European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T140313.20180625 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 25 Juni 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1403/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01128122.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B29C 63/08 D21H 19/00 E04C 2/22 D21G 3/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Tragbalken | ||||||||
Name des Anmelders: | Voith Patent GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Metso Paper, Inc. | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Verspätetes Vorbringen - Dokument erstinstanzlich nicht zugelassen Verspätetes Vorbringen - mit der Beschwerdebegründung erneut eingereicht Verspätetes Vorbringen - zugelassen (ja) Erfinderische Tätigkeit (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde eingelegt gegen die am 4. Juni 2013 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. EP 1 211 053 B zurückzuweisen.
II. Der Einspruch war gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt worden und mit den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) begründet worden. Ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung (vgl. Punkt 1) hat die Einsprechende den Einwand der fehlenden Neuheit jedoch zurückgenommen (vgl. auch angefochtene Entscheidung, Punkt 1.8).
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent Nr. EP 1 211 053 B zu widerrufen.
Zudem beantragt sie eine mündliche Verhandlung.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu erteilen auf der Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 7, eingereicht am 5. Februar 2014 mit der Beschwerdeerwiderung.
Hilfsweise beantragt sie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
V. Mit Schreiben vom 22. November 2017 hat die Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie an der von ihr beantragen und für den 18. Juni 2018 angesetzten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
VI. Im Beschwerdeverfahren ist unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen worden:
D1 : DE 91 13 542 U1;
D2: DE 197 36 575 A1;
D3: DE 297 01 176 U1;
D4: EP 0 363 887 A2;
D6: DE 196 49 559 A1;
D7: DE 41 41 133 Cl;
D8: "Handbook of composites", edited by S.T.Peters, published by Chapman & Hall, second edition 1998;
D12: "Matériaux composites", Daniel Gay, 4**(e) ed., Hermès, 1997;
D13: "Composite Materials", Daniel Gay et al., CRC Press, 2003 (nachveröffentlichte Übersetzung von D12);
D14: International Standard ISO 10816-3, first edition,1998, Mechanical vibration - Evaluation of machine vibration by measurements on non-rotating parts, Part 3.
VII. Der erteilte Anspruch 1 lautet folgendermaßen:
"Tragbalken (4,4') für eine langgestreckte Funktionseinheit (6), insbesondere einer Papier- und/oder Streichmaschine, bestehend aus einem langgestreckten, hohlförmigen Körper von rundem oder polygonalem Querschnitt aus einem Faserverbundwerkstoff, der im Wickelverfahren hergestellt ist und in Richtung seiner Längserstreckung eine Wärmeausdehnung von = < 2 x 10**(-6) 1/K aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass als Faserverbundwerkstoff ein solcher vorgesehen ist, der einen E-Modul von = >100 GPa, und eine solche Faserorientierung aufweist, bei der ein Faseranteil A von 70 % bis 90 % annähernd achsparallel und ein Faseranteil B von 10 % bis 30 % annähernd in Umfangsrichtung ausgerichtet ist."
VIII. Der Vortrag der Beschwerdeführerin war im Wesentlichen wie folgt:
Zulassen der Dokumente D8, D12, D13 und D14
Das Dokument D8 sei bereits im Einspruchsverfahren von der Beschwerdeführerin vorgelegt worden. Weil es innerhalb der von der Einspruchsabteilung gesetzten Monatsfrist eingereicht worden sei, als Beleg des allgemeinen Fachwissens diene und prima facie relevant sei, hätte es die Einspruchsabteilung zulassen müssen. Aufgrund seiner Bedeutung für die Beurteilung der erfinderische Tätigkeit könne das Dokument D8 im Beschwerdeverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Gleiches gelte für die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D12, D13 und D14.
Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit
In der angefochtenen Entscheidung sei fälschlicherweise nicht über den im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Neuheitsmangel entschieden worden. Die Dokumente D2 und D4 zeigten jeweils einen Walzenkörper, der als ein langgestreckter, hohlförmiger Körper von rundem oder polygonalem Querschnitt aus einem Faserverbundstoff und mit einer Faserorientierung ausgebildet sei, wie im streitigen Anspruch gefordert. Dieser sei daher grundsätzlich für den Einsatz als Tragbalken geeignet. Folglich nähmen die Dokumente D2 und D4 jeweils den Gegenstand von Anspruch 1 neuheitsschädlich vorweg.
Hauptantrag, erfinderische Tätigkeit
Zum einen sei es für einen Fachmann naheliegend, die in den Dokumenten D2 und D4 gezeigten Walzen als Tragbalken einzusetzen. Eine erfinderische Tätigkeit sei dafür nicht erforderlich.
Zum anderen könne bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit aber auch vom Dokument D3 als nächstkommendem Stand der Technik ausgegangen werden, das bereits einen schwingungsarmen Tragbalken mit einer Wärmeausdehnung nahe Null offenbare (vgl. D3, Seite 5, erster Absatz). Die zu lösende Aufgabe bestehe daher nur in der Auswahl eines geeigneten Faserverbundmaterials. Das Handbuch D8 nenne auf Seite 704 ein Material namens M40J/F585 [gemeint sein dürfte M40J/F584, Anmerkung durch die Kammer], das einen Faseranteil von 25% in Achsrichtung und 25% normal zur Achsrichtung aufweise. Wenn die restlichen 50% auch in Achsrichtung ausgerichtet seien, liege die Wärmeausdehnung nach Figur 30.14(b) deutlich unter 2 myepsilon/°F, was 3,6 x 10**(-6) /K entspreche. Der E-Modul von M40J/F584 sei 32,8 Msi (vgl. Tabelle 30.1 auf Seite 699), was 226 GPa entspreche. Angesichts dieser Offenbarung sei es für einen Fachmann naheliegend, den beanspruchten Verbundwerkstoff für den Tragbalken nach Dokument D3 einzusetzen, der dann alle geforderten Eigenschaften erfülle. Die gleiche Schlussfolgerung treffe zu, wenn anstatt des Dokuments D3 die Druckschriften D7 oder D6 als Ausgangspunkte dienten oder wenn anstatt des Handbuchs D8 das Handbuch D12 (vgl. Seiten 65 und 127) herangezogen werde. Im Übrigen sei anzumerken, dass das verbesserte Schwingungsverhalten ein Resultat dieser naheliegenden Materialwahl sei, insbesondere seiner hohen Steifigkeit und des niedrigen Gewichtes, was nicht nur aus verschiedenen Stellen des Dokuments D8 hervorgehe, sondern auch aus dem Dokument D14 (vgl. Abschnitt 4.2).
IX. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen das Folgende vorgetragen:
Zulassen der Dokumente D8, D12, D13 und D14
Die Dokumente D8 bis D14 seien nicht zuzulassen. Generell seien verspätet vorgelegte Entgegenhaltungen nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen, insbesondere wenn sie so relevant seien, dass sie höchstwahrscheinlich eine Änderung des Ausgangs des Verfahrens erwarten ließen. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Das Dokument D8 (vgl. Kapitel 30.1) betreffe theoretische Modellrechnungen, deren Übereinstimmung mit der Praxis nicht belegt sei. Auch das dortigen Anwendungsbeispiel eines Golfschlägers und die auf quasi-isotropen Materialien aufbauenden theoretischen Überlegungen in Kapitel 30.5 des Dokuments D8 seien für den zu entscheidenden Fall nicht relevant. Die Dokumente D12 und D13 gingen nicht über das Dokument D8 hinaus; auch ihnen fehle es folglich an Relevanz.
Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit
Die Beschwerdeführerin habe den Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit im Einspruchsverfahren unmissverständlich zurückgenommen, weshalb die Einspruchsabteilung darüber auch nicht entscheiden musste. Das neuerliche Aufgreifen dieses im Einspruchsverfahren zurückgenommenen Einspruchsgrundes komme einem erstmaligen Vorbringen des Einspruchsgrundes der fehlenden Neuheit im Beschwerdeverfahren gleich, dessen Prüfung von der Zustimmung der Patentinhaberin abhänge. Die Beschwerdegegnerin stimme dem nicht zu. Der zur Frage der Neuheit angezogene Stand der Technik könne daher allenfalls im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden (vgl. G 10/91, ABl. EPA 1993, 420; G 7/95, ABl. EPA 1996, 626).
Hauptantrag, erfinderische Tätigkeit
Zu den Dokumenten D2 und D4 sei festzustellen, dass die dort gezeigten Walzen keine Tragbalken für eine langgestreckte Funktionseinheit im Sinne des Streitpatents seien, da sie eine andere Funktion hätten. Außerdem seinen dort die Merkmale des Wärmeausdehnungskoeffizienten und der Faserorientierung nicht offenbart. Im Dokument D4 fehle darüber hinaus das Anspruchsmerkmal des E-Moduls. Der behauptete Neuheitsmangel liege also nicht vor. Zur erfinderischen Tätigkeit sei anzumerken, dass das Dokument D7 den nächstkommenden Stand der Technik bilde, von dem sich der Gegenstand von Anspruch 1 in den Merkmalen der Wärmeausdehnung, des E-Moduls und der Faserorientierung unterscheide. Die technische Wirkung liege dem Streitpatent zufolge (vgl. Absätze [0032] bis [0034]) in der Verbesserung der Schwingungsarmut und der Biegesteifigkeit des Tragbalkens, während die niedrige Wärmeausdehnung nur als Nebenwirkung zu verstehen sei. Die von der Beschwerdegegnerin angezogenen Dokumente D8 und D12 könnten die Erfindung nicht nahelegen. Zum einen würde ein in der Papierindustrie tätiger Fachmann die theoretischen Überlegungen in den Dokumenten D8 und D12 gar nicht in Betracht ziehen. Zum anderen gebe es dort keine konkrete Offenbarung zur Schwingungsarmut. Das Dokument D8 gebe lediglich an, dass die Verwendung von Faserverbundstoffen zu einem günstigen Schwingungsverhalten führen könne. Die Druckschrift D7 stelle zur Verbesserung der Schwingungseigenschaften auf eine bestimmte Gestaltung der Längswände ab. Es gebe keinen Grund davon abzuweichen und stattdessen die nun beanspruchte Lösung zu wählen. Zudem biete auch die Wärmeausdehnung keine Veranlassung dafür, ausgehend von der Druckschrift D7 zur Erfindung zu gelangen, da nach diesem Dokument eine Wärmeausdehnung nahe Null durch eine Faserorientierung überwiegend in Längsrichtung erreicht werde. Es bestehe in dieser Hinsicht weder die Notwendigkeit, die Fachbücher D8 oder D12 zu konsultieren noch eine Veranlassung zu der speziellen Kombination der vorliegend beanspruchten Merkmale.
Auch wenn man statt vom Dokument D7 vom Dokument D3 ausginge, wäre der Anspruchsgegenstand zur Verbesserung des Schwingungsverhaltens nicht nahegelegt. Wenn die Aufgabe in der Reduzierung der Wärmeausdehnung gesehen werde, könnten die Dokumente D8 und D12 die nun beanspruchte Faserorientierung nicht nahelegen. Vielmehr zeigten die Figuren 30.13(a) und 30.14(a) des Dokuments D8, dass auch bei einer Faserorientierung zu 100% in Längsrichtung oder zu 50% in Längsrichtung und zu 50% in einer Richtung von 55° die Wärmeausdehnung nahe Null liege. Ebenso werde in der Druckschrift D12 eine Vielzahl von Faserorientierungen angeführt, bei denen die Wärmeausdehnung fast Null sei. Einen konkreten Hinweis auf die nun beanspruchte Lösung enthielten diese Dokumente jedoch nicht. Diese Schlussfolgerungen würden auch gelten, wenn man von den Dokumenten D1 oder D6 ausginge und eine Kombination mit den Dokumenten D2 oder D4 in Betracht zöge. Insgesamt könne der angezogene Stand der Technik den Anspruchsgegenstand nicht nahelegen.
