T 0743/13 () of 6.12.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T074313.20161206
Datum der Entscheidung: 06 Dezember 2016
Aktenzeichen: T 0743/13
Anmeldenummer: 07816229.4
IPC-Klasse: B23D 61/12
B23D 65/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SÄGEBAND UND VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES SÄGEBANDES
Name des Anmelders: Oerlikon Trading AG, Trübbach
Name des Einsprechenden: WIKUS-Sägenfabrik
Wilhelm H. Kullmann GmbH & Co. KG.
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention R 80
Schlagwörter: Hauptantrag - Änderungen - zulässig (nein)
Neuheit - (nein)
Neuheit - alle Anträge
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 14. Januar 2013 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung wurde festgestellt, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 2 das europäische Patent Nr. 2 121 229 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Die Beschwerdeführerin 1 (Patentinhaberin) und die Beschwerdeführerin 2 (Einsprechende) haben gegen diese Entscheidung form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

III. Am 6. Dezember 2016 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Wegen der Einzelheiten deren Verlaufs wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerin 1 beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis eines der mit Schriftsatz vom 3. November 2016 als Hauptantrag und Hilfsantrag 1 eingereichten Anspruchssätze sowie

die Zurückweisung der Beschwerde der Beschwerdeführerin 2 (vorgelegt als Hilfsantrag 2 mit Schriftsatz vom 3. November 2016, identisch mit der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patents).

Die Beschwerdeführerin 2 beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents, sowie

die Zurückweisung der Beschwerde der Beschwerdeführerin 1.

IV. Für die vorliegende Entscheidung haben die folgenden Entgegenhaltungen eine Rolle gespielt:

D1: DE-A-10 2005 016953;

D4: WO-A-2006/089753.

V. Patent in erteilter Fassung

Das Patent in erteilter Fassung umfasst einen auf ein Sägeband gerichteten unabhängigen Gegenstandsanspruch 1 mit von diesem abhängigen Unteransprüchen 2 bis 15, sowie einen auf die Herstellung eines Sägebandes gerichteten unabhängigen Verfahrensanspruch 16 mit von diesem abhängigen Unteransprüchen 17 bis 24.

VI. Hauptantrag:

Die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags lauten wie folgt:

Anspruch 1:

"Sägeband aus Stahl für eine Bandsägemaschine mit einem Bandrücken (Br) und mit einer daran angeordneten Zahnreihe die mehrere Zähne (20) aufweist, wobei die Ursprungs Zahnform (10) dreieckförmig ist mit einer Zahnbasis mit der Zahnbreite (b) und mit der Zahnspitze (1) mit einer ersten Zahnhöhe (h1), derart dass die Zahnspitze (1) die Zahnbreite (b) in Bandlaufrichtung (L) nicht überragt, wobei der in der Laufrichtung (L) vorne liegende Schenkel des Dreiecks die Spanfläche (2) und der hintere Schenkel die Freifläche (3) des Zahnes (10, 20) bildet, wobei die Spanfläche (2) gegenüber der Senkrechten zur Basis und zum Bandrücken (Br) einen Spanwinkel (gamma) bildet, dadurch gekennzeichnet, dass die Zahnspitze (1) des Dreiecks abgerundet abgetragen ist und als abgerundeter Zahnkopf (4) ausgebildet ist mit einer reduzierten zweiten Zahnhöhe (h2) welcher beabstandet ist von der Basis des Dreiecks mit der Zahnbreite (b) (Merkmal 1.5), und dass mindestens im Bereich des Zahnkopfes (4) eine Hartstoffbeschichtung die Schneidfläche, gebildet aus dem Zahnkopf (4), der Spanfläche (2) und der Freifläche (3), mindestens teilweise bedeckt und dass mindestens ein Teil der Länge der ursprünglichen Spanfläche (2) des Dreieckes, mindestens in einem Teilabschnitt vom Zahnkopf (4) weg in Richtung gegen die Basis, weiter geneigt ist um einen zusätzlichen effektiven Spanwinkel (gammaeff) und dieser Winkel im Bereich von 0° bis 20° liegt (Merkmal 1.8)."

