E10 ist daher von dem beanspruchten Gegenstand weiter entfernt.
2.3 Aufgabe und Lösung
Laut Streitpatent (Absatz [0021]) beruht die beanspruchte Erfindung auf der Erkenntnis, dass R-spezifische Oxidoreduktasen auch bei höheren Konzentrationen an 2-Propanol oder 2-Butanol verwendet werden können. Dies ist allerdings schon aus E4 bekannt und kann daher nicht als zu lösende technische Aufgabe dienen.
Die Einspruchsabteilung definierte in der angefochtenen Entscheidung das zu lösende Problem darin, ausgehend von E4 ein Verfahren zur R-spezifischen Herstellung chiraler Hydroxyverbindungen bereitzustellen, bei dem die Raum-Zeit-Ausbeute erhöht wird. Dem schließt sich die Kammer an.
Dies wird durch die Erhöhung der Substratkonzentration erreicht. Es liegen zwar keine expliziten Vergleichsdaten vor, dennoch wird, zugunsten der Beschwerdegegnerin, dieses Problem als gelöst angenommen.
2.4 Naheliegen der Lösung
2.4.1 Die Lösung, zur Erhöhung der Raum-Zeit-Ausbeute die Substratkonzentration zu erhöhen, ist für den Fachmann naheliegend, und zwar aus den im Folgenden aufgeführten Gründen.
2.4.2 Wie von der Beschwerdeführerin richtigerweise vorgebracht, weiß ein Fachmann aus dem Massenwirkungsgesetz, dass in einer Gleichgewichtsreaktion mehr Produkt entsteht, wenn mehr Edukt eingesetzt wird. Es ist daher zunächst naheliegend, zur Erhöhung der Raum-Zeit-Ausbeute die Konzentration des Ausgangsmaterials, d. h. im vorliegenden Fall des Ketons (I) zu erhöhen.
2.4.3 Die Beschwerdegegnerin hat im wesentlichen argumentiert, ein Fachmann hätte dies nicht getan, da er dagegen Vorbehalte gehabt hätte. Er wäre davon ausgegangen, in gekoppelten Gleichgewichtssystemen, wie dem hier vorliegenden, müsste in gleicher Weise die Konzentration des Co-Substrats, d. h. des 2-Propanols, erhöht werden, da sonst die Produktausbeute sinke. Dazu wurde auf Seite 90 der E5 verwiesen. Aus E4, und insbesondere aus Figur 5b dort, sei aber ersichtlich, dass bei einer weiteren Erhöhung der Isopropanolkonzentration die katalytische Aktivität des Enzyms nachlasse und bei 30% Vol. ganz verschwinde. Daher hätte ein Fachmann von der Erhöhung der Konzentration des Isopropanols, und daher auch des Substrats, abgesehen.
2.4.4 Die Kammer vermag dieser Argumentation nicht zu folgen.
In E4 wird keine Obergrenze der Substratkonzentration angegeben, die der Fachmann etwa zu beachten hätte. E4 enthält auch keine Daten bezüglich der Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsumsätze oder -ausbeuten, aus denen der Fachmann negative Schlüsse ziehen könnte. Die im Ausführungsbeispiel der E4 eingesetzte Substratkonzentration ist mit 0,3% (berechnet aus der eingesetzten Menge von 6.4 mymol) sehr niedrig; das liegt in der Natur der Sache, denn E4 beschäftigt sich mit der Charakterisierung eines neuen Enzyms und nicht mit der Optimierung der Reaktionsausbeute. Das Argument der Beschwerdegegnerin, der Fachmann hätte angenommen, die Ausbeute würde bei Erhöhung der Substratkonzentration auf das Doppelte um die Hälfte sinken, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Für die Konzentration an Isopropanol wird ein Maximum von 35% angegeben (siehe Absatz [0028]), so dass hier noch Spielraum für höhere Konzentrationen bestehen würde. Selbst wenn die Konzentration des Propanols bei 20% belassen würde, wüsste der Fachmann, wie das Gleichgewicht wieder auf die Produktseite verschoben werden könnte. Dem Fachmann wird in E5 ja gleich nach der von der Beschwerdegegnerin angeführten Stelle bezüglich der hohen notwendigen Isopropanolkonzentration (Seite 90, zweite Spalte, Ende des ersten Absatzes) ein derartiger Vorschlag gemacht, nämlich durch kontinuierliches Entfernen des oxidierten Regenerationsprodukts, d. h. in diesem Fall des entstehenden Acetons das Gleichgewicht zu beeinflussen. Dies wird ja auch vorliegend in Betracht gezogen (siehe etwa Absatz [0039] der Beschreibung oder Beispiel 4). Außerdem wird in E5 vorgeschlagen, im Fall von einphasigen Systemen, wie hier vorliegend, möglichst hohe Substratkonzentrationen zu verwenden, um die Umsätze zu erhöhen (Seite 91, zweite Spalte).
2.4.5 Vorbehalte, die einen Fachmann davon abhalten würden, das Naheliegende zu tun und ausgehend von E4 die Substratkonzentration zu erhöhen, um damit die Raum-Zeit-Ausbeute des Produkts zu steigern, können also aus dem Stand der Technik nicht abgeleitet werden.
Hilfsanträge
3. Die in den Hilfsanträgen definierten Verfahren leiden in gleicher Weise unter mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
3.1 In Hilfsantrag 1 wird die einzusetzende Konzentration an 2-Propanol/2-Butanol auf mindestens 25% festgelegt. Dies ist allerdings immer noch innerhalb der Lehre des nächsten Stands der Technik E4, siehe Absatz [0028], und ändert daher an der für den Hauptantrag durchgeführten Analyse nichts.
3.2 In Hilfsantrag 2 wird die Konzentration des einzusetzenden Substrats (I) auf 15-50% festgelegt. Da ein Fachmann aber, wie oben ausgeführt, bestrebt gewesen wäre, die Konzentration ausgehend von E4 zu erhöhen, um die Ausbeute zu verbessern, hätte er auch solche Konzentrationen in Betracht gezogen.
3.3 In Hilfsanträgen 3 und 4 wird der Co-Faktor als NAD(P)H spezifiziert, und ein Konzentrationsbereich festgelegt. NAD(P)H wird allerdings auch im nächsten Stand der Technik E4 verwendet (siehe etwa Absätze [0027] und [0028]) und die definierten Konzentrationen von 0,001 mM bis 1 mM scheinen allgemein üblich zu sein, zumindest wurde nichts Gegenteiliges vorgebracht.
4. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Gegenstand von Anspruch 1 aller vorliegenden Anträge auf naheliegende Weise aus dem Stand der Technik abgeleitet werden kann und daher nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
5. Aus diesem Grund braucht auf die anderen von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwände nicht näher eingegangen zu werden
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.