T 0806/13 () of 12.8.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T080613.20150812
Datum der Entscheidung: 12 August 2015
Aktenzeichen: T 0806/13
Anmeldenummer: 04764945.4
IPC-Klasse: B60T 13/66
B60T 17/22
B60T 13/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: LUFTAUFBEREITUNGSANLAGE UND VERFAHREN ZUM SICHEREN LÖSEN EINER FESTSTELLBREMSANLAGE
Name des Anmelders: KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Name des Einsprechenden: Haldex Brake Products GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 108
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1323/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 670 670 auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrags 2 in geändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 zwar neu sei, aber nicht erfinderisch gegenüber einer Kombination der Druckschriften

H8: DE-A-195 15 895 und

H6: WO-A-03/008250.

Als korrespondierende Übersetzung zu H6 lag vor:

H6a: DE-T2-602 08 804 (nachveröffentlicht).

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat zudem die Patentfähigkeit des Streitpatents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber den Druckschriften

H2: DE-A-198 35 638 oder

H3: DE-C-196 38 226

in Kombination mit H6 in Frage gestellt.

III. Am 12. August 2015 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hatte mit Schreiben vom 25. März 2014 ihre mit Eingabe vom 12. April 2013 gestellten Anträge, also auch den Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde, zurückgenommen und ihre Absicht mitgeteilt, sich im Beschwerdeverfahren nicht weiter zu äußern und an einer etwaigen mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen.

IV. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt (unter Verwendung der Merkmalsgliederung aus dem Einspruchsverfahren):

a) Luftaufbereitungsanlage (10) zum Versorgen einer Nutzkraftfahrzeugbremsanlage mit Druckluft,

b) mit einem zur Versorgung einer Feststellbremsanlage vorgesehenen Druckluftausgang (23.1),

c) der zur Belüftung mindestens eines Federspeicherzylinders (12) einer Feststellbremse und damit zum Lösen der Feststellbremse vorgesehen ist,

d) wobei der Druckluftausgang (23.1) über ein Handbremsventil (18) mit dem mindestens einen Federspeicherzylinder (12) verbunden ist und

e) bei Anwesenheit einer Person zur Führung des Nutzkraftfahrzeugs ein elektrisch auswertbarer Indikator zur Verfügung gestellt werden kann,

dadurch gekennzeichnet, dass

f) ein elektrisch betätigbares Ventil (14) vorgesehen ist, mittels welchem eine Versorgung des Druckluftausgangs (23.1) mit Druckluft verhindert werden kann,

g) das elektrisch betätigbare Ventil (14) die Versorgung des Druckluftausgangs (23.1) mit Druckluft verhindert, wenn der Indikator nicht vorliegt.

Der unabhängige Verfahrensanspruch 12 definiert ein entsprechendes Verfahren und lautet in erteilter Form wie folgt:

"Verfahren zum Belüften mindestens eines Federspeicherzylinders (12) einer Feststellbremse und damit zum Lösen der Feststellbremse einer Nutzkraftfahrzeugbremsanlage, die von einer Luftaufbereitungsanlage (10) mit Druckluft versorgt wird, wobei die Luftaufbereitungsanlage einen zur Versorgung der Feststellbremsanlage vorgesehenen Druckluftausgang (23.1) aufweist, der über ein Handbremsventil (18) mit dem mindestens einen Federspeicherzylinder (12) verbunden ist, wobei bei Anwesenheit einer Person zur Führung des Nutzkraftfahrzeugs ein elektrisch auswertbarer Indikator zur Verfügung gestellt werden kann,

dadurch gekennzeichnet,

- dass ein elektrisch betätigbares Ventil (14) vorgesehen ist, mittels welchem eine Versorgung des Druckluftausgangs (23.1) mit Druckluft verhindert werden kann, und

- dass das elektrisch betätigbare Ventil (14) die Versorgung des Druckluftausgangs (23. 1) mit Druckluft verhindert, wenn der Indikator nicht vorliegt."

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die erfindungsgemäße Luftaufbereitungsanlage enthalte ein Ventil, das jegliche Druckluftversorgung des Handbremsventils und damit der Federspeicherzylinder genau dann verhindern könne, wenn eine Sensorik im Nutzfahrzeug feststelle, dass sich der Fahrer nicht im Fahrzeug befinde. Deshalb könne sich das Fahrzeug nicht in Bewegung setzen, wenn der Fahrer es verlassen habe.

Die Druckschrift H8 betreffe eine herkömmliche Luftaufbereitungsanlage mit einem Druckluftausgang für den Feststellbremskreis sowie einem dem Druckluftausgang vorgelagerten Befüllventil 40.3. Extern an dem Ausgang sei ein Druckluftbehälter angeschlossen sei, mit dem ein in H8 nicht explizit dargestelltes Feststellbrems­ventil verbunden sei, das die Funktion eines Löseventils habe. Die wesentlichen Ventilkomponenten in H8 seien also ein zur Luftaufbereitungsanlage gehörendes "Befüllventil" und ein "Löseventil" als Teil der Peripherie der Luftaufbereitungsanlage. Durch Abtrennung des Druckluft­ausgangs von der Druckluftversorgung werde eine Befüllung des Feststellbremskreises mit Druckluft erst gestattet, wenn ein ausreichender Druck für die Betriebsbremse vorliege. H8 befasse sich ausschließlich mit der Beeinflussung des Befüllventils.

