T 1172/13 () of 18.7.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T117213.20170718
Datum der Entscheidung: 18 Juli 2017
Aktenzeichen: T 1172/13
Anmeldenummer: 05707424.7
IPC-Klasse: D04H 1/00
D04H 1/44
D04H 1/48
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINER FASERBAHN AUS CELLULOSEFASERN IN EINEM TROCKENLEGUNGSPROZESS
Name des Anmelders: Concert GmbH
Name des Einsprechenden: SCA Hygiene Products AB
SCA TISSUE FRANCE
Buckeye Technologies Inc.
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (nein)
Hilfsantrag 1 - nicht zugelassen, Änderungen - Klarheit (nein)
Hilfsantrag 2 - nicht zugelassen, Änderungen - unzulässige Erweiterung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0992/02
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Einsprechenden II und III (Beschwerdeführerinnen I und II) richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchabteilung, in der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der im Einspruchsverfahren vorgenommen Änderungen das europäische Patent mit der Nummer 1 721 036 den Erfordernissen des EPÜ genügt.

II. Die Beschwerdeführerinnen I und II beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerden, hilfsweise das Patent aufrecht zu erhalten im Umfang eines der mit Schreiben vom 17. Juli 2009 eingereichten Hilfsanträge I oder II.

IV. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer geladen. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) wurde ihnen die vorläufige Auffassung der Kammer zur Sache mitgeteilt. Die Kammer äußerte darin unter anderem ihre Bedenken im Bezug auf die Erfordernisse der Artikel 83 und 84 EPÜ.

V. Die Beschwerdegegnerin bestätigte daraufhin ihren Antrag, die Beschwerden zurückzuweisen, wie auch die eingereichten Hilfsanträge I und II, wobei der bisher eingereichte Hilfsantrag II umnummeriert wurde zum Hilfsantrag 3. Ferner reichte sie neue Hilfsanträge 2, 4a, 4b, 5a, 5b, 6a, 6b ein.

VI. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 18. Juli 2017 statt.

Die Beschwerdeführerinnen I und II beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerden zurückzuweisen; hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in beschränktem Umfang gemäß Hilfsantrag 1 oder 2 vom 18. Juli 2017.

Wie zuvor mit Schreiben vom 25. April 2017 angekündigt, war die Einsprechende I in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.

VII. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung einer zur Herstellung von Hygiene-Artikeln, wie insbesondere von Inkontinenz-Artikeln, Wegwerf-Windeln, Slipeinlagen oder Monatsbinden, oder Saugeinlagen, geeigneten Faserbahn mit einem Staubgrad unterhalb 0,1 %, deren Faseranteil ausschließlich aus Cellulosefasern natürlichen Ursprungs oder aus Cellulosefasern natürlichen Ursprungs und superabsorbierenden Fasern besteht, mit folgenden Verfahrensschritten:

- Bildung einer im wesentlichen gleichmäßig dicken, trockenen Faserlegung aus losen Fasern mit einem geringen, im Bereich der Restfeuchte liegenden Feuchtegehalt,

- Pressen und Prägen der Faserlegung zu einer Faserbahn unter Ausbildung eines Prägemusters mit verdichteten Faser-Verbundbereichen, in denen die Fasern im wesentlichen unter Eigenbindung untereinander verbunden sind,

- Befeuchten der Faserbahn mit einer Wasser-Latex-Mischung auf wenigstens einer der Außenbereiche, wobei die Wasser-Latex-Mischung 95 bis 99 Gew.-% Wasser und 5 bis 1 Gew.-% Latex enthält und der Einsatz von Latex-Bindern so bemessen ist, dass das Flächengewicht des Latex im Trockenzustand weniger als 5 g/m**(2) beträgt,

- Ausfällen des Latex durch Trocknen unter Bindung der Fasern innerhalb und außerhalb der Faser-Verbundbereiche."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung einer zur Herstellung von Hygiene-Artikeln, wie insbesondere von Inkontinenz-Artikeln, Wegwerf-Windeln, Slipeinlagen oder Monatsbinden, oder Saugeinlagen, geeigneten Faserbahn mit einem Staubgrad unterhalb 0,2 %, gemessen nach einem Verfahren gemäß der Absätze [0022] bis [0030] der Beschreibung, wobei der Faseranteil der Faserbahn ausschließlich aus Cellulosefasern natürlichen Ursprungs oder aus Cellulosefasern natürlichen Ursprungs und superabsorbierenden Fasern besteht, mit folgenden Verfahrensschritten:

