European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2015:T040113.20151109 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 09 November 2015 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0401/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05715830.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | B01J 20/12 C01B 33/38 C01B 33/40 C01B 33/42 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR VERRINGERUNG DES DIOXINGEHALTES EINER BLEICHERDE | ||||||||
Name des Anmelders: | Clariant International Ltd. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Williams, Richard | ||||||||
Kammer: | 3.3.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichte Entgegenhaltungen - zulässig (teils ja, teils nein) In der mündlichen Verhandlung geändertes Vorbringen - Zulässigkeit neuer Einwände (nein) Neuheit - Hauptantrag (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1 722 887 in geändertem Umfang.
II. Der geänderte Anspruch 1 des Patents in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar gehaltenen Fassung (damals geltender Hilfsantrag 2) lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Verringerung des Dioxingehaltes einer mindestens einen dioxinhaltigen Rohton oder eine dioxinhaltige Bleicherde enthaltenden Zusammensetzung, wobei die Zusammensetzung zu mindestens 90 % aus Rohton
und/oder Bleicherde besteht dadurch gekennzeichnet, dass man die Zusammensetzung auf eine Temperatur im Bereich von 300 bis 650 °C erhitzt."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 12 sind auf bevorzugte Ausführungsformen dieses Verfahrens gerichtet.
III. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen genannt:
D3: US 5 619 936 B;
D6: J. Ferraio et al.; "Dibenzo-p-dioxins in the environment from ceramics and pottery produced from ball clay mined in the United States"; Chemosphere, 46, 2002; Seiten 1297 - 1301; und
D8: DE 43 30 274 A1.
In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung unter anderem zu dem Schluss, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 laut damals geltendem Hilfsantrag 2 (Wortlaut unter II, supra) ausführbar, neu und, im Hinblick auf D3 als nächstliegendem Stand der Technik, auch erfinderisch sei.
IV. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin/Einsprechende mehrere Entgegenhaltungen ein, darunter
D11: Miller J. G., "Oxidizing power of the surface of attapulgite clay"; Clays and clay minerals, Proceedings of the twelfth national conference on clays and clay minerals, Atlanta, Georgia; September 30 - October 2, 1963; The MacMillan Company, New York, 1964; Seiten 381 bis 395
sowie
D15: J. B. Ferrario et al., "2,3,7,8-Dibenzo-p-dioxins in Mined Clay Products from the United States: Evidence for Possible Natural Origin", Environmental science, 34(21) 4523 - 4532, 2000.
Bezüglich der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Ansprüche machte sie unter anderem mangelnde Neuheit im Hinblick auf D3 und D15 geltend, sowie mangelnde erfinderische Tätigkeit, wobei sie sich inter alia auf D3, D6, D11 und D15 bezog.
V. In ihrem Antwortschreiben vom 6. September 2013 wies die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin sämtliche Einwände der Beschwerdeführerin zurück, reichte aber fünf geänderte Anspruchssätze als Hilfsanträge 1 bis 5 ein. Sie verlangte zudem, inter alia die Entgegenhaltungen D11 und D15 wegen verspäteter Einreichung und mangelnder Relevanz nicht ins Verfahren zuzulassen.
VI. Beide Parteien hatten hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt und wurden dementsprechend von der Kammer geladen.
VII. Daraufhin reichte die Beschwerdegegnerin mit ihrem Schreiben vom 19. Juli 2015, zusammen mit weiteren Ausführungen, vier geänderte Anspruchssätze als neue Hilfsanträge 3 bis 6 ein.
VIII. Mit ihren jeweiligen Schreiben vom 13. und 14. August 2015 beantragten beide Parteien im Hinblick auf einen in Kürze zu erwartenden Abschluss von Lizenzverhandlungen mit Rücknahme der Beschwerde die Verschiebung der für den 19. August 2015 angesetzten mündlichen Verhandlung.
Daraufhin verschob die Kammer den Verhandlungstermin auf den 9. November 2015.
