European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2015:T112213.20150508 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 08 Mai 2015 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1122/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07724236.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60R 21/205 B60R 21/215 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | INNENVERKLEIDUNGSTEIL ZUR ABDECKUNG EINES AIRBAGS UND VERFAHREN ZU DESSEN HERSTELLUNG | ||||||||
Name des Anmelders: | Faurecia Innenraum Systeme GmbH Moldware Konstruktion Produktentwicklung Design GmbH |
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Name des Einsprechenden: | Lisa Dräxlmaier GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Patentansprüche - Klarheit Patentansprüche - Hauptantrag (ja) Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein) Neuheit - (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 001 713 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 6. März 2013.
II. Gegen diese Entscheidung haben die Patentinhaberinnen und die Einsprechende Beschwerde eingelegt, diese begründet und die Beschwerdegebühr bezahlt.
III. Am 8. Mai 2015 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerinnen/Patentinhaberinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hilfsantrags 7 (jetzt Hauptantrag), vorgelegt mit Schreiben vom 2. April 2015.
Die sonstigen Anträge wurden zurückgenommen.
Die Beschwerdeführerin/Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
IV. Anspruch 1 gemäß dem einzigen Antrag (vormals Hilfsantrag 7, eingereicht mit Schreiben vom 2. April 2015) lautet wie folgt:
Innenverkleidungsteil zur Abdeckung eines Airbags (8), das einen flächigen Träger (1), eine Dekorschicht (5) und eine zwischen dem Träger (1) und der Dekorschicht (5) angeordnete Zwischenschicht aufweist, wobei in dem Träger (1) eine Durchtrittsöffnung (2) für den Airbag (8) ausgespart ist und wobei die Zwischenschicht eine die Durchtrittsöffnung (2) überspannende und sich außerhalb der Durchtrittsöffnung (2) mit dem Träger (1) überlappende Matte (4) umfasst,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Zwischenschicht und/oder die Dekorschicht (5) an einer und nur einer Seite der Durchtrittsöffnung (2) längs eines Randes der Durchtrittsöffnung (2) oder längs einer außerhalb der Durchtrittsöffnung (2) zu diesem Rand parallel versetzten Schwächungslinie geschwächt ist während sowohl die Zwischenschicht als auch die Dekorschicht (5) an einer der genannten Seite der Durchtrittsöffnung (2) gegenüberliegenden Seite sowie an zwei weiteren, einander gegenüberliegenden Seiten nicht geschwächt ist, zur Ausbildung einer taschenartigen oder fischmaulartigen Öffnung durch einen aus der Zwischenschicht mit der Matte (4) und der Dekorschicht (5) gebildeten, den Airbag (8) abdeckenden Teil des Innenverkleidungsteils bei einer Airbagauslösung, aus der heraus sich der Airbag (8) entfalten kann, wobei der Airbag (8) durch den genannten Teile des Innenverkleidungsteils geführt wird.
V. Die beschwerdeführende Einsprechende argumentiert im Wesentlichen wie folgt:
Der neue Hauptantrag sei verspätet und sollte deshalb nicht in das Verfahren zugelassen werden.
Das Merkmal "zur Ausbildung einer taschenartigen oder fischmaulartigen Öffnung" sei nicht klar.
Die Formulierung impliziere, dass es sich dabei um zwei Aufführungsformen handele, also jeweils den Begriffen "taschenartig" und "fischmaulartig" eine andere Bedeutung zugeordnet werde. Dies stehe aber im Widerspruch zu der Patentschrift, in der nur eine Ausführung offenbart sei. Des Weiteren sei der Begriff "fischmaulartig" im technischen Gebiet nicht klar. Insbesondere ähnele die in den Figuren dargestellte Öffnung auch nicht dem Maul eines Fisches. Somit wisse der Fachmann nicht, was alles unter eine fischmaulartige Öffnung falle und wann er sich außerhalb des Schutzbereiches befinde.