- Bildung einer im wesentlichen gleichmäßig dicken, trockenen Faserlegung aus losen Fasern mit einem geringen, im Bereich der Restfeuchte liegenden Feuchtegehalt,

- Pressen und Prägen der Faserlegung zu einer Faserbahn unter Ausbildung eines Prägemusters mit verdichteten Faser-Verbundbereichen, in denen die Fasern im wesentlichen unter Eigenbindung untereinander verbunden sind,

- Befeuchten der Faserbahn mit einer Wasser-Latex-Mischung auf wenigstens einer der Außenbereiche, wobei die Wasser-Latex-Mischung 95 bis 99 Gew.-% Wasser und 5 bis 1 Gew.-% Latex enthält und der Einsatz von Latex-Bindern so bemessen ist, dass das Flächengewicht des Latex im Trockenzustand zwischen 1 und 5 g/m**(2) beträgt,

- Ausfällen des Latex durch Trocknen unter Bindung der Fasern innerhalb und außerhalb der Faser-Verbundbereiche."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung einer zur Herstellung von Hygiene-Artikeln, wie insbesondere von Inkontinenz-Artikeln, Wegwerf-Windeln, Slipeinlagen oder Monatsbinden, oder Saugeinlagen, geeigneten Faserbahn mit einem Staubgrad unterhalb 0,1 %, gemessen nach einem Verfahren gemäß der Absätze [0022] bis [0030] der Beschreibung, wobei der Faseranteil der Faserbahn ausschließlich aus Cellulosefasern natürlichen Ursprungs oder aus Cellulosefasern natürlichen Ursprungs und superabsorbierenden Fasern besteht, mit folgenden Verfahrensschritten:

- Bildung einer im wesentlichen gleichmäßig dicken, trockenen Faserlegung aus losen Fasern mit einem geringen, im Bereich der Restfeuchte liegenden Feuchtegehalt und einem Flächengewicht zwischen

150 g/m**(2) und 500 g/m**(2),

- Pressen und Prägen der Faserlegung zu einer Faserbahn unter Ausbildung eines Prägemusters mit verdichteten Faser-Verbundbereichen, in denen die Fasern im wesentlichen unter Eigenbindung untereinander verbunden sind, wobei das Pressen und Prägen der Faserlegung in einer Presswalzenanordnung geschieht, wobei wenigstens eine Walze eine Stachelwalze mit Stacheln einer Höhe zwischen 0,3 und 1,0 mm ist und je nach Flächengewicht der Faserlegung unterschiedliche Drücke im Bereich von 40 N/mm Liniendruck für Faserlegungen mit einem Flächengewicht von 500 g/m**(2) und bis 110 N/mm Liniendruck für Faserlegungen mit einem Flächengewicht von 150 g/m**(2) aufgebracht und 16 bis 49 verdichtete Faser-Verbundbereiche pro cm**(2) der Faserbahn so eingebracht werden, dass die verdichteten Faser-Verbundbereiche zwischen 8 bis 40 % der gesamten Bahnoberfläche einnehmen,

- Befeuchten der Faserbahn mit einer Wasser-Latex-Mischung auf wenigstens einer der Außenbereiche, wobei als Latex ein Ethylen-Vinylacetat-Copolymerisat als wässerige Emulsion, die selbstvernetzende Gruppen aufweist, verwendet wird und wobei die Wasser-Latex-Mischung 95 bis 99 Gew.-% Wasser und 5 bis 1 Gew.-% Latex enthält und der Einsatz von Latex-Bindern so bemessen ist, dass das Flächengewicht des Latex im Trockenzustand zwischen 1 und 5 g/m**(2) beträgt, und wobei während und/oder nach dem Befeuchten der Faserbahn die Durchdringung der Faserbahn mit Hilfe eines an die Faserbahn angelegten Unterdrucks gesteuert wird,

- Ausfällen des Latex durch Trocknen unter Bindung der Fasern innerhalb und außerhalb der Faser-Verbundbereiche."

VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerinnen können wie folgt zusammengefasst werden:

Bei dem in den Anspruch 1 des Hauptantrags aufgenommenen Merkmal des "Staubgrads unterhalb 0,1 %" handle es sich lediglich um ein zu erreichendes Ergebnis, wobei die dafür notwendigen Verfahrensschritte weder in den Ansprüchen noch in der Beschreibung definiert seien. Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ seien deshalb nicht erfüllt.

Die Hilfsanträge sollten nicht zugelassen werden. Alle Einwände und Argumente hätten schon während des Einspruchsverfahrens und des schriftlichen Teils des Beschwerdeverfahrens vorgelegen.

Hilfsantrag 1 solle nicht in das Verfahren zugelassen werden, da die Änderungen in Anspruch 1 zumindest den Erfordernissen der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ zumindest prima facie nicht genügten. Durch die Änderung des Prozentsatzes des Staubgrads bleibe es dabei, dass lediglich die Definition eines zu erreichenden Ergebnisses im Wortlaut des Anspruchs 1 vorhanden sei, ohne dass ein dementsprechender Verfahrensschritt enthalten sei. Zudem sei dieser Bereich des Staubgrads nur in Verbindung mit einem Produktanspruch offenbart, nicht aber in Verbindung mit einem Verfahrensanspruch.

Hilfsantrag 2 sei ebenfalls nicht in das Verfahren zuzulassen, denn Anspruch 1 enthalte eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung (Artikel 123 (2) EPÜ). Die Vielzahl an zusätzlichen Merkmalen würde zwar weitere Einzelheiten der Verfahrensschritte definieren, es sei aber kein Ausführungsbeispiel offenbart, welches lediglich und genau diese Verfahrensschritte umfasse. Zudem sei nicht offenbart, dass exakt diese Verfahrensschritte dazu führten, den beanspruchten Bereich des Staubgrads zu erhalten.

IX. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Das dem Wortlaut des Anspruchs 1 zugefügte Merkmal des Staubgrads unterhalb 0,1% betreffe eine reine Zweckangabe, in dem Sinne, dass die Faserbahn geeignet sein müsse, einen solchen Staubgrad zu erhalten. Verfahren, die zu einer Faserbahn oberhalb dieses Staubgradbereichs führten, fielen nicht unter den Anspruch 1. Eine detaillierte Darlegung eines dafür verantwortlichen Verfahrensschritts sei nicht erforderlich. Der Fachmann müsse nur die Verfahrensschritte dementsprechend anpassen. Der beanspruchte Staubgradbereich sei ausreichend klar definiert. Dem Fachmann werde ein geeignetes Prüfverfahren zur Ermittlung des Staubgrads in der Beschreibung aufgezeigt. Daher könne er ohne weiteres überprüfen, ob die Verfahrensschritte in der beanspruchten Art und Weise ausgeführt worden seien. Derartige Bestimmungsverfahren für den Staubgrad seien im Stand der Technik bekannt gewesen. Es sei daher eine klare Anweisung in Bezug auf die auszuführenden Verfahrenschritte vorhanden. Dies zeige sich insbesondere auch durch die beiden Faserbahnen der Tabelle 1, welche den beanspruchten Staubgrad aufwiesen. Ferner treffe dieser Staubgrad auch auf die gemäß Ausführungsbeispiel hergestellten Faserbahnen zu.

Die Hilfsanträge sollten zugelassen werden, denn erst durch die Diskussion während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer seien die relevanten Aspekte deutlich geworden.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beziehe sich in Bezug auf den Staubgrad auf den ursprünglich offenbarten (und erteilten) Anspruch 21. Darin werde Bezug genommen auf die Verfahrensschritte und es werde auf die Messmethode verwiesen. So seien die Einwände unter Artikel 84 EPÜ ausgeräumt. Die Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ seien ebenfalls erfüllt.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 enthalte sämtliche Merkmale, die für das Erzielen des gewünschten Staubgrads relevant seien. Alle für den Fachmann erforderlichen Informationen seien aus dem Ausführungsbeispiel übernommen. Dass das Ziel eines Staubgrads der Faserbahn von unterhalb von 0,1 % bei erfindungsgemäßer Verfahrensführung erreicht werden könne, sei als allgemeines Ziel der Erfindung angegeben und daher im Umfang des Ausführungsbeispiels als gegeben anzusehen.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

1.1 Gemäß Artikel 84 EPÜ müssen die Ansprüche den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Sie müssen zudem deutlich und knapp gefasst sein und von der Beschreibung gestützt werden. Artikel 84 EPÜ ist kein Einspruchsgrund. Da jedoch im Einspruchsverfahren im Wortlaut des Anspruchs 1 des Streitpatents Änderungen vorgenommen wurden, ist in Bezug auf die Änderungen zu prüfen, ob die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt sind.