IX. Mit Fax vom 3. November teilte die Vertreterin der Beschwerdeführerin unter anderem mit, dass die Lizenzverhandlungen nicht erfolgreich abgeschlossen worden seien, und sie daher zur mündlichen Verhandlung erscheinen werde. Ferner bezog sie sich auf zwei weitere, im Streitpatent genannte Entgegenhaltungen, die sie als relevant bezüglich der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit bezeichnete, darunter
D19: US 5 869 415 B.
X. Mit Fax vom 5. November 2015 beantragte die Beschwerdegegnerin unter anderem, die beiden zuletzt zusätzlich genannten Entgegenhaltungen wegen verspäteten Vorbringens nicht ins Verfahren zuzulassen.
XI. Mit Fax vom 6. November vertrat die Beschwerdeführerin unter anderem die Auffassung, dass eine Verschiebung der Verhandlung nicht notwendig sei.
XII. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand, wie vorgesehen, am 9. November 2015 statt.
Erörtert wurden insbesondere
i) die Zulässigkeit
- der Dokumente D11, D15 und D19; und
- der auf Basis von D8 im Verlauf der
Verhandlung erstmals erhobenen Einwände,
sowie
ii) Fragen zur Neuheit und erfinderischen
Tätigkeit bezüglich Anspruch 1 laut Hauptantrag.
XIII. Die in der mündlichen Verhandlung gestellten finalen Anträge der Parteien lauten folgendermaßen:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 2, eingereicht mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung, oder der Hilfsanträge 3 bis 6, eingereicht mit Schreiben vom 19. Juli 2015.
XIV. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Zulässigkeit
- D11, D15 und D19 sollten im Hinblick auf ihre prima facie Relevanz ins Verfahren zugelassen werden, ebenso wie die Einwände auf Basis von D8.
Neuheit
- Die Offenbarung von D3, D6, D8, D15 und D19 sei jeweils neuheitsschädlich für den beanspruchten Gegenstand.
- D3 offenbare (insbesondere Spalte 10, Zeilen 48 bis 61) die Entfernung von unerwünschten Substanzen aus Bleicherde durch Erhitzen. Die in D3 erwähnten PCBs fielen unter den Begriff "Dioxine" laut Streitpatent.
- D6 beschreibe (überbrückender Absatz auf Seite 1299), dass beim Erhitzen von Ton Dioxine bei Temperaturen von 421 bis 510°C flüchtig seien.
- D8 zeige (Zusammenfassung), dass eine Erhitzung von Bleicherde auf eine Temperatur zwischen 500 und 650°C zur Entfernung unerwünschter Bestandteile führe und die Struktur und Aktivität der Bleicherde nicht verändere.
- D15 (Seite 4530, linke Spalte) weise darauf hin, dass Bleicherden Dioxine enthielten, und dass diese bei Temperaturen von 200 bis 300°C in alkalischer Lösung zerstört werden können.
- D19 offenbare die Erhitzung einer Bleicherde auf 300°C (Beispiel 1).
Erfinderische Tätigkeit
- D3, aber auch das allgemeine Fachwissen seien jeweils geeignete Ausgangspunkte für den Problem-Lösungs-Ansatz. D6, D8, D11 und D15 seien ebenfalls zu berücksichtigen.
- D3 lehre allgemein die Entfernung von unerwünschten Verunreinigungen aus Stoffen, wie Bleicherde, durch Erhitzen. Es sei für den Fachmann klar, dass auch Dioxine mit dieser Methode entfernt werden könnten.
- D6 gebe einen Hinweis auf die dazu notwendige Temperatur.
- D8 lehre, dass Bleicherde ohne Verringerung der Bleichkraft auf 500 bis 650°C zur Entfernung von Verunreinigungen erhitzt werden könne.
- D11 zeige in den Figuren 1 und 2, dass eine Erhitzung von Bleicherde nicht zu einem Aktivitätsverlust führe.
- D15 sei zu entnehmen, dass Bleicherden Dioxine enthielten und diese in alkalischer Lösung bei 200 bis 300°C entfernt werden könnten.
Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Zulässigkeit
- Alle nach Ablauf der Einspruchsfrist vorlegten Dokumente, inter alia D11, D15, D19, sollten als verspätet eingereicht zurückgewiesen werden, da kein Grund für deren verspätete Eingabe angegeben worden sei und sie allesamt nicht relevant seien.
