T 1236/13 (Freisprecheinrichtung/NOVERO) of 16.2.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T123613.20180216
Datum der Entscheidung: 16 Februar 2018
Aktenzeichen: T 1236/13
Anmeldenummer: 04797408.4
IPC-Klasse: H04M 1/60
H04M 1/04
B60R 11/02
H04B 1/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Freisprecheinrichtung zum Betreiben von Mobilfunkgeräten unterschiedlichen Typs
Name des Anmelders: Novero Dabendorf GmbH
Name des Einsprechenden: Peiker acustic GmbH & Co. KG
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention R 76(2)(c)
European Patent Convention R 77(1)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs - (ja)
Öffentliche Verfügbarkeit des Standes der Technik vor dem Prioritätszeitpunkt - (nicht belegt)
Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0522/94
T 0545/08
T 1668/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Ein Einspruch wurde gegen das europäische Patent

Nr. 1690409 in seiner Gesamtheit gestützt auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ und nach Artikel 100 c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 123 (2) EPÜ eingelegt. Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung widerrufen.

II. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Einspruch zulässig sei, der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und der Gegenstand des Hilfsantrags 2 zusätzlich nicht ursprünglich offenbart sei (Artikel 123 (2) EPÜ).

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) Beschwerde ein und begründete diese. Sie beantragte, die Entscheidung aufzuheben und den Einspruch als unzulässig zu verwerfen (Hauptantrag) oder hilfsweise den Einspruch als unbegründet zurückzuweisen (Hilfsantrag 1) oder, ferner hilfsweise, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche eines von zweiten bis sechsten Hilfsanträgen, wie sie der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, aufrecht zu erhalten. Ein hilfsweiser Antrag auf mündliche Verhandlung wurde mit Schreiben vom 18. Januar 2018, zurückgenommen, für den Fall, dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben wird und die Sache zur weiteren Verhandlung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen wird.

IV. Die Einsprechende nahm mit Schreiben vom 11 Februar 2014 ihren Einspruch zurück und ist folglich nicht mehr am Verfahren beteiligt.

V. Anspruch 1 des erteilten Patents lautet unter Berücksichtigung der von der Einsprechenden in der Einspruchsschrift eingeführten Merkmalsgliederung wie folgt:

1.1 Telekommunikationseinrichtung zum wahlweise

drahtgebundenen oder drahtlosen Betreiben von

Mobilfunkendgeräten (4, 4') unterschiedlichen

Gerätetyps mit der Telekommunikationseinrichtung

in einem Kraftfahrzeug,

1.2 bestehend aus einer bezüglich des jeweils zu

betreibenden Mobilfunkendgerätes (4, 4')