1.2 Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer Faserbahn. Neu wurde während des Einspruchsverfahrens in den Anspruch das Merkmal aufgenommen, dass die Faserbahn einen Staubgrad unterhalb 0,1 % aufweist.

1.3 Aus den in Artikel 84 EPÜ formulierten Erfordernissen geht hervor, dass die Patentansprüche selbst den Gegenstand angeben müssen, für den Schutz begehrt wird. In einem Verfahrensanspruch sind daher die notwendigen Verfahrensschritte anzugeben. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe 8. Auflage, II.A.3.5), wäre es in Bezug auf Artikel 84 EPÜ nur dann möglich, das Verfahren zur Messung eines die beanspruchte Zusammensetzung charakterisierenden Parameters nicht in den Anspruch aufzunehmen, wenn das Verfahren in der Beschreibung deutlich dargelegt wäre und keinerlei Unklarheit bestünde (siehe z.B. T992/02). Die im Streitpatent offenbarte Testmethode ist als "standardisiertes Verfahren, wie es bei der CONCERT GmbH angewandt wird," bezeichnet, und stellt daher kein allgemein bekanntes "standardisiertes Verfahren" dar, sondern ein bei der Patentinhaberin intern als solches geführtes Verfahren. Auch wenn die Testmethode in den Absätzen [0022] bis [0030] des Streitpatents dargestellt ist, so bleiben wesentliche Details der Methode (Probenvorbereitung, Slit-Breite, Radius) ungeklärt und auch die Zuverlässigkeit der Resultate ist zweifelhaft.

1.4 Das Merkmal des Staubgrads findet sich in den Absätzen [0006] und [0021] des Streitpatents.

1.4.1 Der Wortlaut in Absatz [0006] lautet wie folgt:

"Vielmehr soll erreicht werden, eine Faserbahn aus Cellulosefasern herzustellen, bei denen der Abrieb durch Fusseln, der so genannte Staubbereich, unter 0,1% der Ausgangsbahn liegt."

Es handelt sich bei dieser Textstelle um die Angabe des Ziels der Erfindung. Ein Verfahrensschritt um dieses Ziel zu erreichen, ist hier nicht offenbart.

1.4.2 Der Wortlaut in Absatz [0021] lautet wie folgt:

"Die Erfindung bezieht sich auch auf eine mit geringem Latex-Binder-Einsatz hergestellte Faserbahn, bei der der Staubgrad unterhalb 0,1 % liegt, gemessen nach einem standardisierten Verfahren."

Diese Textstelle betrifft die Faserbahn, nicht aber das Verfahren selbst. Ferner kann dem Text der Hinweis auf eine "mit geringem Latex-Binder-Einsatz hergestellte Faserbahn" entnommen werden, sowie der Hinweis, dass der Staubgrad nach einem standardisierten Verfahren gemessen werden soll. Diese Hinweise sind nicht geeignet anzugeben, welcher oder welche Verfahrensschritte das Erreichen dieses Bereichs für den Staubgrad erlauben würden.

1.5 Bei dem Merkmal "mit einem Staubgrad unterhalb 0,1 %" handelt es sich demzufolge um die Formulierung eines zu erreichenden Ergebnisses. Eine Handlungsanweisung im Verfahrensablauf, wie dieses Ergebnis zu erzielen wäre, ist damit nicht verbunden, weder in den zitierten Passagen der Beschreibung noch in den beanspruchten Verfahrensschritten:

1.5.1 Der erste beanspruchte Verfahrensschritt bezieht sich auf die Bildung einer trockenen Faserlegung aus losen Fasern. Der Feuchtegehalt der Fasern wird nicht genau festgelegt und kann im Bereich der Restfeuchte variieren. Dieser Verfahrensschritt wurde nicht als entscheidend für den zu erreichenden Staubgrad genannt und kann auch von der Kammer nicht so gewertet werden.

