European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T031813.20170207 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 07 Februar 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0318/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05716497.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01N 23/06 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR BESTIMMUNG EINES OBJEKTMATERIALS | ||||||||
Name des Anmelders: | Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Smiths Heimann GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (nein) Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein) Spät eingereichte Hilfsanträge - Rechtfertigung für späte Vorlage (nein) Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das Patent Nr. 1711800 Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch der Einsprechenden war das Patent im Hinblick auf Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52(1) und 54(1) EPÜ angegriffen worden.
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass im Hinblick auf den damals vorliegenden Stand der Technik die in Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52(1), 54(1) und 56 EPÜ genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form nicht entgegenstünden.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten mit.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 7. Februar 2017 statt.
VI. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1711800.
VII. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang mit den Ansprüchen 1 - 18 gemäß
- Hilfsantrag 2, eingereicht mit Schreiben datiert auf den 29. September 2016, eingegangen am 3. Januar 2017,
- Hilfsanträgen 3 und 4, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 7. Februar 2017.
Der ehemalige Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schreiben datiert auf den 29. September 2016, eingegangen am 3. Januar 2017, wurde während der mündlichen Verhandlung zurückgezogen.
VIII. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf die als D2 bezeichnete Druckschrift US 5,838,758.
IX. Der Wortlaut von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Vorrichtung zur Bestimmung eines Objektmaterials, aus dem ein Objekt (118) besteht, mit folgenden Merkmalen:
eine Einrichtung (102) zum Bestrahlen des Objekts (118) und Empfangen einer sich ergebenden durch das Objekt (118) transmittierten oder von dem Objekt (118) reflektierten Strahlung mit einem ersten polyfrequenten effektiven Spektrum, um einen ersten Intensitätswert zu erhalten, und zum Bestrahlen des Objekts (118) und Empfangen einer sich ergebenden durch das Objekt (118) transmittierten oder von dem Objekt (188) reflektierten Strahlung mit einem zweiten polyfrequenten effektiven Spektrum, um einen zweiten Intensitätswert zu erhalten, wobei sich das erste polyfrequente effektive Spektrum von dem zweiten polyfrequenten effektiven Spektrum unterscheidet;
eine Einrichtung (122) zum Bereitstellen von Referenzdaten für eine Mehrzahl von vorbestimmten Materialien; und
eine Einrichtung (120) zum Zuordnen des Objektmaterials einem der vorbestimmten Materialien anhand der Referenzdaten, eines auf dem ersten und dem zweiten Intensitätswert basierenden Kombinationswertes sowie zumindest des ersten oder zweiten Intensitätswerts,
wobei die Einrichtung zum Bereitstellen ausgebildet ist, um für jedes vorbestimmte Material eine Kennlinie zu speichern, die Werten für den zumindest ersten und/oder zweiten Intensitätswert jeweils einen Wert für den auf dem ersten und dem zweiten Intensitätswert basierenden Kombinationswert zuordnet, und
wobei die Einrichtung zum Zuordnen eine Einrichtung zum Bestimmen, zu welcher der Kennlinien ein Vektor aus dem Kombinationswert sowie dem ersten und/oder zweiten Intensitätswert oder eine Mehrzahl von aus einer Mehrzahl von Bestrahlung/Erfassungen an dem Objekt durch die Einrichtung zum Bestrahlen und Erfassen erhaltenen Vektoren aus Kombinationswert und erstem und/oder zweitem Intensitätswert am nächsten liegt, aufweist."
Hilfsantrag 2
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags nur dadurch, dass der Wortlaut des letzten Absatzes bezüglich der Einrichtung zum Zuordnen wie folgt verändert wurde (die Änderung ist durch Fettdruck hervorgehoben):
"... wobei die Einrichtung zum Zuordnen eine Einrichtung zum Bestimmen, zu welcher der Kennlinien [deleted: ein Vektor aus dem Kombinationswert sowie dem ersten und/oder zweiten Intensitätswert oder] eine Mehrzahl von aus einer Mehrzahl von Bestrahlung/Erfassungen an unterschiedlichen Stellen des Objekts durch die Einrichtung zum Bestrahlen und Erfassen erhaltenen Vektoren aus Kombinationswert und erstem und/oder zweitem Intensitätswert am nächsten liegt, aufweist."
Hilfsantrag 3
Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags nur dadurch, dass der Wortlaut des ersten Absatzes wie folgt verändert wurde (die Änderung ist durch Fettdruck hervorgehoben):
"Materialsortieranlage mit einer Vorrichtung zur Bestimmung eines Objektmaterials, aus dem ein Objekt (118) besteht, mit folgenden Merkmalen:..."
