T 0671/13 () of 23.6.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T067113.20150623
Datum der Entscheidung: 23 Juni 2015
Aktenzeichen: T 0671/13
Anmeldenummer: 02730162.1
IPC-Klasse: C08J 9/14
C08J 9/00
C08L 75/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 306 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: NICHTBRENNBARE POLYESTERPOLYOL- UND/ODER POLYETHERPOLYOLVORMISCHUNG ZUR HERSTELLUNG VON SCHAUMPRODUKTEN
Name des Anmelders: Solvay Fluor GmbH
Name des Einsprechenden: ARKEMA FRANCE
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin Solvay Fluor GmbH richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchs-abteilung, das europäische Patent Nr. 1 401 930 zu widerrufen.

II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang auf der Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) sowie Artikel 100 b) EPÜ beantragt.

Die Einsprechende zitierte folgendes Dokument:

D1: US 6 080 799 A.

III. Der Entscheidung der Einspruchsabteilung lagen ein Hauptantrag sowie zwei Hilfsanträge zugrunde. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass

- der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag im Hinblick auf D1 nicht neu sei;

- die Ansprüche des Hilfsantrags I nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten; und

- die Ansprüche des Hilfsantrags II die Erfordernisse der Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht erfüllten.

IV. Am 13. März 2013 legte die Patentinhaberin (nachfolgend: Beschwerdeführerin) unter gleichzeitiger Zahlung der erforderlichen Gebühr Beschwerde ein. Mit der am 17. Mai 2013 eingereichten Beschwerdebegründung, reichte die Beschwerdeführerin einen Versuchsbericht ein.

Die Beschwerdebegründung bezog sich auf die Anspruchssätze gemäß einem Hauptantrag und drei Hilfsanträgen. Die Beschwerdeführerin beantragte darin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, und das Patent auf Basis des Hauptantrags, hilfsweise auf Basis einer der Hilfsanträge I bis III aufrecht zu erhalten. Der Hauptantrag und Hilfsantrag I entsprachen dem Hauptantrag und Hilfsantrag I vor der Einspruchsabteilung. Hilfsanträge II und III wurden im Beschwerdeverfahren neu eingereicht.

Anspruch 1 des Hilfsantrags III, der einzige für diese Entscheidung relevante Antrag, lautet:

"1. Verwendung zur Herstellung von Schaumprodukten einer nichtbrennbaren Vormischung bestehend aus Polyetherpolyol und/oder Polyesterpolyol, 4 bis

35 Gew.% einer binären Treibmittelmischung aus

a) 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan und b) 1,1,1,2-Tetrafluorethan, 1,1,1,2,3,3,3-Heptafluorpropan oder 1,1,1,3,3,-Pentafluorpropan und 10 bis 20 Gew.% einer Phosphorverbindung ausgewählt aus Triethylphosphat oder Tris-chlorisopropylphosphat sowie gewünschtenfalls Zusatzstoffen wie Katalysator, Stabilisator und weitern Additiven, beinhaltend Lagerung und Transport der Vormischung."

Die Ansprüche 2 bis 4 waren abhängige Ansprüche.

V. In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid teilte die Kammer den Parteien mit

- dass nach ihrer vorläufigen Meinung der Hauptantrag aufgrund mangelnder Neuheit nicht gewährbar sei; und

- dass während der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen über das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit der Hilfsanträge zu diskutieren sei.

VI. Die Einsprechende (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) hat im Beschwerdeverfahren keine sachlichen Ausführungen gemacht und keinen Antrag gestellt. Mit Schreiben vom 24. März 2015 hat sie mitgeteilt, dass sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

VII. Am 23. Juni 2015 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Während der Verhandlung nahm die Beschwerdeführerin alle ihre Anträge außer Hilfs-antrag III zurück und beantragte, das Patent in geänderter Form auf Basis der Ansprüche dieses Antrags (siehe oben Punkt IV) aufrecht zu erhalten.

VIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für diese Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

- Anspruch 1 betreffe die Verwendung einer Vormischung zur Herstellung von Schaumprodukten beinhaltend "Lagerung und Transport". Dieses Merkmal sei im letzten Satz des zweiten vollständigen Absatzes auf Seite 4 der ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart.

- Der beanspruchte Gegenstand sei neu gegenüber D1, weil in D1 Lagerung und Transport einer Vormischung bestehend aus binären Treibmittel/Polyol/Phosphorverbindung nicht offenbart seien.

- Die Erfindung basiere auf der Erkenntnis, dass die aus D1 bekannten binären Gemische, die an sich nicht brennbar seien und keinen Flammpunkt hätten, jedoch dann einen Flammpunkt hätten, wenn sie in Polyetherpolyol eingemischt seien. Daher seien solche Mischungen als brennbar einzustufen. Die beanspruchte Zugabe einer Phosphorverbindung modifiziere das Löseverhalten der Komponenten in der Weise, dass der Flammpunkt sich erhöhe und die Einstufung "brennbar" entfalle.

Die eingereichten Vergleichsversuche zeigten, dass diese Ergebnisse überraschend seien. Die Zugabe der Phosphorverbindung wirke nämlich dann nicht flammschützend, wenn sie Gemischen aus 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan und Polyol, die selbst bei niederen Konzentrationen am 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan einen Flammpunkt hätten, zugesetzt würden. Der Fachmann würde aus D1 nicht die Lehre entnehmen, dass die Vormischungen der vorliegenden Erfindung inklusive Lagerung und Transport als Vormischungen für die Herstellung von Schaumprodukten verwendet werden könnten, weil sie keinen Flammpunkt aufwiesen.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)

1.1 Der vorliegende Anspruch 1 des Hilfsantrags III ist auf die Verwendung einer nichtbrennbaren Vormischung bestehend aus Polyetherpolyol und/oder Polyesterpolyol, einer binären Treibmittelmischung und einer Phosphorverbindung, ausgewählt aus Triethylphosphat oder Tris-chlorisopropylphosphat zur Herstellung von Schaumprodukten, beinhaltend Lagerung und Transport, gerichtet.

1.1.1 Die Vormischung ergibt sich aus der Kombination des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 mit Anspruch 4, welcher die bevorzugten Phosphorverbindungen, nämlich Triethylphosphat und Tris-chlorisopropylphosphat offenbart.

1.1.2 Die Verwendung zur Herstellung von Schaumprodukten wird durch den ursprünglich eingereichten Anspruch 1, sowie durch Seite 1, erster Absatz, und/oder Seite 2, Zeilen 15 bis 17 der ursprünglich eingereichten Anmeldung gestützt. Die Lagerung und der Transport der Vormischung ist auf Seite 4, Zeilen 28 und 29 der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart.

1.2 Die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ sind daher erfüllt.

2. Änderungen (Artikel 123(3) EPÜ)

2.1 Der erteilte Anspruch 1 war auf eine nichtbrennbare Vormischung bestehend aus Polyetherpolyol und/oder Polyesterpolyol, binäre Treibmittelmischungen und Phosphorverbindung gerichtet. Der vorliegende Anspruch 1 ist auf die Verwendung dieser Vormischung zur Herstellung von Schaumprodukten gerichtet.

2.2 Ein Kategoriewechsel von einem Stoffanspruch zu einem Verwendungsanspruch ist gemäß ständiger Praxis des EPA nach Artikel 123(3) EPÜ nicht zu beanstanden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage 2013, Kapitel II.E.2.4).

2.3 Folglich sind die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ erfüllt.

3. Neuheit

Die Neuheit der jetzt verwendeten Vormischung gegenüber D1 wurde bereits von der Einspruchsabteilung anerkannt. Die jetzt beanspruchte Verwendung dieser Vormischung zur Herstellung von Schaumprodukten beinhaltend Lagerung und Transport ist ebenfalls in D1 nicht offenbart.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Nächstliegender Stand der Technik

4.1.1 Die Einspruchsabteilung sah das Dokument D1 als nächstliegenden Stand der Technik an, von dem auch die Beschwerdeführerin ausging.

4.1.2 D1 offenbart in Anspruch 1 Gemische enthaltend oder bestehend aus 50 bis 99 Gew.-% 1,1,1,3,3-Pentafluorbutan (nachfolgend: HFC-365mfc) und 1 bis 50 Gew.-% mindestens eines Fluorkohlenwasserstoffes ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus 1,1,1,2-Tetrafluorethan (nachfolgend: HFC-134a), 1,1,1,3,3-Pentafluorpropan, 1,1,1,3,3,3-Hexafluorpropan und 1,1,1,2,3,3,3-Heptafluorpropan (nachfolgend: HFC-227ea), und in Anspruch 11 ihre Verwendung als Treibmittel für die Herstellung von geschäumten Kunststoffen.

4.1.3 Die binären Gemische aus D1 weisen den Vorteil auf, dass sie nicht brennbare Flüssigkeiten sind. Hingegen steht reines HFC-365mfc an der Schwelle zwischen brennbaren und nicht brennbaren Substanzen (Spalte 4, Zeilen 1 bis 4). Dementsprechend eignen sich die Schaumstoffe, die unter Verwendung solcher Gemische hergestellt worden sind, besonders gut für Dämmzwecke im Bau- und Wohnbereich, insbesondere auch deshalb, weil die in geschlossenen Zellen enthaltenen Zellgase eine hohe Wärmeisolierung mit sich bringen (siehe Spalte 4, Zeilen 22 bis 27).

4.1.4 Beispiel 3 aus D1 beschreibt die Herstellung eines Polyurethan-Hartschaums mit HFC-365mfc und HFC-134a als Treibgas, wobei zuerst ein Gemisch aus

- 100 g Polyolmischung aus Polyetherpolyolen und einem aromatischen bromierten Polyetherpolyol, Hydroxylzahl 450,

- 20 g Tris-chlorpropylphosphate (als Flammschutzmittel),

- 2 g Dimetyhlcyclohexylamin (als Katalysator),

- 1,5 g Siloxanpolyethercopolymer (als Schaumstabilisator),

- 1 g Wasser, und

- 29 g eines Gemisches aus 93 Teilen HFC-365mfc und 7 Teilen HFC-134a

hergestellt wird, welches dann mit 4,4'-Diisocyanato-diphenylmethan vermischt und zu einem Polyurethan-Hartschaum verschäumt wird.

4.2 Aufgabe und Lösung

4.2.1 Gemäß den Ausführungen der Beschwerdeführerin sind die aus D1 bekannten binären Treibmittelgemische unter Zusatz von Polyolen bei Überschreitung einer kritischen Treibmittelmenge brennbar, obwohl weder das binäre Treibmittelgemisch noch die Polyole für sich brennbar sind (siehe Absatz [0007] der Patentschrift).

Beispiel 1 des Patents zeigt tatsächlich, dass eine Mischung mit 10 Gew.% Treibmittel (bezogen auf Polyol), bestehend aus 94% HFC-365mfc und 6% HFC-227ea in Polyetherpolyol (Tercarol A350), als brennbar einzustufen ist, weil sie einen Flammpunkt bei 15°C hat.

4.2.2 Im Hinblick darauf sieht die Beschwerdeführerin die der vorliegenden Erfindung zugrundeliegende Aufgabe in der Bereitstellung einer nicht brennbaren Vormischung zur Herstellung von Schaumprodukten, welche stabil, lagerfähig und einfach zu transportieren ist.

4.2.3 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Patent die Zugabe von 10 bis 20 Gew.-% einer Phosphorverbindung, ausgewählt aus Triethylphosphat oder Tris-chlorisopropylphosphat, vor (siehe Anspruch 1).

4.2.4 Beispiele 2 bis 5 des Patents zeigen die flammhemmende Wirkung der Phosphorverbindung. Bei den in diesen Beispielen hergestellten Vormischungen kann kein Flammpunkt ermittelt werden. Sie sind nicht brennbar und können daher ohne Risiko gelagert und transportiert werden. In Hinblick darauf ist die Kammer überzeugt, dass die gestellte Aufgabe gelöst ist.