Die Merkmalsbezeichnungen "Merkmal 1.5" und "Merkmal 1.8" wurden von der Kammer hinzugefügt (die Unterstreichung hebt die zugehörigen Merkmale hervor). Sie entspricht der von den Parteien in der mündlichen Verhandlung verwendeten Zuordnung.

Anspruch 16:

"Verfahren zur Herstellung eines Sägebandes aus Stahl für eine Bandsägemaschine gemäss einem der [deleted: den] Ansprüche[deleted: n] 1 bis 15 mit einem Bandrücken (Br) und mit einer daran angeordneten Zahnreihe die mehrere Zähne (20) aufweist, wobei die Ursprungs Zahnform (10) dreieckförmig ist mit einer Zahnbasis mit der Zahnbreite (b) und mit der Zahnspitze (1) mit einer ersten Zahnhöhe (h1), derart dass die Zahnspitze (1) die Zahnbreite (b) in Bandlaufrichtung (L) nicht überragt, wobei der in der Laufrichtung (L) vorne liegende Schenkel des Dreiecks die Spanfläche (2) und der hintere Schenkel die Freifläche (3) des Zahnes (10, 20) bildet, dadurch gekennzeichnet, dass die Zahnspitze (1) des Dreiecks mit der ersten Zahnhöhe (h2) mit einem abrasiven Bürstverfahren zur Formgebung abgetragen wird bis ein abgerundeter Zahnkopf (4) in der gewünschten Form entsteht mit einer reduzierten zweiten Zahnhöhe (h2) beabstandet von der Basis des Dreiecks mit der Zahnbreite (b), und dass nach der mechanischen Bearbeitung mindestens ein Teil der Schneidfläche, am Zahnkopf (4), der Spanfläche (2) und der Freifläche (3), mit einer Hartstoffbeschichtung versehen wird."

Die in Anspruch 16 des Hauptantrags im Vergleich zum erteilten Anspruch 16 durchgeführte Änderung ist durch Unterstreichen bzw. Durchstreichen gekennzeichnet.

VII. Hilfsantrag 1:

Der unabhängige Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags entspricht Anspruch 1 des Hauptantrags.

Der unabhängige Verfahrensanspruch des ersten Hilfsantrags hat für diese Entscheidung keine Rolle gespielt (Anspruch 16)

VIII. Hilfsantrag 2:

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 durch das hinzugefügte Merkmal, wonach der zusätzliche effektive Spanwinkel (gammaeff)

"im Bereich von 4° bis 10° liegt."

Das entsprechende Merkmal wonach "mindestens ein Teil der Länge der ursprünglichen Spanfläche (2) des Dreieckes, mindestens in einem Teilabschnitt vom Zahnkopf (4) weg in Richtung gegen die Basis, weiter geneigt ist um einen zusätzlichen effektiven Spanwinkel (gammaeff) und dieser Winkel im Bereich von 4° bis 10° liegt" wird im Folgenden als Merkmal 1.8' bezeichnet.

Der unabhängige Verfahrensanspruch 15 des Hilfsantrags 2 hat für diese Entscheidung keine Rolle gespielt.

IX. Zur Stützung ihres Antrags hat Beschwerdeführerin 2 im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Hauptantrag - Verletzung von Artikel 123 (3) EPÜ

Anspruch 16 des Patents in erteilter Fassung sei eindeutig auf alle Gegenstandsansprüche zurückbezogen gewesen. Der Anspruchswortlaut ließe diesbezüglich keinerlei andere Auslegung zu. Anspruch 16 des Hauptantrags dagegen sei nur auf einen der Ansprüche 1-15, d.h. beispielsweise nur auf den Gegenstandsanspruch 1, rückbezogen. Dies stelle eine den Schutzbereich des Anspruchs erweiternde Änderung, und somit eine Verletzung des Artikels 123(3) EPÜ, dar.