Die Druckschrift H6/H6a betreffe eine andersartige Luftaufbereitungsanlage mit integrierter elektrischer Feststellbremse. Ein in die Luftaufbereitungsanlage integriertes Löseventil 27 steuere die an einen pneumatischen Ausgang der Luftaufbereitungsanlage direkt angeschlossenen Federspeicherzylinder direkt an und übernehme damit die Aufgabe des ansonsten extern angeordneten Handbremsventils. Es sei erforderlich, das Löseventil 27 mit einem Versorgungsdruck, von einem außerhalb der Luftaufbereitungsanlage angeordneten Behälter geliefert, zu beaufschlagen. Dieser Behälter müsse über ein Befüllventil zunächst befüllt werden. Ferner beschreibe H6a, dass das Lösen der Parkbremse nur bei in der Fahrerkabine anwesendem Fahrer erlaubt werde (Absatz [0065]). Ein Befüllventil sei nicht erwähnt; es gehe nur um die Ansteuerung des Löseventils.

Die erfindungsgemäß geforderte Sicherheitsfunktion sei in H8 nicht durch eine in die Luftaufbereitungsanlage integrierte Maßnahme zu erzielen, da ein Absperren eines dem Druckluftausgang für die Feststellbremsanlage vorgeordneten Ventils 40.3 dazu führen würde, dass der dem Druckluftausgang nachgeordnete Behälter 37.3 leer bliebe. Um auch in H8 eine Beeinflussung der Löseventilfunktion zu realisieren, wie von der H6 vorgeschlagen, sei in jedem Fall Einfluss auf eine Position stromabwärts des Behälters zu nehmen. Der Fachmann würde den dem Streitpatent zugrunde liegenden Sicherheitsaspekt außerhalb der Luftaufbereitungsanlage realisieren, indem er ein elektrisch ansteuerbares Ventil zwischen Behälter und Handbremsventil oder zwischen Handbremsventil und Federspeicher anordne oder das Handbremsventil gegen ein elektrisches Handbrems­ventil austausche. In keinem Fall würde der Fachmann das Befüllventil gemäß H8 in Abhängigkeit der Anwesenheit des Fahrers steuern, denn hierdurch ergäben sich andere Wirkungen. In H6 gehe es nicht darum, eine Befüllung des Behälters der Feststellbremsanlage zu verhindern, sondern um die Steuerung des Elektroventils, das für das Lösen der Parkbremse sorge (Absatz [0065]). Da es sich bei dem Befüllventil nicht um das Ventil für das Lösen der Parkbremse handele, habe der Fachmann bei Berücksichtigung der Lehre von H6 keine Veranlassung, Veränderungen im Bereich des Befüllventils der Anlage gemäß H8 vorzunehmen. In H6 seien sämtliche Funktionen des Feststellbremssystems in die Luftaufbereitungsanlage integriert, auch die der Erfindung des Streitpatents zugrunde liegende Sicherheitsfunktion, ohne dass damit ein Hinweis gegeben werde auf eine sinnvolle und praxis­taugliche Integration dieser Sicherheitsfunktion bei einer herkömmlichen Luftaufbereitungsanlage gemäß H8.

Die Erfindung greife in den Wirkungsbereich eines Ventils innerhalb der Luftaufbereitungsanlage ein. Sei die Luftaufbereitungsanlage über einen Behälter mit dem Handbremsventil verbunden, werde in Abhängigkeit der Anwesenheit des Fahrers eine Befüllung des Behälters zugelassen oder verhindert. Dieser Gedanke sei der H8 und auch der H6 fremd. Wenn das Handbremsventil ohne zwischengeschalteten Behälter direkt am Ausgang der Luftaufbereitungsanlage angeschlossen sei, führe die konsequente Anwendung einer Kombination von H8 und H6 dazu, das externe Handbremsventil wegzulassen und die Feststellbremse direkt durch ein elektrisches Ventil innerhalb der Luftaufbereitungsanlage zu steuern, das für das Lösen der Parkbremse sorge. Dies sei erfindungs­gemäß nicht vorgesehen. Die Erfindung halte am Konzept des Handbremsventils fest und sehe zusätzlich - im Hinblick auf ein die Betriebssicherheit verbesserndes klassisches Anlagenkonzept - das elektrische Ventil vor, das abhängig von der Anwesenheit des Fahrers arbeite.