typunabhängigen Grundeinheit (1, 2) und einem

von mehreren typspezifischen Adaptern (3, 3'),

1.3 welche jeweils den Betrieb eines

Mobilfunkendgerätes (4, 4') eines bestimmten

Gerätetyps oder eines Mobilfunkendgerätes

(4, 4') aus einer Gruppe von Gerätetypen mit der

Grundeinheit (1, 2) ermöglichen,

1.4 wobei die Grundeinheit (1, 2) von einer im

Kraftfahrzeug angeordneten Steuereinheit (1) mit

Steuerelektronik (5) und einer elektrisch mit

ihr verbundenen Adapteraufnahme (2) sowie einer

mit den vorgenannten Einheiten verbundenen

Antenne (10) gebildet ist

1.5 und jeder Adapter (3, 3') über ein

Interface (6, 6') zu Anpassung der elektrischen

Spezifikationen eines Mobilfunkend-­

gerätes (4, 4') an die Steuereinheit verfügt

1.6 und wobei wenigstens ein Adapter (3) zum

drahtlosen Betreiben eines Mobilfunkend-

gerätes (4) mit der Telekommunikations-

einrichtung ausgebildet ist,

dadurch gekennzeichnet,

1.7 dass der Adapter (3) zum drahtlosen

Betreiben eines das SAP, das heißt das Sim-

Access-Profile unterstützenden Mobilfunk-

endgerätes (4) ausgebildet ist, über eine

Mobilfunksende- und -empfangseinheit (7) verfügt

und ebenso wie ein Adapter (3') zur

drahtgebundenen Nutzung der Tele­-

kommunikationseinrichtung mechanisch und

elektrisch mit der Adapteraufnahme (2) in

Eingriff gebracht wird und

1.8 dass während des drahtlosen Betriebes eines

entsprechenden Mobilfunkendgerätes (4) mit der

Telekommunikationseinrichtung zum Zweck der

Telekommunikation in einem Mobilfunknetz die

Modulation der Trägerfrequenz beim Senden von

Nachrichten und die Demodulation bei deren

Empfang ausschließlich durch die Mobilfunksende-

und -empfangseinheit (7) des Adapters (3) zum

drahtlosen Betreiben erfolgt.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit des Einspruchs (Regel 77 (1) in Verbindung mit Regel 76 (2) c) EPÜ)

1.1 Die Beschwerdeführerin begründet die Unzulässigkeit des Einspruchs damit, dass die Einsprechende die Vorveröffentlichung der Dokumente D6 und D7 in der Einspruchsschrift nicht ausreichend substanziiert vorgetragen habe. Ferner setze sich die Einspruchsschrift nicht mit sämtlichen wesentlichen Merkmalen des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents auseinander. Schließlich stütze sich die Argumentation bezüglich des Merkmals 1.8 des Anspruchs 1 zumindest teilweise auf bloße Behauptungen.

Die weiteren Ausführungen der Beschwerdeführerin betreffen weitere Angriffe der Einsprechenden. Auf diese Ausführungen geht die Kammer hier nicht ein, da es für die Zulässigkeit eines Einspruchs genügt, wenn einer der vorgebrachten Angriffe das Zulässigkeitserfordernis erfüllt.

1.2 Zu dem ersten Punkt der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Punkte stellt die Kammer fest, dass D6 im Einspruchsformblatt als "Innovations-Report 09.09.2003, SIEMENS Veröffentlichung: SIEMENS-Funkmodul macht Handyhalterung im Auto überflüssig" aufgeführt wurde. In der Einspruchsschrift wurde ausgeführt, dass dieses Dokument "vor dem Anmeldetag bzw. Prioritätstag die neue Funktion des sogenannten SIM-ACCESS-PROFILE mit einem Funkmodul AC45" beschreibe. Das mit dem Einspruch eingereichte Dokument selbst umfasst zwei Seiten. Auf der ersten Seite ist in der obersten Zeile eine erste URL zu erkennen. Darunter gibt es unter der Überschrift "Innovations-report 09.09.2003" in der zweiten Überschriftzeile eine zweite URL, die nicht mit der ersten URL identisch ist. Darunter befindet sich die Überschrift für den Textteil "Siemens-Funkmodul macht Handyhalterung im Auto überflüssig". Das Datum vom 09.09.2003 erscheint ein weiteres Mal. Auf der zweiten Seite, deren Textteil im wesentlichen die englische Übersetzung des deutschen Textteils der ersten Seite zeigt, ist in der obersten Zeile eine weitere, nochmals verschiedene URL angegeben. Vom Inhalt her ist der Text als Pressemitteilung zu verstehen, was von der Beschwerdeführerin zugestanden wird.

Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin darin überein, die in T 522/94 entwickelten Kriterien für die Konkretisierung von Beweismitteln in der Einspruchsschrift bei der Frage der Zulässigkeit des Einspruchs zu Grunde zu legen.

