T 0739/13 () of 27.10.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T073913.20151027
Datum der Entscheidung: 27 October 2015
Aktenzeichen: T 0739/13
Anmeldenummer: 05025436.6
IPC-Klasse: E05D 15/52
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 467 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Lager für Fenster, Türen oder dergleichen
Name des Anmelders: ROTO FRANK AG
Name des Einsprechenden: SIEGENIA-AUBI KG
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 25. Januar 2013, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 788 178 zurückgewiesen wurde. Die Beschwerde wurde form- und fristgereicht eingereicht.

II. Am 27. Oktober 2015 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 788 178.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

III. Der erteilte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Lager (2) für ein Fenster, eine Tür oder dgl. mit einem ersten und einem zweiten Lagerteil (5, 6) und einer Steuerlasche (7) (Merkmal a),

die mit einem Lagerteil (5, 6) schwenkbar verbunden ist (Merkmal b) und

entlang einer bogenförmig ausgebildeten Führung (9) begrenzt relativ zu dem anderen Lagerteil (5, 6) beweglich ist (Merkmal c),

die Führung (9) als Kulisse ausgebildet ist (Merkmal d),

in der ein drehbar mit der Steuerlasche (7) verbundenes Gleitstück (30) zumindest mit einem Abschnitt geführt ist (Merkmal e),

dadurch gekennzeichnet, dass

wobei im Betrieb zumindest eine seitliche Anlagefläche (34, 35) des Gleitstücks (30) flächig an einer Innen­wand (32, 33) der Kulisse gleitend anliegt (Merkmal f)."

Die Merkmalsbezeichnung (Merkmale a bis f) ist von der Kammer hinzugefügt worden.

IV. Folgende für die Entscheidung relevante Entgegen­haltungen wurden innerhalb der Einspruchsfrist eingereicht:

D6: EP-B-0 534 091;

D7: EP-B-0 403 731;

D9: DE-U-77 19 240.

Folgende für die vorliegende Entscheidung relevanten Dokumente wurden zusammen mit der Beschwerde­schrift eingereicht

D17: K. Rauh, "Praktische Getriebelehre" - Erster Band Die Viergelenkkette, Springer Verlag 1951, Textseiten 2 - 6, 118, 119, Abbildungsseiten 2, 35, 86, 87

D18: "Begleittext zur Vorlesung Getriebetechnik 1", Universität Gesamthochschule Siegen, Fachbereich 11, Institut für Konstruktion, Fachgebiet Getriebe­technik, 1984, Übersicht, Seiten 2/17, 2/18, 2/28, 2/29, 2/38 - 2/41

D19: "Getriebelehre", Otto Kraemer, Verlag G. Braun - Karlsruhe, Verlag G. Braun, Seiten 64 und 65

V. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Zulassung der verspätet eingereichten Entgegenhaltungen

D17, D18 und D19 seien zwar verspätet vorgebracht worden, es handle sich hierbei jedoch lediglich um Textbücher, die das Wissen des Fachmanns belegen sollen. Da dieses erst während der mündlichen Ver­handlung im Einspruchs­verfahren in Frage gestellt worden sei, hätten sie nicht früher ein­gereicht werden können.

Folglich sollten diese Dokumente in das Verfahren zugelassen werden.

Erfinderische Tätigkeit

Von D6 ausgehend

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem in D6 offenbarte Lager ausschließlich dadurch, dass die Führung bogenförmig ausgebildet sei.

Der Fachmann - ein Maschinenbauingenieur mit Erfahrung in der Getriebetechnik - kenne die verschie­denen vier­gliedrigen Gelenkgetriebe, wie sie z. B. in D17 und D18 gezeigt seien, und wüsste insbesondere, dass bei einem unendlich großen Radius eine "Bogen­schub­kurbel" in eine versetzte Schubkurbel übergehe. Somit sei es nahe­liegend, die in D6 gezeigte gerade Führung durch eine bogenförmige zu ersetzen, zumal D9 zeige, dass der Einsatz einer bogenförmigen Führung auch für Fenster­beschläge bekannt sei.

Folglich beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 von D6 ausgehend nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Von D9 ausgehend

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem in D9 gezeigten Getriebe lediglich durch das Merkmal f. Hiervon ausgehend sei die Aufgabe zu lösen, den durch die höhere Flächenpressung der dort ein­gesetzten Rolle hervorgerufenen Verschleiß zu redu­zieren. Wie z. B. in Beispiel 28 der D19 gezeigt, sei es gebräuchlich, Gleit­steine einzusetzen, die an die Kontur der Führung an­gepasst seien und somit an der Innenwand der Kulisse gleitend anlägen. Da es dem Fachmann bekannt sei, dass dadurch der Verschleiß reduziert werde, liege es für ihn nahe, eine Getriebe­kette gegen die andere auszutauschen und somit - ohne dabei erfinderisch tätig zu werden - zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.