VI. Das schriftliche Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Die Druckluft-Versorgungseinrichtung gemäß H8 verfüge über einen Druckluftausgang zu einem Feststellbrems­kreis III, wobei die Funktionsweise der Feststellbremsanlage zwingend den Einsatz eines Handbremsventils erfordere, wie auch in der Entscheidung T 1323/08 festgestellt. Elektrisch betätigbare Ventile, welche eine Versorgung des Druckluftausgangs mit Druckluft verhindern könnten, seien in H8 mit den Ventilen 40.3 (Figur 1), 65.3 und 66.3 (Figur 2) sowie 69. 3 (Figur 3) gebildet. Die Versorgung des Druckluftausgangs mit Druckluft werde z. B. verhindert, wenn als Indikator ein Betriebsdruck in den Kreisen I und II nicht erreicht werde. Aus H8 sei lediglich nicht bekannt, dass als Indikator gemäß Merkmal e) die Anwesenheit bzw. Abwesenheit einer Person zur Führung des Nutzkraftfahrzeugs verwendet werde. Zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe, die Sicherheit des Betriebs des Fahrzeugs zu erhöhen, werde der Fachmann in H6/H6a fündig. H6 lehre, dass das Lösen der Parkbremse durch die Steuereinheit nur dann erfolgen solle, wenn der Druck in den Betriebsbremskreisen ausreichend sei (wie in H8) und der Fahrer in der Fahrerkabine anwesend sei. Die Berücksichtigung eines weiteren, aus einer anderen Druckschrift nahegelegten Indikators erfordere lediglich eine Anpassung der Programmierung des Steuergeräts ohne weitere konstruktive Anpassung. Die erfinderische Tätigkeit gegenüber einer Kombination von H6 mit H8 sei somit nicht gegeben.

Aus der Beschwerdebegründung sei unter II.1 nicht ohne weiteres ersichtlich, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung falsch sei, so dass bereits fraglich sei, ob die Beschwerde in zulässiger Weise begründet sei. Die Beschwerdebegründung setze sich nicht mit dem Wortlaut der Merkmale auseinander und führe nicht aus, welche Merkmale aus welchem Dokument bekannt und nicht bekannt seien. Die gesamten Ausführungen seien allenfalls als Vorüberlegungen anzusehen, welche nicht erläuterten, weshalb eine erfinderische Tätigkeit gegeben sein sollte. Letztlich beschränkten sich die Ausführungen auf Seite 5, erster Absatz der Beschwerdebegründung, insbesondere auf den Passus "...aber auch ohne jeglichen Hinweis darauf, wie eine sinnvolle und praxistaugliche Integration dieser Sicherheits­funktion bei einer herkömmlichen Luftaufbereitungsanlage gemäß H8 möglich sein könnte." Diese Behauptung sei nicht näher substantiiert und zudem falsch, da eine sinnvolle und praxistaugliche Integration der aus H6a bekannten Sicherheitsfunktion durch entsprechende Programmierung der elektronischen Steuereinheit 57 von H8 erfolge. Es sei weder Gegenstand der Ansprüche, dass kein Druckbehälter vorhanden sei, noch seien Merkmale zur Zeitdauer bis zum fahrbereiten Zustand des Fahrzeugs in den Ansprüchen vorhanden.

Die Patentfähigkeit des Streitpatents sei auch wegen mangelnder Neuheit gegenüber H6/H6a nicht gegeben. Gemäß dem ersten kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1 von H6a speise ein Luftauslass 26 ein Betätigungsorgan zum Lösen der Parkbremse, wenn das Betätigungsorgan mit Druckluft mit geeignetem Druck versorgt werde. Dieses Betätigungsorgan sei ein Handbremsventil zwischen dem Druckluftausgang und einem Federspeicher­zylinder gemäß Merkmal d). Es werde auch kontrolliert, ob der Fahrer in der Kabine anwesend sei, um das Lösen der Parkbremse zu erlauben, und durch eine Kombination verschiedener Bedingungen steuere die elektronische Steuereinheit das Elektroventil 27 des Moduls 16, das für das Lösen der Parkbremse sorge. Damit sei auch Merkmal e) bekannt. Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht, dass das Handbremsventil unmittelbar mechanisch und manuell betätigt werde, sondern dies könne auch unter Zwischenschaltung eines elektrischen Aktuators erfolgen. Darüber hinaus müsse es sich bei dem Handbremsventil und dem elektrisch betätigbaren Ventil nicht zwingend um zwei separat voneinander ausgebildete Ventile handeln. Bei dem Ventil 27 aus H6a handele es sich um ein Handbremsventil und auch um ein elektrisches Ventil. Falls der Patentanspruch ein Handbremsventil und ein separat davon ausgebildetes elektrisch betätigbares Ventil zum Gegenstand haben sollte, offenbare H6a zusätzlich zum Handbremsventil 27 ein weiteres elektrisch betätigbares Ventil, welches die Versorgung des Druckluftausgangs mit Druckluft verhindere: Gemäß Absatz [0060] umfasse der Kern 37 des Körpers 2 der Luftverarbeitungsvorrichtung gemäß Figur 3 "bekannte elektropneumatischen Organe, die im Folgenden nicht im Einzelnen beschrieben werden". Hierbei handele es sich um die in jeder Druckluftaufbereitungsanlage vorhandenen Mehrkreisschutzventile, welche eine Versorgung der Druckluftausgänge mit Druckluft verhindern könnten. Der Fachmann lese ein derartiges elektrisch angesteuertes Mehrkreisschutzventil bei H6a mit.