- Der Neuheitseinwand und der behauptete Mangel an erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D8 seien erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden und daher als verspätet zurückzuweisen.
Neuheit
- Keiner der von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen und zugelassenen Einwände vermöge schlüssig einen Neuheitsmangel darzulegen.
Erfinderische Tätigkeit
Keiner der in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen und zulässigen Einwände vermöge zu überzeugen. Weder die genannten Dokumente, noch das allgemeine Fachwissen, noch deren Kombination, führe in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand.
Entscheidungsgründe
Zur Zulässigkeit spät eingereichter Entgegenhaltungen und spät geänderten Vorbringens
1. Spät eingereichte Entgegenhaltungen
1.1 Entgegenhaltung D11 - zugelassen
1.1.1 Der wissenschaftliche Artikel D11 war bereits im Einspruchsverfahren erstmals genannt worden, wenngleich erst nach Ablauf der Einspruchsfrist (mit anderen bibliographischen Daten bei gleichem Inhalt). Die Einspruchsabteilung hatte zwar in ihrem Ladungsbescheid vom 22. Juni 2012 (Punkt 10) Bedenken hinsichtlich dessen Zulässigkeit ins Verfahren geäußert, letztendlich aber keine Entscheidung darüber getroffen. Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass die Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren ausführlich zum Inhalt von D11 Stellung genommen hat, und die Zulässigkeit des Artikels ins Verfahren erstmals in ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung bestritt.
1.1.2 Nicht zuletzt im Hinblick auf die potentielle Relevanz von D11 hinsichtlich des Arguments der Beschwerdegegnerin, wonach der Fachmann gegen ein Erhitzen von Bleicherde auf Temperaturen gemäß
Anspruch 1 voreingenommen wäre, entschied die Kammer, dieses Dokument ins Verfahren zugelassen (Artikel 114(2) EPÜ).
1.2 Entgegenhaltung D15 - zugelassen
1.2.1 D15 wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht, um zu untermauern, dass es - im Gegensatz zur Auffassung der Einspruchsabteilung - allgemein bekannt war, dass Tone und Bleicherden oft bzw. weitgehend mit Dioxinen verunreinigt seien.
1.2.2 In D15 ist der Dioxingehalt von Tonen aus unterschiedlichen Lagerstätten thematisiert, und, wie auch im Streitpatent, die Problematik der Verwendung derartiger Tone in der Nahrungsmittelindustrie erwähnt.
1.2.3 Die Kammer wertete D15 als Reaktion auf die Argumentation der Einspruchsabteilung und erachtete diese Entgegenhaltung als prima facie hinreichend relevant.
1.2.4 Daher entschied die Kammer, die Entgegenhaltung D15 trotz ihrer späten Einreichung ins Verfahren zuzulassen (Artikel 114(2) EPÜ und Artikel 12 VOBK).
1.3 Entgegenhaltung D19 - nicht zugelassen
1.3.1 D19 wurde von der Beschwerdeführerin erstmals in ihrem Schreiben vom 3. November 2015, d.h. sechs Tage vor der (zuvor bereits einmal verschobenen) mündlichen Verhandlung herangezogen. Als Begründung für das späte Einreichen dieser Entgegenhaltung wurden die erfolglosen Lizenzverhandlungen genannt. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer machte die Beschwerdeführerin zudem noch geltend, dass die Einreichung in Reaktion auf die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Hilfsanträge erfolgt sei.
1.3.2 Die Ansprüche gemäß Hauptantrag liegen aber bereits seit der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren (damals 2. Hilfsantrag) unverändert vor. Zudem ist D19 in der Patentschrift (Absatz [0022]) genannt.
1.3.3 Dass die besagten Lizenzverhandlungen nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnten, stellt demnach für die Kammer keinen Grund dar, der es rechtfertigen könnte, dass D19 nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt herangezogen und eingereicht wurde.
