T 0348/13 () of 12.11.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T034813.20151112
Datum der Entscheidung: 12 November 2015
Aktenzeichen: T 0348/13
Anmeldenummer: 05701187.6
IPC-Klasse: B21B 31/00
B23Q 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: PLATTFORM FÜR INDUSTRIEANLAGEN, INSBESONDERE FÜR HOCHDRUCKENTZUNDERER, NOTSCHEREN UND PENDELSCHEREN IN WALZSTRASSEN, O. DGL.
Name des Anmelders: SMS group GmbH
Name des Einsprechenden: Primetals Technologies Austria GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (ja)
Spät eingereichte Dokumente - zugelassen (nein)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 715 966 (im Folgenden: "Patent") betrifft den Anschluss von Zufuhr-, Abfuhr- und/oder Verteilerleitungen an einer Maschine für Industrieanlagen.

II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurde Einspruch eingelegt, gestützt auf den Grund des Artikels 100 b) EPÜ und auf zwei Gründe des Artikels 100 a) EPÜ, nämlich mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit.

III. Während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ließ diese den verspätet geltend gemachten Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ zum Verfahren zu. Die Einsprechende nahm sowohl ihren Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ als auch ihren Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit nach Artikel 100 a) EPÜ zurück. Die Einspruchsabteilung entschied, dass das Patent in geändertem Umfang des Hilfsantrags 1 den Erfordernissen des EPÜ genüge.

IV. Gegen diese Zwischenentscheidung wendet sich die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdeführerin) mit ihrer Beschwerde.

V. In der als Anlage der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) teilte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mit.

VI. Die mündliche Verhandlung fand am 12. November 2015 statt.

VII. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis eines der mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2015 als Hilfsanträge 1 und 2 eingereichten Anspruchssätze.

VIII. Anspruchssätze

a) Hauptantrag

Der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete Anspruch 1, der mit dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung identisch ist, lautet folgendermaßen:

"1. Vorrichtung mit einer Maschine und mit einer Plattform (1) für Industrieanlagen, insbesondere für Hochdruckentzunderer (3a), Notscheren und Pendelscheren in Walzstrassen, o. dgl. mit ggf. gebündelten Zufuhr-, Abfuhr- und/oder Verteilerleitungen (11), die in Betriebslage mit den ortsfesten Leitungen der jeweiligen Maschine (3) verbindbar sind, bei der eine Anordnung der polygonalen Plattform in unmittelbarer Nähe, mit einem eingestellten Abstand, Seitenlage und Höhenlage der anzuschließenden Maschine (3) vorgenommen ist, dadurch gekennzeichnet, dass verbindbare Stellorgane (4), Geräte (4), Antriebe (5) und Antriebskonsolen (5a), Verteilerblöcke (6), Ventilstände (7), Steuerelemente u. dgl. auf einer horizontalen Plattform-Grundfläche (2) entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine (3) verteilt angeordnet sind."

b) Hilfsantrag 1

Anspruch 1 lautet wie folgt (die Änderungen am erteilten Anspruch 1 sind wie folgt kenntlich gemacht: die gestrichene Passage erscheint im Text als durchgestrichen und die neue Passage erscheint im Fettdruck):

"1. Vorrichtung mit einer Maschine und mit einer Plattform (1) für Industrieanlagen, insbesondere für Hochdruckentzunderer (3a), Notscheren und Pendelscheren in Walzstrassen, o. dgl. mit ggf. gebündelten Zufuhr-, Abfuhr-und/oder Verteilerleitungen (11), die in Betriebslage mit den ortsfesten Leitungen der jeweiligen Maschine (3) verbindbar sind, bei der eine Anordnung der [deleted: polygonalen] Plattform in unmittelbarer Nähe, mit einem eingestellten Abstand, Seitenlage und Höhenlage der anzuschließenden Maschine (3) vorgenommen ist, dadurch gekennzeichnet, dass verbindbare Stellorgane (4), Geräte (4), Antriebe (5) und Antriebskonsolen (5a), Verteilerblöcke (6), Ventilstände (7), Steuerelemente u. dgl. auf einer horizontalen, polygonalen Plattform-Grundfläche (2) entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine (3) verteilt angeordnet sind."

c) Hilfsantrag 2

Der unabhängige Anspruch 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nur durch die hinzugefügte Beschränkung, dass die horizontale Plattform-Grundfläche "polygonal" ist.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 betreffen besondere Ausführungsformen der jeweils im Anspruch 1 definierten Vorrichtung.