Im Einzelnen ist dort ausgeführt, dass angegeben werden muss, welcher Informationsträger für das Beweismittel verwendet wurde (Punkt 20a). Im vorliegenden Fall heißt es lapidar "Siemens Veröffentlichung". Das mit dem Einspruch eingereichte Dokument weist eindeutig eine URL unter der Überschrift "Innovations-Report 09.09.2003" auf. Daraus ergibt sich für den Leser der Einspruchsschrift nachvollziehbar implizit, dass es sich um eine Internet-Dokumentation mit der unter der Überschrift "Innovations-Report 09.09.2003" angegebenen URL handelt. Als Veröffentlichungsdatum erkennt der Leser dieses Dokuments den 9. September 2003, da dies als einziges Datum ein weiteres Mal prominent erwähnt ist. Die Frage, ob und wieweit dieses Datum tatsächlich das Datum der Veröffentlichung ist, betrifft die Begründetheit des Einspruchs. Weiter muss gemäß der zitierten Entscheidung angegeben sein, wo der Stand der Technik veröffentlicht wurde und wer die Öffentlichkeit war (Punkt 24). Auch dies ergibt sich implizit aus der URL unter der Überschrift "Innovations-Report 09.09.2003", nämlich als Internet-Publikation mit weltweitem Zugriff. Aus dieser URL ist keine Einschränkung der Öffentlichkeit zu erkennen. Und schließlich muss noch das Veröffentlichungsdatum angegeben sein (Punkt 25). Dies ist aber ausweislich des im Einspruchsformblatt angegebenen Datums und des wenigstens zweimal auf dem eingereichten Ausdruck erkennbaren Datums als 9. September 2003 klar erkennbar. Ob dieses Beweismittel, also die Internet-Publikation, zu diesem Zeitpunkt tatsächlich öffentlich verfügbar war, ist eine Frage der Begründetheit.

1.3 Zu dem zweiten Punkt der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Punkte stellt die Kammer fest, dass sich die Einspruchsschrift auf den Seiten 4 - 8, 2. Absatz sehr wohl mit sämtlichen wesentlichen Merkmalen auseinandersetzt und dabei insbesondere die Merkmale 1.1 - 1.7 des Anspruchs 1 und ihre Fundstellen in D1 auflistet. Die Beschwerdeführerin kritisiert, die Einsprechende habe hier ungeprüft teilweise falsche Aussagen aus einem Prüfungsbescheid übernommen. Die Frage, ob Aussagen zu Fundstellen zutreffen oder nicht, betrifft aber die Begründetheit eines Einspruchs, wobei es keine Rolle spielt, ob eine möglicherweise unzutreffende Aussage auf die Prüfungsabteilung oder unmittelbar auf die Einsprechende zurückgeht.

1.4 Zum dritten Punkt der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Punkte stellt die Kammer fest, dass die zum Merkmal 1.8 in der Einspruchsschrift gemachten Ausführungen sich auf die Dokumente D1 und D6 beziehen und für die Einspruchsabteilung und der Patentinhaberin nachprüfbar waren. Ob sie zutreffen, ist wiederum eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit.

1.5 Aus oben Gesagtem folgt, dass der Einspruch das Zulassungskriterium einer ausreichenden Begründung erfüllt (Regel 76 (2) c) EPÜ). Folglich ist dem Hauptantrag nicht stattzugeben.

2. Öffentliche Verfügbarkeit der D6 (Artikel 54 (2) EPÜ))

2.1 Die Beschwerdeführerin stellt die öffentliche Verfügbarkeit der D6 vor dem beanspruchten Prioritätszeitpunkt (3. November 2003) in Frage. Dazu wurde als Anlage 1 ein Ausdruck der mit der in der zweiten Überschriftzeile der D6 am 26. Juli 2013 aufgerufenen Webseite eingereicht, aus der hervorgeht, dass dort die Überschriftzeilen des als Dokument D6 eingereichten Ausdrucks nicht vorhanden sind. Ferner wurde als Anlage 3 ein Ausdruck eines Reports der Wayback-Machine eingereicht, aus dem hervorgehen solle, dass die Webseite mit der in der Überschriftzeile 2 von D6 angegebenen URL erst ab dem Jahre 2004, also nach dem beanspruchten Prioritätszeitpunkt, von der Wayback-Machine aufgefunden wurde. Die Beschwerdeführerin reichte weiterhin als Anlage 4 einen Ausdruck eines Reports der Wayback-Machine ein, aus dem hervorgehen solle, dass eine Webseite mit einer der in der Überschriftzeile 2 von D6 angegebenen URL übergeordneten URL tatsächlich schon im Jahre 2003 verfügbar war.