Zudem scheint D19 prima facie nicht relevanter als der bereits zuvor im Verfahren befindliche Stand der Technik zu sein. Insbesondere wurde von der Beschwerdeführerin selbst eingeräumt, dass die gemäß Beispiel 1 der D19 behandelte, natürliche Bleicherde zwar Dioxin enthalten kann, aber nicht muss.
1.3.4 Unter Berücksichtigung all dieser Umstände entschied die Kammer, D19 zumindest im Rahmen der Beurteilung des Hauptantrags nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen und daher dessen Inhalt auch nicht weiter zu berücksichtigen (Artikel 114(2) EPÜ und Artikel 13(3) VOBK).
1.4 Späte Änderung des Vorbringens - nicht zugelassen
1.4.1 Auf die Entgegenhaltung D8 bezog sich die Beschwerdeführerin im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zugegebenermaßen erstmals in der mündlichen Verhandlung und machte im Hinblick darauf mangelnde Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit geltend.
1.4.2 Die Zulässigkeit dieser Einwände wurde von der Beschwerdegegnerin bestritten.
1.4.3 Festzuhalten ist zunächst, dass D8 bereits im Einspruchsverfahren erörtert worden war, und dass nicht ersichtlich ist, warum die besagten Einwände nicht bereits spätestens mit der Beschwerdebegründung vorgebracht wurden.
1.4.4 Bezüglich der Relevanz von D8 vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass das darin beschriebene Verfahren zur Regenerierung von gebrauchten ölhaltigen Bleicherden durch Erhitzen derselben auf Temperaturen von 500 bis 650°C in oxidierender Atmosphäre neuheitsschädlich sei. Dass Dioxine in D8 nicht explizit erwähnt seien, würde keine Rolle spielen, da der Ausdruck "Dioxine" im Sinne des Streitpatents ohnehin sehr breit und unklar sei. Zumindest sei das Verfahren nach Anspruch 1 aber auch ausgehend von D8 naheliegend.
1.4.5 Die Kammer erachtet diese zu einem sehr späten Zeitpunkt vorgebrachten Einwände als prima facie nicht ausreichend relevant, insbesondere da D8 nicht die Behandlung dioxinhaltiger Bleicherde betrifft.
1.4.6 Unter Berücksichtigung all dieser Umstände entschied die Kammer daher, ihr Ermessen nach Artikel 114(2) EPÜ und Artikel 13(3) VOBK dahingehend auszuüben, diese sehr spät vorgebrachten Einwände nicht ins Verfahren zuzulassen.
Hauptantrag (von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete Ansprüche)
Das Verfahren nach Anspruch 1
2. Anspruch 1 des Hauptantrags beschreibt ein Verfahren zur Verringerung des Dioxingehalts einer Zusammensetzung, die zumindest zu 90% aus Rohton und/oder Bleicherde besteht. Dies bedeutet für die Kammer, dass auch in der derart behandelten Zusammensetzung zumindest die wesentlichen, insbesondere die Anwendungs-Eigenschaften, die einen Rohton bzw. eine Bleicherde charakterisieren, erhalten bleiben müssen. Dieses Verständnis von Anspruch 1 steht auch in vollem Einklang mit dem Absatz [0033] der Beschreibung des Streitpatents, siehe insbesondere auch Absatz [0013]: "[...] handelt es sich bei der eingesetzten Zusammensetzung um eine dioxinhaltige Bleicherde oder einen dioxinhaltigen Rohton, wobei mit Hilfe des erfindungsgemäßen Verfahrens ein(e) dioxinarme(r) oder weitestgehend dioxinfreie(r) Bleicherde oder Rohton hergestellt werden kann." (Hervorhebung durch die Kammer).
Neuheit
3. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hielt die Beschwerdeführerin zuletzt nur noch im Hinblick auf die Entgegenhaltungen D3, D6, D8 und D15 und D19 Neuheitseinwände aufrecht. Allerdings wurden weder Dokument D19 als solches, noch der Neuheitsangriff auf Basis von D8, ins Verfahren zugelassen (1.3 und 1.4, supra). Daher setzt sich die Kammer im Folgenden lediglich mit der Frage der Neuheit gegenüber D3, D6 und D15 auseinander.