IX. Beweismittel

a) In ihrer Beschwerdebegründung nahm die Beschwerdeführerin Bezug auf folgende, bereits in der angefochtenen Entscheidung genannte Entgegenhaltungen:

D1: WO 02/24359 A1

D5: Auszug aus Millennium Steel 2001 (Titelseite, Seite 3 mit den bibliographischen Daten und Seite 278) nebst Vergrößerung des Fotos auf Seite 278

D8: US 2 722 392 A

b) Die Beschwerdeführerin hat folgende Dokumente erstmalig mit ihrer Beschwerdebegründung eingeführt:

D5a: Thaller G. und Wagner J., "The new HADEED hot-strip mill complex", Millennium Steel 2001, Seiten 275 bis 281

D9: Rudnev V. et al., "New generation of systems for induction reheating", Millennium Steel 2001, Seiten 261 bis 268 und Seite 3 mit den bibliographischen Daten

D9a: Email des Herausgebers von Millennium Steel an Herrn Dr. Steiner, 18. Februar 2013

D9b: Ausdruck der Internetseite http://millennium-steel.com/

D9c: Figur 5 auf Seite 265 von D9

D10: VOEST-ALPINE Industrieanlagenbau, "Project Information - Rolling Technology - JISCO, China Steckel Mill", Seiten 1 bis 8, mit Druckvermerk "2003.05.07"

D11: Millennium Steel 2001, Titelseite, Seite 3 mit den bibliographischen Daten, Seiten 5, 7 und 9 mit Inhaltsverzeichnis

c) Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2013 hat die Beschwerdeführerin folgendes Dokument erstmalig eingeführt:

D12: Eidesstattliche Versicherung von Frau Berta Haring, 18. November 2013

X. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Artikel 100 c) EPÜ

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Anspruch 1 verlange, dass die Plattform als Ganze "polygonal" sei, nicht aber die sogenannte Plattform-Grundfläche. Dieses Merkmal sei der ursprünglichen Offenbarung nicht entnehmbar. Dort sei durchgehend als erfindungswesentlich dargestellt worden, dass die Plattform-Grundfläche polygonal sei. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin sei die im Anspruch 1 definierte Plattform-Grundfläche nicht zwangsläufig mit der gesamten Oberfläche der Plattform identisch. Im Anspruch 1 sei nur von "einer ... Plattform-Grundfläche" die Rede. Auch sei aus dem Wortlaut des Anspruchs 1, den abhängigen Ansprüchen und der Beschreibung direkt ersichtlich, dass die Plattform diese eine Grundfläche sowie weitere Bestandteile umfasse, insbesondere verbindbare Stellorgane, Geräte, Antriebe, Antriebskonsolen, Verteilerblöcke, Ventilstände, Steuerelemente usw. Durch das Weglassen des Merkmals, dass die Plattform-Grundfläche "polygonal" ist, gehe der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung hinaus.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Für einen fachmännischen Leser des Anspruchs 1 sei eindeutig, dass der Begriff "Plattform-Grundfläche" wie fachüblich die gesamte Oberfläche der Plattform bezeichne. Bei der Definition der Plattform-Grundfläche im Anspruch 1 sei zwar der unbestimmte Artikel "einer" verwendet worden, jedoch nur, um das Erfordernis der Klarheit zu erfüllen. Der Ausdruck "auf einer horizontalen Plattform-Grundfläche" sei eindeutig im Sinne von "auf der horizontalen Plattform-Grundfläche" zu lesen. Demnach verlange Anspruch 1, dass sowohl die Plattform als auch ihre Grundfläche polygonal seien. Dieses Erfordernis stehe in Einklang mit der in Figur 1 abgebildeten Draufsicht.

b) Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2 zum Verfahren

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Die Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1 und 2 seien in direkter Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer im Ladungsanhang eingereicht worden.

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die neuen Hilfsanträgen 1 und 2 dürften nicht zugelassen werden, weil sie schon früher im Verfahren hätten eingereicht werden können und prima facie neue Fragen aufwürfen. Der Ladungsanhang habe keine Änderung der Sachlage ergeben, die die späte Einreichung dieser Anträge rechtfertigen könne.

c) Hilfsantrag 1 - Artikel 123 (3) EPÜ

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Im Unterschied zu Anspruch 1 in der erteilten Fassung fordere der geänderte Anspruch 1 nicht mehr, dass die Plattform als Ganze "polygonal" sei, sondern lediglich, dass eine Plattform-Grundfläche polygonal sei. Somit sei der Schutzbereich erweitert worden, was nach Artikel 123 (3) EPÜ unzulässig sei.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Mit den vorgenommenen Änderungen bleibe der Schutzbereich unverändert. Anspruch 1 verlange, dass die Plattform-Grundfläche, d.h. die gesamte Oberfläche der Plattform, polygonal sei, was wiederum impliziere, dass die Plattform als Ganze polygonal sei.

d) Hilfsantrag 2 - Artikel 100 c) EPÜ

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Anspruch 1 verlange, dass die Plattform als Ganze "polygonal" sei. Dieses Merkmal sei ursprünglich nicht offenbart worden. Aus Figur 1 sei ersichtlich, dass bestimmte Bestandteile der Plattform, insbesondere die Antriebe 5 und die Antriebskonsolen 5a einen gerundeten, nicht polygonalen Umriss hätten. Demnach sei die abgebildete Plattform nicht polygonal.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart worden, siehe Anspruch 1 und Figuren 1 und 2. Insbesondere sei eindeutig, dass die in Figuren 1 und 2 dargestellte Plattform 1 polygonal sei. Die auf der oberen Fläche 2 der Plattform 1 angeordneten Bauteile seien nicht Teil der Plattform.

e) Berücksichtigung von D8 im Verfahren

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Selbst wenn die Einspruchsabteilung bereits entschieden habe, das nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichte Dokument D8 nicht in das Verfahren zuzulassen, sei diese Entscheidung aufzuheben, weil D8 prima facie relevant für die Beurteilung der Neuheit sei.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

D8 dürfe nicht berücksichtigt werden, wie die Einspruchsabteilung bereits zutreffend entschieden habe.

f) Berücksichtigung von D5a, D9 bis D9c, D10 bis D12 im Verfahren

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereichten Entgegenhaltungen sollten zum Verfahren zugelassen werden, da sie in Reaktion auf die angefochtene Entscheidung eingereicht worden seien. Bei D5a handle es sich um den vollständigen Aufsatz der Fachzeitschrift Millennium Steel 2001, aus dem der mit der Einspruchsschrift eingereichte Auszug gemäß D5 entnommen worden sei. D11 zeige die Titelseite dieser Zeitschrift. Das auf der Titelseite abgebildete Vorgerüst entspreche dem in D5a abgebildeten Vorgerüst (Figur 4). Die im Rahmen einer ergänzenden Recherche aufgefundenen Dokumente D9 und D10 seien technisch hochrelevant: D9 sei neuheitsschädlich; D10 offenbare ein Beispiel einer Maschine, bei der die verschiedenen Anschlüsse eher horizontal verteilt seien.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

All diese Dokumente hätten schon im Einspruchs-verfahren, insbesondere vor Ablauf der Einspruchsfrist, eingereicht werden können. Nachdem D5 und D9 in derselben Ausgabe derselben Zeitschrift erschienen seien, hätte D9 zeitgleich mit D5 vorgebracht werden können. Aufgrund der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit der Beschwerdeführerin mit dem Urheber des Prospekts D10 müsse davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin schon im Einspruchsverfahren im Besitz dieses Dokuments gewesen sei. Diese Entgegenhaltungen seien deshalb als verspätet vorgebracht anzusehen und nicht in das Verfahren zuzulassen.

g) Hilfsantrag 2 - Auslegung des Anspruchs 1

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die Passage "mit einem eingestellten Abstand, Seitenlage und Höhenlage" im Oberbegriff des Anspruchs 1 könne breit ausgelegt werden und schließe dann auch ein, dass der eingestellte Abstand zwischen der Plattform und der Maschine gleich null sei, insbesondere, dass die Plattform auf der Maschine aufgesetzt sei.

Die Passage "entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine verteilt angeordnet" im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 könne unterschiedlich gelesen werden, weil das Wort "gegenüber" zwar im Sinne von "vis-à-vis", aber auch im Sinne von "in Bezug auf" gelesen werden könne. Diese Passage impliziere deshalb nicht zwingend, dass die auf der Plattform-Grundfläche verteilten Bauteile der Maschine räumlich entgegengesetzt angeordnet seien.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Das Merkmal des Anspruchs 1, dass "eine Anordnung in unmittelbarer Nähe, mit einem eingestellten Abstand, Seitenlage und Höhenlage der anzuschließenden Maschine (3) vorgenommen ist", impliziere, dass die Plattform in X-, Y- und Z-Richtung in einer gewissen Entfernung von der Maschine angeordnet sei. Dies sei bei der Erfindung auch erforderlich, um zu gewährleisten, dass die Anschlüsse der Leitungen überschaubar und leicht kontrollierbar seien (siehe Absatz 6 der Patentschrift). Die mit der Maschine verbindbaren Bauteile lägen gegenüber der Maschine und seien auf der Plattform-Grundfläche so verteilt angeordnet, dass sie ihre jeweilige Funktion in Bezug auf die Maschine erfüllen können.

h) Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

D1 offenbare eine Maschine in Form eines Walzgerüsts und eine Plattform im Form eines rechteckigen Konstruktionsmoduls 1, an dem mit der Maschine verbindbare Bauteile in Form von Ventilblöcken 3', Steuereinheiten 3, Hydrospeichern 7 und Verteilungseinrichtungen 8 entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine verteilt angeordnet seien (Seite 2, Zeilen 20 bis 27 und Figuren 1 und 2). Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich davon nur dadurch, dass die Grundfläche des Konstruktionsmoduls horizontal ausgerichtet sei, während sie in D1 vertikal ausgerichtet sei. Ausgehend von D1 könne als objektive Aufgabe angesehen werden, die in D1 offenbarte Plattform derart zu modifizieren, dass eine effizientere Leitungsführung erreicht werde bzw. dass die Plattform in effizienter Weise bei einer Maschinen eingesetzt werden könne, deren Stellglieder und Verbraucher im Wesentlichen horizontal verteilt seien, wie z.B. bei Hochdruckentzunderern, Notscheren, Pendelscheren, Kühlstrecken oder Steckelöfen (siehe D10, Seite 5, Abbildung unten rechts). Die beanspruchte horizontale Ausrichtung der Plattform ergebe sich dann von selbst durch Anpassung der Plattform an die horizontale Anordnung der Stellglieder und Verbraucher der Maschine. Der Fachmann gelange mithin ohne erfinderisches Zutun zum beanspruchten Gegenstand.