1.5.2 Der zweite beanspruchte Verfahrensschritt bezieht sich auf das Pressen und Prägen der Faserlegung zu einer Faserbahn. Hier wird die Ausbildung eines Prägemusters mit verdichteten Faser-Verbundbereichen erreicht, in denen die Fasern im wesentlichen unter Eigenbindung untereinander verbunden sind. Weitergehend wird das Prägemuster in diesem Verfahrensschritt nicht erläutert. Eine Verdichtung der trockenen Faserlegung findet üblicherweise durch Walzen/Karden im Stand der Technik bei der Herstellung von Faserbahnen für die genannten Hygiene-Artikel statt. Zudem wurde nicht vorgebracht, und ist nicht nachvollziehbar, dass durch diesen allgemein formulierten Verfahrensschritt alleine eine Reduktion des Staubgrads im beanspruchten Ausmaß erreicht werden könnte.

1.5.3 Der dritte beanspruchte Verfahrensschritt des Befeuchtens der Faserbahn mit einer Wasser-Latex-Mischung, wurde von der Beschwerdegegnerin als für das Erreichen des Staubgrads verantwortlich dargestellt. Der Verfahrensschritt enthält die Anweisung, eine Wasser-Latex-Mischung mit einem hohen Wassergehalt (95 bis 99 Gew.-%) und mit einem geringen Latexgehalt (5 bis 1 Gew.-%) zu verwenden. Zudem ist beansprucht, dass der Einsatz der Latex-Binder so bemessen werden soll, dass das Flächengewicht des Latex im Trockenzustand weniger als 5 g/m**(2) beträgt. Ferner wird die Anweisung gegeben, dass das Befeuchten der Faserbahn mit dieser Wasser-Latex-Mischung auf wenigstens einem der Außenbereiche erfolgen soll. Es bleibt unklar, wie das Ziel des gewünschten niedrigen Staubgrads verwirklicht werden soll, da auch diese Verfahrensschritte nirgends im Streitpatent als mit dem Erreichen eines Staubgrads verbunden offenbart sind.

1.5.4 Der vierte und letzte beanspruchte Verfahrensschritt des Ausfällens des Latex durch Trocknen dient dem Abschluss des Verfahrens. Er wurde in Zusammenhang mit dem Staubgrad in den Ausführungen der Beschwerdegegnerin nicht weiter erläutert. Auch die Kammer sieht diesen Verfahrensschritt ohne diesbezüglichen Einfluss und lediglich als zum Abschluss des Verfahrens führend an.

1.5.5 Keiner der beanspruchten Verfahrensschritte gibt somit einen Verfahrensschritt an, welcher deutlich definiert, wie der beanspruchte Bereich des Staubgrads erreicht werden soll. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beinhaltet daher die Definition eines zu erreichenden Ergebnisses ohne den oder die konkret dafür notwendigen Verfahrensschritte anzugeben. Das Erfordernis des Artikels 84 EPÜ ist daher nicht erfüllt.

1.6 Die von der Beschwerdegegnerin dazu vorgebrachten Argumente konnten nicht überzeugen.

1.6.1 Es handelt sich nicht um eine reine Zweckangabe, im Sinne eines Produktmerkmals, oder darum, dass die Faserbahn lediglich die Eignung dazu aufweisen müsse. Das Verfahren ist definiert als "zur Herstellung einer zur Herstellung von Hygiene-Artikeln, ..., geeigneten Faserbahn mit einem Staubgrad unterhalb 0,1 %". Demzufolge muss das Verfahren zur Herstellung einer derartigen Faserbahn imstande sein.

1.6.2 Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, dass dem Fachmann im Streitpatent ein geeignetes Prüfverfahren zur Ermittlung des Staubgrads zur Verfügung stehe und er überprüfen könne, ob die Verfahrensschritte anspruchsgemäß ausgeführt seien und der Bereich des Staubgrads erreicht worden sei, erfordert vom Fachmann mehr als das Ausführen der beanspruchten Verfahrensschritte. Auch wenn Bestimmungsverfahren für den Staubgrad einer Faserbahn im Stand der Technik bekannt waren, so ist es doch erforderlich, im Herstellungsverfahren den Staubgrad im Sinne des gewünschten Bereiches beeinflussen zu können. Diesbezüglich beinhaltet das beanspruchte Verfahren keine klare Anweisung.