4. Entgegenhaltung D3
4.1 D3 beschreibt (Zusammenfassung; Ansprüche; Spalte 1, Zeile 16 bis 21; Spalte 3, Zeilen 25 bis 28) unter anderem Verfahren und Vorrichtungen zur Entfernung von Verunreinigungen aus unterschiedlichsten Materialien durch thermische Desorption bzw. Verdampfung flüchtiger organischer Verbindungen. Die Liste der zu entgiftenden Materialien umfasst unter anderem Ton (Spalte 1, Zeile 18; Spalte 3, Zeile 28: "clay"). Als im zu behandelnden Ausgangsprodukt möglicherweise vorhandene, zu entfernende Verunreinigungen werden Schwefel, Schwermetalle, Kohlenwasserstoffe, polychlorierte Biphenyle (PCBs), flüchtige und "semi-flüchtige" organische Verbindungen erwähnt (siehe Anspruch 8; Spalte 3, Zeilen 39 bis 40; Spalte 5, Zeilen 8 bis 14; Spalte 6, Zeile 2; Spalte 9, Zeile 53, bis Spalte 10, Zeile 9; Spalte 10, Zeilen 48 bis 61). Laut Spalte 10, Zeilen 59 bis 61, werden PCBs ab einer Anfangstemperatur von 648°C (1200°F) verflüchtigt.
4.2 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist die Definition der Dioxine im Streitpatent so breit, dass sie auch PCBs umfasst. Für die Kammer ist dies nicht zutreffend, da laut Absatz [0014] des Streitpatents der Begriff Dioxine ausdrücklich chlorierte Dibenzodioxine und die analogen Dibenzofurane bezeichnen soll. PCBs sind in diesem Zusammenhang hingegen nicht genannt.
4.3 Dioxine im Sinn von Absatz [0014] des Streitpatents sind in D3 jedoch nur im Zusammenhang mit Ausführungen betreffend Verfahren des Stands der Technik erwähnt (Spalte 1, Zeile 55, und Spalte 3, Zeile 1).
4.4 Die Entfernung von Dioxinen aus Rohton bzw. Bleicherde ist somit in D3 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. D3 offenbart demnach nicht ein Verfahren mit allen Merkmalen von Anspruch 1.
5. Entgegenhaltung D6
5.1 D6 beschreibt die Dioxinbelastung von Töpferton vor und nach dem Brennen zu keramischen Produkten (siehe Zusammenfassung). Vor dem Brennschritt wird die Töpferware zunächst getrocknet, danach wird unter langsamer Steigerung der Temperatur bis auf 1200°C gebrannt, wobei unter Mitwirkung von Additiven die üblichen Phasenumwandlungen ("vitrification process") stattfinden (Seite 1299, linke Spalte, zweiter vollständiger Absatz).
Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Dioxine im Verlauf der Temperaturerhöhung zerstört oder verflüchtigt werden, erwähnen die Autoren unter Verweis auf ein Handbuch, dass sich Dioxine bei Temperaturen von 421 bis 510 °C verflüchtigen können. Sie folgern daraus, dass sich die Dioxine im Verlauf der Temperaturerhöhung verflüchtigen, bevor sie thermisch zersetzt werden.
5.2 Für die Kammer ist die Auffassung der Beschwerdeführerin unzutreffend, wonach die kontinuierliche Temperaturerhöhung im Rahmen des Brennens von tönerner Töpferware mit einem Verfahren zur Verringerung des Dioxingehalts eines Rohtons oder einer Bleicherde gleichzusetzen ist (siehe die Punkte 1 bis 3, supra), da sich die Materialeigenschaften des Endprodukts grundlegend von jenen des Ausgangsprodukts unterscheiden und somit das Endprodukt keinen Rohton mehr enthalten würde (siehe Punkt 2, supra).