Sollte der Fachmann alternativ von dem Vorgerüst einer Walzstrasse ausgehen, der in D5a (Figur 4) bzw. in D11 (Titelseite) abgebildet sei, würde er ebenfalls in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen. Über diesem Vorgerüst sei eine polygonale Plattform mit einer horizontalen, polygonalen Oberfläche aufgebaut. Die Plattform sei also in unmittelbarer Nähe des Vorgerüsts angeordnet, und zwar mit einem bestimmten Abstand, einer bestimmten Seitenlage und einer bestimmten Höhenlage. Von der Plattform gingen elektrische Leitungen, die zu einem elektrischen Verteilerkasten geführt seien, sowie Leitungen in Form von vertikalen Rohren für flüssige oder gasförmige Medien ab, wobei all diese Leitungen mit den zugehörigen Anschlüssen der Maschine verbunden seien. Es sei erkennbar, dass auf der Plattform Bauteile verteilt angeordnet seien. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dieser bekannten Vorrichtung nur dadurch, dass diese Bauteile verbindbare Stellorgane, Geräte, Antriebe, Antriebskonsolen, Verteilerblöcke, Ventilstände, Steuerelemente oder dergleichen seien und dass sie auf der Plattform ihren jeweiligen Funktionen entsprechend verteilt angeordnet seien. Diese Änderung liege aber im Rahmen des routinemäßigen Handelns des Fachmanns.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Die beanspruchte Vorrichtung unterscheide sich von D1 dadurch, dass die Plattform in X-, Y- und Z-Richtung jeweils entfernt von der Maschine angeordnet sei, dass die Plattform-Grundfläche horizontal ausgerichtet sei und dass die darauf angeordneten Bauteile entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine verteilt angeordnet seien. Diese Änderungen an der Vorrichtung von D1 verbesserten die Zugänglichkeit, die Überschaubarkeit und die Kontrollierbarkeit der Leitungsanschlüsse (siehe Absätze 6, 8 und 10 der Patentschrift) und implizit auch die Betriebssicherheit bei einem möglichen Leck eines solchen Bauteils. Der Fachmann habe keine Veranlassung diese Änderungen vorzunehmen. Sollte er das Konstruktionsmodul in D1 so weiterentwickeln, dass es mit einer Maschine verwendet werden könne, die horizontal verteilte Anschlüsse für die Leitungen aufweise, würde er das Konstruktionsmodul so waagerecht ausrichten, dass seine Tragefläche der Maschine gegenüberliege. Auf diese Weise erhalte er aber nicht eine Plattform mit einer horizontalen Plattform-Grundfläche. Der beanspruchte Gegenstand beruhe mithin auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D1.

Die beanspruchte Vorrichtung unterscheide sich von dem in D5a bzw. D11 gezeigten Vorgerüst mit einer aufgesetzten Plattform dadurch, dass die Plattform in X-, Y- und Z-Richtung jeweils entfernt von der Maschine angeordnet sei, dass auf der Plattform-Grundfläche die mit der Maschine mittels Leitungen verbindbare Bauteile angeordnet seien und dass diese Bauteile entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine verteilt angeordnet seien. Der Fachmann habe keine Veranlassung diese Änderungen der Plattform vorzunehmen, um die Zugänglichkeit, die Überschaubarkeit und die Kontrollierbarkeit der Leitungsanschlüsse zu verbessern. Der beanspruchte Gegenstand beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit auch ausgehend von D5a bzw. D11.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Artikel 100 c) EPÜ

1.1 Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung unter anderem darin,

- dass das Merkmal hinzugefügt worden ist, dass die Plattform als solche polygonal ist, und

- dass das Merkmal gestrichen worden ist, dass die horizontale Plattform-Grundfläche polygonal ist.

1.2 Mit diesen Änderungen ist entgegen den Erfordernissen der Artikel 123 (2) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ ein neuer Gegenstand entstanden, der über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen hinausgeht.

1.3 Im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 wird mit dem Begriff "Plattform-Grundfläche" eine Fläche der Plattform bezeichnet. Der Begriff "Grundfläche" bezeichnet fachüblicher Weise jene Fläche, mit der ein Körper, hier die Plattform, den Boden berührt. Ein fachkundiger Leser erkennt aber beim Durchlesen des Anspruchs 1, dass dieser Begriff hier eine andere Bedeutung hat: Er bezeichnet eine obere Fläche der Plattform, auf der die mit der Maschine verbindbaren Bauteile angeordnet sind. Der Wortlaut des Anspruchs ist nicht darauf beschränkt, dass diese Fläche der gesamten Oberfläche der Plattform entspricht. Der Begriff "Plattform-Grundfläche" wird mit dem unbestimmten Artikel "einer" definiert, was auf eine unbestimmte Erstreckung dieser Fläche hindeutet.