Entscheidungsgründe
1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Gemäß der gefestigten Rechtsprechung (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage 2016, III.C.2.3.1) wertet die Kammer die unmissverständliche Erklärung der Beschwerdeführerin, an der anberaumten mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer nicht teilzunehmen, als Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung. Folglich konnte die Kammer bei der gegebenen Sachlage im schriftlichen Verfahren entscheiden.
2. Zulassen der Dokumente D8, D12, D13 und D14
2.1 Das Dokument D8 ist bereits im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens von der Beschwerdeführerin vorgelegt worden, von der Einspruchsabteilung aber mangels Relevanz nicht zugelassen worden. Die Beschwerdeführerin hat das Dokument D8 mit der Beschwerdebegründung neuerlich eingereicht, seine Relevanz dargelegt und argumentiert, warum es geeignet sei, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Streitpatents in Frage zu stellen. Die Handbücher D12 und D13 (eine englischsprachige Ausgabe des Dokuments D12) sowie die ISO-Norm D14 sind hingegen erstmals zusammen mit der Beschwerdebegründung im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit genannt worden.
2.2 Zur Frage der Nicht-Zulassung des Dokuments D8 durch die Einspruchsabteilung verweist die Kammer zunächst auf die Entscheidung G 7/93 (ABl. EPA 1994, 775), in der die Große Beschwerdekammer festgestellt hat, dass es in Fällen, in denen eine Partei die Art und Weise der Ermessensausübung durch die erste Instanz mit einer Beschwerde anficht, nicht Aufgabe der Beschwerdekammer ist, die Sachlage des Falls nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Ein erstinstanzliches Organ, das nach dem EPÜ unter bestimmten Umständen Ermessensentscheidungen zu treffen hat, muss nämlich bei der Ausübung dieses Ermessens einen gewissen Freiraum haben, in den die Beschwerdekammern nicht eingreifen. In derartigen Fällen sollte sich eine Beschwerdekammer nur dann über die Art und Weise, mit der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass das Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt wurde und die erste Instanz damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist nicht ersichtlich, dass die von der Einspruchsabteilung bei ihrer Ermessensausübung hinsichtlich der Zulassung des Dokuments D8 angelegten Kriterien die falschen waren oder dass das Ermessen in unangemessener Weise ausgeübt worden wäre. Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung die Nicht-Zulassung des Dokuments D8 mit seiner mangelnden Relevanz für die Frage der erfinderischen Tätigkeit begründet. Folglich ist nicht erkennbar, dass die Einspruchsabteilung den ihr nach Artikel 114 (2) EPÜ 1973 eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hätte. Unter diesen Umständen ist ihre Entscheidung, das Dokument D8 nicht ins Einspruchsverfahren zuzulassen, nicht zu beanstanden.