Eine derartige, den Schutzbereich des Verfahrensanspruchs erweiternde Änderung könne auch nicht als durch einen Einspruchsgrund verursacht angesehen werden, insbesondere nicht durch die von der Beschwerdeführerin 1 angeführten Einspruchsgründe nach Artikel 100a) EPÜ, Neuheit und erfinderischen Tätigkeit. Um die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ zu erfüllen müsse zumindest theoretisch die Möglichkeit bestehen, dass die Änderung kausal durch einen Einspruchsgrund verursacht sei. Dies sei jedoch bei der in Anspruch 16 durchgeführten Änderung nicht der Fall.

Der Hauptantrag sei daher nicht gewährbar.

Hilfsanträge 1 und 2 - Mangelnde Neuheit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 werde sowohl durch die Offenbarung der D1, als auch der D4 neuheitsschädlich vorweggenommen. Streitig seien dabei lediglich die Merkmale 1.5 und 1.8 bzw. 1.8'.

Bezüglich des Merkmals 1.5 offenbare D1 in Paragraph [0033], dass die Zahnreihe vor dem Aufbringen der Beschichtung zum Entfernen von Graten gebürstet oder mit relativ geringem Druck kugelgestrahlt werde. Statt des Grates weise der jeweilige Zahn nach der Bearbeitung einen kleinen Radius auf. Im Falle des Bürstens könne dabei eine umlaufende Bürste verwendet werden, die das auf dem Coil aufgewickelt Sägeband - vgl. diesbezüglich D1, Abbildung 4 - bürstet. Entgratet, d.h. gebürstet, werde überall dort, wo bei der Herstellung z. B. durch Stanzen ein Grat entstanden sei, d.h. insbesondere an der Spitze des Zahnes. Auch könne bei einem Bürsten am Coil bzw. bei einem Kugelstrahlen nicht zwischen verschiedenen Kanten der Zähne unterschieden werden. Der in Paragraph [0033] explizit erwähnte "kleine Radius" befinde sich somit unter anderem an der Zahnspitze des Dreiecks, welche daher abgerundet abgetragen und als abgerundeter Zahnkopf ausgebildet sei, mit einer reduzierten Zahnhöhe im Vergleich zur Ursprungszahnform. Merkmal 1.5 sei somit in D1 offenbart.

Hinsichtlich des Merkmals 1.8 sei zu beachten, dass zum einen ein effektiver zusätzlicher Spanwinkel von 0° explizit beanspruchte sei. In diesem Fall gebe es keinen zusätzlich vom Zahnkopf weg in Richtung gegen die Basis weiter geneigten Teil der Länge der ursprünglichen Spanfläche.

Zum anderen umfasse der Anspruch Ausführungsformen, bei denen nicht nur ein Teil, sondern die gesamte Spanfläche weiter in Richtung gegen die Basis geneigt sei. Dies ergebe sich sowohl aus dem doppelten "mindestens" in Merkmal 1.8 bzw. 1.8', als auch aus dem abhängigen Anspruch 6 (Hilfsantrag 1) bzw. 5 (Hilfsantrag 2), gemäß denen der geneigte Teilabschnitt entlang der Spanfläche gemessen von 0 mm bis höchstens zur Basis des Zahnes reiche. In einer solchen Ausführungsform sei der Winkel gammaeff nicht beurteilbar, da dieser relativ zur ursprünglichen Spanfläche, d.h. relativ zur Spanfläche des Ursprungszahns definiert sei, welche jedoch am eigentlichen Gegenstand nicht vorhanden sei. Das Merkmal des zusätzlichen effektiven Spanwinkels müsse daher zur Beurteilung der Neuheit bei beiden Hilfsanträgen außer Acht gelassen werden. In Hinblick auf eine von den Merkmalen 1.8 und 1.8' erfasste, einzige geneigte Spanfläche sei das Merkmal somit durch die durchgehende, aus einem Schenkel der Dreieckzähne bestehende Spanfläche gemäß D1, Figur 3 vorweggenommen.

