T 0841/13 () of 5.8.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T084113.20160805
Datum der Entscheidung: 05 August 2016
Aktenzeichen: T 0841/13
Anmeldenummer: 07023792.0
IPC-Klasse: B23Q 17/24
G05B 19/4069
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Arbeitsmaschine
Name des Anmelders: Index-Werke GmbH & Co. KG
Hahn & Tessky
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0176/84
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 30. Januar 2013 zur Post gegebenen Zwischen-Entscheidung wurde festgestellt, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 4 das europäische Patent Nr. 1 932 618 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung haben die Beschwerdeführerinnen 1 (Patentinhaberin) und 2 (Einsprechende) form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

III. Am 5. August 2016 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Hinsichtlich der zu Beginn der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge, der diesbezüglichen Erklärungen der Beschwerdeführerin 1 sowie des Verlaufs der Verhandlung, einschließlich der verfahrensrelevanten Erklärungen der Beschwerdeführerin 2, wird auf das Protokoll Bezug genommen.

Am Ende der Verhandlung war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerin 1 beantragte unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis eines der mit Schriftsatz vom 5. Juli 2016 als Hilfsanträge 1 bis 3 eingereichten Anspruchssätze.

Die Beschwerdeführerin 2 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

IV. Für die vorliegende Entscheidung haben die folgenden Entgegenhaltungen eine Rolle gespielt:

D1: EP-B-0 346 839;

D7: DE-A-10 2004 048 037.

V. Anspruch 1 gemäß dem als Hilfsantrag 1 bezeichneten Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:

"Drehmaschine umfassend ein Maschinengestell (10), mindestens eine am Maschinengestell (10) in einem Arbeitsraum (30) angeordnete, als Werkzeugträger ausgebildete erste Bearbeitungseinheit (12, 14) und mindestens eine an dem Maschinengestell (10) in dem Arbeitsraum (30) angeordnete, als Werkstückspindel ausgebildete zweite Bearbeitungseinheit (16), von denen mindestens eine zur Durchführung eines Arbeitsvorgangs durch eine Maschinensteuerung (48) gesteuert in dem Arbeitsraum (30) bewegbar ist, wobei der Drehmaschine eine elektronische Visualisierungseinrichtung (60) zugeordnet ist, auf welcher für eine Bedienungsperson im Arbeitsraum (30) stattfindende Arbeitsvorgänge durch Abbildungen von den als Werkzeugträger und Werkstückspindel ausgebildeten Bearbeitungseinheiten (12, 14, 16) im Wesentlichen synchron zu realen in der Drehmaschine stattfindenden Arbeitsvorgängen darstellbar sind,

dadurch gekennzeichnet, dass die elektronische Visualisierungseinrichtung (60) in einem vom Arbeitsraum (30) durch eine Schutzwand (50) getrennten Bereich angeordnet ist, dass die Visualisierungs­einrichtung (60) mit einer Visualisierungs­prozessoreinheit (80) zusammenwirkt, welche Simulationen von Arbeitsvorgängen durchführt und einen von der Maschinensteuerung (48) aufgrund eines aktuell laufenden realen Arbeitsprogramms durchgeführten realen Arbeitsvorgang durch virtuelle Bearbeitungsseinheiten (12V,14V, 16V) und Simulation von deren Bewegungen auf der Visualisierungseinrichtung (60) als virtuellen Arbeitsvorgang zeitsynchron mit dem tatsächlichen, in der Drehmaschine ablaufenden realen Arbeitsvorgang darstellt."

VI. Die (weiteren) Hilfsanträge haben für die Entscheidung keine Rolle gespielt.

VII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin 2 im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Mangelnde Neuheit über D7

Dokument D7 zeige eine Drehmaschine gemäß Oberbegriff. Der Bildschirm, Figur 2, Nr. 94 stelle eine elektronische Visualisierungseinrichtung da, die auf der Maschinenverhaubung und damit in einem vom Arbeitsraum durch eine Schutzwand getrennten Bereich angeordnet sei. Auf dieser Visualisierungseinrichtung seien gemäß Paragraf [0074] Maschinenfunktionen, beispielsweise Stellungen der Werkzeuge relativ zum Werkstück und gegebenenfalls auch noch die Werkzeugträger sowie der Werkstückträger in ihren Positionen relativ zueinander darstellbar. Wie in Paragraf [0079] weiter ausgeführt, seien in den Arbeitsraum gerichtete Kameras vorgesehen, deren Bilder ebenfalls von dem Bildschirm darstellbar sind und durch von der Maschinensteuerung generierte Symbole in ihrer Aussagekraft unterstützt werden können. Diese von der Maschinensteuerung aufgrund eines aktuell laufenden realen Arbeitsprogramms dargestellten Symbole seien als virtuelle Bearbeitungseinheiten anzusehen, die - da in Echtzeit mit dem aktuellen Kamerabild zu überlagern - zeitsynchron mit dem tatsächlich in der Drehmaschine ablaufenden realen Arbeitsvorgang dargestellt würden. Die offenbarte Visualisierung sei als Simulation im Sinne des Anspruchs anzusehen. Wie aus Paragraf [0041] und [0042] der Patentschrift ersichtlich, sei der Begriff Simulation nämlich so breit auszulegen, dass darunter bereits eine Visualisierung des Arbeitsvorgangs basierend auf von der Maschinen­steuerung entsprechend dem Arbeitsprogramm generierten Größen zu verstehen sei.