Folglich beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auch von D9 ausgehend nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VI. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Zulassung der verspätet eingereichten Entgegenhaltungen

Wie aus der gängigen Rechtsprechung der Beschwerde­kammern zu entnehmen, liege es im Ermessen der Kammer, verspätet vorgebrachte Dokumente in das Verfahren zuzu­lassen oder nicht. Da im vorliegenden Fall die Doku­mente nicht prima facie relevant seien, sollten sie nicht in das Verfahren zugelassen werden.

Erfinderische Tätigkeit

Von D6 ausgehend

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem in D6 offenbarten Lager sowohl durch das Merkmal c als auch durch das Merkmal f.

Es stimme zwar, dass dem Fachmann Getriebe bekannt seien, bei denen Gleitsteine in gekrümmten Bahnen geführt werden, doch bestehe für den Fachmann kein Anlass, die eine Form durch die andere zu ersetzen, zumal da­durch der Bauraum des Lagers vergrößert und die Kinematik so geändert würde, dass die Funktions­fähigkeit des Getriebes nicht sicher­gestellt werden könne.

Folglich beruhe von D6 ausgehend der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Von D9 ausgehend

Die der D9 zugrundeliegende Erfindung beruhe gerade darauf, ein "weitestgehend verschleißfreies Führungs­spiel" dadurch zu erzielen, dass der Haltebolzen nicht direkt in der Führung gleite, sondern mit einer Führungs­rolle versehen wird. Es sei somit grundsätzlich abwegig, von D9 ausgehend die Rolle durch einen Gleit­stein zu ersetzten, da diese Maßnahme gegen die aus­drückliche Lehre der Entgegen­haltung verstoße. Ferner betreffe D19 auch keine Ausstellvorrichtungen für Fenster, sondern grundsätzliche Beispiele der Getriebe­lehre und deren Kinematik, so dass kein Anlass bestehe, gerade die Ausführung des Beispiels 28 auf das Lager gemäß D9 anzuwenden.

Folglich beruhe auch von D9 ausgehend der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung der verspätet eingereichten Entgegenhaltungen

Die Zulassung der verspätet vorgebrachten Dokumente D17 bis D19 ins Verfahren liegt im Ermessen der Kammer. Im vorliegenden Fall wurden die Dokumente zusammen mit der Beschwerdebegründung und somit zu frühestmöglichen Zeit­punkt im Beschwerdeverfahren eingereicht. Es handelt sich zudem um Textbücher, die lediglich das Wissen des Fachmanns belegen sollen.

Da dieses erst während der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren in Frage gestellt worden war, konnte die Beschwerdeführerin die Dokumente nicht schon während des damaligen Verfahrens einreichen. Somit stellt das Einreichen dieser Dokumenten zusammen mit der Beschwerde­begründung ein jedenfalls nicht ver­fahrens­missbräuchliches Verhalten der unterlegenen Partei dar. Die Dokumente D17 bis D19 werden daher in das Verfahren zugelassen.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1 Von D6 ausgehend

2.1.1 D6 offenbart in den Figuren 5 und 6

ein Lager für ein Fenster, eine Tür oder dgl. zu offen­baren mit einem ersten [Lagerteil] (51) und einem zweiten Lagerteil (7)und einer Steuerlasche (6), die mit einem Lagerteil (7) schwenkbar verbunden ist und entlang einer ausgebildeten Führung (8') begrenzt relativ zu dem anderen Lagerteil (51) beweglich ist, wobei die Führung (8') als Kulisse ausgebildet ist, in der ein drehbar mit der Steuerlasche (6) verbundenes Gleitstück (59/60) zumindest mit einem Abschnitt (59) geführt ist, wobei im Betrieb zumindest eine seitliche Anlagefläche (61') des Gleitstücks (59/60) flächig an einer Innenwand der Kulisse (8') gleitend anliegt.

Folglich unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem in D6 offenbarten Lager zumindest dadurch, dass die Führung bogenförmig ausgebildet ist (Ent­sprechen­des trifft auch bezüglich der D7 zu).