4.3 Naheliegen

4.3.1 Es bleibt zu untersuchen, ob der Fachmann, ausgehend von D1 und mit der vorstehend definierten Aufgabe konfrontiert, in einer naheliegenden Weise zu dem beanspruchten Gegenstand gelangt wäre.

4.3.2 Wie oben dargestellt, beschreibt Beispiel 3 aus D1 bereits eine Mischung bestehend aus einer binären Treibmittelmischung und einer Polyolmischung, welche eine Phosphorverbindung als "Flammschutzmittel" enthält (siehe oben Punkt 4.1.4). Diese Mischung ist im Hinblick auf ihre Zusammensetzung inhärent als nicht brennbar zu verstehen. Es ist jedoch in D1 nicht erkannt worden, dass diese Mischung nicht brennbar ist. Sie wird hergestellt und anschließend sofort zum Polyurethan-Hartschaum weiterverarbeitet, ohne Lagerung und Transport.

Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargestellt, dass der Fachmann den Begriff "Flammschutzmittel" in Beispiel 3 nicht auf die Gemische bestehend aus binärem Treibmittel und Polyol beziehen würde. Vielmehr würde der Fachmann die "Flammschutzwirkung" auf das fertige Schaumprodukt beziehen, da das binäre Treibmittel als unbrennbar in D1 charakterisiert ist und das Polyol bekanntermaßen einen Flammpunkt oberhalb von 100°C besitzt.

4.3.3 Daraus ergibt sich, dass D1 keine Auskunft über ein mögliches Problem der Brennbarkeit von Vormischungen im Sinne des Patents (binären Treibmittel und Polyol) und/oder auf eine mögliche flammhemmende Wirkung der Phosphate in diesen Vormischungen gibt. Folglich gibt D1 keine Anregung zur beanspruchten Lösung.

4.3.4 Ferner zeigen die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Versuche, dass die flammhemmende Wirkung nicht zu erwarten gewesen wäre. Aus diesen Versuchen wird deutlich, dass Tris-chlorisopropylphosphat keine Wirkung als Flammschutzmittel hat, wenn es Gemischen von HFC-365mfc in Polyetherpolyol (Tercarol®) zugesetzt wird.

Daher ist die flammhemmende Wirkung des Tris-chlorisopropylphosphats auf die Mischung von Anspruch 1 für den Fachmann nicht nahegelegt und begründet das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit.

4.4 Zusammenfassend wird festgestellt, dass Beispiel 3 aus D1 eine Mischung gemäß dem erteilten Anspruch 1 beschreibt, welche im Hinblick auf ihre Zusammensetzung inhärent nicht brennbar ist.

Andererseits ermöglichen die Erkenntnisse,

- dass Mischungen aus binären Treibmitteln und Polyolen an sich brennbar sind, und

- dass die Zugabe von Phosphorverbindungen flammhemmend wirkt,

eine vorteilhafte Verwendung dieser Mischungen zur Herstellung von Schaumprodukten, die Lagerung und Transport beinhaltet. Wie oben dargestellt ist diese vorteilhafte Verwendung nicht aus dem Stand der Technik herleitbar.

4.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags III sowie der abhängigen Ansprüche 2 bis 4 erfüllt daher die Erfordernisse der erfinderischen Tätigkeit.

5. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer reichte die Beschwerdeführerin eine an den Hilfsantrag III angepasste Beschreibung ein. Die Kammer hatte keine Einwände gegen die vorgenommen Änderungen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geänderter Form in folgender Fassung aufrecht zu erhalten:

- Patentansprüche 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag III, eingereicht mit der Beschwerdebegründung am 17. Mai 2013, und

- Seiten 2 und 3 der Beschreibung, eingereicht am 23. Juni 2015 in der mündlichen Verhandlung.

Quick Navigation