1.6.3 Der des Weiteren vorgebrachte Hinweis der Beschwerdegegnerin auf Tabelle 1 des Streitpatents, welche für zwei Faserbahnen einen Staubgrad im beanspruchten Bereich zeigt, kann den Einwand nicht ausräumen. Es gibt keinen Bezug zu einem klar auf den Bereich des Staubgrads gerichteten Verfahrensschritt, welcher bei der Herstellung dieser beiden Faserbahnen durchgeführt worden wäre. Zu diesen Faserbahnen wird lediglich offenbart, dass es sich um "gemäß Erfindung hergestellte Proben" handelt. Weder detaillierte Verfahrensschritte noch der oder die für das Erreichen des jeweiligen Staubgrads verantwortliche/n Verfahrensschritte im Herstellungsverfahren dieser beiden Faserbahnen sind offenbart.

1.6.4 Ferner verwies die Beschwerdegegnerin darauf, dass der beanspruchte Bereich des Staubgrads auf alle gemäß Ausführungsbeispiel hergestellten Faserbahnen zutreffe. Dies ergebe sich daraus, dass dieser Staubgradbereich als allgemeines Ziel der Erfindung angegeben sei. Die Kammer stellt jedoch fest, dass nicht alle Verfahrensschritte des Ausführungsbeispiels in Anspruch 1 aufgenommen sind, und dass es keinen einzigen Hinweis darauf gibt, dass die im Ausführungsbeispiel beschriebenen Verfahrensschritte zu dem beanspruchten Bereich des Staubgrads führen würden. In Bezug auf das Ausführungsbeispiel wird lediglich festgestellt (Absatz 45), dass gegenüber ähnlichen, auf dem Markt befindlichen Produkten die Staubbildung um 90 % und mehr herabgesetzt sei. Inwiefern diese Aussage mit dem gewünschten und beanspruchten Staubgradbereich korreliert, bleibt unklar.

1.7 Der Fachmann erhält daher keine konkreten Hinweise, wie er bei Anwendung der in Anspruch 1 definierten Verfahrensschritte eine Faserbahn mit dem beanspruchten Staubgrad erhalten könnte. Es handelt sich somit bei dem neu in Anspruch 1 aufgenommenen Merkmal des Staubgrads lediglich um die Formulierung eines zu erreichenden Ergebnisses, ohne die dafür notwendigen Verfahrensschritte zu definieren. Anspruch 1 erfüllt somit nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.

1.8 Da der Hauptantrag bereits aus diesem Grund nicht gewährbar ist, ist es nicht erforderlich, auf die weiteren Einwände einzugehen, welche im Hinblick auf die Artikel 84 sowie 83 EPÜ vorgebracht wurden.

2. Hilfsanträge 1 und 2

Diese Hilfsanträge wurden im Verlauf der mündlichen Verhandlung vorgelegt und stellen somit eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin dar. Die Zulassung in das Verfahren liegt damit gemäß Artikel 13(1) VOBK im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung des Ermessens ist unter anderem die gebotene Verfahrensökonomie zu berücksichtigen. Dieses Kriterium wird von den Beschwerdekammern in dem Sinne angewendet, dass ein geänderter Antrag prima facie gewährbar sein sollte, d.h. er sollte die vorhandenen Einwände beheben und keine neuen Einwände einführen.

3. Hilfsantrag 1 - Zulassung

3.1 Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch den Wortlaut des Merkmals des Staubgrads, welches nun lautet, dass das Verfahren zur Herstellung einer Faserbahn "mit einem Staubgrad unterhalb 0,2 %, gemessen nach einem Verfahren gemäß der Absätze [0022] bis [0030] der Beschreibung" dient. Ferner wurde das Flächengewicht des Latex im Trockenzustand eingeschränkt auf den Bereich "zwischen 1 und 5 g/m**(2)".