1.4 Anspruch 1 erfordert, dass die Plattform als Ganze "polygonal" ist, nicht aber die Plattform-Grundfläche. In den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen wird die Plattform-Grundfläche jedoch stets als polygonale Fläche definiert (siehe Plattform-Grundfläche 2 in Figur 1). Auch wird in dem Absatz, der die ursprünglich eingereichten Seiten 2 und 3 der Beschreibung überbrückt, gelehrt, dass dieses Merkmal mehr Fläche für die Anordnung der verbindbaren Bauteile bietet und mithin für die Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe wesentlich ist. Das Weglassen dieses Merkmals ergibt für einen Fachmann also keinen Sinn.

1.5 Der Hauptantrag ist somit wegen Artikel 100 c) EPÜ nicht gewährbar.

2. Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2 zum Verfahren

2.1 Die mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2015 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 der Beschwerdegegnerin stellen eine wesentliche Änderung ihres Vorbringens zu einem späten Verfahrensstadium dar.

2.2 Nach Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, diese Anträge zuzulassen und zu berücksichtigen.

2.3 Im vorliegenden Fall ist die Stellung dieser Anträge als sachdienliche Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin - entgegen der in der Beschwerdeerwiderung geäußerten Auffassung der Beschwerdegegnerin - zu Artikel 100 c) EPÜ als hinreichend substantiiert anzusehen sei und dass der Einschätzung der Einspruchsabteilung zu Artikel 100 c) EPÜ nicht gefolgt werden könne.

2.4 Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge unterscheiden sich von Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich dadurch, dass das Merkmal aufgenommen bzw. gestrichen wurde, wonach die Plattform-Grundfläche bzw. die Plattform "polygonal" ist. Diese Änderungen führen keinen neuen Streitstoff ein, dessen Behandlung der Kammer oder der Beschwerdeführerin nicht zugemutet werden und der zu einer Verlegung der mündlichen Verhandlung oder zu einer Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung führen könnte.

2.5 Aus diesen Gründen lässt die Kammer die Hilfsanträge 1 und 2 in das Verfahren zu.

3. Hilfsantrag 1 - Artikel 123 (3) EPÜ

3.1 Nach Artikel 123 (3) EPÜ darf das Patent nicht in der Weise geändert werden, dass sein Schutzbereich erweitert wird. Nach Artikel 69 (1) Satz 1 EPÜ ist der Schutzbereich durch den Inhalt der Ansprüche bestimmt.

3.2 Im Unterschied zu Anspruch 1 in der erteilten Fassung verlangt der geänderte Anspruch 1 nicht mehr, dass die Plattform "polygonal" ist. Das hinzugefügte Merkmal, dass die Plattform-Grundfläche polygonal ist, impliziert nicht, dass die Plattform als Ganze polygonal ist, denn die Plattform-Grundfläche ist nicht zwangsläufig identisch mit der gesamten Oberfläche der Plattform (siehe Punkt 1.3 oben).

3.3 Der Hilfsantrag 1 verstößt also gegen Artikel 123 (3) EPÜ und ist somit nicht gewährbar.

4. Hilfsantrag 2 - Artikel 100 c) EPÜ

4.1 Der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 ist der technischen Lehre in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen entnehmbar (siehe Anspruch 1). Das bei der Erteilung des Patents aufgenommene Merkmal, dass die Plattform als solche polygonal ist, ist der Figur 1 entnehmbar. Selbst wenn die dort dargestellte Plattform 1 Stellorgane oder Geräte 4, Antriebe 5 mit Antriebskonsolen 5a, Verteilerblöcke 6, Ventilstände 7 oder Steuerelemente trägt, ist eindeutig, dass diese mit der Maschine verbindbaren Bauteile keine Bestandteile der Plattform sind.

4.2 Der Hilfsantrag 2 ist somit unter Artikel 100 c) EPÜ nicht zu beanstanden.

5. Berücksichtigung von D8 im Verfahren

5.1 Die Einspruchsabteilung hat unter Ausübung ihres Ermessens bereits entschieden, die nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgelegte D8 nicht in das Einspruchsverfahren zuzulassen.

5.2 Eine solche Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung unterliegt im Beschwerdeverfahren nicht uneingeschränkt der Überprüfbarkeit durch die Beschwerdekammer. Die Kammer darf lediglich die Ermessensausübung der Einspruchsabteilung auf Fehler überprüfen. Die Einspruchsabteilung hat D8 wegen seiner mangelnden Prima-facie-Relevanz nicht zugelassen und somit ihr in Artikel 114 (2) EPÜ eingeräumtes Ermessen in einer Weise ausgeübt, die keinen Ermessensfehler erkennen lässt. Deshalb muss diese Entgegenhaltung unberücksichtigt bleiben.

6. Berücksichtigung von D5a, D9 bis D9c, D10 bis D12 im Verfahren

6.1 Die Berücksichtigung der nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichten Entgegenhaltungen D5a, D9, D10 und D11 liegt im Ermessen der Kammer, siehe Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 12 (4) VOBK.

