European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T132913.20190130 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 Januar 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1329/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00105541.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | H02P 27/04 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Zuschalten eines Umrichters an einen Asynchronmotor und Umrichter mit einer Steuer- und Regelelektronik | ||||||||
Name des Anmelders: | SEW-EURODRIVE GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | ABB Oy | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (nein) Änderungen - Hilfsantrag Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein) Patentansprüche - Klarheit Patentansprüche - Hilfsantrag (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden betreffen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1 049 243 im geänderten Umfang des ersten Hilfsantrags. Laut der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen.
II. Die beschwerdeführende Patentinhaberin (im Folgenden Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrecht zu erhalten (Hauptantrag), hilfsweise die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen. Weiter hilfsweise beantragte die Patentinhaberin, das Patent im Umfang eines der während des Einspruchsverfahrens eingereichten Hilfsanträge 1 bis 14 und 3b oder im Umfang eines der in der Beschwerdebegründung erwähnten zusätzlichen Hilfsanträge 1 bis 14 und 3b aufrechtzuerhalten.
III. Die beschwerdeführende Einsprechende (im Folgenden Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
IV. Das im Verfahren vor der Einspruchsabteilung genannte Dokument D1 (GB 2 293 061 A) ist für diese Entscheidung relevant.
V. In einer gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung versandten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK hatte die Kammer den Parteien mitgeteilt, dass sie dazu neige, beide Beschwerden zurückzuweisen.
VI. Die Einsprechende hatte mit Schreiben vom 22. November 2018 angekündigt, dass sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
VII. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 30. Januar 2019 in Abwesenheit der Einsprechenden statt.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag der Patentinhaberin) lautet wie folgt:
"Verfahren zum Zuschalten eines Umrichters an einen Asynchronmotor,
wobei der Rotor gegenüber dem Stator vor und/oder während des Zuschaltens mit einer unbekannten beliebigen Drehzahl rotiert,
und wobei der Umrichter den Asynchronmotor speist und der Umrichter eine Steuer- und Regelschaltung aufweist, die den Statorstrom des Asynchronmotors regelt, und wobei kein Winkelsensor oder Drehzahlsensor notwendig ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
ein an den Klemmen der Statorwicklungen anliegender Statorspannungszeiger (uS) von der Steuer- und Regelschaltung bestimmt wird,
und dass ein durch die Statorwicklungen fließender Statorstromzeiger (iS) bestimmt wird,
und dass aus Statorspannungszeiger (uS) und Statorstromzeiger (iS) ein Schätzwert oder Modellwert für den Statorflusszeiger (psiS,mod) oder für eine dem Statorflusszeiger (psiS,mod) entsprechende Größe bestimmt wird,
und dass aus dem Schätzwert oder Modellwert für den Statorflusszeiger psiS,mod [sic] oder der dem Statorflusszeiger (psiS,mod) entsprechenden Größe ein Sollwert für den Statorstromzeiger (iS,Soll) bestimmt wird, wobei dessen Betrag [sic] =|iS,Soll| vorgebbar ist,
und dass dem Stromregler (11) dieser so bestimmte Sollwert für den Statorstromzeiger (iS,Soll) und der Statorstromzeiger als Istwert (iS) zugeführt wird und der Stromregler (11) einen Wert für den Statorspannungszeiger (uS) so erzeugt, dass der Statorstrom (iS) auf den Sollwert (iS,Soll) geregelt wird."
IX. Der unabhängige Anspruch 1 in der der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung zugrundeliegenden Fassung (Hilfsantrag der Patentinhaberin) enthält gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags die folgenden Änderungen:
- vor "Zuschalten" ist "drehmomentfreien" eingefügt und zwischen "einen" und "Asynchronmotor" ist "zu Beginn entmagnetisierten" eingefügt,
- "dadurch gekennzeichnet" ist durch "wobei" ersetzt,
- "und dass" vor "aus dem Schätzwert" ist ersetzt durch "dadurch gekennzeichnet, dass ohne Berechnung des Drehmoments", und
- am Ende des Anspruchs 1 sind Merkmale der erteilten Ansprüche 2 bis 5 wie folgt angefügt:
"wobei die Richtung des Sollwerts für den Statorstromzeiger (iS,Soll) beliebig gewählt wird, solange der Betrag des Statorflusszeigers (psiS,mod) einen Schwellwert unterschreitet, und andernfalls die Richtung des Sollwerts für den Statorstromzeiger (iS,Soll) direkt aus der Richtung des Statorflusszeigers (psiS,mod) bestimmt wird und parallel zur Richtung des Statorflusszeigers (psiS,mod) gewählt wird."
Die Ansprüche 2 bis 7 sind von Anspruch 1 abhängig.
X. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Patentinhaberin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei ausreichend offenbart im Sinne des Artikels 100 b) EPÜ, da im Verfahren des Anspruchs 1 das Zuschalten nicht als drehmomentfrei definiert sei. Dies werde nur von der Einspruchsabteilung in den Anspruch 1 hinein interpretiert. Es sei ein Zuschalten mit oder ohne Drehmoment gemeint. Lediglich das Fangen sei im Patent als drehmomentfrei dargestellt. Dies betreffe jedoch nur eine spezielle Ausführungsform.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der der Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Fassung sei ausreichend offenbart. Der Fachmann verstehe, dass praktisch kein Drehmoment durch das Verfahren bewirkt werde. Anspruch 1 sei auch ursprünglich offenbart und klar. Zudem beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Dokument D1 lehre, das Drehmoment zu berechnen sowie den Drehmomentwert auf Null zu setzen. Im Gegensatz dazu berechne die Erfindung kein Drehmoment und sei auch nicht für den geregelten Betrieb geeignet.
XI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Einsprechenden lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Drehmomentfreies Zuschalten sei lediglich für zu Beginn entmagnetisierte Asynchronmotoren offenbart. Der Hauptantrag erfülle daher nicht das Erfordernis des Artikels 100 b) EPÜ.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag der Patentinhaberin sei nicht ausreichend offenbart im Sinne des Artikels 83 EPÜ, verstoße gegen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ, sei unklar im Sinne des Artikels 84 EPÜ und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
Nach Anspruch 1 sei der Asynchronmotor drehmomentfrei. Dies sei gleichbedeutend mit stromlos. Ein Fangen eines völlig stromlosen Asynchronmotors sei jedoch nicht möglich. Darüber hinaus definiere Anspruch 1, dass der Umrichter den Asynchronmotor speise. Dies stehe jedoch im Widerspruch dazu, dass der Asynchronmotor stromlos sei. Der Anspruch sei folglich nicht ausführbar.
Das Merkmal "ohne Berechnung des Drehmoments" sei lediglich für den Betrieb einer Stromregeleinrichtung für den Statorstromzeiger und nur in Verbindung mit dem Rotorfluss sowie dem Momenten- oder Magnetisierungsstrom offenbart. Außerdem seien die Varianten für die in Anspruch 1 beanspruchte Richtung des Statorflusszeigers ausschließlich als Alternativen offenbart und erteilt worden. Der Hilfsantrag verstoße daher gegen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.
Das negative Merkmal "ohne Berechnung des Drehmoments" habe keinerlei einschränkende Wirkung. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags beruhe daher, ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1 in Zusammenschau mit dem allgemeinen Fachwissen, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden sind zulässig, da sie frist- und formgerecht eingereicht wurden.
2. Hauptantrag (Artikel 100 b) EPÜ)
Zum Gegenstand des Hauptantrags ist strittig, ob dieser auch ohne eine Aufnahme des Merkmals "drehmomentfrei" in den unabhängigen Anspruch ausführbar im Sinne des Artikels 100 b) EPÜ ist.
Im erteilten Anspruch 1 findet sich keine Einschränkung dahingehend, dass das Zuschalten drehmomentfrei erfolgt.
Zur Beantwortung der Frage, ob eine beanspruchte Erfindung ausreichend offenbart ist, genügt es jedoch nicht, dass keine entsprechende Einschränkung im Anspruch vorgesehen ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob für den gesamten beanspruchten Bereich eine nacharbeitbare Offenbarung vorhanden ist.
Genau hieran mangelt es jedoch. Die beschriebenen Ausführungsbeispiele sind ausnahmslos auf drehmomentfreies Zuschalten von zu Beginn entmagnetisierten Asynchronmaschinen gerichtet.
In den Absätzen [0027], [0034], und [0035] heißt es, dass "kein Drehmoment entsteht", "Drehmomentfreies Fangen" gewährleistet ist, bzw. dass "der Fluss-Schätzer zu Beginn des Fangvorgangs mit Null initialisiert wird" und dass "bei entmagnetisiertem Motor generell kein Drehmoment entsteht."
Ein Zuschalten mit Drehmoment ist im Anspruch 1 jedoch nicht ausgeschlossen. Allerdings ist im erteilten Patent nirgends offenbart, wie das angeblich beanspruchte Zuschalten mit Drehmoment auszuführen ist.
Dem erteilten Anspruch 5 oder 6 kann lediglich entnommen werden, dass die Richtung des Sollwerts für den Statorstromzeiger beliebig wählbar ist, "solange der Betrag des Statorflusszeigers psiS,mod einen Schwellwert unterschreitet" bzw. während einer "Zeitspanne zu Beginn des Zuschaltens".
Jedoch ist weder der genannte Schwellwert noch die genannte Zeitspanne im Patent definiert. Der Schwellwert und die Zeitspanne sind lediglich in Absatz [0017] in Bezug auf weitere Ausführungsformen allgemein erwähnt. Eine Beschreibung dieser weiteren Ausführungsformen enthält das Patent jedoch nicht.