Das Merkmal, "wobei der Airbag durch den genannten Teil des Innenverkleidungsteils geführt wird", definiere ein zu erreichendes Ergebnis, ohne die dafür erforderlichen Mittel aufzuzeigen. Dies sei in Hinblick auf eine klare Definition der Erfindung nicht zulässig. Seite 4, zweiter Absatz der Beschreibung beschreibe, wie die Führung des Airbags gemäß dem letzten Merkmal des Anspruchs erreicht werde, nämlich durch die Befestigung der Matte an den beiden weiteren gegenüberliegenden Seiten am Träger. Da dieses Merkmal erfindungswesentlich sei, aber nicht im Anspruch stehe, stelle dies einen Mangel an Klarheit dar.
Weiterhin begründe dieser Umstand auch eine unzulässige Erweiterung, da das Merkmal des Anspruchs 1, wonach der Airbag durch den abdeckenden Teil der Innenverkleidung geführt werde, aus dieser Passage der Beschreibung entnommen sei und in funktionalem und strukturellem Zusammenhang mit der Befestigung der Matte an den beiden weiteren, einander gegenüberliegenden Seiten stehe.
Eine weitere unzulässige Erweiterung entstehe dadurch, dass der Rand der Durchtrittsöffnung nicht im Anspruch 1 definiert sei, wie dies in der Beschreibung, auf Seite 3, Zeilen 28 ff. in Zusammenhang mit der taschenartigen oder fischmaulartigen Öffnung der Fall sei. Die Merkmale der Seite 3, die die taschenartige oder fischmaulartige Öffnung beschreiben, seien alle in den Anspruch aufgenommen, es fehle aber, dass der Rand einen geraden oder im Wesentlichen geraden Verlauf habe. Dies stelle eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber D5 oder D6.
Die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 seien unstrittig aus D5 bekannt. Da das Merkmal "zur Ausbildung einer taschenartigen oder fischmaulartigen Öffnung" wie ausgeführt nicht klar sei, könne es auch keine einschränkende Wirkung entfalten. Weiterhin offenbare D5 die Schwächung der Zwischenschicht an einer und nur einer Seite, was gleichbedeutend sei, dass die anderen Seiten nicht geschwächt seien. Damit ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1. Dies sei in der Beschreibung, den Figuren und insbesondere in Anspruch 5 von D5 offenbart. Anspruch 5 offenbare, dass die Zwischenlage längs eines Randes der Durchtrittsöffnung des Airbags an mindestens einer Seite geschwächt sei. Mindestens eine Seite beinhalte auch exakt eine Seite und treffe damit die Definition des Merkmals "einer und nur einer Seite" des Streitpatents. Die weiteren Merkmale des strittigen Anspruchs definierten nur zu erreichende Ergebnisse oder seien unklar. So werde natürlich auch der Airbag gemäß D5 durch ein Teil der Innenverkleidung geführt. Diese Merkmale müssten dann zu Lasten der Patentinhaberinnen ausgelegt werden und seien somit auch aus D5 bekannt.
Auch D6 offenbare den Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich. So sei der flächige Träger gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1 durch die Winkel, ohne Bezugszeichen in den Figuren 2 und 4 - unterhalb der Bezugszeichen 28 und 30 in der Figur -, realisiert.
Ausgehend von D5 als - unstrittig - nächstem Stand der Technik, der alle Merkmale des Oberbegriffs offenbare, beruhe die in Anspruch 1 definierte Erfindung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie bereits ausgeführt, beinhalte die Offenbarung von D5 bereits die Definition des Schutzumfangs gemäß Anspruch 1 wie bestritten. Insofern sei der Auswahl, eine und nur eine Seite zu schwächen und die verbleibenden Seiten unbearbeitet zu lassen, keine erfinderische Tätigkeit zuzuschreiben. Es würden vor allem in D5 und dem Streitpatent dieselbe Aufgabe gelöst, nämlich die Verhinderung von Schäden, die sich durch die aufspringende Airbagklappe ergäben. Da aber der strittige Anspruch 1 nicht das Aufreißverhalten definiere, sondern lediglich, welche Seiten der Klappe geschwächt seien, bliebe offen, wie sich dann das Aufreißen konkret gestalte. Dies könne dann durchaus auch so geschehen, wie in D5 beschrieben. Somit sei es zunächst für den Fachmann die prozesstechnisch einfachste und preiswerteste Lösung nur an einer einzigen Seite eine Schwächung vorzusehen.