6.2 D5a und D11

Die Druckschriften D5a und D11 sind zum Nachweis der Vorveröffentlichung des Inhalts von D5 eingereicht worden, die vor der Einspruchsabteilung streitig war. Bei D5a handelt es sich um den vollständigen Aufsatz, aus dem der Auszug stammt, der Gegenstand von D5 ist. D11 zeigt im Großformat die Titelseite und die bibliographischen Daten der Zeitschrift Millennium Steel 2001, die bereits im Kleinformat Gegenstand von D5 war. Deshalb entscheidet die Kammer, diese Dokumente zu berücksichtigen, selbst wenn die Vorveröffentlichung von D5 von der Einspruchsabteilung nicht abschließend geklärt wurde.

6.3 D9 bis D9c

Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdegegnerin, dass D9 schon im Einspruchsverfahren hätte eingereicht werden können und sollen. Anspruch 1 wurde im Einspruchsverfahren nicht geändert und die Einspruchsabteilung hatte mit der Mitteilung vom 20. März 2012, die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beilag, ihre Einschätzung kundgetan, dass der beanspruchte Gegenstand neu und erfinderisch sei. Damit bestand für die Beschwerdeführerin schon im Einspruchsverfahren ein konkreter Anlass, einen weiteren relevanten Stand der Technik zu recherchieren und gegebenenfalls damit ihr Vorbringen zu ergänzen. Dies hat die Beschwerdeführerin auch so aufgefasst, denn sie hat mit Schriftsatz von 31. Mai 2012 D8 eingereicht und einen neuen darauf basierten Neuheitseinwand vorgebracht. Der Aufsatz, der als D9 eingereicht worden ist, hätte ebenfalls in diesem Verfahrensstadium vorgelegt werden können, denn er ist in derselben Ausgabe derselben Fachzeitschrift erschienen wie D5.

Darüber hinaus stellt die Kammer fest, dass die Beschwerdeführerin den Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zurückgenommen hätte (siehe die angefochtene Entscheidung, Gründe Nr. 8; Punkt 4.2 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Das Vorbringen eines auf D9 basierten Neuheitseinwands kann deshalb nicht als gerechtfertigte Reaktion auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung angesehen werden.

Nach alledem entscheidet die Kammer, D9 nicht zu berücksichtigen. Dies trifft ebenfalls für D9c und auch D9a und D9b zu, die nur zum Beweis der Vorveröffentlichung von D9 eingereicht worden sind.

6.4 D10 und D12

Der Prospekt D10 ist zum Beweis der Behauptung der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren eingereicht worden, dass Maschinen vorbekannt waren, dessen Leitungsanschlüsse eher horizontal verteilt sind. Die Einreichung dieses Dokuments ist als eine sachdienliche Reaktion auf die Einschätzung der Einspruchsabteilung anzusehen, dass diese Behauptung unbewiesen sei (siehe Gründe Nr. 9.3). Die eidesstattliche Versicherung D12 ist zum Beweis der Vorveröffentlichung dieses Prospektes eingereicht worden. Deshalb entscheidet die Kammer, diese beiden Dokumente zu berücksichtigen.

7. Vorveröffentlichung von D5, D5a, D10 und D11

7.1 Nach Überzeugung der Kammer hat die Beschwerdeführerin hinreichend nachgewiesen, dass die Entgegenhaltungen D5, D5a, D10 und D11 jeweils vor dem Prioritätsdatum (20. Februar 2004) des Patents veröffentlicht waren.

7.2 D5, D5a und D11 entstammen der Ausgabe 2001 der Fachzeitschrift Millennium Steel. Die Beschwerdeführerin hat das Original dieser Ausgabe in der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Die Titelseite und die Seiten 3, 5, 7 und 275 bis 281 des Originals stimmen mit den eingereichten Kopien von D5a und D11 überein.

7.3 Bei D10 handelt sich um einen Prospekt, der offensichtlich zu Werbezwecken gedruckt wurde und für eine sehr breite Kundschaft bestimmt war. Der Werbeprospekt trägt den Druckvermerk "2003.05.07" und wurde somit offensichtlich am 7. Mai 2003 gedruckt, wie durch die eidesstattliche Versicherung D12 bestätigt wurde. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Veröffentlichung von D10 innerhalb 9 Monaten vom Druckdatum bis zum Prioritätsdatum (20. Februar 2004) erfolgte.

8. Hilfsantrag 2 - Auslegung des Anspruchs 1

8.1 Es ist zwischen den Beteiligten streitig, wie die folgenden Merkmale des Anspruchs 1 auszulegen sind:

- dass eine Anordnung der polygonalen Plattform in unmittelbarer Nähe, "mit einem eingestellten Abstand, Seitenlage und Höhenlage" der anzuschließenden Maschine vorgenommen ist;

- dass die verbindbaren Bauteile in Form von Stellorganen, Geräten, Antrieben, Antriebskonsolen, Verteilerblöcken, Ventilständen, Steuerelementen und dergleichen auf der Plattform-Grundfläche "entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine verteilt angeordnet sind".

8.2 "mit einem eingestellten Abstand, Seitenlage und Höhenlage"

Diese strittige Passage ist im Gesamtzusammenhang des Anspruchs 1 zu lesen, insbesondere in Kombination mit den Merkmalen im kennzeichnenden Teil des Anspruchs. Die Kammer ist der Auffassung, dass ein fachkundiger Leser des Anspruchs 1 aufgrund seines allgemeinen Fachwissens auf Anhieb erkennt, dass dieses Merkmal sinnvoll nur so zu verstehen ist, dass die Plattform in unmittelbarer Nähe zu der anzuschließenden Maschine und auch neben ihr angeordnet ist, und zwar mit einem Abstand, der gleich Null sein kann, einer Seitenlage und einer Höhenlage, die passend für die Maschine sind. Diese Auslegung stimmt mit der Lehre in der Patentschrift überein (siehe Absatz 17 mit Figuren 1 und 2).

8.3 "gegenüber der Maschine"

Die Präposition "gegenüber" hat nach dem allgemeinen Verständnis eine lokale bzw. räumliche Bedeutung, im Sinne von "vis-à-vis", oder auch eine modale Bedeutung, im Sinne von "in Bezug auf". Beim Lesen der strittigen Passage "entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine verteilt angeordnet sind" im Gesamtzusammenhang des Anspruchs 1 ist jedoch ersichtlich, dass die Präposition "gegenüber" die Anordnung der verbindbaren Bauteile in Bezug auf die Maschine bezeichnet. Demnach verlangt Anspruch 1, dass die verbindbaren Bauteile so auf der Plattform-Grundfläche verteilt angeordnet sind, dass sie jeweils den zugehörigen Leitungsanschlüssen an der Maschine räumlich entgegengesetzt liegen. Dieses technische Verständnis wird durch die Lehre in der Beschreibung der Patentschrift bestätigt und ist wesentlich für die geforderte verbesserte Zugänglichkeit, Überschaubarkeit und Kontrollbarkeit der Anschlüsse (siehe Absätze 6, 8, 10 und 17 mit Figuren 1 und 2).

8.4 Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass im Anspruch 1 die Zweckangabe "für Industrieanlagen, insbesondere für Hochdruckentzunderer, Notscheren und Pendelscheren in Walzstraßen, o. dgl." die verwendete Maschine beschreibt (siehe dazu Absatz 17 in der Patentschrift). Die beanspruchte Vorrichtung ist mithin eine Vorrichtung mit einer Plattform und einer Maschine für Industrieanlagen, insbesondere einem Hochdruckentzunderer, Notscheren und Pendelscheren in Walzstrassen, oder dergleichen.

8.5 Ebenfalls unstreitig ist, dass der Wortlaut "mit ggf. gebündelten Zufuhr-, Abfuhr- und/oder Verteilerleitungen (11), die in Betriebslage mit den ortsfesten Leitungen der jeweiligen Maschine (3) verbindbar sind" im Anspruch 1 die Plattform beschreibt (siehe u.a. Leitungen 11 in Figur 2).

9. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

9.1 Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die in D1 offenbarte Vorrichtung mit einer Maschine in Form eines Walzgerüsts 1 und einer in seiner räumlichen Nähe montierten Plattform in Form eines Konstruktionsmoduls 1, auf der Steuereinheiten 3 und Ventilblöcke 3' angeordnet sind, die mit den Stellgliedern und Verbrauchern des Walzgerüstes über Schlauchverbindungen und/oder Rohr-Schlauchverbindungen verbunden sind, alle im Oberbegriff des Anspruchs 1 aufgeführten Merkmale ihrem Wortlaut nach verwirklicht und einen geeigneten Ausgangpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bildet. Die Kammer teilt diese Auffassung.

9.2 Das Konstruktionsmodul 1 besteht aus in Höhe, Breite und Tiefe variablen, miteinander verbindbaren Elementen. Es wird den vorgegebenen Positionen von Stellgliedern und Verbrauchern in und an dem Walzgerüst angepasst und auf der Baustelle in räumlicher Nähe zu dem Walzgerüst montiert (Seite 1, Zeile 35 bis Seite 2, Zeile 8 und Seite 4, Zeilen 25 bis 36). Auf dieser Weise wird eine Anordnung des Konstruktionsmoduls "in unmittelbarer Nähe, mit einem eingestellten Abstand, Seitenlage und Höhenlage der anzuschließenden Maschine" vorgenommen, wie im Anspruch 1 erfordert.

9.3 Die räumlich nahe Anordnung der Ventilblöcke 3' und Steuereinheiten 3 des Konstruktionsmoduls 1 zu den zugehörigen Verbrauchern und Stellgliedern des Walzgerüsts entspricht der im Anspruch 1 erforderten Anordnung der verbindbaren Bauteile (siehe Seite 2, Zeilen 20 bis 27; Seite 5, Zeilen 8 bis 12; Figuren 1 und 2).

9.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dieser Vorrichtung gemäß D1 also nur dadurch, dass die Tragfläche des Moduls bzw. die Plattform-Grundfläche horizontal ausgerichtet ist.