2.3 Zusammen mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin unter anderem das nicht zugelassene Dokument D8 erneut vorgelegt. Die Bestimmungen von Artikel 12 (4) (VOBK) sehen grundsätzlich vor, dass die Kammer das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12 (1) VOBK zu berücksichtigen hat, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK erfüllt. Das Nicht-Zulassen von Dokumenten, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind, wird in Artikel 12 (4) VOBK jedoch ausdrücklich ins Ermessen der Kammer gestellt. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Einreichung mit der Beschwerdebegründung nicht als unzulässig anzusehen, wenn sie eine angemessene und unmittelbare Reaktion auf Entwicklungen in der abschließenden Phase des vorangegangenen Verfahrens bzw. auf Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung darstellt, so dass ein Beschwerdeführer, der im Einspruchsverfahren unterlegen ist, die Möglichkeit erhält, etwaige Lücken in seinem Vorbringen durch Vorlage weiterer Beweismittel zu schließen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, IV.C.1.3.6 a)). Greift ein Beschwerdeführer, wie im vorliegenden Fall, die Nichtzulassung eines Dokuments an und legt er zur Stützung seines Vorbringens weitere, damit zusammenhängende Beweismittel vor, so ist im Sinne der genannten Rechtsprechung zu prüfen, ob dies als angemessene und unmittelbare Reaktion auf die Entwicklungen im erstinstanzlichen Verfahren und auf diesen Aspekt der angefochtenen Entscheidung angesehen werden kann. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kammer das Ermessen des erstinstanzlichen Organs auf der Grundlage der damals vorliegenden Fallgestaltung erneut ausübt. Vielmehr kann sie mit zusätzlichen Tatsachen und geänderten Umständen konfrontiert sein. Folglich hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK unabhängig von der ersten Instanz und unter Berücksichtigung des zusätzlichen Vorbringens auszuüben (vgl. T 971/11, Entscheidungsgründe 1.2).
Im Fall des Dokuments D8 ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei um ein Handbuch für Faserverbundwerkstoffe handelt, das, wie Beschwerdeführerin betont, das allgemeine Fachwissen auf dem betreffenden Gebiet darstellt. Um die Kenntnisse des Fachmannes umfassender zu belegen hat sie mit der Beschwerdebegründung ergänzend dazu die weiteren Handbuchauszüge D12 und D13 sowie die Norm D14 vorgelegt. All dies kann als eine angemessene Reaktion auf die Feststellung in der angefochtenen Entscheidung angesehen werden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 im Hinblick auf die Dokumente D2 bis D7 für einen Fachmann nicht naheliegend sei. Vor diesem Hintergrund kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Dokumente D8, D12, D13 und D14 im Beschwerdeverfahren nicht als nach Artikel 12 (4) VOBK unzulässig zu werten sind. Folglich sind sie bei der zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen.
3. Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit
3.1 Hinsichtlich der Frage, ob die Einspruchsabteilung über den im schriftlichen Teil des Einspruchsverfahrens vorgetragenen Einwand der fehlenden Neuheit hätte entscheiden müssen, ist unstreitig, dass die Beschwerdeführerin diesen ursprünglich geltend gemachten Einspruchsgrund in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ausdrücklich fallengelassen hat. Dies ist in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung dokumentiert (vgl. Punkt 1). Unter diesen Umständen war die Einspruchsabteilung nicht verpflichtet, über diesen zurückgenommenen Einwand zu entscheiden, sofern er nicht so relevant ist, dass er der Aufrechterhaltung des Patents wahrscheinlich entgegensteht (vgl. Stellungnahme G 10/91, supra, Gründe 15 und 16). Das letztere Kriterium war für die Einspruchsabteilung erfüllt, da sie in der angefochtenen Entscheidung festgestellt hat, dass der Gegenstand der erteilten Ansprüche im Hinblick auf den im Einspruchsverfahren genannten Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Die angefochtene Entscheidung ist in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden (vgl. T 274/95, ABl. EPA 1997, 99, Leitsatz 1).
3.2 Des Weiteren ist zwischen den Parteien streitig, ob der im Einspruchsverfahren zurückgenommene und im Beschwerdeverfahren von der beschwerdeführenden Einsprechenden wieder aufgegriffene Einspruchsgrund als neuer Einspruchsgrund im Sinne der Stellungnahme G 10/91 (supra) anzusehen ist, der nur mit Zustimmung des Patentinhabers geprüft werden darf.
