European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T079313.20170321 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 21 März 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0793/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04730797.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K 9/14 A61K 9/20 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | FESTE PHARMAZEUTISCHE ZUBEREITUNG ENTHALTEND LEVOTHYROXIN- UND/ODER LIOTHYRONINSALZE | ||||||||
Name des Anmelders: | Globopharm Pharmazeutische Produktions- und Handelsgesellschaft m.b.H. |
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Name des Einsprechenden: | Merck Patent GmbH Hexal AG |
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Kammer: | 3.3.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Spät eingereichter Antrag - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja) Änderungen - Erweiterung des Schutzbereichs (nein) Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein) Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein) Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein) Einspruchsgründe - mangelnde Klarheit kein Einspruchsgrund Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 1 622 587 wurde mit fünfzehn Patentansprüchen erteilt.
Die Ansprüche 1 und 2 haben den folgenden Wortlaut:
"1. Feste pharmazeutische Zubereitung enthaltend wasserlösliche Salze von Levothyroxin und/oder Liothyronin als Wirkstoff, dadurch gekennzeichnet, dass die Wasseraktivität der pharmazeutischen Zubereitung bei Raumtemperatur gemessen auf Werte unter 0,4 und über 0,1 eingestellt ist.
2. Pharmazeutische Zubereitung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Wasseraktivität der pharmazeutischen Zubereitung bei Raumtemperatur gemessen auf Werte von 0,1 bis 0,3 eingestellt ist."
II. Gegen die Erteilung des Patents wurden zwei Einsprüche eingelegt. Als Einspruchsgründe unter Artikel 100 a), 100 b) und 100 c) EPÜ wurden fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit, unzureichende Offenbarung und unzulässige Erweiterung angeführt.
III. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die in der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2012 verkündete und am 4. Februar 2013 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen.
a) Die angefochtene Entscheidung beruht auf dem einzigen im Einspruchsverfahren verbliebenen Anspruchssatz der Patentinhaberin, der während der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2012 unter der Bezeichnung "Neuer Hauptantrag" eingereicht wurde. Wie aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hervorgeht, nahm die Patentinhaberin alle anderen noch anhängigen Anträge während der Verhandlung zurück.
Der einzige unabhängige Anspruch dieses Antrags hat den folgenden Wortlaut:
"1. Feste pharmazeutische Zubereitung enthaltend wasserlösliche Salze von Levothyroxin und/oder Liothyronin als Wirkstoff sowie Hilfsstoffe, dadurch gekennzeichnet, dass die Wasseraktivität der pharmazeutischen Zubereitung bei Raumtemperatur gemessen auf Werte von 0,1 bis 0,3 eingestellt ist."
b) In der Sache kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ und Regel 80 EPÜ erfüllt seien.
Jedoch sei der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 im Hinblick auf den für den Parameter "Wasseraktivität" angegebenen Wertebereich unzureichend im Streitpatent offenbart (Artikel 100 b) EPÜ). Insbesondere sei zu bemängeln, dass die Messmethode und die Messbedingungen nicht genannt seien und weder angegeben sei, wie eine Zubereitung zusammengesetzt sein müsse, noch wie sie hergestellt und gelagert werden müsse, um zu einer Wasseraktivität im gewünschten Bereich zu gelangen. Es erfordere daher eine unverhältnismäßige Anstrengung, eine Zubereitung enthaltend Levothyroxin oder Liothyronin so zu gestalten und zu lagern, dass die durch den Parameter ausgedrückte Bedingung einer Wasseraktivität von 0,1 bis 0,3 erfüllt werde. Zudem seien die Bedeutung des ebenfalls im Patent genannten Parameters "Wasserfaktor" und dessen Beziehung zur Wasseraktivität nicht bekannt.
IV. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und reichte mit der Beschwerdebegründung (Schriftsatz vom 14. Juni 2013) sechs Anspruchssätze als Hauptantrag und ersten bis fünften Hilfsantrag ein.
Hilfsantrag 1 ist identisch mit dem Antrag, der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegt (s.o. Absatz III.a) zum Wortlaut von Anspruch 1).
Der Hauptantrag enthält identisch alle Ansprüche von Hilfsantrag 1 sowie acht weitere Ansprüche, die auf ein Verfahren zur Herstellung der pharmazeutischen Zubereitung gerichtet sind. Der unabhängige Anspruch 7 des Hauptantrags hat demgemäß den folgenden Wortlaut:
"7. Verfahren zur Herstellung einer pharmazeutischen Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass ein Träger aus Mannitol mit einer alkoholischen Lösung des Wirkstoffes beschichtet bzw. besprüht wird, worauf das alkoholische Lösungsmittel bis zur Erzielung eines Wasserfaktors von unter 0,3 und über 0,1 abgedampft wird und anschließend tablettiert wird."
V. Im Verlauf des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens wurden unter anderen die folgenden Beweismittel genannt:
P-D10: Messergebnisse der Beschwerdeführerin für Wasseraktivitätswerte (datiert 11. Juni 2013)
E1-D13: R. Wernecke: Industrielle Feuchtemessung, Wiley-VCH, ISBN 3-527-30285-9, 249-268 (2003)
E1-D15: Bestimmung der Wasseraktivität (aw-Wert) von Euthyrox**(®) 50 Tabletten, 18. Oktober 2013, vorgelegt von der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden 1 mit ihrer Beschwerdeerwiderung
O20: Versuchsbericht zur Wasseraktivität von Levothyroxin-haltigen Tabletten nach Trocknung und Lagerung, vorgelegt von der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden 2 mit ihrer Beschwerdeerwiderung
VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK erläuterte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung. Sie wies dabei unter anderem auf die folgenden Punkte hin (vgl. Punkt 1.3, 2.4, 3.3.1 bis 3.3.5 und 5.1 der Mitteilung):
a) Im Einspruchsverfahren habe sich die Beschwerdeführerin offenbar aus eigenem Antrieb auf die Verfolgung von Erzeugnisansprüchen beschränkt, während mit dem Hauptantrag des Beschwerdeverfahrens nachträglich wieder Verfahrensansprüche eingeführt werden sollten. Bei dieser Sachlage werde voraussichtlich der Hauptantrag in Ausübung des Ermessens der Kammer gemäß Artikel 12(4) VOBK nicht im Beschwerdeverfahren zugelassen werden.
b) Nach vorläufiger Auffassung der Kammer verstoße Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 (identisch mit Anspruch 1 des Hauptantrags) nicht gegen Artikel 123 EPÜ, und der beanspruchte Gegenstand sei hinreichend offenbart und damit ausführbar (Artikel 100 b) EPÜ). Zweifel bezüglich der Abgrenzung des beanspruchten Bereichs (die dadurch entstehen könnten, dass für die Bestimmung eines üblichen Parameters keine Messmethode vorgegeben sei) seien in der Regel eine Frage der Klarheit und nicht der Ausführbarkeit.
c) Sollte sich ergeben, dass der Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der Grundlage eines der vorliegenden Anträge nicht entgegenstehe, hielte die Kammer die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung für angebracht, da diese noch nicht über die Einspruchsgründe unter Artikel 100 a) EPÜ entschieden habe (Artikel 111(1) EPÜ).