Damit seien Anspruch 1 des ersten und des zweiten Hilfsantrags von D1 und D4 neuheitsschädlich getroffen.

X. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin 1 im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Hauptantrag Artikel 123 (3) EPÜ

Der erteilte Anspruch 16 könne auf zwei verschiedene Arten gelesen werden. Die Formulierung "gemäß den Ansprüchen 1-15" beinhalte einerseits die Lesart "gemäß Anspruch 1 und Anspruch 2 und ... Anspruch 15", sowie andererseits die Lesart "gemäß Anspruch 1 oder Anspruch 2 oder ... Anspruch 15". Da im erteilten Anspruch grammatikalisch beide Möglichkeiten angelegt gewesen seien, könne die Festlegung auf eine dieser Möglichkeiten keine Erweiterung des Schutzbereichs bewirken. Die Änderung verletzte daher nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ.

Die Beschwerdeführerin 1 habe das Patent unter den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) EPÜ, Neuheit und erfinderische Tätigkeit angegriffen und sich im Verfahren auf die Bedeutung der Auslegung des Wortlauts des Anspruchs 16 eingelassen. Daher sei die in Anspruch 16 durchgeführte Änderung als durch einen Einspruchsgrund veranlasst anzusehen und nach Regel 80 EPÜ zulässig.

Hilfsanträge 1 und 2 - Neuheit

Weder Merkmal 1.5 noch Merkmal 1.8 bzw. 1.8' seien in D1 und D4 offenbart.

Zum einen sei nicht eindeutig ausgesagt, welche Kante entgratet werden solle. Der in D1, Paragraph [0033] erwähnte "kleine Radius" könne daher durchaus an der seitlichen Kante und nicht an der Zahnspitze entstehen. Außerdem lehre Paragraph [0015] der Patentschrift explizit, dass die üblichen einfachen Bürstverfahren Sägeblätter zwar entgrateten, jedoch keine Abtragung der Zahnform in der beanspruchten Art und Weise erlaubten, wie sie zur Verbesserung der Lebensdauer und der Reproduzierbarkeit der Bandqualität erforderlich wäre. Dies sei nur mit den in der Patentschrift offenbarten, speziellen abrasiven Bürstverfahren möglich. Daher ergebe das in D1 offenbarte, einfache Bürsten zum Entgraten keinesfalls die beanspruchte, abgerundet abgetragene Zahnspitze. Insbesondere lehre D1 explizit die Ausbildung eines kleinen Radius, d.h. eine Rundung wie beansprucht solle gerade vermieden werden. Merkmal 1.5 sei somit in D1 nicht offenbart.

Weiterhin sei die Existenz eines zusätzlichen effektiven Spanwinkels beansprucht, wobei das Wort "zusätzlich" zwingend die Existenz eines ersten Spanwinkels erfordere. Der Anspruch sei daher so auszulegen, dass eine Ausführungsform mit einer durchgehenden Spanfläche nicht unter den Anspruch falle. Dies könne gegebenenfalls durch Streichen des abhängigen Anspruchs 6 (Hilfsantrag 1) bzw. 5 (Hilfsantrag 2) deutlicher gemacht werden. Aus dem Wort "zusätzlich" folge weiterhin, dass der beanspruchte zusätzliche effektive Spanwinkel den Wert 0° nicht annehmen könne, da es sich ja dann gerade nicht um einen zusätzlichen effektiven Spanwinkel handele. Eine von einer einfachen, aus einem Schenkel eines Dreieckzahns gebildete Spanfläche, wie in D1 und D4 gezeigt, falle daher nicht unter Merkmal 1.8 bzw. 1.8'.