Die Entgegenhaltung D7 offenbare somit alle Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1.

Mangelnde erfinderische Tätigkeit - D1 mit der allgemeinen Fachkenntnis des Fachmanns

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe weiterhin ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die insbesondere in Spalte 17, Zeile 16 bis Spalte 18, Zeile 8 offenbarte, auf Basis des Roboter-steuerungssignals erfolgende, zeitsynchrone Darstellung grafischer Modelle von Werkzeug und Werkstück sei nämlich als Simulation des realen Arbeitsvorgang durch virtuelle Bearbeitungseinheiten und deren Bewegungen im Sinne des Anspruchs anzusehen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich daher von der Offenbarung der D1 nur dadurch, dass es sich statt eines Schweißroboters mit einer die Simulation anzeigenden Visualisierungsvorrichtung nun um eine Drehmaschine mit entsprechender Visualisierungs-vorrichtung handele.

Die technische Aufgabe sei somit darin zu sehen, die bekannte Simulationstechnologie auf eine andere Maschine zu übertragen. Eine solche Übertragung müsse jedoch als naheliegend angesehen werden, da dem Fachmann - vergleiche diesbezüglich T 0176/84 - Veröffentlichungen wie D1, die aus benachbarten technischen Gebieten stammen, bekannt seien. Der Fachmann würde daher statt der Schweissvorrichtung der D1 eine Drehmaschine vorsehen, ohne erfinderisch tätig zu sein.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VIII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin 1 im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Neuheit

Die D7 offenbare zwar eine Drehmaschine, bei der dort vorgesehenen Visualisierungseinrichtung handele es sich jedoch um ein klassisches Maschinenbedienfeld mit zusätzlicher Visualisierung der Funktionen durch ein Kamerabild. Offenbart seien weder die Darstellung virtueller Bearbeitungseinheiten noch eine deren Bewegung darstellende Simulation von Arbeitsvorgängen. So sei es im technischen Gebiet wohlbekannt, Werkzeugstellungen und Relativpositionen als numerische Größen auf einem Bildschirm anzuzeigen, wobei die Beschriftung durch Symbole intuitiver gestaltet werden könne. Nichts weiter werde in den Paragrafen [0074] und [0078] beschrieben. Der Begriff "diese Visualisierung" in Paragraf [0079] beziehe sich direkt auf die in Paragraf [0078] beschriebenen Abbildungen oder Symbole zurück, die durch die Darstellung des Kamerabildes unterstützt werden sollen. Selbst wenn hier zusätzliche Symbole generiert würden, so könnten diese nicht als virtuelle Bearbeitungseinheiten angesehen werden und es gebe keinerlei Offenbarung, dass Bewegungen dieser Symbolen zeitsynchron mit dem tatsächlichen in der Drehmaschine ablaufenden realen Arbeitsvorgang dargestellt würden.

D7 offenbare somit nicht eindeutig und unzweifelhaft alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1. Dieser sei somit neu.

Erfinderische Tätigkeit

Die Offenbarung der D1 könne den Fachmann nicht in naheliegender Weise zu dem beanspruchten Gegenstand führen. Es sei nämlich keineswegs naheliegend, einen Schweissroboter in eine Drehmaschine umzuwandeln, insbesondere auch weil dort zusätzlich die abtragende Veränderung des Werkstücks in der Simulation berücksichtigt werden müsse, für welches die in D1 offenbarten statischen grafischen Modelle nicht geeignet seien.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit über D7

D7 offenbart unstreitig eine Drehmaschine gemäß dem Oberbegriff mit einer elektronischen Visualisierungs-einrichtung die in einem vom Arbeitsraum durch eine Schutzwand getrennten Bereich angeordnet ist.

Es ist auch richtig, - wie von der Beschwerdeführerin 2 vorgebracht - dass der Begriff "Simulation von Arbeitsvorgängen" in Anbetracht der Offenbarung in Paragraf [0041] und [0042] der Patentschrift die Darstellung virtueller Bearbeitungseinheiten auf der Basis von für die realen Arbeitseinheiten der Arbeitsmaschine ermittelten Größen (ohne weitere Simulationsrechnungen) umfasst. Zu prüfen bleibt jedoch, ob D7 eine solche Darstellung unmittelbar und eindeutig offenbart.