Aber auch die Kombination der Dokumente D5 und D6 legten den Gegenstand des Anspruchs 1 nahe. So offenbare D6 eine taschenartige oder fischmaulartige Öffnung, die durch eine Schwächung an einer und nur einer Seite entstehe (vgl. Fig. 4-5 i.V.m. Spalte 4, Zeilen 4-5 und Zeilen 29-39). Wenn der Fachmann also wisse, dass durch eine derartige Gestaltung der Öffnung, die Aufgabe zu lösen ist - nämlich Schäden durch die aufschlagende Airbagklappe zu vermeiden -, dann würde er mit der Lehre der D6 zum Gegenstand des Streitpatents gelangen.
Das Dokument D11 zeige ebenfalls, dass eine Schwächung entlang einer einzigen Linie bekannt sei. So führe auch die Kombination von D5 und D11 zum beanspruchten Gegenstand.
Letztlich sei noch bemängelt, dass die Änderungen in den abhängigen Ansprüchen 2 und 3 zu einer Unklarheit führten. "Die erstgenannte Seite" sei in den Ansprüchen nirgends definiert, so dass unklar sei, welche Seite damit gemeint sei.
VI. Die beschwerdeführenden Patentinhaberinnen entgegneten:
Anspruch 1 sei klar und deutlich formuliert. So sei auch das Merkmal, wonach bei einer Airbagauslösung eine taschenartige oder fischmaulartige Öffnung gebildet wird, klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ. Dieses Merkmal sei der Seite 3 der Patentschrift wörtlich entnommen. Da weiterhin der Fachmann wisse, was unter "taschenartig" bzw. "fischmaulartig" zu verstehen sei, es sich aber mindestens durch die Beschreibung und die Figuren erschließen könne, könnten die Begriffe keinen Klarheitsmangel begründen. Dabei spiele es auch keine Rolle, ob das Ausführungsbeispiel ein genaues Abbild eines Fischmauls zeige oder nicht. Auch das Fehlen des Merkmals, dass die Matte außerhalb der Durchtrittsöffnung an den beiden weiteren, einander gegenüberliegenden Seiten befestigt ist, könne keinen Klarheitsmangel begründen. Der Fachmann entnehme dem Anspruch vor allem die Merkmale, dass es nur eine einzige Schwächungslinie gebe an der bei einer Auslösung die Innenverkleidung aufreiße und eine "taschenartig" oder "fischmaulartig" Öffnung erzeuge. Dass dazu ggf. weitere technische Maßnahmen erforderlich sein könnten, wisse der Fachmann. Diese Maßnahmen seien aber nicht auf die Befestigung der Matte beschränkt; dies sei nur ein Beispiel; es könnten auch andere Maßnahmen ergriffen werden, die Gegenstand einer üblichen Entwicklungsarbeit seien.
Die Änderungen in den Ansprüchen 2 und 3 ("erstgenannte Seite") dienten lediglich zur Präzisierung und könnten daher keinen Klarheitsmangel darstellen.
Weiterhin sei der Gegenstand des Anspruchs nicht unzulässig erweitert worden. So sei auf Seite 4, zweiter Absatz ausgeführt, dass die Matte außerhalb der Durchtrittsöffnung an den beiden weiteren, einander gegenüberliegenden Seiten am Träger befestigt sein könne. Dies bedeute aber klar und eindeutig, dass dies ein fakultatives Merkmal sei. Auch die Tatsache, dass die Beschreibung nur ein einziges Ausführungsbeispiel offenbare, bei dem dieses Merkmal gezeigt sei, könne den Gegenstand des Streitpatents nicht einschränken.