Da die Merkmale 1.5 und 1.8 bzw. 1.8' in D1 und D4 nicht gezeigt seien, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 sowohl des ersten, als auch des zweiten Hilfsantrags neu.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Artikel 123 (3), Regel 80 EPÜ

1.1 Anspruch 16 des Patents in erteilter Fassung ist gerichtet auf ein "Verfahren zur Herstellung eines Sägebandes aus Stahl für eine Bandsägemaschine gemäß den Ansprüchen 1 bis 15...". Anspruch 16 gemäß Hauptantrag ist dagegen gerichtet auf ein "Verfahren zur Herstellung eines Sägebandes aus Stahl für eine Bandsägemaschine gemäß einem der Ansprüchen 1 bis 15...".

Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin 2 dahingehend zu, dass die Formulierung wie erteilt nicht ein Verfahren zur Herstellung eines entsprechenden Sägebandes allein mit den in Anspruch 1 definierten Merkmalen umfasste, ohne dass das herzustellende Sägeblatt zugleich auch die in allen weiteren Gegenstandsansprüchen definierten Merkmale umfasste.

1.2 Artikel 123 (3) EPÜ

Zur Beurteilung des "Schutzbereiches" kommt es jedoch auf den gesamten durch die Ansprüche in der erteilten Fassung festgelegten Schutz an und nicht unbedingt auf den Schutz, der durch den Wortlaut jedes einzelnen Anspruchs in der erteilten Fassung abgesteckt wird (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage 2016, Kap. II.E.2.2).

Dabei verleiht nach ständiger Rechtsprechung ein Erzeugnisanspruch allen Verfahren zur Herstellung des Erzeugnisses Schutz. So wird z.B. der Wechsel von einem Erzeugnisanspruch zu einem Anspruch auf eine bestimmte Methode zur Herstellung des Erzeugnisses als den dadurch verliehenen Schutz nicht erweiternd angesehen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, Kap. II.E.2.6.3).

Anspruch 16 des Hauptantrags ist wie unter 1.1 gezeigt zwar breiter als Anspruch 16 des Patents in erteilter Fassung, sein Schutzbereich geht jedoch nicht über den Schutzbereich hinaus, den die Erzeugnisansprüche 1-15 wie erteilt allen Verfahren zu ihrer jeweiligen Herstellung verliehen.

Eine Verletzung der Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ liegt somit nicht vor.

1.3 Regel 80 EPÜ

Im Einspruchs und Einspruchsbeschwerdeverfahren können die Patentansprüche geändert werden, soweit die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sind, auch wenn dieser Grund vom Einsprechenden nicht geltend gemacht wurde.

Die Beschwerdeführerin 1 hat vorgebracht, dass der Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit und der fehlenden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 bzw. 56 EPÜ) die Änderungen in Anspruch 16 veranlasst habe.

Dies ist aus folgenden Gründen nicht überzeugend:

Die von der Beschwerdeführerin 2 vorgebrachten Einwände unter Artikel 100 a) EPÜ waren und sind gegen die Gegenstandsansprüche gerichtet. Die Hinzufügung eines zusätzlichen Merkmals in Anspruch 1 des Hauptantrags im Vergleich zu Anspruch 1 des Patent in erteilter Fassung ist daher als eine durch einen Einspruchsgrund veranlasste Änderung anzusehen. Aufgrund des in Anspruch 16 definierten Rückbezugs auf die Gegenstandsansprüche wird der auf das Herstellungsverfahren gerichtete Anspruch sozusagen automatisch in konsistenter Art und Weise angepasst.

