T 0676/13 () of 22.10.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T067613.20181022
Datum der Entscheidung: 22 October 2018
Aktenzeichen: T 0676/13
Anmeldenummer: 06018924.8
IPC-Klasse: G08B 25/08
G08G 1/123
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Benachrichtigung von Notrufabfragestellen der Polizei, der Feuerwehr oder der Rettungsdienste über eingegangene Notrufe mit Ortungsinformationen
Name des Anmelders: Deutsche Telekom AG
Name des Einsprechenden: PSA PEUGEOT CITROEN
Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V. (ADAC)
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention R 103(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 11
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelnde erfinderische Tätigkeit (ja)
Einspruchsgründe - Hauptantrag, Hilfsanträge 1, 4
Patentansprüche - Klarheit im Einspruchsverfahren
Patentansprüche - Klarheit (nein)
Patentansprüche - Hilfsanträge 2, 3
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent EP 1 814 093 ("Streitpatent") in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten. Die Einspruchsabteilung hat ihre Entscheidung damit begründet, dass die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und b) EPÜ der Aufrechterhaltung nicht entgegenstünden und die in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des Artikels 123 EPÜ entsprächen. Die Änderungen betrafen im Wesentlichen die Streichung des erteilten Anspruchs 13.

II. Gegen diese Entscheidung hat nur die Einsprechende 1 (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt. Die Einsprechende 2 hat im Beschwerdeverfahren keine Stellung genommen.

III. Die folgenden Dokumente des Standes der Technik sind für die vorliegende Entscheidung relevant:

D1: WO 03/023326 A1

D21: WO 2005/091586 A1

IV. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 22. Oktober 2018 statt. Die Einsprechende 2 war in der mündlichen Verhandlung wie angekündigt nicht vertreten.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten und das Verfahren an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent in geänderter Fassung gemäß einem der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 aufrecht zu erhalten.

VI. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist identisch mit der erteilten Version und lautet wie folgt:

"(a) Verfahren zur Benachrichtigung von Notrufabfragestellen über eingegangene Notrufe mit Ortungsinformationen, mit einem Fahrzeug,

(a1) das Ortungsinformation sammelt und

(a2) das eine Kommunikationseinheit aufweist und

(a3) das einen Notrufsignalgeber aufweist, umfassend folgende Schritte:

(b) Übertragen der Ortungsinformationen zusammen mit Identifikationsdaten von einer mobilen Einheit in digitaler Form über ein Mobilfunknetz zu einem zentralen eCall-Server als digitale Datennachricht im Falle eines Notrufereignisses;

(c) Aufbereiten der übertragenen Informationen von dem eCall-Server zu einem Meldebild und Bereitstellen auf einer zugriffsgeschützten Internetseite, die mit grafischem Kartenmaterial versehen ist, aus dem ersichtlich ist, wo sich das Fahrzeug befindet;

gekennzeichnet durch

(d) zusätzliches Übermitteln von Information an eine lokale Notrufabfragestelle, durch einen Telefonanruf des Fahrzeuges, wobei die lokale Notrufabfragestelle, auf der Basis der Ortsinformationen bestimmt wird; und

(e) Abfragen des Meldebildes über das Internet durch die zuständige lokale Notrufabfragestelle nach einer Authentifizierung am eCall-Server."

Die Merkmalsgliederung wurde aus der angefochtenen Entscheidung übernommen.

VII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 enthält zusätzlich zu den Merkmalen des Hauptantrags am Ende des Merkmals (d) das folgende Merkmal:

"wobei der direkte Sprachruf mittels einer Kurzwahl und ortsabhängigen Routing [sic] durchgeführt wird."

VIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 enthält zusätzlich zu den Merkmalen des Hauptantrags am Ende des Merkmals (e) das folgende Merkmal:

"wobei aus einer Liste mit aktuellen Meldebildern ein Vorgang ausgewählt werden kann und wobei die Liste entsprechend des Zuständigkeitsbereiches der Notrufabfragestelle vorgefiltert ist, und nach Auswahl wird [sic] das komplette Meldebild auf einer Internetseite dargestellt."

IX. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 enthält zusätzlich zu den Merkmalen des Hilfsantrags 2 am Ende des Merkmals (e) das folgende Merkmal:

"wobei auch gleich eine Zuordnung auf der Basis der Telefonnummer erfolgen [sic], die übertragen wurde."

X. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 enthält zusätzlich zu den Merkmalen des Hilfsantrags 1 am Ende des Merkmals (e) das folgende Merkmal:

"wobei zusätzlich zur Darstellung des Meldebildes auf dem Browser der Notrufabfragestelle, [sic] auf der genannten Internetseite eine Weiterleitungsoption vorhanden ist, um die Informationen an mobile Einheiten in Einsatzfahrzeugen weiterzuleiten, wodurch ermöglicht wird, dass dort ebenfalls die Informationen betrachtbar sind."

XI. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Die Beschwerdegebühr sei zurückzuerstatten und das Verfahren sei wegen eines Verfahrensfehlers an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, da die angefochtene Entscheidung nicht ausreichend begründet sei. Die Gründe, aus denen die Einspruchsabteilung Anspruch 13 als unabhängigen Anspruch gewertet hat, seien nicht dargelegt. Daher sei die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen, zu verstehen, welche der Merkmale aus Anspruch 13 sich in Anspruch 1 wiederfänden und welche nicht, und habe deshalb nicht angemessen antworten können. Die angefochtene Entscheidung sei hinsichtlich der Bewertung, ob die Merkmale (d) und (e) naheliegen, zudem widersprüchlich.

b) Das Verfahren von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag sei nicht neu gegenüber Dokument D21. Aus Anspruch 1 gehe nicht hervor, dass es die Notrufabfragestelle sei, die sich beim eCall-Server authentifiziert. Daher sei Merkmal (e) schon durch die Authentifizierung des Kunden in D21 offenbart. Überhaupt sei der Begriff "Authentifizierung" wenig einschränkend. Durch das Protokoll TCP/IP, das beim Zugriff eines Client auf eine Internetseite auf einem Server zur Anwendung kommt, sei der Client automatisch authentifiziert, sonst könne keine Kommunikation stattfinden. Es folge also implizit aus dem Zugriff über Internet, dass sich die Notrufabfragestelle authentifiziere.

c) Zumindest sei es beim Verfahren gemäß Hauptantrag ausgehend von D21 aufgrund der allgemeinen Fachkenntnisse naheliegend, eine Authentifizierung am eCall-Server zur Sicherung der Daten zu implementieren.

d) Die Hilfsanträge 1 bis 4 seien nicht zuzulassen, da sie nicht konvergent seien.

e) Das Verfahren gemäß Hilfsantrag 1 sei auch nicht neu. Die zusätzlichen Merkmale gemäß Hilfsantrag 1 seien nämlich aus D21, Seite 20, Zeilen 19 ff bekannt, wo schon eine Kurzwahl offenbart sei. Das Merkmal "direkt" sei bedeutungslos und daher nicht einschränkend, denn der "direkte" Telefonanruf erreiche den Empfänger nur durch Weiterleitung ("Routing"). In D21 leite der eCall-Server den Anruf weiter, weshalb auch dort ein direkter Telefonanruf offenbart sei. Das Verfahren von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 sei zumindest naheliegend. Das zusätzliche Merkmal betreffe nämlich eine Kurzwahl, wie die 112, die seit 1991 europaweit bekannt sei, und die das Streitpatent selbst als naheliegend betrachte.

f) Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 und 3 sei unklar, da der Begriff "Vorgang" aus dem Kontext gerissen und unklar sei und weil die aus der Beschreibung entnommene Definition nicht zu dem Rest des Anspruchs passe.

g) Das Verfahren laut Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 liege nahe, denn es sei bereits in D21, Seite 18, Zeile 5 ("Autobahnpolizei") und Seite 19, Zeile 12 bis Seite 20, Zeile 9 offenbart, die Informationen an Einsatzfahrzeuge weiterzuleiten. Darüber hinaus sei es nur logisch, die Informationen an die Einsatzfahrzeuge weiterzuleiten.

XII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Das Verfahren gemäß Hauptantrag sei neu. Die diesbezüglichen Ausführungen im Ladungszusatz der Kammer seien im Wesentlichen zutreffend. Allerdings werde in D21 auch keine Übermittlung zusätzlicher Informationen offenbart, da dort die Begrifflichkeiten durcheinandergingen und nicht offenbart werde, wer der Empfänger des Telefonanrufes sei. "Leitzentrale" sei nicht mit einer lokalen Notrufabfragestelle gleichzusetzen, wie die Kammer dies täte, weil der Begriff Leitzentrale im Widerspruch zu einer lokalen Zuständigkeit stehe.

b) Das Verfahren gemäß Hauptantrag beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Idee der Erfindung sei es, dass die Notrufabfragestellen keine spezielle Infrastruktur, sondern nur einen Internetbrowser benötigten. In D21 sei aber spezielle Infrastruktur nötig. In D21 sei es gewollt, dass Daten und Sprache über einen einzigen Kanal übermittelt würden. Die Notrufabfragestelle erhalte daher schon alle Informationen, und es gebe keinerlei Anlass, dass sich die Notrufabfragestelle beim eCall-Server für das Kartenmaterial noch einmal authentifiziere. Die technische Aufgabe sei vielmehr, die Komplexität zu reduzieren, weil die Authentifizierung auch gleich den Zugang der Notrufabfragestelle zu einer großen Datenmenge auf die für sie relevante einschränke.

c) Das Verfahren gemäß Hilfsantrag 1 sei neu und erfinderisch. In D21, Seite 20, Zeile 19 sei keine Kurzwahl offenbart. Aus Seite 18, Zeile 17 gehe hervor, dass der eCall-Server den Anruf weiterleite. Es werde also kein direkter Sprachruf offenbart. In D21 müsse ein "Voice-Knopf" gedrückt werden, anspruchsgemäß bedürfe es hingegen keiner manuellen Auslösung. D21 offenbare lediglich einen Kanal und führe gerade weg davon, einen Kanal für Daten über den Server und einen weiteren direkten für Sprache zu etablieren. Die zwei-kanalige Architektur vermeide einen "single point of failure". In D21 sei es, wie für die anspruchsgemäße Architektur benötigt, gar nicht vorgesehen, eine Zuordnung zwischen Sprachruf und Meldebild herzustellen.

d) Anspruch 1 gemäß der Hilfsanträge 2 und 3 sei deutlich, denn unter "Vorgang" sei ein Element der Liste von Meldebildern zu verstehen.

e) Das Verfahren gemäß Hilfsantrag 4 sei neu und erfinderisch. In den genannten Passagen werde keine Weiterleitung an ein Einsatzfahrzeug offenbart. Aus dem Begriff "Autobahnpolizei" gehe kein Einsatzfahrzeug hervor. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin beträfen die Ausführbarkeit, nicht das Naheliegen. Sie seien unzutreffend.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Angeblicher Verfahrensfehler

2.1 Die angefochtene Entscheidung ist ausreichend begründet. Gemäß Artikel 113 (2) EPÜ hat sich das Europäische Patentamt bei den Entscheidungen über das europäische Patent an die vom Patentinhaber vorgelegte Fassung zu halten. Da Anspruch 13 wie erteilt im Einspruchsverfahren fallengelassen wurde, hatte die Einspruchsabteilung weder eine Verpflichtung noch eine Veranlassung, ihre diesbezüglichen Ansichten in der Zwischenentscheidung zu begründen.

2.2 Die Entscheidung ist auch nicht in sich widersprüchlich. Die Passagen 18.1 und 18.2 der angefochtenen Entscheidung drücken im Wesentlichen aus, dass es ausgehend von Dokument D1, das eine kombinierte Daten- und Sprachübertragung an ein Call-Center offenbart, keine Motivation für einen weiteren Sprachanruf direkt an eine Notrufabfragestelle gebe. Aus der Passage 23.6 der Entscheidung geht dagegen hervor, dass ausgehend von Dokument D21, in dem kein kombinierter Daten- und Telefonanruf offenbart sei, ein zusätzlicher Telefonanruf an eine Notrufabfragestelle naheläge. Die Passagen stehen daher - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - nicht im Widerspruch zueinander. In den Passagen 17 bis einschließlich 17.1.3 fasst die Einspruchsabteilung die Meinung der damaligen Einsprechenden 1 zusammen. In der Passage 23.7 stimmt die Einspruchsabteilung dieser Meinung nicht zu. Die Passagen stellen also keinen logischen Widerspruch dar.

2.3 Im Ergebnis liegt daher kein Verfahrensfehler vor. Daher ist die Sache weder an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (Artikel 11 VOBK) noch die Rückerstattung der Beschwerdegebühr anzuordnen (Regel 103 (1) a) EPÜ).

3. Hauptantrag

3.1 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

3.1.1 Das Verfahren gemäß Dokument D21 wird als nächstliegender Stand der Technik angesehen, da es, anders als Dokument D1, Notrufe bei Fahrzeugen betrifft. D1 offenbart kein Fahrzeug, sondern eine tragbare Notrufvorrichtung 11 für Überfälle oder Entführungen und nicht Verkehrsunfälle, siehe z.B. Seite 11, Zeilen 7 bis 16. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass der französische Begriff "véhicule" im übertragenen Sinne auch "etwas, das zum übermitteln dient" bedeuten könne und daher die Notrufvorrichtung gemäß D1 umfasse. Der deutsche Begriff "Fahrzeug" in der hier maßgeblichen deutschen Verfahrenssprache hat aber eine ausschließlich technische Bedeutung, die die Notrufvorrichtung der D1 nicht einschließt. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Passage auf Seite 1 beschreibt erkennbar nur den Stand der Technik und nicht die Erfindung.

3.1.2 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages unterscheidet sich von dem Verfahren gemäß Dokument D21 im folgenden Merkmal:

(e) Abfragen des Meldebildes über das Internet durch die zuständige lokale Notrufabfragestelle nach einer Authentifzierung am eCall-Server.

In der Passage Seite 19, Zeile 12 bis Seite 20, Zeile 9 der D21 wird offenbart, dass das erfindungsgemäße System "auf Anforderung der Leitzentrale per Internet selbstgenerierte, aktuellste Luftbild- oder Satellitenpläne der betreffenden Region übermittelt".

Die Leitzentrale ist synonym zu der "nächstgelegenen Einsatzzentrale" (Seite 19, Zeilen 24 bis 26). Aus dem Begriff "nächstgelegene Einsatzzentrale" folgt eine lokale Zuständigkeit. Der Beschwerdegegnerin ist grundsätzlich zuzustimmen, dass in D21 Begrifflichkeiten wie "Einsatzzentrale" oder "Leitzentrale" mit einer gewissen Beliebigkeit verwendet werden. Allerdings besteht für die Kammer im vorliegenden Fall kein Zweifel, dass beide Begriffe der D21 und der Begriff "Notrufabfragestelle" dasselbe bedeuten.

Es wird in D21 allerdings nur offenbart, dass sich Kunden, nicht jedoch die Notrufabfragestellen, beim eCall-Server authentifizieren. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann Merkmal (e) aufgrund seines Wortlauts nur so verstanden werden, dass sich die Notrufabfragestelle authentifizieren muss. Daher ist das Merkmal (e) nicht offenbart.

Es gibt keine weiteren Unterscheidungsmerkmale. Aus der Passage Seite 15, Zeilen 23 bis 32 geht deutlich hervor, dass ein Telefonanruf durch das Fahrzeug an die Notrufabfragestelle aufgebaut wird. Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, dass ein Telefonanruf anspruchsgemäß automatisch erfolge, geht aus dem Anspruchswortlaut nicht hervor und steht zur Spalte 4, Zeilen 20 bis 22 des Streitpatents im Widerspruch. Eine "Übermittlung per Internet auf Anforderung" entspricht einer Abfrage des Meldebildes über das Internet. D21 offenbart nicht, welches Protokoll hierbei verwendet wird, insbesondere nicht, dass TCP/IP verwendet wird, weshalb die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht greift. Ohnehin scheint sie Authentifizierung und Identifizierung gleichzusetzen. Die Kammer aber versteht unter dem Begriff "Authentifizierung" mehr als lediglich eine "Identifizierung".

3.1.3 Aus dem oben identifizierten einzigen Unterscheidungsmerkmal (e) gegenüber D21 ergibt sich der technische Effekt, die vertraulichen Daten, die der eCall-Server bereitstellt, zu schützen. Die technische Aufgabe ist es daher, beim bekannten Verfahren zur Benachrichtigung von Notrufstellen vertrauliche Daten zu schützen. Die von der Beschwerdegegnerin vorgetragene Formulierung der technischen Aufgabe beruht auf mehr Unterscheidungsmerkmalen als tatsächlich vorhanden sind, sowie einer unzutreffenden Interpretation von D21, vergleiche Punkt 3.1.2 oben.

3.1.4 Im Ergebnis liegt die Lösung nahe. In Dokument D21 wird schon offenbart, dass sich Abonnement-Kunden zur Abfrage ihrer eigenen Meldebilder per Internet authentifizieren müssen, denn die Internetseite, auf der sie bereitgestellt werden, ist passwortgeschützt, siehe Seite 18, Zeilen 24 bis 27. Es ist für den Fachmann aus der genannten Passage also schon bekannt, dass es wünschenswert ist, die vertraulichen Daten zu schützen, und zwar mittels Authentifizierung.

In D21 liegt lediglich eine Offenbarungslücke vor, die in Anspruch 1 in naheliegender Weise geschlossen wird, indem auch von den Notrufabfragestellen eine Authentifizierung verlangt wird.

Der Vortrag der Beschwerdegegnerin ist nicht überzeugend. Es ist nicht ersichtlich, warum die Abfrage per Internet gemäß D21 eine spezielle Infrastruktur und nicht nur einen Standardbrowser voraussetzen sollte. Weiter folgt aus D21, Seite 20, Zeilen 7 bis 9 explizit, dass die Notrufabfragestelle gemäß D21 nicht ohnehin alle Informationen vom eCall-Server erhält, sondern das Kartenmaterial explizit anfordern muss.

3.1.5 Daher erfüllt das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.

4. Hilfsanträge - Zulässigkeit

Dem Antrag der Beschwerdeführerin, die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 nicht zuzulassen, wurde nicht entsprochen.

Artikel 12 (4) VOBK stellt es in das Ermessen der Kammer, Anträge im Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen, wenn diese schon im Einspruchsverfahren hätten vorgelegt werden können. Dies soll vermeiden, dass sich der Prüfungsumfang in der Beschwerde erweitert. Die Hilfsanträge 1 bis 4 lagen jedoch, bis auf die Streichung des abhängigen Anspruches 13, schon vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vor. Die Streichung ist eine Reaktion auf die Auffassung der Einspruchsabteilung, und der Prüfungsumfang der Beschwerde hat sich durch die Streichung eines abhängigen Anspruches gegenüber dem Einspruchsverfahren nicht erweitert. Im vorliegenden Verfahren besteht daher - ungeachtet einer etwaigen Divergenz der Hilfsanträge - keine Veranlassung, diese nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

5. Hilfsantrag 1

5.1 Die Unterscheidungsmerkmale von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 gegenüber D21 sind darin zu sehen, dass sich die Notrufabfragestelle authentifizieren muss und dass es sich um einen direkten Sprachruf handelt.

5.2 Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin, offenbart Dokument D21 bereits auf Seite 20, Zeile 19, dass eine Kurzwahl verwendet wird, da ein einzelner Auslöseknopf vorgesehen ist, der eine Sprachverbindung aufbaut, siehe Seite 15, Zeile 23 bis 30 ("mit Voice-Verbindungsaufnahme"). Beim Verfahren gemäß D21 wird der Sprachruf in Abhängigkeit des Standortes des Kunden an eine für diesen Standort zuständige Notrufabfragestelle weitergeleitet, das heißt der Sprachruf wird mittels ortsabhängigen Routings durchgeführt.