5.3 Für die Kammer beschreibt D6 nicht unmittelbar und eindeutig ein Verfahren zur Behandlung von Rohton bzw. Bleicherde, dessen Endprodukt noch immer als Rohton bzw. Bleicherde angesehen werden kann. Das Endprodukt des in D6 beschriebenen Verfahrens ist vielmehr ein - wenngleich dioxinfreier - Keramik-Gegenstand. Insbesondere wird in D6 nicht näher beschrieben, ab welcher Temperatur der Ton im Rahmen der Temperaturbehandlung tatsächlich dioxinfrei wird, bzw. welche Eigenschaften er dann noch aufweist, ganz zu schweigen von einer Unterbrechung der Temperaturerhöhung zu diesem Zeitpunkt.
5.4 Auch D6 offenbart demnach nicht unmittelbar und eindeutig ein Verfahren mit allen Merkmalen von
Anspruch 1.
6. Entgegenhaltung D15
6.1 D15 beschreibt Untersuchungen zum Ursprung und zur Größenordnung des Gehalts an Dioxinen und PCDF (polychlorierte Dibenzofurane) von Rohtonen aus amerikanischen Lagerstätten. Es werden auch die unerwünschten Auswirkungen der Verwendung dieser Tone als Futtermittelzusatz angesprochen. Ferner enthält D15 diverse Angaben zur Stabilität dieser Substanzen.
6.2 Die Beschwerdeführerin wies insbesondere auf einen Satz auf Seite 4530, linke Spalte, hin, wonach laut einer Studie Dioxine unter "extremen hydrothermalen Bedingungen" in alkalischer wässriger Lösung bei 200 bis 300°C zerstört werden.
6.3 Dieser Hinweis stellt aber nach dem Dafürhalten der Kammer keine Offenbarung eines Verfahrens mit einer entsprechenden Behandlung von mindestens 90 %-igem Rohton bzw. Bleicherde unter Beibehaltung von dessen wesentlichen Anwendungseigenschaften dar.
6.4 Für die Kammer offenbart demnach auch D15 nicht unmittelbar und eindeutig ein Verfahren mit allen Merkmalen des vorliegenden Anspruchs 1.
7. Aus den obigen Gründen vermag keiner der zugelassenen, in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen Neuheitsangriffe die Kammer zu überzeugen. Die Kammer gelangt daher zu dem Schluss, dass die Verfahren gemäß Anspruch 1 und den davon abhängigen Ansprüchen 2 bis 12 neu sind (Artikel 52(1) und 54 EPÜ).
Erfinderische Tätigkeit
8. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit hielt die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zuletzt nur noch Einwände aufrecht, die vom allgemeinen Fachwissen (Kenntnis von dioxinhaltigen Bleicherden und deren Nachteilen), oder aber von einer der Entgegenhaltungen D3, D6 oder D8, als dem nächstliegenden Stand der Technik ausgingen. Der von D8 ausgehende Angriff wurde von der Kammer jedoch nicht zugelassen (Punkt 1.4.3, supra). Einen zunächst vorgebrachten Angriff ausgehend von D15 nahm die Beschwerdeführerin im Verlauf der mündlichen Verhandlung wieder zurück.
9. Die Erfindung
9.1 Die Erfindung (siehe Anspruch 1) betrifft ein Verfahren zur Reduzierung des Dioxingehalts von Rohtonen bzw. Bleicherden.
9.2 Im gereinigten Produkt sollen keine Nachteile hinsichtlich der Reinigungsleistung bzw. Bleichaktivität hingenommen werden müssen (Absätze [0007] und [0008]).
10. Nächstliegender Stand der Technik
10.1 Keine der herangezogenen Entgegenhaltungen ist ausdrücklich mit der Verringerung des Dioxingehalts von belastetem Rohton oder Bleicherde befasst.
10.2 Für die Kammer ist D3 der nächstliegende Stand der Technik. Da dieses Dokument mit der Problematik der Entfernung von flüchtigen Verunreinigungen aus Tonerde ("clay") befasst ist, ist es nach dem Dafürhalten der Kammer der am besten geeignete Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz.
11. Technische Aufgabe
Ausgehend von dem Verfahren gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik D3 kann die Aufgabe in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Verringerung des Dioxingehalts von Rohton und/oder Bleicherde gesehen werden, und zwar ohne deren Anwendungseigenschaften nennenswert zu beeinträchtigen (siehe 2, supra).