Die vorgenommene Umformulierung des unabhängigen Anspruchs 16 ist jedoch keine Folge der unter Regel 80 EPÜ zulässigen im Vergleich zum erteilten Patent durchgeführten Änderung der Gegenstandsansprüche. Sie kann außerdem keinen Angriff unter Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 54 und 56 EPÜ gegen die Gegenstandsansprüche beheben, da sie diese nicht verändert.

Auch mögliche, jedoch von der einsprechenden Beschwerdeführerin 2 nicht geltend gemachte Einwände unter Artikel 100 a) i.V.m. den Artikeln 54 und 56 EPÜ gegen den auf ein Verfahren zur Herstellung des Sägebandes gerichteten Anspruch 16 selbst können offensichtlich nicht eine den Gegenstand dieses Anspruchs erweiternde Änderung veranlassen, da eine solche den Gegenstand erweiternde Änderung die genannten Einspruchsgründe nicht ausräumen kann.

Eine Veranlassung der Änderung durch weitere Einspruchsgründe wurde weder von der Beschwerdeführerin 1 vorgetragen, noch ist für die Kammer eine solche erkennbar.

Daher sind die Änderungen in Anspruch 16 nicht durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst und somit gemäß Regel 80 EPÜ nicht gewährbar.

2. Hilfsanträge 1 und 2 - Neuheit

Unter den Parteien ist insbesondere streitig, ob die Merkmale 1.5 und 1.8 bzw. 1.8' in D1 offenbart sind. Diese werden daher zuerst diskutiert:

2.1 Merkmal 1.5:

D1 offenbart ein Sägeband für eine Bandsägemaschine mit einer am Bandrücken angeordneten Zahnreihe mit mehreren dreieckförmigen Zähnen (Figur 3).

Gemäß Paragraph [0033] des Dokuments wird - um zu vermeiden, dass eventuell an den Zähnen sich befindliche Grate beim späteren Einsatz des Sägebandes abbrechen - zumindest die Zahnreihe vor dem Aufbringen der Beschichtung zum Entfernen von Graten gebürstet oder mit relativ geringem Druck kugelgestrahlt. Nach der Bearbeitung weist der jeweilige Zahn statt des Grates einen kleinen Radius auf. Somit wurde, zumindest im Bereich des "kleinen Radius" die dreieckige Zahnform abgerundet abgetragen, d.h. sie bildet einen abgerundeten Zahnkopf aus.

Die in Paragraph [0033] explizit offenbarten Arten der Entgratung, nämlich Kugelstrahlen oder die Verwendung einer umlaufenden Bürste, die das auf dem Coil aufgewickelt Sägeband bürstet, können zur Überzeugung der Kammer nicht zwischen verschiedenen Kanten unterscheiden. Es werden somit zwangsläufig auch die an der Spitze der dreieckförmigen Zähne befindlichen Kanten zu einem kleinen Radius abgetragen, so dass sich ein abgerundeter Zahnkopf mit einer reduzierten zweiten Zahnhöhe ausbildet, welcher beabstandet ist von der Basis des Dreiecks mit der Zahnbreite (b).

Die Beschwerdeführerin 1 hat vorgebracht, dass ein normales Bürsten nicht zu der beanspruchten abgerundet abgetragenen Zahnspitze führe. Dies gelinge nur durch ein spezielles abrasives Bürstverfahren, wie in Paragraph [0015] der Patentschrift diskutiert.

Allerdings legt der Anspruch nicht fest, wie groß der Radius sein, oder wie viel Material abgetragen werden muss. Auch die in der Beschreibung genannte Verbesserung der Lebensdauer oder die Reproduzierbarkeit der Bandqualität sind keine im Anspruch definierten Merkmale. Sobald ein "kleiner Radius" ausgebildet ist, weist die Zahnspitze eine Rundung auf und ist somit abgerundet. Weiterhin ist der Effekt eines Bürstens oder Kugelstrahlens zwingend ein Materialabtrag, wenn auch möglicherweise geringer als bei dem speziellen abrasiven Bürstverfahren des Patents.