5.3 Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass eine Weiterleitung durch das eCall-Center, wie in D21 offenbart, immer noch ein "direkter Sprachruf" im Sinne von Anspruch 1 sei, da die abhängigen Ansprüche 2 und 12 sonst widersprüchlich wären. Dies trifft aber nicht zu, denn der Begriff "direkt" ist im Streitpatent so zu verstehen, dass der Anruf nicht über den eCall-Server oder ein anderes Call-Center weitergeleitet wird, vergleiche Anspruch 12.

5.4 Der technische Effekt eines direkten Sprachrufes ist eine alternative Benachrichtigung der Notrufabfragestelle, die Vor- wie Nachteile mit sich bringt. Einerseits wird ein "single point of failure" vermieden, andererseits wird es komplizierter, die Meldebilder und die direkten Sprachrufe einander zuzuordnen. Es ist kein Zusammenwirken mit dem weiteren Unterscheidungsmerkmal der Authentifizierung erkennbar.

5.5 Die genannten Vor- und Nachteile sind nicht überraschend, sondern absehbar, und eine Abwägung zwischen ihnen begründet keine erfinderische Tätigkeit. Bezüglich eines direkten Sprachrufes, ist die Kammer sich bewusst, dass der Anspruch nicht auf die allbekannte Kurzwahl 112 oder 911 eingeschränkt ist, aber schon diese eingeschränktere Lösung liegt nahe. Die Verwendung dieser seit langer Zeit nicht nur dem Fachmann bekannten Kurzwahl, um in der Situation eines Unfalls eine Notrufabfragestelle vom Fahrzeug aus zu benachrichtigen, beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ferner ist anzumerken, dass der Anspruch entgegen dem Vortrag der Beschwerdegegnerin die Möglichkeit beinhaltet, den Anruf manuell vom Fahrzeug aus zu initiieren. Wie beim Hauptantrag begründet auch das nicht zusammenwirkende Unterscheidungsmerkmal der Authentifizierung keine erfinderische Tätigkeit.

5.6 Daher erfüllt das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.

6. Hilfsanträge 2 und 3

6.1 Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 2 und 3 enthalten ein Merkmal aus der Beschreibung, Spalte 2, Zeilen 48 bis 53 und müssen hinsichtlich der Deutlichkeit geprüft werden, falls und insoweit die Änderungen einen Mangel an Deutlichkeit verursachen. (G3/14, ABl. 2015, 102)

6.2 Die Beschwerdeführerin bemängelte, dass der aus der Beschreibung stammende Begriff "Vorgang" in Anspruch 1 undeutlich sei. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass mit "Vorgang" ein Element der Liste mit aktuellen Meldebildern gemeint sei. Diese würden verkürzt dargestellt und nach Auswahl vollständig angezeigt.

6.3 Die Interpretation der Beschwerdegegnerin ist nicht zutreffend. Im normalen Sprachgebrauch ist unter einem Vorgang ein Ablauf von Arbeitsschritten oder Ereignissen zu verstehen. Bisweilen wird damit verkürzt auch die Gesamtheit der Akten, die zu einem bestimmten Verwaltungsakt oder einer Person angelegt sind, bezeichnet. Der normale Sprachgebrauch liefert also keinen Anhaltspunkt, den Begriff Vorgang als ein Listenelement zu verstehen.

Eine "Liste mit aktuellen Meldebildern", wie es Anspruch 1 definiert, enthält als Elemente offensichtlich Meldebilder und keine Vorgänge. Die Meldebilder enthalten gemäß Anspruch 1 die übertragene Ortsinformation zusammen mit Identifikationsdaten in aufbereiteter Form, also wiederum nichts, das nach normalem Verständnis als Vorgang bezeichnet werden könnte.