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ steht somit der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
Die Kammer ist daher zu der Auffassung gelangt, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der mangelnden Offenbarung der in Anspruch 1 des erteilten Patents beanspruchten Erfindung nicht zu beanstanden ist.
3. Hilfsantrag (Fassung gemäß Zwischenentscheidung)
3.1 Die Einwände der Einsprechenden unter Artikel 83, 123 (2) und (3), sowie 84 EPÜ richten sich einerseits gegen die Hinzufügungen "drehmomentfreien" vor "Zuschalten" im Oberbegriff sowie "ohne Berechnung des Drehmoments" am Anfang des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1, und ferner die Aufnahme des Wortlauts der Ansprüche 4 und 5 in Anspruch 1.
Wie bereits oben zum Hauptantrag ausgeführt ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass ohnehin nur ein drehmomentfreies Zuschalten offenbart ist. Das Merkmal ist darüber hinaus auch aus sich heraus klar. Insofern vermag die Kammer keinen Grund für die Einwände der Einsprechenden gegen die Hinzufügung "drehmomentfreien" zu erkennen.
Auch die zweite Hinzufügung "ohne Berechnung des Drehmoments" ist ursprünglich offenbart. Die von der Einsprechenden geforderte Kombination mit den in derselben Offenbarungsstelle (d.h. Absatz [0010] der veröffentlichen Anmeldung) genannten Merkmalen Rotorfluss sowie Momenten- oder Magnetisierungsstromes ist nicht gerechtfertigt, da sämtliche in der Offenbarungsstelle genannten Merkmale aufgrund der Satzstruktur mit "oder" verknüpft sind. Die genannten Merkmale sind als gleichberechtigte Alternativen dargestellt. Folglich ist die Aufnahme des Merkmals "ohne Berechnung des Drehmoments" in den Anspruchswortlaut ebenfalls nicht zu beanstanden.
Andererseits entspricht hinsichtlich der in Anspruch 1 hinzugefügten Merkmale der erteilten Ansprüche 4 und 5 die verwendete Formulierung "und andernfalls" der logischen Oder-Verknüpfung, wie sie sich aus den Abhängigkeiten der ursprünglichen Ansprüche 1, 4 und 5 ergibt, sodass auch diese Änderung zulässig ist.
Darüber hinaus ist der letzte Satz des Anspruchs 1, wonach die Richtung des Sollwerts für den Statorstromzeiger parallel zur Richtung des Statorflusszeigers gewählt wird, nicht isoliert zu betrachten, sondern bezieht sich aufgrund der mittels des Kommas nach "unterschreitet" festgelegten Trennung der Satzteile eindeutig auf den zweiten Fall ("und andernfalls"), in welchem der Betrag des Statorflusszeigers einen Schwellwert überschreitet.
Die Oder-Verknüpfung ergibt sich unmittelbar aus der Formulierung "und andernfalls" und der ersten Bedingung, wonach die Richtung des Sollwerts des Statorstromzeigers beliebig gewählt wird, "solange" der Betrag des Statorflusszeigers einen Schwellwert unterschreitet.
Die Kammer ist folglich zu dem Schluss gelangt, dass der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag die Erfordernisse der Artikel 83 und 84 EPÜ erfüllt und nicht gegen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ verstößt.
3.2 Die Einsprechende behauptete ferner, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei aus der Offenbarung des Dokuments D1 in Zusammenschau mit dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.
In Bezug auf die Patentierbarkeit offenbart das Dokument D1, wie bereits von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt, explizit eine Regelung des Drehmoments. Die Lehre des Dokuments D1 widerspricht somit dem Gegenstand des Anspruchs 1, welcher folglich ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1 nicht nahegelegt ist. Die Kammer folgt der Einsprechenden auch nicht dahingehend, dass negative Merkmale im Anspruch keine beschränkende Wirkung haben.
Insofern ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1 in Zusammenschau mit dem allgemeinen Fachwissen nicht nahegelegt ist. Die Ansprüche 2 bis 7 sind von Anspruch 1 abhängig und sind daher ebenfalls nicht nahegelegt.
3.3 Die Kammer ist folglich zu der Auffassung gelangt, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung auch hinsichtlich des Hilfsantrags nicht zu beanstanden ist.
4. Hilfsanträge 1 bis 14 und 3b
Da die Beschwerde der Einsprechenden gegen den der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung zugrundeliegenden Antrag keinen Erfolg hat und die Patentinhaberin die während des Einspruchsverfahrens eingereichten Hilfsanträge 1 bis 14 und 3b sowie über die in der Beschwerdebegründung erwähnten zusätzlichen Hilfsanträge 1 bis 14 und 3b nachrangig zu dem der Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Antrag verfolgt, erübrigt sich eine Entscheidung der Kammer über diese Hilfsanträge.
5. Da keine der Beschwerden die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung rechtfertigt, sind die Beschwerden zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.