VII. Eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 21. März 2017 statt.
Im Verlauf der Verhandlung beantragten die Beschwerdegegnerinnen unter anderem im Zusammenhang mit der Feststellung des Schutzbereiches des Streitpatents die Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer (vgl. untenstehend Punkt XIII).
Alle Beteiligten stimmten schließlich einer Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zu.
Was die weiteren Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung betrifft, wird auf das Protokoll Bezug genommen.
VIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Zulassung des Hauptantrags (Artikel 12(4) VOBK)
In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sei erstmals im Verfahren ein Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ gegen den unabhängigen Verfahrensanspruch des früheren Hilfsantrags 5 zur Sprache gekommen. Die Streichung der Verfahrensansprüche sei in Reaktion darauf und unter einem gewissen Zeitdruck während der mündlichen Verhandlung erfolgt. Mit dem neuen Hauptantrag lege die Beschwerdeführerin in einem ernstgemeinten Versuch, den bewussten Einwand auszuräumen, nun geänderte Verfahrensansprüche vor. Dieser Antrag sei frühzeitig im Beschwerdeverfahren, nämlich bereits mit der Beschwerdebegründung, vorgelegt worden. Da die vorgenommene Änderung auf den Wortlaut des unabhängigen Verfahrensanspruchs des erteilten Patents zurückgreife, werde dadurch kein neuer komplexer Sachverhalt geschaffen, der zu einem erhöhten Prüfungsaufwand führen würde.
Erweiterung des Schutzbereichs (Artikel 123(3) EPÜ)
Eine Diskrepanz im Wortlaut der Ansprüche 1 und 2 des Streitpatents im Hinblick auf die Untergrenze der Wasseraktivität mache die Heranziehung der Beschreibung zur Auslegung erforderlich. Dabei ergebe sich, dass der Schutzbereich des Patents eindeutig durch den erteilten Anspruch 2 bestimmt werde, der übereinstimmend mit allen diesbezüglichen Angaben in der Beschreibung den Endpunkt 0,1 als Untergrenze mit einbeziehe. Daher führe der in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 gewählte Wortlaut "von 0,1 bis 0,3" nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereichs.
Ergänzend hierzu werde auf die Entscheidung T 1444/13 vom 27. September 2016 (Gründe Nr. 3.4) verwiesen, wonach ein zwar formal abhängiger Anspruch, der tatsächlich aber einen breiteren Bereich definiere als der zugehörige unabhängige Anspruch, grundsätzlich als ein de facto eigenständiger unabhängiger Anspruch anzusehen sei. Weil im vorliegenden Fall trotz widersprüchlicher Angaben in den Ansprüchen der Schutzbereich durch die Auslegung anhand der Beschreibung zweifelsfrei bestimmt werden könne, sei der zu beurteilende Sachverhalt ein anderer als in dem der Entscheidung T 1702/12 vom 8. Oktober 2015 zugrundeliegenden Fall, die von den Beschwerdegegnerinnen angeführt worden sei.
Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
Der in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 genannte Wertebereich von 0,1 bis 0,3 für die Wasseraktivität sei durch die Ansprüche und durch mehrere Textpassagen in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung gestützt.
Anders als von den Beschwerdegegnerinnen behauptet, sei aus der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung kein obligatorischer Ausschluss bestimmter Hilfsstoffe abzuleiten, der im geänderten Anspruch 1 hätte erwähnt werden müssen.
Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)
Die Herstellung von festen Zubereitungen, beispielsweise Tabletten, mit einer bestimmten Wasseraktivität und die damit verbundene Messung der Wasseraktivität gehörten zur Routine des mit der Herstellung und Konfektionierung pharmazeutischer Produkte vertrauten Fachmanns.
Bei der Messung der Wasseraktivität würde der Fachmann routinemäßig eine Kalibrierung vornehmen, die die Reproduzierbarkeit unabhängig von der gewählten Messmethode und Apparatur sicherstelle.
Die Behauptung der Beschwerdegegnerinnen, dass unterschiedliche Messverfahren zu erheblichen Unterschieden im Messergebnis führten, werde bestritten. Die Messtemperatur habe bei der in Anspruch 1 angegebenen Genauigkeit von einer Nachkommastelle keinen signifikanten Einfluss auf die Wasseraktivität, was unter anderem durch die in P-D10 dargestellten Messergebnisse belegt sei. Auch hätten die Beschwerdegegnerinnen die angeblichen Unterschiede zwischen den mit unterschiedlichen Messgeräten erhaltenen Ergebnissen nicht belegt. Die Beweislast könne nicht einfach zuungunsten der Beschwerdeführerin umgekehrt werden. Insgesamt gebe es keine ernsthaften, durch nachprüfbare Fakten erhärteten Zweifel an der Ausführbarkeit der Messung.
Der Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik bestehe nicht darin, bestimmte Hilfsstoffe auszuwählen, sondern es gehe darum, durch die Einstellung der Wasseraktivität, die insbesondere durch entsprechende Trocknung der Zubereitungen leicht vorgenommen werden könne, eine Verbesserung der Stabilität zu bewirken. Mit herkömmlichen Tablettenrezepturen seien durch Trocknung problemlos Wasseraktivitäten im gewünschten Bereich um 0,2 zu erreichen, wie im übrigen auch aus Beispiel 1 des Streitpatents (Absatz [0019] der Patentspezifikation) hervorgehe. Die dort verwendete Bezeichnung "Wasserfaktor" werde im Streitpatent synonym mit "Wasseraktivität" verwendet. Darüber hinaus bestätigten auch die von den Beschwerdegegnerinnen durchgeführten Versuchsreihen (wie unter anderem in E1-D15 und O20 dargestellt), dass Wasseraktivitäten im Bereich von 0,1 bis 0,3 ohne weiteres erreichbar und messbar seien.
Die von den Beschwerdegegnerinnen angeführte Aussage in Absatz [0008] des Streitpatents (vgl. Spalte 3, Zeilen 8 ff), wonach es praktisch nicht immer einfach sei, die gewünschte Wasseraktivität zu erreichen, bedeute keineswegs, dass die üblichen Fertigkeiten des Fachmanns dafür nicht ausreichten.
Die Lagerstabilität bzw. die Konstanz der Wasseraktivität über einen bestimmten Zeitraum sei kein Anspruchsmerkmal und müsse es auch nicht sein, da dem Fachmann bekannt sei, dass man die Wasseraktivität einer Zubereitung durch eine wasserdampfdichte Verpackung erhalten könne.
IX. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Zulassung des Hauptantrags (Artikel 12(4) VOBK)
Nach der Streichung aller Verfahrensansprüche umfasse der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Antrag ausschließlich Erzeugnisansprüche. Der neue Hauptantrag, der nunmehr die Verfahrensansprüche wieder aufgreife, sei nicht im Beschwerdeverfahren zuzulassen, da er bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte gestellt werden können und müssen.