2.1.2 Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dass es für den Fachmann naheliegend sei, die in D6 verwendete gerade Führung durch eine bogenförmige zu ersetzen, da solche Konstruktionen aus dem allgemeinen Fachwissen bekannt seien und sie - wie in D9 gezeigt - auch bei Fensterlagern Anwendung finden.

2.1.3 Es stimmt zwar, dass Schubkurbeln sowohl mit geraden als auch mit bogenförmigen Führungen bekannt sind, wie z. B. aus den Beispielen auf Seite 2/39 der D18 ersichtlich. Jedoch führt die Anwendung der einen oder der anderen Geometrie zu unterschiedlichen Bewegungs­abläufen des Getriebes, so dass der Fachmann die eine oder die andere Lösung in Abhängigkeit von der zu erzielenden Kinematik wählen wird.

Im vorliegenden Fall beschreibt D6 ein Getriebe für ein Fenster, das durch eine bestimmte Abstimmung der Geo­metrie der verschiedenen Teile - insbesondere des Lagerteils und der Steuerlasche - eine spezifische Kine­matik erzielt. Durch das Ändern der Form der Führung ändert sich zwingend der Bewegungsablauf von Lagerteil und Steuerlasche, so dass nicht sicher­gestellt werden kann, dass das Getriebe ohne weitere Änderungen über­haupt funktionieren kann.

Folglich besteht für den Fachmann kein Anlass, die in D6 gezeigte gerade Führung durch eine bogenförmige zu ersetzen, zumal nicht klar ist, welche Aufgabe damit gelöst werden soll. Es kann sich auch nicht lediglich um eine naheliegende Alternative handeln, weil weit­gehende zusätzliche Änderungen des Getriebes notwendig werden, um dessen Funktionsfähigkeit zu erhalten.

Da das Vorsehen des Merkmals c nicht naheliegend ist, beruht schon deswegen von D6 ausgehend der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Somit kann es dahingestellt bleiben, ob das Gleitstück (59/60) tatsächlich an einer Innenwand der Kulisse flächig anliegt oder nicht.

2.2 Von D9 ausgehend

2.2.1 D9 offenbart in den Figuren 1 und 2

ein Lager für ein Fenster, eine Tür oder dgl. mit einem ersten [Lagerteil] (7) und einem zweiten Lagerteil (5) und einer Steuerlasche (1), die mit einem Lagerteil (7) schwenkbar verbunden ist und entlang einer bogenförmig ausgebildeten Führung (4) begrenzt relativ zu dem anderen Lagerteil (5) beweglich ist, wobei die Führung (4) als Kulisse ausgebildet ist, in der eine drehbar mit der Steuerlasche (1) verbundene Rolle (3) zumindest mit einem Abschnitt geführt ist.

Folglich unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem in D9 offenbarten Lager dadurch, dass im Betrieb zumindest eine seitliche Anlagefläche eines Gleit­stücks flächig an einer Innenwand der Kulisse gleitend anliegt.

2.2.2 Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dass hier­durch die Aufgabe gelöst werde, den durch die Führungs­rolle hervorgerufenen Verschleiß der Führung zu redu­zieren. Dem Fachmann sei es bekannt, dafür - wie z. B. aus D19 ersichtlich - einen Gleitstein zu verwenden, so dass das Vorsehen dieser Lösung nicht auf einer erfinde­rischen Tätigkeit beruhen könne.

2.2.3 D9 beschreibt ein Lager für ein Fenster, bei dem der in der Führung gleitende Haltebolzen mit einer Rolle ver­sehen wird, um "ein weitestgehend verschleißfreies Führungsspiel zwischen dem Ausstellarm-Haltebolzen und dem Trägerschienen-Langloch" zu gewährleisten (siehe Seite 2, zweiter Absatz). Folglich besteht die Lehre der D9 gerade darin, die gleitende Relativbewegung zwischen Haltebolzen und Führungsschiene durch das Vorsehen einer Rolle auf dem Haltebolzen zu ersetzen, so dass nur Rollreibung auftritt und der Verschleiß reduziert wird.

Es ist zwar unstreitig, dass dem Fachmann z. B. aus der D19 Getriebe­vorrichtungen bekannt sind, bei denen Gleitsteine eingesetzt werden, die an einer Innenwand der Kulisse gleitend anliegen. Jedoch hat der Fachmann keinen Anlass, bei dem Getriebe gemäß D9 einen Gleit­stein einzusetzen, weil dies der ausdrücklichen Lehre dieser Entgegenhaltung zuwiderliefe.

Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auch von D9 ausgehend auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation