T 1490/13 () of 2.10.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T149013.20141002
Datum der Entscheidung: 02 October 2014
Aktenzeichen: T 1490/13
Anmeldenummer: 05025433.3
IPC-Klasse: E05D 11/02
E05D 15/52
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Laschenanordnung für Fenster, Türen oder dergleichen
Name des Anmelders: ROTO FRANK AG
Name des Einsprechenden: Aug. Winkhaus GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 29. April 2013 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde der Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 1 788 175 zurückgewiesen.

II. Die Einspruchsabteilung war zu der Auffassung gekommen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

III. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) frist- und formgerecht Beschwerde eingelegt.

IV. Am 2. Oktober 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

V. Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 788 175.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte

die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis eines der mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2013 als Hilfsanträge 1 bis 4 eingereichten Anspruchssätze.

VI. Der erteilte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Laschenanordnung eines Fensters, einer Tür oder dgl. umfassend zumindest eine erste und eine zweite Lasche (6, 7), die zumindest abschnittsweise flächig aufeinander aufliegen und relativ zueinander beweglich sind, wobei zumindest im Überlappungsbereich beide Laschen (6, 7) zumindest eine Schmiermittelabgabeeinrichtung aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass die Schmiermittelabgabeeinrichtungen als Schmiermittelaufnahmeausnehmung (30 - 35) ausgebildet sind."

VII. Folgende Druckschriften sind für die vorliegende Entscheidung relevant:

D1: US 1,918,513 A;

D7: Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 19. Auflage, Seite G93;

D10: DE 25 42 145 C.

VIII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Zur Auslegung von Anspruch 1

Im Oberbegriff des Hauptanspruchs heißt es: "beide Laschen weisen zumindest eine Schmiermittelabgabeeinrichtung auf." Dies schließe den Fall ein, dass beide Laschen nur eine einzige gemeinsame Schmiermittelabgabeeinrichtung aufweisen. Folgerichtig werde im kennzeichnenden Teil des Anspruchs auch der Begriff "Schmiermittel-aufnahmeausnehmung" im Singular verwendet. Dazu passe auch die lediglich der weiteren Beschränkung dienende Definition in Anspruch 2, sowie die in Abschnitt [0009] der Beschreibung explizit offen gehaltene Möglichkeit, nur eine Lasche mit einer Schmiermittelabgabeeinrichtung zu versehen. Anspruch 1 sei daher so zu interpretieren, dass die beanspruchte Laschenanordnung nur eine einzige Schmiermittelaufnahmeausnehmung aufweisen müsse.

b) Zur Zulassung von D10

Die Einspruchsabteilung habe "willkürlich" gehandelt, als sie entschied, dass D10 nicht prima facie relevant sei. D10 offenbare offensichtlich zwei Laschen und hätte daher in das Verfahren eingeführt werden müssen.

c) Zur Neuheit

D1 offenbare alle Merkmale von Anspruch 1. Insbesondere seien eine erste Schmiermittelabgabeeinrichtung (21') sowie eine zweite Schmiermittelabgabeeinrichtung offenbart. Die zweite Schmiermittelabgabeeinrichtung sei in Figur 4 dort erkennbar, wo sich in der Zeichnung das Referenzzeichen 22 befinde. Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 aus D1 bekannt, selbst wenn Anspruch 1 so auszulegen sein sollte, dass zwei Schmiermittelabgabeeinrichtungen vorhanden sein müssten.

d) Zur erfinderischen Tätigkeit

Die von D1 ausgehend zu lösende Aufgabe bestehe darin, den Verschleiß zwischen den Laschen zu minimieren. Da die Ausbildung von Schmiermittelabgabeeinrichtungen als Schmiermittelaufnahmeausnehmung im Stand der Technik, wie z.B. in D7 gezeigt, wohlbekannt sei, und da mehrere Schmiermittelabgabeeinrichtungen offensichtlich besser schmieren als nur eine Schmiermittelabgabeeinrichtung, wäre es für den Fachmann eine Selbstverständlichkeit, eine weitere Schmiermittelaufnahmeausnehmung an der zweiten Lasche vorzusehen.

Folglich beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

IX. Zur Stützung ihrer Anträge hat die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Zur Auslegung des Anspruchs 1

Der Anspruch 1 sei eindeutig so auszulegen, dass jede Lasche je eine Schmiermittelabgabeeinrichtung aufweisen müsse.

b) Zur Zulassung von D10

Wie dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu entnehmen sei, habe die Einspruchsabteilung ihr Ermessen bei der Nicht-Zulassung von D10 in das Verfahren richtig ausgeübt.

c) Zur Neuheit

D1 offenbare zwar eine Anordnung mit zwei Laschen. Jedoch weise nur eine dieser Laschen eine Schmiermittelabgabeeinrichtung auf.

d) Zur erfinderischen Tätigkeit

Es sei außerdem nicht offensichtlich, eine Schmiermittelabgabeeinrichtung auf der zweiten in D1 verwendeten Lasche (14) vorzusehen, da dann das Öl auf das Auto tropfen würde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Zulassung von D10

2. Die Einspruchsabteilung hat D10 nicht ins Verfahren zugelassen. Das Dokument war nach der Einspruchsfrist und somit verspätet vorgebracht worden. Die Entscheidung über seine Zulassung lag somit im pflichtgemäßen Ermessen der Einspruchsabteilung. Laut G7/93 (ABl. EPA 1994, 775, Entscheidungsgründe 2.6) soll sich eine Beschwerdekammer nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass diese ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt und damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat.