In diesem Zusammenhang verweist die Kammer auf die von der Beschwerdegegnerin genannte Entscheidung G 7/95 (supra, vgl. Leitsatz), die klarstellt, dass ein beanspruchter Gegenstand offensichtlich nicht erfinderisch sein kann, wenn der nächstliegende Stand der Technik diesen Gegenstand neuheitsschädlich trifft. Mangelnde Neuheit hat also in diesem Fall unweigerlich zur Folge, dass der betreffende Gegenstand mangels erfinderischer Tätigkeit nicht schutzwürdig ist.
Auch in dem zu entscheidenden Fall ist die Frage einer möglichen Vorwegnahme des Gegenstands von Anspruch 1 durch die Dokumente D2 und D4 jedenfalls im Rahmen der Prüfung des Einspruchsgrundes der erfinderischen Tätigkeit zu beurteilen. Bei der vorliegenden Konstellation kann es somit dahingestellt bleiben, ob die in der Beschwerdebegründung wieder aufgegriffene Behauptung der fehlenden Neuheit als neuer Einspruchsgrund im Sinne der Stellungnahme G 10/91 (supra) zu werten ist.
4. Hauptantrag, erfinderische Tätigkeit
4.1 Nächstkommender Stand der Technik
Dem Aufgabe-Lösungsansatz folgend haben die Beschwerdekammern bestimmte Kriterien aufgestellt, anhand derer der nächstliegende Stand der Technik bestimmt werden kann, der im Weiteren als Ausgangspunkt dient. In der Regel ist dies ein Dokument des Standes der Technik, das einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wichtigsten technischen Merkmale mit ihr gemein hat, der also die wenigsten strukturellen Änderungen erfordert (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage 2016, I.D.3.1).
Von den im vorliegenden Fall genannten Entgegenhaltungen betreffen die Dokumente D1, D3, D6 und D7 jeweils einen Tragbalken, der für eine langgestreckte Funktionseinheit geeignet ist und aus einem Faserverbundmaterial besteht, dessen Hauptfaserorientierung achsparallel ausgerichtet ist, um damit eine Wärmeausdehnung nahe oder gleich Null zu erreichen. Von diesen Druckschriften thematisieren die Dokumente D3 (vgl. Seiten 5, erster Absatz; Seite 7, zweiter Absatz) und D7 (vgl. Spalte 2, Zeilen 30 bis 44) das Schwingungsverhalten, wenn auch jeweils im Rahmen einer spezifischen Bauteilgeometrie (D3: Tragelement mit integriertem Verteilrohr, D7: Tragbalken mit zumindest zwei konkav gekrümmten Längswänden). Von beiden Dokumenten D3 und D7 unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 jeweils zumindest durch die kennzeichnenden Merkmale des E-Moduls und der Faserorientierung. Insofern bilden beide Dokumente geeignete Ausgangspunkte für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.
Der Vollständigkeit halber wird hinzugefügt, dass die von der Beschwerdeführerin als neuheitsschädlich angesehenen Dokumente D2 und D4 keine Tragbalken, sondern aus einem Faserverbundwerkstoff bestehende Walzenkörper zeigen. An Walzen und Tragbalken werden jedoch aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktionen unterschiedliche Anforderungen gestellt, die sich in der jeweiligen Bauteilgestaltung niederschlagen. Aus diesem Grund können die in den Dokumenten D2 und D4 gezeigten Walzenkörper nicht als Tragbalken für eine langgestreckte Funktionseinheit im Sinne des Streitpatents aufgefasst werden.
4.2 Technische Wirkung und Aufgabenstellung
Wie oben dargelegt unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 von den nächstkommenden Dokumenten D3 oder D7 zumindest dadurch, dass
- der Faserverbundwerkstoff einen E-Modul von = >100 GPa aufweist (Merkmal f)), und
- der Faserverbundwerkstoff eine solche Faserorientierung aufweist, bei der ein Faseranteil A von 70 % bis 90 % annähernd achsparallel und ein Faseranteil B von 10 % bis 30 % annähernd in Umfangsrichtung ausgerichtet ist (Merkmal g)).