D7, Paragraf [0074] beschreibt zwar eine Darstellung der Positionen der Werkzeuge relativ zum Werkstück und zu Werkzeug- oder Werkstückträger. Diese Darstellung kann jedoch durchaus numerisch sein. Eine bildliche Darstellung virtueller Bearbeitungseinheiten ist diesem Absatz nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.

Paragraph [0079] beschreibt das Vorsehen von in den Arbeitsraum gerichteten Kameras, deren Bilder ebenfalls auf dem Bildschirm darstellbar sind und durch von der Maschinensteuerung generierte Symbole in ihrer Aussagekraft unterstützt werden können.

Selbst wenn man diesen Paragraf im Sinne der Beschwerdeführerin 2 als direkt auf Paragraf [0074] rückbezogen läse, so offenbarte dieser nicht unmittelbar und eindeutig, dass die von der Maschinensteuerung generierten Symbole die Werkzeuge, das Werkstück oder den Werkzeugträger darstellen.

Weiterhin könnte selbst eine solche symbolhafte Darstellung der Werkzeugstellung statisch und abstrakt erfolgen (z.B. als Symbol für "Werkzeug steht frontal zum Werkstückträger" oder "Werkzeug steht seitlich zum Werkstückträger"), wie es bei Werkzeugmaschinen durchaus gebräuchlich ist. Ein solches abstraktes Symbol kann jedoch nicht als virtuelle Arbeitseinheit angesehen werden.

D7 offenbart weiterhin nicht, dass die erwähnten generierten Symbole auf der Visualisierungseinrichtung im Sinne der Darstellung eines simulierten Arbeits­vorgangs bewegt werden.

D7 offenbart daher nicht unmittelbar und eindeutig alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1. Dieser ist somit neu.

2. Erfinderische Tätigkeit - D1 mit der allgemeinen Fachkenntnis des Fachmanns

2.1 Dokument D1 offenbart einen Schweissroboter und keine Drehmaschine.

Zwar ist der Fachmann in der Wahl seines Ausgangs­punktes frei, er bleibt jedoch später grundsätzlich an diese Wahl gebunden. Dabei legt die Wahl des nächstliegenden Stands der Technik nicht nur den Ausgangspunkt der Entwicklung, sondern auch den Rahmen der Weiterentwicklung fest.

Wählt der Fachmann, wie von der Beschwerdeführerin 2 vorgetragen, einen Schweissroboter als Ausgangspunkt aus, so wird er diesen Schweissroboter weiter-entwickeln. Das Ergebnis einer solchen Weiter-entwicklung ist aber eine Weiterentwicklung innerhalb der gewählten Gattung, also ein Schweissroboter und nicht eine Drehmaschine. Ohne Kenntnis der Erfindung gibt es für den Fachmann keinerlei Veranlassung, den Schweissroboter des nächstliegenden Stands der Technik in eine Drehmaschine umzuwandeln. Der von der Beschwerdeführerin 2 vorgetragene Angriff ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik beruht daher auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.

2.2 Die Beschwerdeführerin 2 hat zur Stützung ihrer Argumentation auf die Entscheidung T 0176/84 verwiesen, gemäß derer der Fachmann auch aus benachbarten Gebieten stammende Offenbarungen zurate ziehe. In der dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sache wurde jedoch von einem gattungsgemässen Dokument ausgegangen und lediglich zur Lösung eines im Vergleich mit der gattungsgemäßen Offenbarung abgeleiteten technischen Problems auf ein Dokument des benachbarten Gebietes zurückgegriffen. Analog wäre im aktuellen Fall ausgehend von einer Drehmaschine als nächstliegendem Stand der Technik möglicherweise die Lehre des Dokuments D1 zur Lösung einer bestimmten objektiven Aufgabe vom Fachmann zu berücksichtigen gewesen. Eine solche Argumentation ist allerdings nicht vorgebracht worden. Aus der zitierten Entscheidung kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass es naheliegend wäre, ausgehend von einem aus einem benachbarten Gebiet stammenden gattungsfremden nächstliegenden Stand der Technik zu dem Erfindungsgegenstand zu gelangen.

3. Da der Gegenstand des Anspruchs 1 als neu über die Lehre der D7 und als erfinderisch über die Lehre der D1 in Zusammenschau mit der allgemeinen Fachkenntnis des Fachmanns anzusehen ist, steht keine der im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Angriffslinien der Aufrechterhaltung des Patents unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen gemäß Hilfsantrag 1 entgegen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung auf der Basis folgender Dokumente aufrecht­zuerhalten:

Ansprüche

1 bis 56 eingereicht als Hilfsantrag 1 mit Schriftsatz vom 5. Juli 2016

Beschreibung

Seiten 2 bis 11 eingereicht während der mündlichen Verhandlung

Figuren

1 bis 9 der Patentschrift

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