12. Lösung
Zur Lösung dieser Aufgabe wird laut der von der Einspruchsabteilung für gewährbar gehaltenen Fassung des Streitpatents das Verfahren nach Anspruch 1 vorgeschlagen, welches insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass die behandelte "Zusammensetzung zu mindestens 90 % aus Rohton und/oder Bleicherde besteht" und dass "die Zusammensetzung auf eine Temperatur im Bereich von 300 bis 600 °C erhitzt" wird.
13. Erfolg der Lösung
13.1 Die Beispiele des Streitpatents zeigen, dass durch den Erhitzungsschritt der Dioxingehalt von Ton (Beispiele 1, 2 und 4) und Bleicherde (Beispiel 3) weitgehend reduziert wird. Zudem dokumentiert das "Anwendungsbeispiel" (Absatz [0057], Tabelle IV), dass sowohl erfindungsgemäß behandelter Ton (Beispiel 3), als auch Bleicherden (Beispiele 5 und 6), die durch Säureaktivierung eines erfindungsgemäß behandelten Tons erhalten wurden, eine zumindest vergleichbare Bleichwirkung zeigen wie eine Bleicherde, die ohne Erhitzungsschritt erhalten wurde.
13.2 Weder die Aussagekraft dieser Beispiele, noch die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse, wurde von der Beschwerdeführerin in Frage gestellt.
13.3 Daher akzeptiert die Kammer, dass die technische Aufgabe durch das Verfahren laut Anspruch 1 auch tatsächlich über dessen gesamte Breite gelöst wird.
14. (Nicht-)Naheliegen der Lösung
14.1 Es bleibt noch zu entscheiden, ob ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik, die vorgeschlagene Lösung naheliegend war.
14.2 Dokument D3 für sich genommen
14.2.1 In D3 (Spalte 1, Zeile 52 bis 54; Spalte 3, Zeilen 1 bis 2) wird, lediglich im Rahmen der Erörterung von bereits vorbekannten Verfahren, die thermische Entsorgung von Dioxin, respektive die Entfernung von Dioxin aus nicht näher präzisierten Materialien erwähnt.
14.2.2 Allerdings wird in D3 eben nicht (siehe auch 4ff., supra) eine Verringerung des Dioxingehalts von Rohtonen oder Bleicherden angesprochen. Insbesondere wird der Frage, ob und unter welchen Bedingungen Dioxine aus diesen Ausgangsprodukten mittels der offenbarten thermischen Methode entfernt werden könnten, ohne dass der Rohton und/oder die Bleicherde dabei eine Verschlechterung der Anwendungseigenschaften (Bleichwirkung) erfahren, nicht nachgegangen. Der Schwerpunkt scheint in D3 vielmehr auf der Entfernung der Verunreinigungen zu liegen, um die Deponierbarkeit so behandelter (Abfall-)Materialien zu gewährleisten (siehe z.B. Spalte 1, Zeilen 15 bis 45; Spalte.
14.2.3 Der mit der Lösung der technischen Aufgabe (Punkt 11, supra) befasste Fachmann wird demnach durch D3 nicht angeregt, den Ton und/oder die Bleicherde einer Erhitzung auf 300 bis 600 °C zu unterwerfen. In der von der Beschwerdeführerin herangezogen Passage in Spalte 10, Zeilen 48 bis 61, wird lediglich betont, dass die Temperatur für die Verflüchtigung der Verunreinigung durch thermische Behandlung des Materials in Abhängigkeit von den Eigenschaften festzulegen ist, wobei für PCBs eine Starttemperatur von 648°C (1200 °F) angezeigt ist. Die Kammer ist daher der Überzeugung, dass der Fachmann nicht erwarten konnte, dass bereits im Bereich 300 bis 600 °C eine weitgehende Entfernung von Dioxinen im Sinne des Streitpatents erreicht werden könnte.