Erweiterung des Schutzbereichs (Artikel 123(3) EPÜ)
Eine Änderung des Patents gemäß Hilfsantrag 1 verstoße gegen Artikel 123(3) EPÜ, weil laut Anspruch 1 des Streitpatents die Untergrenze von 0,1 selbst als möglicher Wert für die Wasseraktivität klar ausgeschlossen sei, während sie laut Anspruch 1 des Hilfsantrags mit umfasst sei. Entscheidend für den Schutzbereich der Erzeugnisansprüche des Streitpatents müsse aus Gründen der Rechtssicherheit der Umfang des einzigen unabhängigen Erzeugnisanspruchs 1 sein, der entsprechend seiner üblichen Funktion für die abhängigen Ansprüche limitierend sei. Der abhängige Anspruch 2 könnten daher nicht als ein eigenständiger, quasi-unabhängiger Anspruch gelten. Diese Auffassung werde durch die Entscheidung im Fall T 1702/12, insbesondere in Punkt 4.2 der Entscheidungsgründe, bestätigt. Der fachkundige Leser des Streitpatents würde sich die Diskrepanz zwischen Anspruch 1 ("über 0,1") und Anspruch 2 ("von 0,1") damit erklären, dass bei der Erteilung versäumt worden sei, den abhängigen Anspruch im Wortlaut an den geänderten unabhängigen Anspruch anzupassen. Es sei nicht angebracht, die Patentinhaberin für einen solchen Fehler zu belohnen, indem die im abhängigen Anspruch genannte Untergrenze in den Schutzbereich des Patents mit einbezogen werde.
Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer
Die Situation, in der wie im vorliegenden Fall ein abhängiger Anspruch eines Patents technische Merkmale enthalte, die in ihrem Umfang breiter definiert seien als im zugehörigen unabhängigen Anspruch, komme in der Praxis häufiger, und nicht nur im Zusammenhang mit der Angabe von Zahlenbereichen, vor. Zu der Frage, ob der Schutzumfang des Patents in einem solchen Fall durch die Definition des bewussten Merkmals im unabhängigen oder im abhängigen Anspruch bestimmt werde, seien in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern offenbar gegensätzliche Entscheidungen getroffen worden, wie ein Vergleich der im Verfahren genannten Entscheidungen mit Aktenzeichen T 1702/12 und T 1444/13 zeige. Es handle sich daher um eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, bei welcher der Bedarf bestehe, eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen.
Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
Im vorliegenden Hilfsantrag 1 sei der ursprüngliche unabhängige Anspruch 1 nicht mehr enthalten. Durch die Streichung von Anspruch 1 änderten sich Umfang und Bedeutung des unabhängigen Anspruchs, der nunmehr auf dem früheren abhängigen Anspruch 2 beruhe. Dies gebe Anlass zu einem Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ.
Das in Anspruch 1 neu eingefügte Merkmal "sowie Hilfsstoffe" werde in dieser allgemeinen Form nicht von der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung gestützt (Artikel 123(2) EPÜ). Vielmehr enthalte die Anmeldung die technische Lehre, dass nicht jeder beliebige Hilfsstoff eingesetzt werden könne, sondern dass auf spezielle stabilisierend wirkende Hilfsstoffe und auf hygroskopische Hilfsstoffe verzichtet werden solle. Diese Einschränkungen seien aber nicht in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 enthalten.
Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)
Die Erfindung beruhe angeblich darauf, dass die Stabilität der Zubereitungen bei niedriger Wasseraktivität, insbesondere im Bereich von 0,1 bis 0,3, besser sei. Der in Anspruch 1 verwendete Begriff "eingestellt" impliziere dementsprechend, dass sich die Wasseraktivität während der Lagerung der Tabletten nicht wesentlich verändern dürfe, um die gewünschte Lagerstabilität sicherzustellen.
Bekanntermaßen beeinflusse die Art der gewählten Hilfsstoffe deutlich die Wasseraktivität und die Wasseraufnahmefähigkeit der Zubereitungen. So sei auch gemäß Beispiel 1 des Streitpatents in Absatz [0019] für zwei unterschiedliche Rezepturen mit derselben Wasseraktivität eine unterschiedliche Wasseraufnahme ermittelt worden. Im Streitpatent sei nicht angegeben, welche Hilfsstoffe überhaupt geeignet seien, um zu einer Wasseraktivität zu gelangen, die im gewünschten Bereich von 0,1 bis 0,3 konstant bleibe. Da somit ein für den Erfolg wesentliches Merkmal nicht offenbart sei, ergebe sich für den Fachmann, der die Erfindung ausführen wolle, ein unverhältnismäßiger Forschungsaufwand.
Auch seien die Messmethode und die Messbedingungen (insbesondere Temperatur, Befüllungsgrad der Messkammer und Zeitpunkt der Messung) nicht genannt, die jedoch das Ergebnis der Messung beeinflussten. Auch die Art der Lagerung beeinflusse die Ergebnisse. Infolgedessen könne der Parameter "Wasseraktivität" ohne eine entsprechende Anleitung nicht zuverlässig und reproduzierbar bestimmt werden. Die in P-D10 angesprochenen Tests der Beschwerdeführerin zur Temperaturabhängigkeit seien nicht nachvollziehbar, weil dort weder die Zusammensetzung der untersuchten Zubereitung noch die Messbedingungen beschrieben seien.
Zudem sei die Ausführbarkeit nicht über den gesamten beanspruchten Bereich gegeben. Insbesondere enthalte das Streitpatent keine Anleitung dafür, wie Wasseraktivitäten von 0,1 oder knapp über diesem Wert eingestellt werden könnten, oder wie die Wasseraktivität bei Zubereitungen mit hygroskopischen Hilfsstoffen eingestellt werden könne. Das Streitpatent selbst erkläre, dies sei nicht ohne weiteres möglich (Spalte 3, Zeilen 8 ff).
X. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 5, sämtlich vorgelegt mit Schriftsatz vom 14. Juni 2013 (Beschwerdebegründung), wobei bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Angelegenheit zunächst an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen werden sollte.
XI. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 1 beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und im Rahmen dieses Antrags die Nichtzulassung/Nichtberücksichtigung des Hauptantrags.
XII. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Im Rahmen dieses Antrags beantragte die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 zudem die Nichtzulassung des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 2 bis 5 und schloss sich für den Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung an.
XIII. Zusätzlich beantragten beide Beschwerdegegnerinnen im Zusammenhang mit der Ermittlung des Schutzumfangs des Streitpatents die Vorlage der folgenden während der mündlichen Verhandlung gestellten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer:
"Verstößt eine Änderung eines Patents, dessen unabhängiger Anspruch durch einen bestimmten [z.B.] numerischen Bereich definiert ist, durch Aufnahme eines breiteren [z.B.] numerischen Bereichs, der im erteilten Patent Gegenstand eines von diesem abhängigen Unteranspruchs war, gegen Artikel 123(3) EPÜ?"
Entscheidungsgründe
1. Zulassung des Hauptantrags (Artikel 12(4) VOBK)
1.1 Nach Artikel 12(4), erster Halbsatz, der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK; ABl. EPA 2007, 536) ist es in das Ermessen der Kammer gestellt, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind.
1.2 Der vorliegende Hilfsantrag 1 ist identisch mit dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anspruchssatz und ist damit unstreitig Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Dieser Antrag enthält mit den Ansprüchen 1 bis 6 ausschließlich Erzeugnisansprüche, die eine feste pharmazeutische Zubereitung definieren.
1.3 Der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hauptantrag (s.o. Absatz IV) enthält dieselben sechs Erzeugnisansprüche wie der Hilfsantrag 1 sowie zusätzlich die Ansprüche 7 bis 14, die auf ein Verfahren zur Herstellung der pharmazeutischen Zubereitung gerichtet sind (Verfahrensansprüche).