3. Die Beschwerdeführerin hat nicht überzeugend vorgetragen, wieso die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nicht richtig ausgeübt hätte. Insbesondere ist die von der Einspruchsabteilung verwendete "prima facie"- Relevanz für die Beurteilung der Zulassung verspätet vorgebrachter Dokumente ein angemessenes Kriterium. Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, die Einspruchsabteilung habe "willkürlich" entschieden, gibt es dafür weder einen hinreichend substantiierten Vortrag noch ein sonst erkennbares Anzeichen.

4. Gemäß Artikel 12 (4) VOBK steht die Zulassung von im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassenen Beweismitteln im Ermessen der Kammer. Die Kammer sieht diesbezüglich keinen Grund, sich über die von der Einspruchsabteilung getroffene Ermessensentscheidung hinwegzusetzen. Dokument D10 wird somit nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

Auslegung von Anspruch 1 in der erteilten Fassung

5. Dem Oberbegriff von Anspruch 1 in der erteilten Fassung ist eindeutig zu entnehmen, dass jede der beiden Laschen eine Schmiermittelaufnahmeausnehmung aufweisen muss. Daher besteht keine Veranlassung, die Beschreibung zur Interpretation der Ansprüche heranzuziehen. Demgegenüber erscheint die von der Beschwerdeführerin gewählte Auslegung als eine bei verständiger Lektüre der Gesamtheit des Anspruchs fernliegende Konstruktion.

Neuheit

6. D1 offenbart, dass die Schmiermittelabgabeeinrichtung als Schmiermittelaufnahmeausnehmung ausgebildet ist, siehe D1, Figur 4. Jedoch offenbart D1 nur eine Ausnehmung auf einer der Laschen und nicht eine Mehrzahl - das Wort Schmiermittelabgabeeinrichtungen steht hier im Plural - wie im kennzeichnenden Teil des Anspruchs beschrieben. Ebenso offenbart D1 nicht das Merkmal des Oberbegriffs, wonach beide Laschen eine Schmiermittelabgabeeinrichtung aufweisen.

Den Bereich von Lasche 10 in D1, Figur 4, in dem das Bezugzeichen 22 eingedruckt ist, kann die Kammer weder als Schmiermittelabgabeeinrichtung noch als Schmiermittelaufnahmeausnehmung im Sinne von Anspruch 1 betrachten, da dieser sich nicht im Überlappungsbereich befindet, wie in Anspruch 1 definiert. Außerdem ist der Bereich zu einer Seite offen und damit nicht geeignet das in D1 offenbarte Schmiermittel (Öl) aufzunehmen.

Damit ist der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung neu gegenüber D1.

Erfinderische Tätigkeit

7. D1 wird unstreitig als nächstliegender Stand der Technik angesehen und offenbart unter anderem in Figur 4:

Eine Laschenanordnung eines Fensters, einer Tür oder dgl. umfassend zumindest eine erste und eine zweite Lasche (10,11), die zumindest abschnittsweise flächig aufeinander aufliegen und relativ zueinander beweglich sind, wobei zumindest im Überlappungsbereich eine Lasche zumindest eine Schmiermittelabgabeeinrichtung (21') aufweist, wobei die Schmiermittelabgabeeinrichtung als Schmiermittelaufnahmeausnehmung ausgebildet ist.

Daher unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der Laschenanordnung gemäß D1 dadurch, dass auch die zweite Lasche im Überlappungsbereich eine Schmiermittelabgabeeinrichtung aufweist, wobei auch diese Schmiermittelabgabeeinrichtung als Schmiermittelaufnahmeausnehmung ausgebildet ist.

Die zulösende Aufgabe besteht darin, den Verschleiß zwischen den Laschen zu reduzieren.

D7 offenbart ein Axialgleitlager, wobei eine Fläche eine Schmiermittelaufnahmeausnehmung aufweist (Bild 6a). D7 enthält jedoch keinen Hinweis darauf, eine Schmiermittelaufnahmeausnehmung auf beiden in Kontakt stehenden Flächen vorzusehen. Damit wird der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch D7 nahegelegt.

Außerdem versähe der Fachmann - selbst unter Berücksichtigung seines Fachwissens - die Anordnung von D1 nicht mit zwei Schmiermittelaufnahmeausnehmungen im Überlappungsbereich, weil D1 explizit versucht zu vermeiden, dass Öl auf das Auto tropft (Seite 1, Zeilen 6-11). Wären nämlich beide Laschen der aus D1 bekannten Anordnung mit Schmiermittelaufnahmeausnehmungen versehen, so wäre eine davon umgedreht angeordnet, so dass Öl aus der Ausnehmung heraustropfte. Der Fachmann zöge dementsprechend eine solche Konstruktion nicht in Betracht, da sie klar gegen die Lehre von D1 verstieße.

Es kann daher - selbst wenn man davon ausgeht, dass der Fachmann eine Vielzahl von Schmiermittelabgabeeinrichtungen als wünschenswert ansähe - nicht als naheliegend angesehen werden, die Lasche 11 mit einer weiteren Schmiermittel­abgabeeinrichtungen zu versehen.

Damit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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