Dem Patent zufolge liegt die technische Wirkung dieser Unterscheidungsmerkmale darin, dass der Tragbalken auch bei großer Länge biegesteif und schwingungsarm ist. Die objektive technische Aufgabenstellung ist daher darin zu sehen, den bekannten Tragbalken derart zu verbessern, dass er nicht nur biegesteif, sondern auch schwingungsarm ist (vgl. Streitpatent, Absätze [0007] und [0008]).
Das im Oberbegriff des Anspruchs genannte Merkmal der Wärmeausdehnung kann hingegen nicht die Grundlage für die Formulierung der technischen Aufgabe im Rahmen des Aufgabe-Lösungsansatzes bilden, da es im nächstkommenden Stand der Technik bereits verwirklicht ist.
4.3 Naheliegen der Lösung
Zunächst ist festzustellen, dass in den nächstkommenden Dokumenten D3 und D7 die Problematik der Schwingungen des Tragbalkens zwar angesprochen wird, die beanspruchte, auf die Faserorientierung und den E-Modul abstellende Lösung jedoch nicht gezeigt ist. Insbesondere offenbaren beide Dokumente eine achsparallele Hauptfaserorientierung, eine Ausrichtung von 10 bis 30% der Fasern in Umfangsrichtung ist aus ihnen aber nicht ableitbar. Folglich können die Dokumente D3 oder D7 jeweils für sich genommen den Anspruchsgegenstand nicht nahelegen.
Die Beschwerdeführerin stützt sich hinsichtlich der kennzeichnenden Merkmale vor allem auf die Handbücher D8 (vgl. Seite 704, Kapitel 30.5.4, insbesondere Figur 30.14 (b)), D12 (vgl. Seiten 65 und 127) und D13. Diese nennen zwar unzählige denkbare Faserorientierungen und ihre Auswirkungen auf die Wärmeausdehnung, ohne jedoch den konkret beanspruchten, annähernd achsparallelen Faseranteil von 70 % bis 90 % und den annähernd in Umfangsrichtung ausgerichteten Faseranteil von 10 % bis 30 % herauszustellen. Auch eine mögliche vorteilhafte Wirkung eines derartig orientierten Materials auf die Schwingungseigenschaften von länglichen Bauteilen ist nicht offenbart. Zu den zitierten Textstellen des Dokuments D8, in denen das Schwingungsverhalten erwähnt wird, ist festzustellen, dass diese weder in Zusammenhang mit dem hinsichtlich der Faserorientierung angezogen Kapitel 30.5.4 stehen noch auf eine konkrete Faserausrichtung bezogen sind. Schließlich enthält auch der eingereichte Abschnitt 4.2 der Norm D14, der die Klassifikation eines Maschinenträgers nach seiner Flexibilität auf Basis der Eigenfrequenz der Kombination von Träger und Maschine betrifft, keinen Anhaltspunkt, der es dem Fachmann nahelegen würde, für den beanspruchten Tragbalken eine Faserorientierung von 70 % bis 90 % annähernd in Achsrichtung und einen Faseranteil von 10 % bis 30 %, der annähernd in Umfangsrichtung ausgerichtet ist, zu wählen. Aufgrund dieser Erwägungen gelangt die Kammer zu der Auffassung, dass die zitierten Entgegenhaltungen ausgehend von den Druckschriften D3 oder D7 den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht nahelegen können. Dies gilt erst recht, wenn man bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht von den Druckschriften D3 oder D7 ausgeht, sondern von den weiter entfernten Dokumenten D1, D2, D4 oder D6.
Aus den vorstehend genannten Gründen ist der der Kammer vorgelegte Stand der Technik nicht geeignet, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 nach dem Hauptantrag in Frage zu stellen (Artikel 56 EPÜ 1973). Die gilt ebenso für die Ansprüche 2 bis 5, die sämtliche Merkmale von Anspruch 1 enthalten.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.