1.4 Mit Ausnahme einer Änderung in Anspruch 7 entspricht der vorliegende Hauptantrag dem früheren Hilfsantrag 5, der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zunächst erörtert, von der Patentinhaberin danach indes zurückgenommen wurde. Die Änderung betrifft den in Anspruch 7 für den Wasserfaktor angegebenen Bereich, wobei der im früheren Hilfsantrag 5 enthaltene Wortlaut "von unter 0,3 bis 0,1" im vorliegenden Hauptantrag zu "von unter 0,3 und über 0,1" geändert wurde.
1.5 Laut der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung (vgl. Punkt 4 und 5 auf Seite 7 der Niederschrift) teilte der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten mit, dass die Einspruchsabteilung einen unter Artikel 123(2) EPÜ gegen Anspruch 7 des damaligen Hilfsantrags 5 vorgebrachten Einwand als berechtigt ansehe. Daraufhin erklärte die Patentinhaberin, auf Anspruch 7 zu verzichten. Der Vorsitzende informierte die Parteien, dass die Einspruchsabteilung keinen weiteren Antrag annehmen werde. Die Patentinhaberin reichte dann eine Kopie des geänderten Hilfsantrags 5, in welcher die Verfahrensansprüche 7 bis 14 gestrichen waren, als neuen Hauptantrag ein und "erklärte außerdem den Verzicht auf alle bisherigen Hilfsanträge" (die ebenfalls Verfahrensansprüche umfassten). Somit verblieb der damalige neue Hauptantrag als einziger Antrag im Verfahren.
1.6 Ungeachtet der Frage, ob ausdrücklich ein Verzicht erklärt wurde oder ob lediglich eine Rücknahme der betreffenden Anträge beabsichtigt war, entnimmt die Kammer jedenfalls aus der Niederschrift, dass sich die Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren freiwillig auf die Verfolgung der Erzeugnisansprüche beschränkt hat, da sie selbst entschieden hat, letztendlich nur einen einzigen Antrag beizubehalten und darin die beanstandeten Verfahrensansprüche zu streichen, anstatt sie zu ändern.
1.7 Mit dem jetzt vorliegenden Hauptantrag sollen nachträglich wieder Verfahrensansprüche in das Verfahren eingeführt werden, wobei die Änderung des Wortlauts den in der Einspruchsverhandlung unter Artikel 123(2) EPÜ erörterten Einwand ausräumen soll.
1.8 Der Zweck des Beschwerdeverfahrens besteht allerdings in erster Linie darin, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen. Im vorliegenden Fall beruht diese auf einem Anspruchssatz, welcher ausschließlich Erzeugnisansprüche enthält.
1.9 Wie in der Entscheidung T 0998/12 vom 27. September 2016, Gründe Nr. 3, erörtert wurde, ist die Rücknahme eines Antrags als Prozesserklärung bindend und lässt die Anhängigkeit dieses Antrags unmittelbar entfallen. Dabei darf es sinnvollerweise nicht möglich sein, diese Rechtswirkung im Ergebnis dadurch zu unterlaufen, dass derselbe Antrag in dem nachfolgenden Beschwerdeverfahren erneut gestellt wird, was faktisch zu einer "Rücknahme der Rücknahme" führen würde.
1.10 Im Hinblick auf den vorliegenden Fall ist zu ergänzen, dass es auch nicht vorrangig darauf ankommt, ob die Verfahrensansprüche des aktuellen Hauptantrags in ihrem Wortlaut exakt identisch sind mit denen des früheren Hilfsantrags 5, ob es sich also rein formal bei dem im Einspruchsverfahren zurückgenommenen und dem im Beschwerdeverfahren wieder eingereichten Antrag um denselben Antrag handelt.
Ausschlaggebend ist vielmehr die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren aus eigenem Antrieb die Kategorie der Verfahrensansprüche nicht weiterverfolgt und somit nicht zur Entscheidung gestellt hat. Daher konnte im Hinblick auf die Verfahrensansprüche keine beschwerdefähige Entscheidung getroffen werden.
1.11 Um zu erreichen, dass die Verfahrensansprüche im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden, hätte die Beschwerdeführerin einen Antrag mit Ansprüchen dieser Kategorie stellen oder im Verfahren belassen müssen, woran sie durch die spätere Erklärung der Einspruchsabteilung, keine weiteren Anträge mehr entgegennehmen zu wollen, nicht gehindert war.
Insbesondere hätte auch der aktuelle Hauptantrag bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung gestellt werden können und müssen, zumal nach eigener Aussage der Beschwerdeführerin die in Anspruch 7 vorgesehene Änderung nicht komplex ist und auf die erteilte Fassung zurückgeht.
1.12 Aufgrund dieser Erwägungen wird der Hauptantrag in Ausübung des Ermessens der Kammer unter Artikel 12(4), erster Halbsatz, VOBK nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
2. Erweiterung des Schutzbereichs (Artikel 123(3) EPÜ)
2.1 Im unabhängigen Anspruch 1 des Streitpatents ist angegeben, dass die Wasseraktivität der beanspruchten pharmazeutischen Zubereitung auf Werte "unter 0,4 und über 0,1" eingestellt ist.
2.2 Anspruch 2 des Streitpatents ist auf eine pharmazeutische Zubereitung "nach Anspruch 1" gerichtet, deren Wasseraktivität auf Werte "von 0,1 bis 0,3" eingestellt ist.
2.3 Vorliegend ist die Frage zu klären, ob Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 mit der Angabe, dass die Wasseraktivität der Zubereitung auf Werte "von 0,1 bis 0,3" eingestellt ist, den Schutzumfang des Streitpatents erweitern würde.
2.4 Ein Fachmann, der den Schutzbereich des Streitpatents feststellen möchte, würde zu diesem Zweck die erteilten Patentansprüche prüfen:
2.4.1 Bei der Lektüre von Anspruch 1 ergibt sich zunächst, dass die Wasseraktivität der beanspruchten Zubereitung offenbar Werte über 0,1 aufweisen soll, während die Untergrenze von 0,1 selbst nicht mit umfasst ist. Der Umfang von Anspruch 1 ist daher an sich klar.
2.4.2 Liest man im Anschluss Anspruch 2, entstehen jedoch Zweifel daran, ob der Umfang von Anspruch 1 auch identisch ist mit dem Schutzumfang des Streitpatents im Hinblick auf die beanspruchte Zubereitung.
Die aufgrund des Rückbezugs in Anspruch 2 vorgesehene Kombination der Ansprüche 1 und 2 führt nämlich unmittelbar zu einem Widerspruch: Einerseits nennt Anspruch 2 ausdrücklich den Endpunkt 0,1 als einen möglichen Wert für die Wasseraktivität, andererseits ist Anspruch 2 formal auf Anspruch 1 rückbezogen und dürfte dementsprechend als abhängiger Anspruch keine zusätzliche Ausführungsform beinhalten, die nicht auch von Anspruch 1 abgedeckt ist. Mit anderen Worten steht die in Anspruch 2 genannte Bedingung, dass es sich um eine Zubereitung nach Anspruch 1 (und also mit einer Wasseraktivität "über 0,1") handeln muss, im direkten Widerspruch zu dem Anspruchsmerkmal "von 0,1 bis 0,3", welches eine Wasseraktivität gleich 0,1 zulässt.