9.5 Dank diesem Unterscheidungsmerkmal werden die Zugänglichkeit, die Überschaubarkeit und die Kontrollbarkeit der Leitungsanschlüsse verbessert (Absätze 6, 8 und 10 der Patentschrift).

9.6 Ausgehend von D1 besteht die objektiv zu lösende Aufgabe also darin, die dort offenbarte Vorrichtung weiterzuentwickeln, um den Anschluss bzw. die Führung der Leitungen zu vereinfachen.

9.7 Ein mit dieser Aufgabe befasster Fachmann gelangt unter Berücksichtigung des entgegengehaltenen Stands der Technik und seiner allgemeinen Fachkenntnisse nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung.

9.8 In D1 selbst ist die Lösung weder offenbart noch wird dazu angeregt. Die Ventilblöcke 3' und Steuereinheiten 3 sind auf der Vorderseite des Konstruktionsmoduls 1 angeordnet, die einem Bediener zugewandt ist, während auf der Rückseite des Moduls Hydrospeicher 7, Verteilungseinrichtungen 8 und Kabelkanäle 9 angeordnet und damit nicht sichtbar sind. Sollte der Fachmann eine horizontale Ausrichtung des Moduls 1 von D1 vornehmen, z.B. weil die ortsfesten Anschlüsse der Maschine eher horizontal als vertikal verteilt sind (siehe D10, Seite 5, Abbildung unten rechts), würde er das Modul so anbringen, dass seine Vorderseite dem Bediener zugewandt bliebe. Damit wäre die Trag- bzw. Grundfläche des Moduls, die die verbindbaren Bauteile trägt, weiterhin vertikal ausgerichtet, nicht aber horizontal, wie im Anspruch 1 erfordert.

9.9 Folglich kommt die Kammer zu dem Schluss, dass ausgehend von D1 der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.

9.10 Sollte der Fachmann von D5a bzw. D11 ausgehen, anstatt von D1, würde er auch nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen.

9.11 In D5a (Figur 4) und in D11 (Seite 1) ist das Vorgerüst einer Walzwerkanlage des saudi-arabischen Stahlproduzents HADEED abgebildet. Es ist in der Abbildung ersichtlich, dass auf der kopfseitigen Arbeitsbühne des Vorgerüsts verschiedene Einheiten angeordnet sind, die über Leitungen mit dem Vorgerüst verbunden sind. Der Abbildung kann weder entnommen werden, dass diese Einheiten Bauteile im Sinne des Anspruchs 1 sind, d.h. mit dem Vorgerüst "verbindbare Stellorgane, Geräte, Antriebe und Antriebskonsolen, Verteilerblöcke, Ventilstände, Steuerelemente u. dgl.", noch, dass sie "entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine verteilt angeordnet sind". Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin zeigt diese Abbildung ebenso wenig, dass die kopfseitige Bühne des Vorgerüsts in unmittelbarer Nähe des Vorgerüsts angeordnet ist, "mit einem eingestellten Abstand, Seitenlage und Höhenlage", wie im Anspruch 1 erfordert (siehe Punkt 9.2 oben).

9.12 Die beanspruchte Vorrichtung unterscheidet sich somit von dem abgebildeten Vorgerüst dadurch, dass eine polygonale Plattform in unmittelbarer Nähe des Vorgerüsts angeordnet ist, mit eingestelltem Abstand, Seitenlage und Höhenlage, und dass mit dem Vorgerüst verbindbare Bauteile wie Stellorgane, Geräte, Antriebe und Antriebskonsolen, Verteilerblöcke, Ventilstände u. dgl. auf einer horizontalen, polygonalen Plattform-Grundfläche entsprechend ihren Funktionen gegenüber der Maschine verteilt angeordnet sind.

9.13 Die zu lösende Aufgabe lautet damit, ähnlich wie ausgehend von D1, den Anschluss bzw. die Führung der Leitungen zu vereinfachen.

9.14 Ein mit dieser Aufgabe konfrontierter Fachmann gelangt nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung, selbst unter Berücksichtigung des entgegengehaltenen Stands der Technik und seiner allgemeinen Fachkenntnisse. Insbesondere ist es nicht naheliegend, die in D5a bzw. D10 abgebildete kopfseitige Arbeitsbühne neben dem Vorgerüst anzuordnen, denn es ist offensichtlich Sinn und Zweck dieser in die konstruierten Bühne, einen umfassenden Überblick über die Walzstrasse zu gewähren.

9.15 Der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 2 bis 7 genügt aus den vorgenannten Gründen ebenfalls den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ.

10. Die Kammer kommt deshalb zu dem Schluss, dass die geänderten Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2 die Erfordernisse der Artikel 123 und 56 EPÜ erfüllen.

11. Die Kammer hat sich vergewissert, dass die in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Änderungen der Beschreibung diese lediglich sachgerecht an die geänderten Ansprüche anpassen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf Basis folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 7 des mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2015 als Hilfsantrag 2 eingereichten Anspruchssatzes;

- Seite 2 der Beschreibung, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, und Seite 3 der Beschreibung in der Fassung der Patentschrift; und

- Figuren 1 und 2 der Patentschrift.

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