Die in D1 ausgebildeten Zähne fallen daher unter Merkmal 1.5.

2.2 Merkmal 1.8 und 1.8'

Anspruch 1 definiert den Gegenstand relativ zu einer "Ursprungszahnform". Diese Ursprungszahnform hat eine Höhe h1 und einen Spanwinkel gamma. Relativ zu dieser Ursprungszahnform ist die Spanfläche wenigstens zum Teil um den Winkel gammaeff weiter geneigt, so dass sich ein Spanwinkel dieser weiter geneigten Teilfläche von gamma+gammaeff ergibt.

Die Formulierung des Merkmals 1.8 bzw. 1.8' ist dabei so breit, dass auch ein weiteres Neigen der gesamten Spanfläche darunter fällt. Anspruchsgemäß ist nämlich "mindestens ein Teil der Länge der ursprünglichen Spanfläche", d.h. möglicherweise auch die ganze Spanfläche, "mindestens in einem Teilabschnitt vom Zahnkopf weg in Richtung gegen die Basis", d.h. also möglicherweise auch bis ganz zur Basis hin, weiter geneigt um einen zusätzlichen effektiven Spanwinkel.

Diese Interpretation steht in Einklang mit Anspruch 6 (Hilfsantrag 1) bzw. Anspruch 5 (Hilfsantrag 2), gemäß dem der geneigte Teilabschnitt "vorzugsweise im Bereich von 0.00 bis 0.15mm und höchstens bis zur Basis des Zahnes reicht".

Im Falle eines weiteren Neigens der gesamten Spanfläche ist am Zahn selbst nur noch der Spanwinkel gamma+gammaeff erkennbar. Die im Anspruch erwähnte Ursprungszahnform mit ihrer Spanfläche, relativ zu der der zusätzliche Spanwinkel gammaeff zu bestimmen wäre, ist in diesem Fall nur ein theoretisches Hilfskonstrukt zur Definition des Anspruchsgegenstands, am Sägeband selbst jedoch nicht vorhanden. Der Fachmann kann somit weder die Ursprungszahnform, noch den Winkel gammaeff am Sägeband eindeutig bestimmen.

Das Anspruchsmerkmal, wonach der Winkel gammaeff in einem bestimmten Bereich liegen muss, ist daher im vom Anspruch umfassten Falle eines weiteren Neigens der gesamten Spanfläche außer Acht zu lassen (bezüglich der Ursprungszahnform siehe Punkt 2.4).

Dies hat zur Folge, dass eine Dreieckszahnform, bei der die Zahnspitze die Zahnbreite in Bandlaufrichtung nicht überragt (wie in D1, Figur 3 offenbart), das Merkmal 1.8 bzw. 1.8' erfüllt.

Die Beschwerdeführerin 1 war der Ansicht, dass der Begriff "zusätzlicher Spanwinkel" einen am Zahn vorhandenen ersten Spanwinkel erfordere, so dass ein Zahn mit einer einzigen durchgehenden Spanfläche nicht unter den Anspruchswortlaut falle.

Dieser Interpretation kann sich die Kammer nicht anschließen.

Zum einen macht der Begriff "zusätzlicher effektiver Spanwinkel" relativ zur Spanfläche des Ursprungszahns - der ja im Anspruchswortlaut erwähnt ist - durchaus Sinn. Dass diese Spanfläche des Ursprungszahns am Zahn letztlich nicht mehr vorhanden ist und der Winkel daher am Zahn selbst nicht verifiziert werden kann, ändert nichts an der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Begriffs.

Zum anderen steht die Interpretation der Beschwerdeführerin 1 in Widerspruch zu der die doppelte Verwendung des Wortes "mindestens" umfassenden Formulierung des unabhängigen Anspruchs 1, zum einen Winkel von 0° explizit beinhaltenden Winkelbereich für den Spanwinkel (in Merkmal 1.8) und zum Gegenstand des abhängigen Anspruchs 6 (Hilfsantrag 1) bzw. Anspruchs 5 (Hilfsantrag 2).