3.2 Die Ergänzung des Merkmals bezüglich des Staubgrads in Bezug auf eine Messmethode, sowie die Erweiterung des Bereichs sind jeweils nicht geeignet, den in Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags vorgebrachten Einwand unter Artikel 84 EPÜ auszuräumen.

3.3 Es kann daher dahinstehen, ob die mit dieser Änderung verbundene Erweiterung der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung gegen das Verbot der reformatio in peius verstößt oder durch eine der in der Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer dargestellten Ausnahmen von diesem Grundsatz gedeckt wäre.

3.4 Es handelt sich bei dem geänderten Merkmal in Bezug auf den Bereich des Staubgrads weiterhin um ein zu erreichendes Ergebnis, ohne dass eine Handlungsanweisung im Verfahrensablauf definieren würde, wie dieses Ergebnis zu erzielen wäre. Wie bereits oben unter Punkt 1 erläutert, wird kein Verfahrensschritt definiert, welcher zum Erreichen eines bestimmten, definierten Staubgrads führen würde. Daher kann auch die Erweiterung des Bereiches von "unterhalb 0,1 %" auf "unterhalb 0,2 %" diesen Mangel nicht beheben. Auch die des Weiteren zugefügten Merkmale haben keinen Einfluss darauf: Weder eine Messmethode, noch das Flächengewicht des Latex im Trockenzustand, sind in irgendeiner Art und Weise im Patent mit dem Erreichen des Staubgrads assoziiert.

3.5 Daher wird auch durch die Einschränkung des Flächengewichts des Latex im Trockenzustand auf den Bereich zwischen 1 und 5 g/m**(2), welche im Streitpatent in Anspruch [0023] sowie in Absatz [0042] offenbart ist, kein Zusammenhang mit einem definierten Verfahrensschritt zum Erreichen eines definierten Staubgrads hergestellt. Es handelt sich daher wie unter Punkt 1.5 erläutert bei diesem Merkmal lediglich um die Formulierung eines zu erreichenden Ergebnisses, ohne die dafür notwendigen Verfahrensschritte zu definieren. Es gibt somit keine eindeutige Offenbarung und auch keinen impliziten Anhaltspunkt für die Auffassung, dass die nun beanspruchten Merkmale ausreichen würden, eine Faserbahn mit diesem Staubgrad herzustellen.

3.6 Ferner ist der hier beanspruchte Staubgrad von unterhalb 0,2 % nur in Verbindung mit einem Produktanspruch (Anspruch 21 der ursprünglich eingereichten Anmeldung, publiziert als WO 2005/080655 A1) offenbart. Eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung für ein Verfahren, welches einen Verfahrensschritt beinhaltet, der dazu führt, den beanspruchten Bereich des Staubgrads zu erhalten, ist in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen nicht vorhanden, weshalb der Gegenstand des Anspruchs 1 wenigstens prima facie die Erfordernisse des

Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt.

3.7 Zumindest prima facie sind daher die Erfordernisse der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ nicht erfüllt und der Hilfsantrag 1 wurde folglich nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13(1) VOBK).

4. Hilfsantrag 2 - Zulassung

4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 enthält in Bezug auf den Bereich des Staubgrads wiederum den in Anspruch 1 des Hauptantrags definierten Bereich ("unterhalb 0,1 %"). Die Messmethode wurde in gleicher Weise wie in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 aufgenommen ("gemessen nach einem Verfahren gemäß der Absätze [0022] bis [0030] der Beschreibung"). Ferner wurden die ersten drei Verfahrensschritte geändert, indem sie mit weiteren Merkmalen aus dem Ausführungsbeispiel der Absätze [0031] bis [0045] der Beschreibung ergänzt wurden. Der Wortlaut dieser Absätze der Beschreibung, wie auch der Absätze [0022] bis [0030] der Beschreibung des Streitpatents stimmt mit der Beschreibung auf Seite 8, Zeile 1 bis Seite 16, Zeile 11 der WO 2005/080655 A1 überein.

4.2 Die den einzelnen Verfahrensschritten zugefügten Merkmale aus dem Ausführungsbeispiel der Absätze [0031] bis [0045] der Beschreibung stellen eine Auswahl aus den dort offenbarten Merkmalen dar, und führen daher zu einer nicht zulässigen Zwischenverallgemeinerung des beanspruchten Gegenstands (Artikel 123 (2) EPÜ) wie im Folgenden erläutert.