2.4.3 Aufgrund dieser Unstimmigkeit kann sich der Leser anhand des Wortlauts der Ansprüche allein nicht sicher sein, ob der Schutzbereich der Ansprüche des Streitpatents auch Zubereitungen mit einer Wasseraktivität von 0,1 umfasst.
2.5 Da der Wortlaut der erteilten Ansprüche bereits definitiv feststeht, besteht somit im vorliegenden Fall ein konkreter Anlass, hilfsweise die Beschreibung zur Auslegung dieser Ansprüche heranzuziehen.
2.5.1 In der Beschreibung wird im Zusammenhang mit dem Bereich durchweg angegeben, dass die Wasseraktivität der erfindungsgemäßen festen Zubereitung unter 0,4 und insbesondere im Bereich "von 0,1 bis 0,3" liegen soll (vgl. Spalte 2, Zeilen 8 bis 13, 45 bis 52; Spalte 3, Zeilen 16 bis 20 der Patentspezifikation).
2.5.2 Daraus entnimmt der Leser, dass der Wert 0,1 im gewünschten, angeblich vorteilhaften Bereich mit enthalten ist. Die Angabe "über 0,1" kommt dagegen in der Beschreibung im Zusammenhang mit der Wasseraktivität nicht vor. Es liegt auch kein anderer Hinweis darauf vor, dass der Wert 0,1 auszuschließen wäre. Somit stützt die Beschreibung eindeutig die Lesart, nach welcher der Endpunkt von 0,1 mit abgedeckt ist.
2.5.3 Die weiter im Streitpatent enthaltene Aussage, dass bei unkontrolliertem Trocknen und Absenkung der Wasseraktivität "unter 0,1" Levothyroxin-Natrium in einen amorphen Zustand übergeht und dadurch wieder instabiler wird (vgl. Spalte 2, Zeilen 52 bis 56 der Patentspezifikation), steht dazu nicht im Widerspruch.
2.6 Bei dieser Sachlage ist die Kammer der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Auslegung der Ansprüche anhand der Beschreibung sowohl geboten als auch möglich ist, und dass der fachkundige Leser des Streitpatents dabei zu dem Ergebnis käme, dass der Schutzbereich der erteilten Patentansprüche Zubereitungen mit einer Wasseraktivität von 0,1 mit umfasst.
2.7 Aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, dass die in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 vorgesehene Änderung, die für die Wasseraktivität einen Bereich "von 0,1 bis 0,3" definiert, nicht zu einem Konflikt mit der Bestimmung von Artikel 123(3) EPÜ führt.
3. Vorlage der in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2017 formulierten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer (Artikel 112 (1) a) EPÜ)
3.1 Wie vorstehend in Abschnitt 2 ausführlich dargelegt, stellt sich aufgrund der geringfügig abweichenden Angaben in Anspruch 1 und 2 des Streitpatents im Hinblick auf die Diskussion zu Artikel 123(3) EPÜ lediglich die Frage, ob ein Endpunkt eines bestimmten Zahlenbereichs mit zum Schutzbereich des Patents gehört oder nicht, und es liegt außerdem auf der Hand, diese Frage mit Hilfe der Beschreibung zu klären, die im übrigen hierzu eindeutige Angaben enthält.
3.2 Folglich stellt sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, und es tritt kein Dilemma auf, zu dessen Lösung eine Konsultation der Rechtsprechung (bzw. in der Folge eine Vereinheitlichung der Rechtsanwendung) erforderlich wäre. Vielmehr geht es vorliegend um die Anwendung von allgemeinen Auslegungsregeln im konkreten Einzelfall.
3.3 Die von den Beschwerdegegnerinnen zur Stützung ihrer Argumente zu Artikel 123(3) EPÜ genannte Entscheidung mit Aktenzeichen T 1702/12 befasst sich nicht mit demselben Sachverhalt wie die vorliegende Entscheidung, da in dem betreffenden älteren Fall erstens die in den erteilten Ansprüchen genannten Zahlenbereiche erheblich voneinander abweichen (und somit nicht nur ein Endpunkt betroffen ist) und zweitens aus der Diskussion ersichtlich ist, dass die Patentspezifikation offenbar - und insoweit anders als im vorliegenden Fall - keine eindeutige Lehre im Hinblick auf die Breite und die Endpunkte des fraglichen Zahlenbereichs enthält (vgl. T 1702/12, Gründe Nrn 4, 4.1 und 3.5).
3.4 Die von den Beschwerdegegnerinnen vorgeschlagene Vorlagefrage (vgl. obenstehend Punkt XIII) ist zudem sehr abstrakt und viel breiter gefasst, als es dem vorliegenden Fall angemessen wäre, da sie sich nicht nur auf numerische Bereiche bezieht und außerdem die Möglichkeit umfasst, dass größere Diskrepanzen zwischen dem unabhängigen und abhängigen Anspruch bestehen.
3.5 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass eine Vorlage der von den Beschwerdegegnerinnen formulierten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer nicht erforderlich ist, um im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob die Erfordernisse von Artikel 123(3) EPÜ erfüllt sind.
4. Unzulässige Erweiterung (Artikel 123(2) EPÜ)
4.1 Das Argument der Beschwerdegegnerinnen, die Streichung des ursprünglichen Anspruchs 1 gebe Anlass zu einem Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar:
Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung (veröffentlicht als WO 2004/096177) sieht eine Wasseraktivität vor, die "bei Raumtemperatur gemessen auf Werte unter 0,4" eingestellt ist", und entspricht davon abgesehen im Wortlaut dem erteilten Anspruch 1. Der abhängige Anspruch 2 der Anmeldung nennt den engeren Bereich "von 0,1 bis 0,3" für die Wasseraktivität. Der in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 genannte Bereich ist damit durch den ursprünglichen Anspruch 2 gestützt. Außerdem wird der Bereich "von 0,1 bis 0,3" noch in mehreren entsprechenden Passagen der Beschreibung genannt (Seite 2, Zeile 31; Seite 3, Zeile 26; Seite 4, Zeilen 11 bis 12).
4.2 Die Kammer sieht auch den Zusatz "sowie Hilfsstoffe" in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 nicht als problematisch unter Artikel 123(2) EPÜ an:
Eine Zubereitung mit Hilfsstoffen (wozu nach üblichem Verständnis alle Stoffe außer den Wirkstoffen zählen) ist erkennbar die reguläre in der Anmeldung vorgesehene Ausführung (vgl. beispielsweise WO 2004/096177: Seite 2, Zeile 21 bis Seite 5, Zeile 18, in der durchweg von Hilfsstoffzusätzen, gegebenenfalls einzusetzenden Hilfsstoffen, üblichen Hilfsstoffen und der Verteilung der Wirkstoffe in der Zubereitung die Rede ist). Davon abgesehen hätte der Fachmann allein schon aufgrund der sehr geringen zu verabreichenden Menge der Wirkstoffe, die bekanntermaßen im Mikrogrammbereich liegt, keinen Zweifel daran, dass Hilfsstoffe verwendet werden müssen, um eine praxistaugliche feste pharmazeutische Zubereitung von Levothyroxin und/oder Liothyronin zur Verfügung zu stellen.