Auch die Dokumente H3 oder H2 offenbarten sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 bis auf das Merkmal e), wobei der Fachmann das fehlende Merkmal aus H6/H6a entnehmen könne. In H2 werde dabei ein Handbremsventil gemäß Merkmal d) als zwingender Bestandteil im Kreis 3 der Feststellbremsanlage mitgelesen (vgl. T 1323/08).

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdegegnerin hat zwar in Zweifel gezogen, dass die Beschwerde in zulässiger Weise begründet sei. Diese Bedenken kann die Kammer jedoch nicht teilen. Zum einen nimmt die Beschwerdeführerin explizit auf die angefochtene Entscheidung und die darin vertretene Auffassung der Einspruchsabteilung Bezug, dass es den erteilten Ansprüchen gegenüber einer Kombination der Dokumente H8 und H6/H6a an einer erfinderischen Tätigkeit fehle. Da im Einspruchsverfahren unbestritten war, dass H8 alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 bis auf Merkmal e) zeigt, kann dabei auf eine detaillierte Merkmalsanalyse gegenüber dem Stand der Technik verzichtet werden. Zum anderen diskutiert die Beschwerdeführerin "nachfolgend die diesbezüglich relevanten Aspekte" (siehe Seite 3, Absatz 3 der Beschwerdebegründung). Sie weist (Seite 4, Absatz 2) auf die in H6a beschriebene Luftaufbereitungs­anlage mit integrierter elektrischer Feststellbremse hin, welche ein Lösen der Parkbremse nur bei Anwesenheit des Fahrers erlaube, und erläutert (Seite 4, Absatz 3), warum diese Sicherheitsfunktion bei H8 nicht durch eine in die Luftaufbereitungsanlage integrierte Maßnahme zu erzielen sei. Die auf Seite 5, erster Absatz der Beschwerde­begründung aufgestellte Behauptung ist nach Auffassung der Kammer daher durchaus substantiiert und die Beschwerde ausreichend begründet (Artikel 108 EPÜ in Verbindung mit Regel 99 (2) EPÜ). Ob eine aufgestellte Behauptung dabei letztendlich sachlich zu überzeugen vermag, ist für die Beurteilung der Zulässigkeit unerheblich.

2. Die Kammer teilt auch die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung, dass der auf eine Luftaufbereitungsanlage zum Versorgen einer Nutzkraftfahrzeugbremsanlage gerichtete Gegenstand gemäß Anspruch 1 aufgrund des Merkmals d) ("Druckluftausgang über ein Handbremsventil mit dem mindestens einen Federspeicherzylinder verbunden") auch ein Handbrems­ventil und mindestens einen Federspeicherzylinder umfasst, da der Begriff "verbunden" eine zwingende Verbindung - und keine optionale Verbindbarkeit - des Druckluftausgangs mit diesen weiteren Komponenten ausdrückt. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren auch nicht mehr bestritten.

3. Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ 1973)

Die Neuheit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 ist anzuerkennen.

Die Beschwerdegegnerin hat mangelnde Neuheit gegenüber H6/H6a argumentiert. Dem kann die Kammer jedoch nicht folgen, da in H6/H6a eine Luftaufbereitungsanlage mit integrierter elektrische Feststellbremse gezeigt ist (vgl. dazu auch die Entscheidung T 1323/08 dieser Kammer zu einem Familiendokument der H6/H6a) und damit eine direkte Verbindung des Druckluftausgangs der Luftaufbereitungsanlage mit dem Aktuator der Feststellbremse in Form eines Federspeicherzylinders, d. h. dem Betätigungsorgan der Parkbremsanlage (siehe H6a, Absatz [0006]). Das in H6/H6a gezeigte Ventil 27 ist zwar als elektrisch betätigbares Ventil im Sinne von Merkmal f) aufzufassen, jedoch ist Merkmal d) nicht erfüllt, da der Druckluftausgang in H6/H6a direkt ohne Zwischenschaltung eines Handbremsventils mit dem Federspeicherzylinder verbunden ist. Die Kammer folgt nicht der Argumentation der Beschwerdegegnerin, dass das in H6/H6a beschriebene Betätigungsorgan zum Lösen der Parkbremse (H6a: Absatz [0006]) als Handbremsventil aufzufassen ist. Wie insbesondere aus der vorveröffentlichten H6 hervorgeht (Seite 14, Absatz 2: "module (16) délivre une pression qui agit sur un actionneur qui s'oppose au serrage du frein de parc"), handelt es sich bei diesem Betätigungsorgan nicht um ein Ventil, sondern um einen Aktuator der Parkbremse, der dem Anziehen der Parkbremse entgegenwirkt.

Es ist anzuerkennen, dass das in Merkmal d) nicht näher definierte Handbremsventil auch unter Zwischenschaltung eines elektrischen Aktuators manuell betätigt werden oder selbst als elektrisch betätigbares Ventil ausgebildet sein kann. Wird das in H6/H6a gezeigte Ventil 27 in diesem Sinne als Handbremsventil aufgefasst, so ist Merkmal d) erfüllt, wenn der Ausgang des in H6/H6a als Kern 37 bezeichneten Anlagenteils den Druckluftausgang darstellt. Allerdings ist in diesem Fall Merkmal f) nicht gezeigt, da das Ventil 27 nach Auffassung der Kammer nicht gleichzeitig auch das elektrisch betätigbare Ventil im Sinne von Merkmal f) darstellen kann. Die nicht isoliert zu betrachtenden, sondern in Verbindung stehenden Merkmale d) und f) definieren nach Auffassung der Kammer in Kombination eine Anordnung von in Reihe geschalteten Komponenten zur pneumatischen Ansteuerung eines Federspeicherzylinders, wobei der Begriff "Versorgung des Druckluftausgangs" auch eine Strömungsrichtung der Druckluft und damit eine Reihenfolge der Anordnung in Bezug auf den Druckluftausgang festlegt: ein elektrisch betätigbares Ventil versorgt den Druckluftausgang mit Druckluft (Merkmal f)), die von dort über ein Handbremsventil zum Federspeicherzylinder geführt wird (Merkmal d)). Der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 verlangt also zwei Ventile, und zwar ein dem Druckluftausgang vorgeschaltetes elektrisch betätigbares Ventil und ein stromabwärts angeordnetes Handbremsventil.

Die Beschwerdegegnerin hat zwar für diesen Fall auf die vom Kern 37 umfassten "bekannten elektropneumatischen Organe" hingewiesen (H6a, Absatz [0060] bzw. Seite 13, Zeile 19 ff. in H6), die auch für eine Verteilung der erzeugten Luft zu den Reservoirs der Betriebsbrems­kreise des Motorfahrzeugs und eines eventuellen Anhängers sorgen (H6a, Absatz [0062]; H6, Seite 13, Zeile 28 ff.). Der H6/H6a sind aber keine weiteren Details zur pneumatischen Verschaltung innerhalb des Kerns 37 zu entnehmen, z. B. ob das Reservoir des Anhängerbrems­kreises auch den Feststellbremskreis mit Druckluft versorgt, ob nicht auch (wie im Streitpatent) einige Ventile - wie z. B. Überströmventile - rein pneumatisch gesteuert sind und wie das elektrisch betätigbare Ventil 27 in Bezug auf Ventile oder elektropneumatische Organe angeordnet ist. Der Fachmann mag zwar Mehrkreisschutzventile in H6 mitlesen, eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung von elektrischen Mehrkreisschutzventilen ist allerdings nicht gegeben. Im Übrigen würde unter der Annahme, dass dem Ventil 27 noch ein elektrisch betätigbares Ventil im Kern 37 vorgeschaltet wäre, ein weiterer Unterschied zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 darin bestehen, dass Merkmal g) eine Ansteuerung dieses elektrisch betätigbaren Ventils in Abhängigkeit des Indikators zur Anwesenheit des Fahrers fordert. H6/H6a zeigt aber gerade, dass eine solche Ansteuerung nicht im Kern 37 der Druckluftversorgung vorgenommen wird, sondern mittels des Ventils 27, also des Handbremsventils.

Da die aus H6/H6a vorbekannte Luftaufbereitungsanlage somit nicht alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 zeigt, erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 54 (1) EPÜ 1973.

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

4.1 Ausgehend von einer der Druckschriften H8, H3 oder H2 beruht der Gegenstand der erteilten unabhängigen Ansprüche 1 und 12 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4.2 Es ist zwischen den Parteien unstrittig, dass ausgehend von der Druckschrift H8 als nächstliegendem Stand der Technik das Merkmal e) des erteilten Anspruchs 1 nicht in H8 gezeigt ist, wie auch in der angefochtenen Entscheidung festgestellt wurde.

Dabei ist vorausgesetzt, dass die Funktionsweise der Feststellbremsanlage gemäß H8 zwingend ein am Druckluftausgang des Feststellbremskreises extern angeschlossenes Handbremsventil erfordert (Merkmal d)) und dass mit Merkmal g) - auch wenn mit "der Indikator" ein Rückbezug auf einen bereits vorher definierten Indikator suggeriert wird - ein noch nicht näher spezifizierter Indikator gemeint ist (H8 zeigt beispielsweise, dass die Versorgung des Feststellbrems­kreises verhindert wird, wenn ein Betriebsdruck in den Betriebsbremskreisen nicht erreicht wird).