4.3 Das Ausführungsbeispiel ist in den Absätzen [0031] bis [0045] der Beschreibung nicht so offenbart, dass es lediglich und genau die nun beanspruchten Verfahrensschritte umfassen würde.

4.3.1 So ist zwar in Übereinstimmung mit Absatz [0042] nun in Anspruch 1 definiert, dass der Latex ein Ethylen-Vinylacetat-Copolymerisat ist; gleichzeitig sind jedoch für das Ausführungsbeispiel weitere Merkmale definiert, so beispielsweise dass dieses Latex in einer Wasser-Latex-Mischung von 96 % Wasser und 4 % Latex verwendet werden soll, während der Anspruch hier jeweils einen breiteren Bereich (95 bis 99 Gew.-% bzw. 5 bis 1 Gew.-%) angibt (Absatz [0040]).

4.3.2 Der Hinweis der Beschwerdegegnerin, dass in Absatz [0040] auch festgestellt werde, dass die Wasser/Latex-Mischung nach fachmännischem Ermessen entsprechend dem Typ des verwendeten Latex und der Faserart und Faserverdichtung zu variieren sei, ist zutreffend. Allerdings wird das Mischungsverhältnis von 96/4 für das im Ausführungsbeispiel verwendete Latex (Ethylen-Vinylacetat-Copolymerisat) bestimmt. Daraus ergibt sich, dass für den hier verwendeten Typ des Latex, der Faserart und der Faserverdichtung nur dieses Mischungsverhältnis offenbart ist und nicht z.B. 95/5 oder 99/1 - wie beansprucht. Für diesen beanspruchten Bereich ist eine andere Fundstelle in der ursprünglich offenbarten Beschreibung weder ersichtlich noch wurde eine solche von der Beschwerdegegnerin angegeben.

4.3.3 Ebenso entspricht die Aufnahme des Merkmals "und je nach Flächengewicht der Faserlegung unterschiedliche Drücke im Bereich von 40 N/mm Liniendruck für Faserlegungen mit einem Flächengewicht von 500 g/m**(2) und bis 110 N/mm Liniendruck für Faserlegungen mit einem Flächengewicht von 150 g/m**(2)" nicht der in der Beschreibung genannten Offenbarung in Absatz [0038]. Darin wird lediglich angegeben: "Bei Faserlegungen im Bereich 500 g/m**(2) ist der erforderliche Liniendruck etwa 40 N/mm; bei Faserlegungen im Bereich von 150 g/m**(2) liegt der Druck bei 110 N/mm." Die Angabe dieser punktuellen Vorschläge für den Liniendruck erlaubt keinen Rückschluss darauf, und offenbart auch nicht, ob im Bereich zwischen 40 N/mm Liniendruck und 110 N/mm Liniendruck ein (z.B. linearer) Zusammenhang in Bezug auf das Flächengewicht besteht, während dies im Anspruch so verstanden werden kann.

4.3.4 Auch wenn die Beschwerdegegnerin die Auffassung vertritt, der Fachmann verstehe, welches Verhältnis Flächengewicht/Liniendruck in den dazwischen liegenden Bereichen anzuwenden wäre, so gibt es dafür keine Offenbarung. Der Verweis auf den ursprünglich offenbarten Anspruch 9 kann dazu nicht herangezogen werden, da dieser sich zum einen auf einen anderen Bereich, nämlich den Bereich von 30 N/mm bis 120 N/mm Liniendruck bezieht und sich zum anderen lediglich auf das Verfahren nach dem ursprünglich offenbarten Anspruch 1 oder 8 bezieht, und daher nicht in Verbindung mit beispielsweise dem hier beanspruchten Staubgrad, dessen Messmethode, dem Flächengewicht oder dem Anteil der verdichteten Verbundbereiche offenbart wurde.

4.4 Ein Verfahren wie beansprucht, ist der Beschreibung oder anderen Teilen der Anmeldung daher nicht direkt und unmittelbar zu entnehmen. Somit ist das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ wenigstens prima facie nicht erfüllt.

4.5 Zumindest prima facie genügt der Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ nicht und der Hilfsantrag 2 wurde folglich nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13(1) VOBK).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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