In den Ansprüchen oder an anderer Stelle der Anmeldung wird auch nicht der Einsatz bestimmter Hilfsstoffe obligatorisch ausgeschlossen.
Entscheidend ist hier bereits die Tatsache, dass die Ansprüche 1 und 2 der ursprünglich eingereichten Fassung, auf denen der vorliegende Anspruch 1 beruht (vgl. obenstehend Punkt 4.1), nicht bestimmte Hilfsstoffe oder Hilfsstoff-Typen ausschließen. Vielmehr lässt die offene Formulierung "enthaltend wasserlösliche Salze von Levothyroxin und/oder Liothyronin als Wirkstoff" die Anwesenheit weiterer Bestandteile uneingeschränkt zu.
Im Übrigen lässt sich auch aus der ursprünglich eingereichten Fassung der Beschreibung nicht die Lehre entnehmen, dass bestimmte Hilfsstoffe auszuschließen wären. Vielmehr wird gelehrt, dass für die erfindungsgemäßen Zubereitungen keine speziellen stabilisierenden Hilfsstoffe benötigt werden, diese also nicht zwingend vorhanden sein müssen, weil die gewünschte Stabilisierung erfindungsgemäß bereits durch die Einstellung der Wasseraktivität erfolgt (Seite 2: Zeilen 21 bis 32; Seite 3: Zeilen 23 bis 28). Auch wird keineswegs ausgeschlossen, dass hygroskopische Hilfsstoffe zum Einsatz kommen können; beispielsweise werden in einer Ausführungsform "größtenteils" nichthygroskopische Hilfsstoffe verwendet, womit umgekehrt also ein bestimmter Anteil der Hilfsstoffe hygroskopisch sein kann (Seite 4, Zeilen 14 bis 21).
4.3 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfüllt.
5. Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)
Zu klärende Frage ausgehend vom Anspruchsgegenstand
5.1 Grundsätzlich ist im Hinblick auf die Offenbarung bzw. Ausführbarkeit die Frage zu beantworten, ob der Anspruchsgegenstand so deutlich und vollständig im Patent offenbart ist, dass ein Fachmann ihn ausführen kann. Im vorliegenden Fall ist somit die Frage zu klären, ob eine feste pharmazeutische Zubereitung, wie sie in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 definiert ist, bei Heranziehung der im Streitpatent enthaltenen und gegebenenfalls der im Rahmen des allgemeinen Fachwissens verfügbaren Informationen bereitgestellt werden kann.
Der Anspruch definiert dabei im einzelnen
a) die obligatorischen Bestandteile der Zubereitung (wasserlösliche Salze von Levothyroxin und/oder Liothyronin als Wirkstoff sowie Hilfsstoffe),
b) eine Vorgabe für einen Parameter (die Wasseraktivität der Zubereitung ist bei Raumtemperatur gemessen auf Werte von 0,1 bis 0,3 eingestellt).
5.2 Die Lagerstabilität der Zubereitung ist dagegen nicht als Anspruchsmerkmal vorgegeben und spielt daher für die Frage der Ausführbarkeit keine Rolle.
Gegenstand der Einwände
5.3 Die Kammer geht davon aus, dass feste pharmazeutische Zubereitungen enthaltend wasserlösliche Salze von Levothyroxin und/oder Liothyronin sowie Hilfsstoffe durch Kombination und Verarbeitung dieser Bestandteile mit üblichen Verfahren hergestellt werden können, und dass dem Fachmann dafür geeignete Hilfsstoffe bekannt sind. Solche Zubereitungen sind schließlich längst bekannt und im Handel erhältlich. Dieser Punkt war im Verfahren auch nicht streitig. Vielmehr betreffen die Einwände der Beschwerdegegnerinnen zur mangelnden Ausführbarkeit zum einen die Einstellung der Wasseraktivität und zum anderen die Messung dieses Parameters.
Messung der Wasseraktivität
5.4 Mit Bezug auf E1-D13 machten die Beschwerdegegnerinnen geltend, es existierten bekanntermaßen unterschiedliche Verfahren für die Bestimmung der Wasseraktivität, mit denen voneinander abweichende Ergebnisse erzielt würden. Da im Streitpatent das anzuwendende Messverfahren nicht genannt sei, sei die Messung nicht verlässlich und reproduzierbar durchzuführen, und der Fachmann könne nicht zuverlässig feststellen, ob er innerhalb oder außerhalb des beanspruchten Bereichs arbeite.
Ergänzend hierzu sahen die Beschwerdegegnerinnen insbesondere die Messtemperatur, den Befüllungsgrad der gegebenenfalls zum Einsatz kommenden Messkammer und die Lagerbedingungen bzw. im Zusammenhang damit den Zeitpunkt der Messung als kritische Bedingungen an, die das Ergebnis der Messung beeinflussen könnten.
5.5 Der Auffassung der Beschwerdegegnerinnen, dass deshalb der Anspruchsgegenstand im Hinblick auf die Durchführung der Messung als nicht hinreichend offenbart anzusehen wäre, kann sich die Kammer aus den folgenden Gründen nicht anschließen.
5.5.1 Wenn verschiedene Messmethoden und kritische Messbedingungen existieren, die zu unterschiedlichen Ergebnissen (und damit zu Zweifeln bezüglich der Abgrenzung des beanspruchten Bereichs) führen können, so ist dies in der Regel eine Frage der Klarheit und nicht der Ausführbarkeit. Die Klarheit betrifft die Deutlichkeit bzw. Abgrenzung dessen, was beansprucht wird; die Ausführbarkeit dagegen die Deutlichkeit dessen, was offenbart ist.
5.5.2 Nur wenn gezeigt würde, dass insgesamt eine so große Mehrdeutigkeit oder Unsicherheit bestünde, dass es dem Fachmann nicht mehr möglich wäre, die zur praktischen Umsetzung des Anspruchsgegenstandes erforderlichen technischen Maßnahmen zu identifizieren, wäre der Einwand unzureichender Offenbarung berechtigt. Allgemein gilt dabei der Grundsatz, dass ein Einwand unzureichender Offenbarung ernsthafte, durch nachprüfbare Tatsachen erhärtete Zweifel voraussetzt (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, achte Auflage 2016, II.C.7.2, II.C.4.3).
5.5.3 Der im vorliegenden Fall relevante Parameter "Wasseraktivität" hat bekanntermaßen eine große Verbreitung im Bereich der Lebensmitteltechnologie und ist auch im Pharmabereich nicht unüblich. Das Beweismittel E1-D13 (Auszug aus einem im Prioritätsjahr des Streitpatents veröffentlichten Lehrbuch) belegt unterstützend, dass der Parameter und Verfahren zu seiner Messung allgemein bekannt waren. Unstreitig ist daher, dass die Wasseraktivität ein dem Fachmann geläufiger Parameter ist und dass sie, auch wenn im Streitpatent dazu kein Messverfahren beschrieben ist, grundsätzlich mit bekannten Verfahren gemessen werden kann. Dabei ist das Messgut im vorliegenden Fall recht einheitlich, da es beschränkt ist auf feste pharmazeutische Zubereitungen enthaltend wasserlösliche Salze von Levothyroxin und/oder Liothyronin als Wirkstoff sowie Hilfsstoffe. Der Fachmann würde dementsprechend unter den bekannten Messverfahren solche auswählen, die als geeignet für feste trockene Zubereitungen gelten.