2.2 Die Frage der öffentlichen Verfügbarkeit der D6 wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung im Rahmen der Zulässigkeit des Einspruchs behandelt (siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung, Punkte 2 bis 20, und Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe). Nachweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung (siehe Punkt 6) wurde von der Patentinhaberin ein Ausdruck eines Suchresultats der Wayback-Machine vorgelegt, aus dem hervorgehen solle, dass der Inhalt von D6 frühestens 2004 aufgefunden werden konnte. Diesem Ausdruck ist daher dieselbe Aussage zu entnehmen wie der Anlage 3. Die Einsprechende hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Wayback-Machine nicht geeignet sei, das Veröffentlichungsdatum zweifelsfrei zu belegen (Punkt 7).

In ihrer Entscheidung ist die Einspruchsabteilung nicht auf das Suchresultat der Wayback-Machine eingegangen. D6 wurde von der Einspruchsabteilung vielmehr als eine Pressemitteilung im Zusammenhang mit einer Produktvorstellung auf einer Messe (in diesem Falle die IAA in Frankfurt vom 9. bis 21. September 2003) angesehen. Sie vertrat die Meinung, dass eine Pressemitteilung im Zusammenhang mit einer Produktvorstellung auf einer Messe eine zuverlässige Offenbarung darstelle.

2.3 Die Kammer beurteilt den Sachverhalt anders.

Für die Veröffentlichung der D6 als Pressemitteilung, insbesondere die Umstände und den Zeitpunkt der Veröffentlichung, gibt es keine Nachweise.

Hinsichtlich der Veröffentlichung der D6 als Internetveröffentlichung geht die Kammer davon aus, dass es die anerkannte Politik der "Internet wayback machine" ist, das Internet zu durchsuchen und die durchsuchten Seiten zu archivieren, wobei der Zeitpunkt des Auffindens einer Seite als Zeitstempel ein Teil der URL bildet. Die Kammer ist daher der Ansicht, dass die Abwesenheit des Dokuments mit der URL der zweiten Zeile von D6 mit ausreichender Sicherheit ein Beleg dafür ist, um vorläufig anzunehmen, dass dieses Dokument nicht vor dem beanspruchten Prioritätszeitpunkt der Öffentlichkeit verfügbar gemacht wurde, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird (vgl. T 545/08, Punkt 11 bis 13 der Gründe). Die Anlage 4, die die Verfügbarkeit einer übergeordneten Seite (aber nicht derselben Seite wie D6) zeigt, erhärtet die Plausibilität dieser Ansicht, so dass es genügend Gründe gibt, dass die Beweislast im Sinne der T 545/08 als auf die Einsprechende übergegangen zu betrachten ist.

2.4 In Anbetracht des Umstands, dass der Einspruch zurückgenommen wurde, sieht die Kammer keine Möglichkeit, die öffentliche Verfügbarkeit der D6 vor dem Prioritätszeitpunkt festzustellen.

3. Zurückverweisung (Artikel 111 (1) EPÜ)

3.1 Die Einspruchsabteilung hat dem Hilfsantrag 1 der Patentinhaberin, d.h. dem Antrag, den Einspruch als unbegründet zurückzuweisen, nicht stattgegeben, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung für den Fachmann ausgehend von D1 unter Berücksichtung der Lehre von D6 naheliegend war (Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe). Da jedoch die öffentliche Verfügbarkeit der D6 vor dem Prioritätszeitpunkt unter Berücksichtigung der Ausführungen unter den obigen Punkten 2.3 und 2.4 nicht nachgewiesen worden ist, kann dieses Dokument nicht berücksichtigt werden. Somit ist diese Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben.

3.2 Nachdem die Einspruchsabteilung hinsichtlich des Hilfsantrags 1, also des Antrags, den Einspruch als unbegründet zurückzuweisen, keine weiteren Tatsachen, Argumente und Beweismittel berücksichtigt hat und die Kammer dies, auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Einspruch zwischenzeitlich zurückgenommen wurde, nicht von sich aus zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren tun möchte, übt sie ihr Ermessen gemäß Artikel 111 (1) EPÜ dahingehend aus, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (siehe dazu auch die Ausführungen in T 1668/08, Punkt 2 der Entscheidungsgründe).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die

Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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