14.3 D3 in Verbindung mit D6
14.3.1 Wie bereits zuvor erläutert, beschreibt D6 den Dioxingehalt in Töpferton und Keramik vor bzw. nach dem Brennen. D6 betrifft also lediglich die Herstellung von (keramischen) Endprodukten, die nicht (mehr) als Ton oder Bleicherde angesehen werden können, unter zur Entfernung von Dioxinen führender Erhitzung. Der Fachmann hatte daher nach dem Dafürhalten der Kammer keinen Anlass, die Lehren dieser beiden Entgegenhaltungen zu kombinieren.
Zudem bedeutet die Information in D6, dass Dioxine bei Temperaturen von 421 bis 510°C flüchtig sind, für die Kammer nicht zwingend, dass diese Substanzen, auch wenn sie als Verunreinigungen in Tonen und/oder Bleicherden vorliegen, bereits bei diesen Temperaturen weitgehend aus diesen Materialien entfernt werden können.
14.3.2 Daher ergibt sich, ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik, das Verfahren nach Anspruch 1 für den Fachmann selbst bei Zusammenschau von D3 und D6 nicht in naheliegender Weise.
14.3.3 Auch bei Berücksichtigung der zusätzlich von der Beschwerdeführerin herangezogenen Entgegenhaltungen D8 und D11 gelangt die Kammer zu keinem anderen Schluss. D8 (Anspruch 1) und D11 (Figur 1) kann zwar entnommen werden, dass eine Erhitzung von Bleicherde auf Temperaturen von 300 bis 600 °C nicht unbedingt zu einem Aktivitätsverlust führen muss, allerdings sind in D8 und in D11 Dioxine überhaupt nicht erwähnt.
15. Ergänzende Anmerkungen zu den weiteren Angriffen der Beschwerdeführerin
15.1 Die Beschwerdeführerin präsentierte in der mündlichen Verhandlung noch weitere Einwände betreffend das angebliche Naheliegen des Anspruchsgegenstands, und zwar ausgehend vom allgemeinen Fachwissen in Verbindung mit D6, oder D3. Der Vollständigkeit halber sei auch auf diese Argumente noch kurz eingegangen.
15.1.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt: In Kenntnis der allgemein bekannten Tatsache, dass Bleicherden Dioxine enthalten können (siehe diesbezüglich z.B. D15), stünde der Fachmann aufgrund der entsprechenden gesetzlichen Obergrenzen zwangsläufig vor der Aufgabe, den Dioxingehalt von Bleicherden für die Futtermittelindustrie zu reduzieren. Dies mittels Erhitzung zu erreichen, sei durch den Stand der Technik nahegelegt.
15.1.2 Diese Argumentation vermag die Kammer nicht zu überzeugen.
Einerseits könnte der mit der gestellten Obergrenze konfrontierte Fachmann, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, von einer Vermarktung mit Dioxin belasteter Tone als Futtermittelzusatz Abstand nehmen, oder aber deren Belastung durch Vermischung mit dioxinfreien Tonen auf ein akzeptables Maß senken. Er ist also nicht unbedingt gezwungen, ein (schonendes) Entfernen des Dioxins aus dem Ton und/oder der Bleicherde in Betracht zu ziehen.
Andererseits ist auch ausgehend von besagtem allgemeinen Fachwissen nicht überzeugend vorgetragen worden, wieso D3 oder D6 den Fachmann veranlassen könnte, als Reaktion auf die unter Punkt 15.1.1 angesprochene Problematik ein Verfahren gemäß Anspruch 1 in Erwägung zu ziehen.
15.1.3 Daher schließt die Kammer, dass sich auch für den von besagtem allgemeinen Fachwissen ausgehenden Fachmann ein Verfahren laut Anspruch 1 nicht in naheliegender Weise aus dem von der Beschwerdeführerin zuletzt noch herangezogenen Stand der Technik ergibt.
16. Aus den zuvor dargelegten Gründen vermögen auch die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zuletzt aufrechterhaltenen und zulässigen Einwände betreffend den angeblichen Mangel an erfinderischer Tätigkeit die Kammer nicht zu überzeugen.
17. Die Kammer gelangt daher zu dem Schluss, dass Verfahren gemäß Anspruch 1 bzw. den davon abhängigen Ansprüchen 2 bis 12 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen (Artikel 52(1) and 56 EPÜ).
18. Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin ist daher gewährbar.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.