5.5.4 Messverfahren im allgemeinen
Die Passage in E1-D13, die laut den Beschwerdegegnerinnen belegen soll, dass unterschiedliche Messverfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, lautet wie folgt:
"Um aw-Werte miteinander vergleichen zu können, ist es notwendig, die Art und Weise der Bestimmung zu berücksichtigen. Da das Material bei den verschiedenen Messmethoden unterschiedlich belastet wird, kann es zu Abweichungen der Messwerte kommen."
Hierbei handelt es sich allerdings um eine pauschale Aussage, die keine Rückschlüsse auf den konkret vorliegenden Fall ermöglicht, denn daraus ist nicht erkennbar, ob speziell bei Messung einer anspruchsgemäßen festen Zubereitung mit verschiedenen für solche Zubereitungen geeigneten Messmethoden erhebliche Abweichungen auftreten würden, die zu einer entsprechenden, so erheblichen Unsicherheit bezüglich des Ergebnisses führen würden, dass die Ausführbarkeit in Frage gestellt wäre (vgl. Punkt 5.5.2).
5.5.5 Temperatur
Was die Wahl der Messtemperatur betrifft, so ist in Anspruch 1 angegeben, dass die Messung bei Raumtemperatur erfolgt. Hierbei sahen die Beschwerdegegnerinnen die mögliche Spanne im Bereich 15 bis 25°C oder auch 15 bis 30°C, während die Beschwerdeführerin geltend machte, dass ohnehin nur die Messung bei 25°C allgemein üblich sei.
Die Beschwerdeführerin machte ergänzend dazu außerdem geltend, ihre eigenen in P-D10 dargestellten Messergebnisse zeigten, dass eine Temperaturänderung im Bereich 15 bis 29°C keinen relevanten Einfluss auf die Wasseraktivität habe. Dies stehe im übrigen auch mit den Angaben von verschiedenen Messgeräteherstellern im Einklang, wonach sich eine Temperaturänderung von 1°C nur in der dritten Nachkommastelle auf die gemessene Wasseraktivität auswirke und diese Abweichung zudem innerhalb der Messgenauigkeit der Geräte liege. Allerdings wurden im Zusammenhang mit P-D10 weder das Messgut noch die Durchführung der Messung näher beschrieben, so dass nach Auffassung der Kammer die Nachvollziehbarkeit für diese Testergebnisse fehlt.
Andererseits stimmen die von den Beschwerdegegnerinnen im Bereich 15 bis 29°C festgestellten temperaturabhängigen Abweichungen (vgl. E1-D15, Abbildungen 1 und 2) in der Größenordnung mit den Angaben in P-D10 überein.
Angesichts der Tatsache, dass die Wasseraktivität in Anspruch 1 mit einer Nachkommastelle Genauigkeit angegeben ist und sich eine Veränderung der Messtemperatur um 1°C offenbar allenfalls in der dritten Nachkommastelle auswirkt, wie es auch die Messungen der Beschwerdegegnerinnen zu bestätigen scheinen, ist für die Kammer nicht hinreichend belegt, dass es durch Variation der Messtemperatur im Bereich 15 bis 29°C zu erheblichen Unsicherheiten im Hinblick auf das Messergebnis kommen würde, die ausreichend wären, um den Einwand der unzureichenden Offenbarung zu begründen. Sollte in Grenzfällen zweifelhaft sein, ob eine Probe im beanspruchten Parameterbereich liegt oder nicht, wäre dies vielmehr eine Frage der Klarheit.
5.5.6 Befüllungsgrad
In dem Versuchsbericht E1-D15 der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden 1 ist im Rahmen des Vergleichs bei Variation der Messtemperatur auch beschrieben, dass bei unterschiedlicher Befüllung der Messkammer des verwendeten Messgeräts "LabMaster-aw Basic" mit dem Messgut (Tabletten) Abweichungen bei der gemessenen Wasseraktivität ermittelt wurden. Hierbei wurde eine minimale Befüllung, bei der nur der Boden der Probenschale mit Tabletten bedeckt war, mit der Befüllung bis zur Maximalmarkierung der Probenschale verglichen.
Die Beschwerdeführerin wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine unzureichende Befüllung der Messkammer zu Fehlern führen könne, da der Wasserdampfgehalt der im abgeschlossenen Messvolumen enthaltenen Luft sich dann stärker auf das Ergebnis auswirke; vgl. in diesem Zusammenhang auch E1-D13: Seite 254, Absätze 3 und 4, wonach die Messwerte bei ungünstigem Verhältnis von Messgut zu Luft dadurch verfälscht werden können, dass über die Luft zusätzliches Wasser in das Messvolumen eingebracht wird.
Im Zusammenhang mit den in E1-D15 beschriebenen Messungen liegen keine Angaben über eventuelle Empfehlungen des Messgeräteherstellers zum Befüllungsgrad oder über die tatsächliche Luftfeuchte und deren potentiellen Einfluss auf die durchgeführten Messungen vor, so dass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob die Messung bei minimaler Befüllung wie in E1-D15 beschrieben grundsätzlich vom Fachmann als fachgerecht in Betracht gezogen würde, und ob sie im konkreten Fall zu Verfälschungen geführt haben könnte. (Gemäß Abbildung 3 und 4 von E1-D15 weichen die besagten aw-Werte mit dem Befüllungsgrad um 0,05 oder weniger voneinander ab.)
Somit lassen sich die diesbezüglichen Ergebnisse nicht als Beleg dafür heranziehen, dass bei fehlenden Angaben zur Befüllung eine erhebliche Unsicherheit im Hinblick auf die Messung entsteht, die die Ausführbarkeit in Frage stellen würde.
5.5.7 Lagerung und Zeitpunkt der Messung
Da in Anspruch 1 keine Angaben dazu gemacht werden, zu welchem Zeitpunkt die Wasseraktivität gemessen werden soll, kann der Wert zu irgendeinem Zeitpunkt gemessen werden. Dies führt an sich nicht zu Schwierigkeiten bezüglich der Durchführung der Messung.
Dem Fachmann wäre dabei bewusst, dass die unmittelbar nach einer Trocknung oder Herstellung durch trockene Verarbeitung für eine Zubereitung resultierende Wasseraktivität sich im Anschluss bei nicht wasserdampfdichter Lagerung verändern kann und in der Regel ansteigen wird (wie mit dem Testbericht O20 illustriert wurde).
5.6 Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, haben die Beschwerdegegnerinnen insgesamt nicht darlegen können, dass ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel an der Ausführbarkeit der Messung bestehen. Sollten sich aufgrund der Tatsache, dass verschiedene Messmethoden und Messbedingungen gewählt werden können, im Einzelfall Zweifel bezüglich der Abgrenzung des beanspruchten Bereichs ergeben, so wäre dies ein Problem mangelnder Klarheit. Mangelnde Klarheit ist aber kein unter Artikel 100 EPÜ genannter Einspruchsgrund. Bereits in den Ansprüchen des erteilten Patents war ein Wertebereich für die Wasseraktivität angegeben. Somit wurde dieses Merkmal nicht durch die vorgenommenen Änderungen neu in den vorliegenden Anspruch eingeführt, und der Einwand ist auch nicht unter Artikel 84 EPÜ in Kombination mit Artikel 101(3) EPÜ im Einspruchsbeschwerdeverfahren zu behandeln (vgl. G3/14, ABl. EPA 2015, A102, Leitsatz).