Des Weiteren stelle auch die Tatsache, dass Anspruch 1 nicht explizit definiere, dass die Schwächungslinie einen im Wesentlichen geraden Verlauf aufweise, keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Die Art und Form der Schwächungslinie ergebe sich zwangsläufig aus der im Anspruch definierten Form der Öffnung, die taschenartig oder fischmaulartig sein müsse.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu und erfinderisch.
Ausgehend von D5 als nächstem Stand der Technik unterscheide sich der Gegenstand des strittigen Anspruchs 1 durch die Merkmale des kennzeichnenden Teils.
Diese definierten insbesondere, dass die Zwischenschicht und/oder die Dekorschicht an nur einer einzigen Seite geschwächt sei und dass weitere Seiten nicht geschwächt seien. Dies aber gehe nicht aus dem Anspruch 5 der D5 hervor. Dort heiße es, dass die Zwischenschicht mindestens einer Seite eine Schwächung erfahre. Es gebe aber keine Aussage über die anderen Seiten oder die Dekorschicht. Weiterhin offenbare D5 keine taschenartige oder fischmaulartige Öffnung, sondern eine Klappe mit einem wandernden Scharnier.
Somit sei das Grundprinzip der D5 völlig anders, als das des Streitpatents. Der Fachmann würde somit nicht auf die Idee kommen, die Klappe der D5 gegen eine fischmaulartige Öffnung zu ersetzen. Daher beruhe auch die Kombination zwischen D5 und D6 auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Der Hauptantrag entspricht dem mit Schreiben vom 2. April 2015 eingereichten Hilfsantrag 7. Bis auf die Streichung eines in Klammern gesetzten Bezugszeichens im Anspruch 3 entspricht dieser Antrag dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 7. In der Ausübung ihres Ermessens hat deshalb die Kammer diesen Antrag in das Verfahren zugelassen (Artikel 12 (2) und 13 (1) VOBK).
3. Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist deutlich und knapp gefasst und von der Beschreibung gestützt, Artikel 84 EPÜ.
3.1 Das Merkmal, dass bei einer Airbagauslösung eine taschenartige oder fischmaulartige Öffnung gebildet wird, ist klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ.
Dieses Merkmal ist auf der Seite 3 der veröffentlichten Anmeldung beschrieben. Dieses Merkmal ist dieser Passage wörtlich entnommen, so dass es ohne Belang ist, ob den Begriffen "taschenartig" und "fischmaulartig" eine jeweils andere Bedeutung beigemessen wird oder nicht und ob jeweils Ausführungsbeispiele sowohl für eine taschenartige als auch für eine fischmaulartige Öffnung vorgesehen sind oder nicht.
Der Fachmann entnimmt den Figuren 2 und 3 die Bedeutung der "taschenartige oder fischmaulartige Öffnung" gemäß der Erfindung. Für den Fachmann ist völlig klar, dass je nach genauem Verlauf der Schwächungslinie (vgl. z.B. Spalte 6, Zeilen 54-57 der Patentschrift), die Form der Öffnung kleine Variationen im Rahmen dieses Merkmals erfahren kann. Somit ist es auch bedeutungslos, dass die in den Figuren 2 und 3 gezeigte Öffnung der Kontur eines Fischmauls nicht genau entspricht.
Ebenfalls kann dahin gestellt bleiben, ob beide Begriffe eine Schnittmenge definieren, oder ob - wie es die Einsprechende vorträgt - beiden Begriffen eine unterschiedliche Bedeutung beizumessen ist.