6.4 Ob die von der Beschwerdegegnerin favorisierte Auslegung zutrifft, kann dahinstehen, denn selbst wenn man dieser folgen würde, stellt sich die Frage, wodurch sich ein "Vorgang" von einem "kompletten Meldebild" unterscheidet. Nach der Definition von Anspruch 1 umfasst das komplette Meldebild nämlich bereits alle Informationen zu einem eingehenden Notruf, wie konsistenter Weise auch in Spalte 2, Zeilen 51 bis 53 in Verbindung mit Figur 2 dargestellt ist. Daher ist für den Fachmann nicht klar, ob hier der Begriff "Vorgang" lediglich unsauber als Synonym für Meldebild verwendet wird, oder falls nicht, inwiefern sich beide Begriffe unterscheiden.

Außerdem ist das in beide Hilfsanträge eingeführte Merkmal, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert wurde, aus seinem Kontext in der Beschreibung, d.h. aus der Passage Spalte 2, Zeilen 14 bis 56, herausgerissen worden. Dies führt zu einer mangelnden Übereinstimmung zwischen diesem Merkmal und dem Rest des Anspruchs, insbesondere zu fehlenden Rückbezügen für Begriffe in diesem Merkmal wie "aktuelle Meldebilder" und "komplette Meldebilder", sowie zu weiteren Undeutlichkeiten, zum Beispiel wo und was "vorgefiltert" wird.

6.5 Daher genügt Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht den Erfordernissen von Artikel 84 EPÜ. Dasselbe gilt für Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3, da er dasselbe Merkmal enthält.

7. Hilfsantrag 4

7.1 Das anspruchsgemäße Verfahren unterscheidet sich von dem aus D21 bekannten Verfahren zum Ersten durch die Authentifizierung der Notrufabfragestelle (wie Hauptantrag), zum Zweiten durch einen direkten Sprachruf zur Notrufabfragestelle (wie Hilfsantrag 1) und zum Dritten - wie die Beschwerdegegnerin zutreffend ausgeführt hat - dadurch, dass eine Weiterleitungsoption auf der Internetseite vorhanden ist, um die Information an mobile Einheiten in Einsatzfahrzeugen weiterzuleiten, wodurch ermöglicht wird, dass dort ebenfalls die Information betrachtbar ist.

7.2 Der technische Effekt der Authentifizierung ist der Schutz sensibler Daten. Derjenige des direkten Sprachrufes ist die Vermeidung eines "single point of failure" unter Inkaufnahme einer komplizierteren Zuordnung von Notruf und Meldebild. Der technische Effekt der Weiterleitung ist bereits in Anspruch 1 des vierten Hilfsantrags genannt, nämlich, dass "die Informationen" im Einsatzfahrzeug betrachtbar sind. Ein Zusammenwirken der drei Unterscheidungsmerkmalsgruppen ist daher nicht zu erkennen.

7.3 Die Kammer bemerkt, dass das dritte Unterscheidungs-merkmal sich im Wesentlichen darauf beschränkt, den gewünschten Effekt zu benennen, nicht hingegen die technischen Implementierungsdetails einer Lösung. Es ist naheliegend, dass alle Informationen über ein Unfallopfer den Helfern zugänglich sein müssen, die tatsächlich zum Unfallort fahren, und nicht irgendeinem Mitarbeiter in der Telefonzentrale. Aus der Formulierung des gewünschten Effektes begründet sich also keine erfinderische Tätigkeit. Da aber auch die technischen Lösungsdetails nicht angegeben werden, kann sich aus der Lösung auch keine erfinderische Tätigkeit begründen. Für die weiteren, nicht zusammenwirkenden Unterscheidungsmerkmale gilt das zu den höherrangingen Anträgen Gesagte.

7.4 Daher erfüllt das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrages 4 nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.

8. Da auch unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber vorgenommen Änderungen das Streitpatent nicht den Erfordernissen des EPÜ genügt, ist es gemäß Artikel 101 (3) b) EPÜ zu widerrufen. Dem entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin war daher stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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