Aus H8 ist also nicht bekannt, bei Anwesenheit einer Person zur Führung des Nutzkraftfahrzeugs einen elektrisch auswertbaren Indikator zur Verfügung zu stellen und (wie mit Merkmal g) gefordert) die Versorgung des Druckluftausgangs (zur Versorgung einer Feststellbremsanlage, siehe Merkmal b)) mit Druckluft zu verhindern, wenn dieser Indikator nicht vorliegt. So wird ein unbeabsichtigtes Lösen der Feststellbrems­anlage verhindert, wenn der Fahrer nach Lösen der Handbremsbetätigung das Fahrzeug verlässt. Da der Wortlaut von Anspruch 1 sich über Druckluftbehälter am Druckluftausgang ausschweigt, umfasst der beanspruchte Gegenstand Anlagen mit und ohne Druckluftbehälter.

Ist der Fachmann mit der Aufgabe konfrontiert, ein unbeabsichtigtes Lösen der Feststellbremse zu verhindern, mag er auf die Druckschrift H6/H6a stoßen, in der dieses Problem angesprochen wird. Entscheidend ist vorliegend, ob der Fachmann bei Anwendung der in H6/H6a für eine Luftaufbereitungsanlage mit elektrischer Feststell­bremse beschriebenen Lehre auf die aus H8 bekannte Anlage in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen würde.

H8 zeigt eine Luftaufbereitungsanlage mit mehreren Ausführungsformen eines Vierkreisschutzventils, welches die Druckluft auf die verschiedenen Verbraucherkreise verteilt und diese gegeneinander bei Ausfall eines Kreises absichert und auch die vorrangige Befüllung beispielsweise der Betriebsbremskreise sicherstellt (d. h. erst wenn in beiden Betriebsbremskreisen der Betriebsbremsdruck erreicht ist, wird eine Befüllung weiterer Verbraucherkreise wie des Feststellbrems­kreises erlaubt). Die mit Druckluft zu befüllenden Druckluftbehälter sind in Figur 1 in H8 gezeigt. Dem Druckluftausgang des Feststellbremskreises III ist ein elektrisch betätigbares Ventil 40.3, 66.3 oder 69.3 vorgeschaltet (Figuren 1 bis 3), welches zum Zwecke der Befüllung des Feststellbremskreises durch eine Steuerelektronik angesteuert wird. Auch in H6/H6a mag der Fachmann ein Mehrkreisschutzventil in dem als Kern 37 der Luftaufbereitung bezeichneten Teil der Anlage mitlesen, welcher in H6/H6a als bekannt vorausgesetzt und nicht im Einzelnen beschrieben ist und für eine Verteilung der erzeugten Luft zu den Reservoirs des vorderen und hinteren Bremskreises und eines eventuellen Anhängers sorgt (H6, Seite 13, Zeile 19 bis Seite 14, Zeile 2; entspricht Absatz [0060] bis [0062] der H6a). H6/H6a beschreibt gerade nicht, dass innerhalb dieses für die Sicherheit der Druckluft­versorgung entscheidenden Anlagenteils 37 Einfluss auf Steuerungsfunktionen der Parkbremse genommen wird. Vielmehr werden (siehe Absätze [0063] bis [0065]) sowohl die Ansteuerung der Parkbremse als auch zusätzliche Sicherheits­funktionen der Parkbremse, wie mit den Merkmalen e) und g) spezifiziert, durch Ansteuerung eines nachgeschalteten Elektromagnetventils realisiert. Aus diesem Grund ist die Kammer der Auffassung, dass der Fachmann bei Kenntnis der Lehre von H6/H6a keine Modifikation des Vierkreisschutz­ventils aus H8 in Betracht ziehen würde, d. h. keine Änderung der Ansteuerung des in H8 für die Befüllung des Feststellbremskreises vorgesehenen Ventils 40.3, 66.3 oder 69.3 (Figuren 1 bis 3).

Die Lehre von H6/H6a kann dem Fachmann allenfalls nahelegen, ein elektrisch betätigbares Ventil in H8 hinter dem Vierkreisschutzventil vorzusehen, und zwar der Lehre von H6/H6a folgend hinter einem Punkt der pneumatischen Schaltung in H8 zur Versorgung des Feststellbremskreises mit Druckluft, da eine Druckluftzufuhr zum Betätigungsorgan der Feststellbremse abhängig von der Anwesenheit des Fahrers sicher unterbunden werden soll. Dies entspricht dem in H8 mit "III" bezeichneten Ausgang der Geräteeinheit 63 bzw. des Vorratsbehälters 37.3 des Feststellbrems­kreises III, an den - wie bereits ausgeführt - das Handbremsventil und der Federspeicherzylinder angeschlossen sind. Damit wäre das elektrisch betätigbare Ventil, welches der Lehre von H6/H6a folgend bei Abwesenheit des Fahrers angesteuert werden soll, hinter dem Druckluftausgang der Luftaufbereitungsanlage zur Versorgung der Feststellbremsanlage angeordnet, also nicht vor dem Druckluftausgang wie mit Merkmal f) gefordert.

Die angefochtene Entscheidung bezieht sich nicht explizit auf eine pneumatische Schaltung, welche bei Kombination der Dokumente H8 und H6/H6a als naheliegend angesehen wurde. Allerdings wird verwiesen auf eine "Unterbrechung der Luftzufuhr zum Vorratsbehälter" des Feststellbremskreises und der damit verbundenen zusätzlichen Verzögerung (bevor der Fahrer losfahren kann). Die Einspruchsabteilung scheint demnach von einem Absperren der Druckluftversorgung des Feststellbrems­kreises vor dem Druckluftbehälter 37.3 ausgegangen zu sein. Dies bedeutet letztlich eine Ansteuerung des im Vierkreisschutzventil von H8 vorgesehenen elektrisch betätigbaren Ventils zum Befüllen des Vorratsbehälters. Wie bereits im vorigen Absatz ausgeführt, wird dies nicht als eine sich aus der Lehre von H6/H6a ergebende naheliegende Lösung angesehen. Es scheint, dass die Einspruchsabteilung insbesondere den Fall eines noch nicht ausreichend befüllten Druckluftbehälters des Feststellbrems­kreises betrachtet hat, da dann bei Absperren des Ventils 40.3 bei Abwesenheit des Fahrers ein Lösen der Feststellbremse nur verzögert erfolgen kann. Dem ebenfalls sicherheitskritischen Fall, dass der Fahrer nach Lösen der Feststellbremsbetätigung das Fahrzeug bei befülltem Druckluftbehälter des Feststellbremskreises verlässt, kann durch Absperren des Befüllventils 40.3 jedoch nicht begegnet werden, d. h. das Sicherheitsproblem eines z. B. an einer leichten Steigung unbeabsichtigt langsam losrollenden Fahrzeugs wird durch ein Absperren des Ventils 40.3 nicht gelöst. Die Kammer kann der Beschwerdegegnerin also nicht zustimmen, dass in H8 lediglich eine Anpassung der Programmierung des Steuergeräts - und zwar hinsichtlich der Ansteuerung des Ventils 40.3, 66.3 oder 69.3 - ohne weitere konstruktive Anpassung erforderlich wäre.

Eine Weiterbildung von H8 unter Berücksichtigung der Lehre von H6/H6a würde den Fachmann veranlassen, ein elektrisch betätigbares Ventil stromabwärts hinter dem Druckluftausgang vor oder hinter dem inhärent in H8 vorgesehenen Handbremsventil anzuordnen (Fall A oder B) oder alternativ das Handbremsventil durch ein elektrisch betätigbares Handbremsventil zu ersetzen (Fall C):

In den Fällen A und B gelangt man nicht zu der durch die Merkmale d) und f) definierten Schaltung, welche in Strömungsrichtung der Druckluft eine definierte Reihenfolge von Schaltungsteilen vorschreibt, und zwar "elektrisch betätigbares Ventil - Druckluftausgang - Handbremsventil - Federspeicherzylinder". Im Fall B wäre das elektrisch betätigbare Ventil stromabwärts hinter dem Handbremsventil angeordnet, im Fall A hinter dem Druckluftausgang, wobei als Druckluftausgang der Ausgang der als Geräteeinheit 63 angedeuteten Druckluft­versorgungs­einrichtung 10.1 angesehen wird.

Im Fall C - also der Abkehr von einem klassischen Handbremsventil wie gerade in H6/H6a gezeigt - verbindet ein elektrisch betätigbares Ventil den Druckluftausgang mit dem Federspeicherzylinder wie mit Merkmal d) gefordert, welches der Lehre von H6/H6a folgend in Abhängigkeit der Anwesenheit des Fahrers angesteuert würde. Allerdings fehlt dann ein in Strömungsrichtung vor dem Druckluftausgang angeordnetes elektrisch betätigbares Ventil im Sinne der Merkmale f) und g), welches die Versorgung des Druckluftausgangs bei Abwesenheit des Fahrers verhindert.

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 wird somit gegenüber einer Kombination der Druckschriften H8 und H6/H6a als erfinderisch angesehen.

4.3 Ausgehend von H3 als nächstliegendem Stand der Technik ist ebenfalls eine Luftaufbereitungsanlage mit allen Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 mit Ausnahme von Merkmal e) gezeigt (Figur 1), wobei an einen Druckluftausgang ein Handbremsventil 31 und ein Federspeicherzylinder 34 angeschlossen sind. In H3 erfolgt ebenfalls eine vorrangige Befüllung der Betriebsbremskreise, wobei bis zum Erreichen eines Drucks zur Gewährleistung einer Mindestverzögerung des Kraftfahrzeugs ein Regenerations-Magnetventil 16 umgeschaltet wird. Dabei wird der Steueranschluss 35 eines Drucksicherungsventils 23'' mit Druckluft beaufschlagt und die Versorgungsleitung 32 abgesperrt, so dass eine Betätigung des Handbremsventils 31 nicht zu einem Lösen der Feststellbremsanlage führen kann. Da der Druckregler sich dabei noch in der Lastphase befindet, kann keine Regeneration ausgesteuert werden; diese ist nur möglich, wenn der Druckregler sich in der Leerlaufphase befindet.

Entnimmt der Fachmann also der H6/H6a die Lehre, die Zufuhr von Druckluft zum Federspeicherzylinder in H3 auch bei Abwesenheit des Fahrers zu verhindern, so wird er dazu nicht das Regenerations-Magnetventil 16 ansteuern, da außerhalb der Lastphase damit eine Regenerationsphase eingeleitet würde. Außerdem würde der Fachmann, wie bereits zu H8 ausgeführt, auch in H3 allenfalls stromabwärts hinter dem Druckluftausgang zur Versorgung der Feststellbremsanlage ein zusätzliches elektrisch betätigbares Ventil vorsehen. Dies würde aber nicht zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 führen (siehe die bereits weiter oben diskutierten Fälle A, B und C).

Anders als in H8 ist in H3 der Druckluftausgang des Feststellbremskreises gemäß Figur 1 nicht direkt an einen Druckluftbehälter angeschlossen, sondern über ein Rückschlagventil 33 an den Druckluftbehälter 27'' eines weiteren Kreises. Der Fachmann mag (abweichend vom Fall A) der Lehre von H6/H6a folgend deshalb angeregt sein, ein elektrisch betätigbares Ventil innerhalb des Gehäuses 1 der Druckluftbeschaffungsanlage aus H3 stromabwärts des Rückschlagventils 33 anzuordnen, weil ein Absperren ohne Auswirkung auf die Befüllung des Behälters 27'' bliebe. Die Kammer kann aber nicht erkennen, wieso der Fachmann in diesem Fall der Lehre von H6/H6a folgend nicht eine direkte Verbindung des Druckluftausgangs mit dem Federspeicherzylinder 34 vorsehen würde, d. h. ohne zwischengeschaltetes Handbremsventil 31, da die Lehre von H6/H6a gerade die Abkehr von einem klassischen Handbremsventil nahelegt. Damit würde der Fachmann aber auf Merkmal d) verzichten.

Die Ausführungsform gemäß Figur 2 in H3 zeigt bereits ein elektrisch betätigbares Sperrventil 41 vor dem Handbremsventil 31, allerdings unmittelbar hinter dem Druckluftbehälter 27'' und außerhalb des Gehäuses 1 und damit hinter dem zur Versorgung der Feststellbremse vorgesehenen Druckluftausgang. Würde man die aus H6/H6a bekannte Ansteuerung bei Abwesenheit des Fahrers für das Sperrventil 41 vorsehen, so ist Merkmal f) nicht erfüllt. Denn nach Auffassung der Kammer ist der in Anspruch 1 spezifizierte "Druckluftausgang" "zur Versorgung einer Feststellbremsanlage" (Merkmal b)) in Figur 2 der H3 mit dem Gehäuseausgang der Leitung 32 aus dem Gehäuse 1 zu identifizieren, da an diesem Ausgang die Versorgung der Feststellbremsanlage mit Druckluft erfolgt.

4.4 Die von der Beschwerdegegnerin schließlich noch vorgetragene Argumentationslinie ausgehend von H2 als nächstliegendem Stand der Technik führt mit gleicher Begründung wie bereits ausgehend von H8 oder H3 argumentiert, egal ob am Druckluftausgang für den in H2 gezeigten Kreis K3 der Feststellbremsanlage ein Druckluftbehälter vorgesehen ist (wie in H8) oder nicht (wie in Figur 1 der H3), nicht zum Erfolg.

4.5 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht also ausgehend von H8, H3 oder H2 unter Berücksichtigung der Lehre von H6/H6a auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4.6 Somit erfüllt der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gemäß dem vorliegenden Antrag die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973.

4.7 Der auf ein Verfahren zum Belüften mindestens eines Federspeicherzylinders einer Feststellbremse gerichtete erteilte Anspruch 12 spezifiziert, dass ein elektrisch betätigbares Ventil, angeordnet in Bezug auf den Druckluftausgang in einer Luftaufbereitungs­anlage wie bereits im Zusammenhang mit Anspruch 1 diskutiert, die Versorgung des Druckluftausgangs mit Druckluft verhindert, wenn der Indikator für die Anwesenheit einer Person zur Führung des Nutzkraftfahrzeugs nicht vorliegt. Nachdem die Luftaufbereitungsanlage gemäß Anspruch 1 als erfinderisch erachtet wird, gilt dies in gleicher Weise für das auf diese Anlage angewendete Verfahren gemäß Anspruch 12.

5. Die beanspruchte Luftaufbereitungsanlage gemäß Anspruch 1 sowie das korrespondierende Verfahren gemäß Anspruch 12 des Streitpatents, wie auch gemäß der auf Anspruch 1 bzw. 12 rückbezogenen Unteransprüche, sind damit neu und erfinderisch gemäß Artikel 54(1) EPÜ 1973 sowie Artikel 56 EPÜ 1973. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 steht der Aufrechterhaltung des erteilten Patents somit nicht entgegen. Weitere Angriffslinien wurden von der Beschwerdegegnerin nicht vorgetragen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent wird in der erteilten Fassung aufrechterhalten.

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