3.2 Die Befestigung der Matte außerhalb der Durchtrittsöffnung an den beiden weiteren, einander gegenüberliegenden Seiten ist kein erfindungswesentliches Merkmal, welches zur Lösung der gestellten Aufgabe (siehe auch unten, Punkt 4.1) in die Definition des Erfindungsgegenstand aufgenommen werden müsste. Die Art der Öffnung (taschenartig oder fischmaulartig), die Schwächung der einen Seite und Nicht-Schwächung der verbleibenden Seiten sowie die Führung des Airbags durch das Innenverkleidungsteil geben dem Fachmann die erfindungswesentliche Information. Dass - abhängig von der konkreten Ausführung - weitere Maßnahmen nötig sein können, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, wie z.B. die Auswahl der Materialstärken, die geometrische Gestaltung der Seiten und Materialübergänge, aber auch die Art der Verbindung/Befestigung der Matte am Träger, ist Gegenstand einer fachüblichen Entwicklungsarbeit und muss daher nicht eigens im Anspruch definiert werden. Die Tatsache, dass die Beschreibung im Ausführungsbeispiel Aspekte dieser fachüblichen Entwicklungsarbeit beispielhaft aufgreift, kann indes nicht dazu führen, diese Aspekte als erfindungswesentlich anzusehen.
3.3 Auch bei den Änderungen der abhängigen Ansprüche 2 und 3 folgt die Kammer den Ausführungen der Patentinhaberinnen.
So folgt aus der Änderung von "die genannte Seite" in "die erstgenannte Seite" keine Unklarheit im Sinne des Artikels 84 EPÜ. Dadurch, dass im geänderten Anspruch 1 nunmehr mehrere Seiten beschrieben sind, stellt diese Präzisierung klar, dass in den Ansprüchen 2 und 3 jene Seite gemeint ist, die im Anspruch 1 als erste genannt ist. Diese Präzisierung steht ebenfalls nicht im Widerspruch zu weiteren abhängigen Ansprüchen oder zur Beschreibung.
4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht in einer Weise geändert worden, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, Artikel 123 (2) EPÜ.
4.1 So folgt die Kammer auch der Einsprechenden nicht im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ, dass das Fehlen des Merkmals, dass die Matte außerhalb der Durchtrittsöffnung an den beiden weiteren, einander gegenüberliegenden Seiten am Träger befestigt ist, eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt (siehe oben, Punkt 3.2).
Die Passage auf Seite 4, zweiter Absatz der veröffentlichten Anmeldung, stellt unmissverständlich klar, dass die genannten Maßnahmen zur Führung des Airbags im Auslösefall durch das Innenverkleidungsteil, angewendet werden können (..."kann die Matte außerhalb der Durchtrittsöffnung"... "am Träger befestigt sein") aber nicht angewendet werden müssen. Damit stellt die Beschreibung dem Fachmann eine Befestigung der Matte als eine Anregung dar, das gewünschte Verhalten des Innenverkleidungsteils zu erreichen. Diese Anregung ist jedoch klar als Option ursprünglich offenbart worden (vgl. ursprünglichen abhängigen Anspruch 3). Auch die Tatsache, dass in der Beschreibung nur ein einziges Beispiel zur Unterstützung des gewünschten Verhaltens genannt ist, kann die beschriebene Erfindung nicht mit dieser als Möglichkeit beschriebenen Maßnahme einschränken.
4.2 Die Kammer sieht auch keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung im Fehlen des Merkmals, dass die Seite, an der die Zwischen- oder Dekorschicht geschwächt ist, einen geraden oder im Wesentlichen geraden Verlauf hat.
Dieses Merkmal ergibt sich implizit durch die im Anspruch definierte Form der Öffnung, nämlich der taschenartigen oder fischmaulartigen Öffnung. Nur bei einem im Wesentlichen geraden Verlauf ist eine derartige Öffnungsform gewährleistet. Von daher besteht keine Veranlassung zusätzlich in den Anspruch aufzunehmen, dass die Seite, an der die Zwischen- oder Dekorschicht geschwächt ist, einen geraden oder im Wesentlichen geraden Verlauf hat.