Einstellung der Wasseraktivität
5.7 Was zunächst die Auslegung der Begriffs "eingestellt" betrifft, so kann die Kammer der von den Beschwerdegegnerinnen favorisierten Auslegung nicht folgen, wonach der in Anspruch 1 verwendete Begriff "eingestellt" eine langfristige Konstanz der Wasseraktivität implizieren soll.
Der Begriff "eingestellt" wird im Streitpatent nicht näher definiert und insbesondere auch nicht auf diese spezielle Bedeutung eingeschränkt.
Vielmehr lehrt das Streitpatent, dass die zunächst insbesondere durch Trocknung auf den Bereich 0,1 bis 0,3 eingestellte Wasseraktivität danach in der Regel durch die Konfektionierung der Zubereitung in einer wasserdampfdichten Verpackung im gewünschten Bereich gehalten wird; alternativ kann bei Verwendung von nicht-hygroskopischen Hilfsstoffen, die für niedere Wasseraktivitäten bei Raumtemperatur bekannt sind, auch eine übliche Blisterpackung ausreichen (vgl. Spalte 2, Zeile 56 bis Spalte 3, Zeile 28 und Spalte 3, Zeile 57 bis Spalte 4, Zeile 7 der Patentspezifikation). Entsprechend wird auch in Beispiel 4 des Streitpatents angegeben, dass eine Tablette mit hoher Wirkstoffstabilität dann zur Verfügung gestellt werden kann, "wenn die Wasseraktivität entsprechend den Vorgaben eingestellt ist (0,3) und für eine anschließende dichte Verpackung gesorgt wird" (vgl. Absatz [0022] in den Spalten 6 und 7).
Die Konstanz der (zuerst einzustellenden) Wasseraktivität ist also nicht zwangsläufig eine Eigenschaft, der Zubereitung selbst, sondern sie wird in der Regel durch die Wahl einer fachgerechten Verpackung erreicht. Entsprechend der aus dem Alltag bekannten Erfahrung, dass ein getrocknetes Produkt wieder Feuchtigkeit aus dem umgebenden Luftraum aufnimmt, ist dieser Sachverhalt nicht weiter überraschend.
Somit sagt der Begriff "eingestellt" letztlich nur aus, dass die Wasseraktivität der Zubereitung in dem im Anspruch angegebenen Bereich liegt, impliziert aber nicht das Vorhandensein zusätzlicher technischer Maßnahmen, die für die Konstanz der Wasseraktivität sorgen.
5.8 Infolgedessen ist für die Frage der Ausführbarkeit in diesem Zusammenhang lediglich zu klären, ob feste pharmazeutische Zubereitungen enthaltend wasserlösliche Salze von Levothyroxin und/oder Liothyronin sowie Hilfsstoffe vom Fachmann auf eine Wasseraktivität im Bereich von 0,1 bis 0,3 gebracht (also "eingestellt") werden können.
5.9 Im Streitpatent (vgl. Spalte 2, Zeile 56 bis Spalte 3, Zeile 8 der Patentspezifikation) wird dargestellt, dass dies durch trockene Verarbeitung und/oder Trocknung der Zubereitungen geschehen kann.
5.10 Die Kammer hat keinen konkreten Anlass, daran zu zweifeln, dass herkömmliche Rezepturen mit üblichen Hilfsstoffen mindestens durch Trocknung auf eine Wasseraktivität im Bereich von 0,1 bis 0,3 gebracht werden können, wie es beispielsweise in Beispiel 4 des Streitpatents beschrieben wird. Dies war den Beschwerdegegnerinnen offenbar auch ohne weiteres im Rahmen der von ihnen durchgeführten Testreihen möglich (vgl. E1-D15, O20). Weiter erscheint es auch nicht von vornherein abwegig, dass alternativ bereits durch trockene Verarbeitung entsprechend trockener Ausgangsstoffe die gewünschte Wasseraktivität erreicht werden kann. Jedenfalls habe die Beschwerdegegnerinnen keine konkreten Informationen geliefert, die begründete Zweifel daran wecken könnten, dass mit üblichen Rezepturen die Einstellung der Wasseraktivität auf die im Streitpatent angegebene Weise im Rahmen der Routinetätigkeit des Fachmanns möglich ist.
5.11 Somit ist es für die Ausführbarkeit auch nicht erforderlich, dass speziell "geeignete" Hilfsstoffe im Anspruch genannt werden. Gegebenenfalls zur Optimierung der Zusammensetzung erforderliche Routineversuche stellen für den Fachmann keinen unzumutbaren Aufwand dar.
5.11.1 Der von den Beschwerdegegnerinnen angeführte Absatz [0019] des Streitpatents steht dem nicht entgegen. Hier wird beschrieben, dass Tabletten mit zwei unterschiedlichen Rezepturen jeweils bis zu einem Wasserfaktor von 0,2 getrocknet wurden, und dass dann bei eintägiger Lagerung bei 60% relativer Feuchte eine unterschiedliche Wasseraufnahme der beiden Rezepturen beobachtet wurde. (Basierend auf Absatz [0007] und [0026] des Streitpatents und ohne anderslautende Angaben würde der Leser davon ausgehen, dass mit "Wasserfaktor" die Wasseraktivität gemeint ist, was auch die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 in ihrem Vortrag hierzu vorausgesetzt hat). Dies ist nicht weiter überraschend, da unterschiedliche Hilfsstoffe oder Hilfsstoffmischungen eine unterschiedliche Affinität zu Wasser aufweisen können. Es zeigt aber gerade nicht, dass die Einstellung der Wasseraktivität nur bei speziellen, schwer aufzufindenden Hilfsstoffen funktionieren würde, da ja bei beiden Rezepturen der Wert von 0,2 problemlos erreicht wurde.
5.12 Auch die Aussage im Streitpatent, dass niedrige Wasseraktivitäten schwierig einzustellen seien, steht grundsätzlich der Ausführbarkeit nicht entgegen. Das Streitpatent enthält hierzu in Absatz [0008] einige Hinweise zur technischen Durchführung, wobei keineswegs der Eindruck erweckt wird, dass die Feinadaptierung der Wasseraktivität auf besonders niedrige Werte über die normalen Fähigkeiten des Fachmanns hinausginge oder nur bei Verwendung ganz spezieller, besonders schwierig aufzufindender Hilfsstoffe möglich wäre. Die Beschwerdegegnerinnen konnten ihre diesbezüglich vorgetragenen Zweifel nicht durch experimentelle Daten oder andere Angaben konkretisieren.
Abschließende Beurteilung
5.13 Die Kammer ist aus diesen Gründen der Auffassung, dass der mit Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 definierte Gegenstand im Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann ihn ausführen kann.
6. Zurückverweisung (Artikel 111(1) EPÜ)
6.1 Die Kammer hält es im vorliegenden Fall für angebracht, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, da diese noch nicht über die Einspruchsgründe unter Artikel 100 a) EPÜ entschieden hat.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Vorlage an die große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.
2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
3. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Basis des mit Schriftsatz vom 14. Juni 2013 eingereichten Hilfsantrags 1 zurückverwiesen.