Besteht eine solche Widersprüchlichkeit, so ist das Merkmal entsprechend breit auszulegen, so dass Ausführungsformen mit einer einzigen geneigten Spanfläche als vom Anspruch umfasst anzusehen sind. Da die Widersprüchlichkeit bereits in der Formulierung des Hauptantrags durch das doppelte "mindestens" angelegt ist, könnte sie durch Streichen der abhängigen Ansprüche 6 (Hilfsantrag 1) bzw. 5 (Hilfsantrag 2), wie von der Beschwerdeführerin 1 als weitere mögliche Antragsänderung angeboten, nicht behoben werden.

2.3 Weitere Merkmale

D1 offenbart unstreitig die weiteren Merkmale des Anspruchs 1, nämlich:

- Das Sägeband für eine Bandsägemaschine (D1, Paragraph [0027]) besteht aus Stahl (Paragraph [0028])

- mit einem Bandrücken und mit einer daran angeordneten Zahnreihe die mehrere Zähne aufweist (Paragraph [0028] und Figur 3).

- Mindestens im Bereich des Zahnkopf bedeckt eine Hartstoffbeschichtung die Schneidfläche, gebildet aus dem Zahnkopf, der Spanfläche und der Freifläche mindestens teilweise (Paragraph [0029]).

2.4 Die im Anspruch weiter erwähnte Ursprungs-Zahnform ist am Zahn selbst nicht erkennbar (siehe Punkt 2.2 oben). Sie stellt - wie erwähnt - lediglich ein theoretisches Konstrukt zur Definition des Anspruchsgegenstands dar.

Es genügt zur Erfüllung der entsprechenden Anspruchsmerkmale daher, dass die in D1 offenbarte Zahnform theoretisch aus einer dreieckigen Ursprungs- Zahnform mit einer Zahnbasis und mit der Zahnspitze mit einer ersten Zahnhöhe h1, derart, dass die Zahnspitze die Zahnbreite in Bandlaufrichtung nicht überragt, durch weiteres Neigen der gesamten Spanfläche und abrundendes Abtragen des Zahnkopfes auf eine zweite Zahnhöhe h2 erhalten werden kann.

Dies ist für die in D1 offenbarten Zähne der Fall: es kann für die in D1, Figur 3 gezeigten Zähne offensichtlich immer eine (hypothetische) Spanfläche der Ursprungszahnform gewählt werden, die von der am Zahn real vorhandenen Spanfläche um mindestens 0° (bzw. im Falle des Hilfsantrags 2 um mindestens 4°) in Richtung auf eine senkrecht zur Bandrichtung befindlichen Fläche (aber nicht über diese hinausgehend, damit die Zahnspitze die Zahnbasis in Laufrichtung nicht überragt) geneigt ist.

Dies wurde im Übrigen von der Beschwerdeführerin 1 nicht in Frage gestellt.

2.5 Damit sind alle Merkmale des Anspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 durch die Lehre von D1 neuheitsschädlich vorweggenommen. Da Anspruch 1 des Hauptantrags wortgleich Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ist, träfe die Lehre von D1 auch diesen neuheitsschädlich.

3. Die Beschwerdeführerin 2 hat die Neuheitseinwände auch auf D4 gestützt. In Anbetracht obiger Analyse zur Offenbarung der D1 ist eine ausführliche Diskussion dieser praktisch gleichwertigen Offenbarung (vgl. Figur 2 und Seite 11, vorletzter Absatz) nicht notwendig.

4. Aus den in den Punkten 1 bis 3 erläuterten Gründen genügt das Patent auch unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin 1 vorgenommenen Änderungen nicht den Erfordernissen des Übereinkommens.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1) Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2) Das Patent wird widerrufen.

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