5. Die Erfindung gemäß Anspruch 1 gehört nicht zum Stand der Technik, vgl. Artikel 54 (1) und (2) EPÜ.
5.1 Die Einsprechende trägt vor, der in Figur 2 gezeigte Winkel (ohne Bezugszeichen, unterhalb der Bezugszeichen 28 und 30) stütze auf jeden Fall den Airbageinsatz ab, und dies geschehe nicht punktuell sondern auf einer flächigen Ausdehnung, somit sei auch in D6 ein flächiger Träger offenbart. Dies sei auch dann korrekt, wenn der in den Figuren 2 und 4 gezeigte Winkel nicht vollständig umlaufe, sondern unterbrochen sei. Schließlich sei auch im Streitpatent weder die Ausgestaltung noch die Funktion des flächigen Trägers erläutert.
Dem ist nicht zu folgen. Der Vortrag der Einsprechenden beruht auf der Annahme, dass der besagte Winkel ein Bestandteil des Verkleidungsteils ist. Diese Annahme entbehrt jeglicher Grundlage in D6. Der Beschreibung des Airbagmoduls und des Verkleidungsteils in D6 (Spalte 3, Zeilen 18 bis 51) kann der Fachmann nur entnehmen, dass der Winkel zum Gehäuse 16 des Airbags und nicht zum Verkleidungsteil gehört. Der Winkel ist somit kein flächiger Träger im Sinne des Anspruchs. Ein Fachmann versteht darunter einen Träger mit einer dem flächigen Verkleidungsteil entsprechenden Ausdehnung und würde dabei eine theoretische Betrachtung, dass eine punktuelle Lagerung auch praktisch über eine - wenn auch sehr kleine - Fläche geschieht, außer Acht lassen.
5.2 Auch das Dokument D5 offenbart nicht den Gegenstand des Anspruchs 1.
5.2.1 D5 offenbart unstrittig alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1.
Die Einsprechende trägt vor, dass gemäß dem abhängigen Anspruch 5 der D5 die Zwischenlage längs der Durchtrittöffnung an mindestens einer Seite geschwächt sei und damit zwangsläufig - im Fall einer (einzigen) Seite - drei Seiten ungeschwächt verblieben. Da mindestens eine Seite bedeute, dass exakt eine Seite explizit offenbart sei, sei dieses Merkmal in D5 offenbart. Weiterhin könne das Merkmal, dass im Auslösefall eine taschenartige oder fischmaulartige Öffnung entstehe, den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht einschränken, da dieser Begriff lediglich ein Ergebnis, nicht aber technische Merkmale definiere. Dies treffe auch auf das letzte Merkmal des Anspruchs 1 zu, wonach der Airbag bei der Entfaltung durch das Innenverkleidungsteil geführt werde.
5.2.2 Die Kammer teilt diese Auffassung nicht.
5.2.3 Der strittige Anspruch definiert eine Ausbildung einer taschenartigen oder fischmaulartigen Öffnung bei einer Auslösung des Airbags; demgegenüber offenbart das Dokument D5 eine Klappe, die ein Scharnier aufweist (D5: Anspruch 1). Eine Klappe mit einem Scharnier steht aber im Widerspruch zu einer taschenartigen oder fischmaulartigen Öffnung: während eine taschenartige oder fischmaulartige Öffnung durch Aufreißen entlang lediglich der im Anspruch erwähnten Schwächungslinie entsteht, ist dies bei einer Klappe an mindestens zwei beidseitig des Scharniers gegenüberliegenden Seiten der Fall.
5.2.4 Der abhängige Anspruch 5 der D5 definiert zwar, dass die Zwischenlage an mindestens einer Seite geschwächt ist, bezieht sich aber immer noch auf die Scharnierfunktion der Matte 10. Über das Fehlen weiterer Schwächung in der Zwischenschicht und in der Dekorschicht an den im Anspruch erwähnten zwei weiteren, einander gegenüberliegenden Seiten ist in D5 nichts ausgesagt, so dass die Kombination der ersten beiden Merkmale des Kennzeichens von Anspruch 1 als nicht offenbart angesehen werden müssen. D5 offenbart nämlich nicht eindeutig und unmittelbar, dass nur eine einzige Seite der Zwischenlage geschwächt ist, und ansonsten weder die Zwischenlage noch das Oberflächendekor geschwächt sind.
6. Die in Anspruch 1 definierte Erfindung ist nicht durch den Stand der Technik nahegelegt und beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
6.1 Das Dokument D5 stellt unstrittig den nächsten Stand der Technik dar.
Die unterscheidenden Merkmale lösen auch die in D5 genannte Aufgabe, nämlich die Zerstörung oder Beschädigung von Windschutzscheibe oder Innenverkleidung bei einer Auslösung des Airbags durch die freiwerdende Energie, auf eine alternative Art und Weise zu vermeiden (vgl. Patentschrift Paragraph [0003] und D5, Paragraph [0003]).
Auch dieser Punkt ist unstrittig.
6.2 Das Dokument D5 beschreitet bei der Lösung der Aufgabe einen anderen Weg als die strittige Erfindung.
Gemäß D5 wandert bei einer Airbagauslösung das Scharnier vom Rand der Durchtrittsöffnung weg, so dass unterschiedliche Energiebeträge absorbiert werden können, siehe dazu D5, Paragraph [0008], insbesondere Seite 3/8, rechte Spalte oben, und Figur 1. Wie bereits ausgeführt, weist die strittige Erfindung gerade kein Scharnier auf, sondern bildet gemäß dem dritten Merkmal des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1 eine taschenartige oder fischmaulartige Öffnung. Somit wird bei einer Auslösung des Airbags gemäß dem Streitpatent insbesondere keine Klappe gebildet, die aufschwingt.
Die Kammer sieht daher in D5 und dem Streitpatent einen völlig anderen Funktionsmechanismus. Der Fachmann hat aber keine Veranlassung, ausgehend von D5 den dort vorgestellten Funktionsmechanismus in Frage zu stellen und Änderungen daran vorzunehmen.
Aus diesem Grund kann auch das Argument der Einsprechenden nicht überzeugen, dass Anspruch 5 der D5 bereits die Schwächung an einer einzigen Seite lehrt und der Fachmann diese Variante aus ökonomischen Gründen naheliegend betrachten würde. Selbst wenn der Fachmann nur eine einzige Seite mit einer Schwächungslinie versähe, entstünde gemäß der Lehre der D5 immer eine Klappe mit einem wandernden Scharnier und keine taschenartige oder fischmaulartige Öffnung, siehe oben, 5.2.3.
Daher ist der Gegenstand des Anspruchs 1, ausgehend von D5 nicht für den Fachmann nahegelegt.
6.3 Aus den unter 6.2 genannten Gründen kann auch die Kombination von D5 und D6 den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahelegen. Der Aufbau des in D6 beschriebenen Innenverkleidungsteils ist mit demjenigen von D5 nicht vergleichbar. Insbesondere weist dessen Zwischenschicht 42 keine Matte auf, die eine Durchtrittsöffnung für den Airbag überspannt. Dies betrifft auch den weiteren, von der Einsprechenden im Verfahren angesprochenen Stand der Technik (vgl. D11). Der Fachmann hätte keine Veranlassung, die Funktion des wandernden Scharniers zur Energiereduktion der sich öffnenden Airbagklappe in Frage zu stellen. Aus diesem Grund entspricht die Kombination von D5 mit weiteren im Verfahren befindlichen Dokumenten (D6 oder D11) einer rückschauenden Betrachtungsweise.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
- Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
- Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in der folgenden geänderten Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche: 1 bis 13 des Hilfsantrags 7 eingereicht mit Schreiben vom 2. April 2015 (jetzt Hauptantrag);
Beschreibung: Spalten 1 bis 8 eingereicht mit Schreiben vom 2. April 2015;
Figuren: 1 bis 3 der Patentschrift.