Hilfsantrag 4
Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags nur dadurch, dass der Wortlaut des letzten Absatzes wie folgt verändert wurde (die Änderung ist durch Fettdruck hervorgehoben):
"... wobei die Einrichtung zum Zuordnen eine Einrichtung zum Bestimmen, zu welcher der Kennlinien [deleted: ein Vektor aus dem Kombinationswert sowie dem ersten und/oder zweiten Intensitätswert oder ]eine Mehrzahl von aus einer Mehrzahl von Bestrahlung/Erfassungen an dem Objekt durch die Einrichtung zum Bestrahlen und Erfassen erhaltenen Vektoren aus Kombinationswert und erstem und/oder zweitem Intensitätswert eine minimale Summe von Abstandsquadraten aufweist, aufweist."
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Neuheit
Die beanspruchte Vorrichtung zur Bestimmung eines Objektmaterials wird durch die Offenbarung der Druckschrift D2 vorweggenommen (Artikel 54(1) EPÜ 1973).
1.1 Wie von der Einspruchsabteilung in der angegriffenen Entscheidung festgestellt und von der Patentinhaberin nicht bestritten, offenbart D2, Spalte 11, Zeile 58 bis Spalte 14, Zeile 8, eine Vorrichtung zur Bestimmung eines Objektmaterials mit den folgenden Merkmalen:
eine Einrichtung zum Bestrahlen des Objekts und Empfangen einer sich ergebenden durch das Objekt transmittierten oder von dem Objekt reflektierten Strahlung mit einem ersten polyfrequenten effektiven Spektrum, um einen ersten Intensitätswert zu erhalten, und zum Bestrahlen des Objekts und Empfangen einer sich ergebenden durch das Objekt transmittierten oder von dem Objekt reflektierten Strahlung mit einem zweiten polyfrequenten effektiven Spektrum, um einen zweiten Intensitätswert zu erhalten, wobei sich das erste polyfrequente effektive Spektrum von dem zweiten polyfrequenten effektiven Spektrum unterscheidet.
1.2 Darüber hinaus offenbart die aus D2 bekannte Vorrichtung auch die folgenden Merkmale:
eine Einrichtung zum Bereitstellen von Referenzdaten (KMAT) für eine Mehrzahl von vorbestimmten Materialien,
[D2 stellt materialabhängige Referenzdaten KMAT = myH / myL bereit, wobei myH und myL materialabhängige Schwächungskoeffizienten darstellen, die einer ersten, hochenergetischen (H) und einer zweiten, niedrigenergetischen (L) Bestrahlung des Objekts entsprechen (siehe D2, Spalte 4, Zeilen 32 bis 43; Spalte 12, Zeilen 8 bis 10); KMAT ist für eine Mehrzahl von vorbestimmten Materialien bereitgestellt (siehe D2, z.B. Spalte 8, Zeilen 7 bis 22; Spalte 13, Zeilen 12 bis 15; Spalte 13, Zeile 25: "material(s)"); D2 lehrt, dass bei polychromatischer Bestrahlung ein Material nicht durch einen einzelnen, konstanten Wert von KMAT gekennzeichnet ist, sondern durch eine, von den jeweiligen Intensitätsabschwächungswerten H und L abhängige Funktion KMAT(HT, LT, HB, LB) (siehe D2, Spalte 11, Zeile 59 bis Spalte 12, Zeile 13)],
eine Einrichtung (120) zum Zuordnen des Objektmaterials einem der vorbestimmten Materialien anhand der Referenzdaten (KMAT), eines auf dem ersten und dem zweiten Intensitätswert basierenden Kombinationswertes (KTB) sowie zumindest des ersten oder zweiten Intensitätswerts (H, L),
[das einem vorbestimmten Material zuzuordnende Objektmaterial ist in D2 durch den Parameter KTB = (HT - HB)/(LT - LB) gekennzeichnet, welcher ein auf dem ersten (H) und dem zweiten Intensitätswert (L) basierender Kombinationswert ist (siehe D2, Formel (5); Spalte 13, Zeilen 18 bis 21); mit HT, HB, LT und LB werden logarithmische Intensitätsabschwächungswerte für Test- bzw. Hintergrundpixel (T, B) bezeichnet (siehe Formeln (1), (2) und (5) in D2); die Diskriminierung des Objektmaterials, d.h. dessen Zuordnung zu einem der vorbestimmten Materialien, wird anhand der Referenzdaten KMAT, des Kombinationswertes KTB, sowie der einzelnen Intensitätswerte (H, L) erreicht, da die KMAT-Werte und KTB-Werte von den Einzelwerten H und L abhängig sind (siehe D2, Spalte 13, Zeilen 21 bis 37; Figur 7)],
wobei die Einrichtung zum Bereitstellen ausgebildet ist, um für jedes vorbestimmte Material eine Kennlinie zu speichern, die Werten für den zumindest ersten und/oder zweiten Intensitätswert jeweils einen Wert für den auf dem ersten und dem zweiten Intensitätswert basierenden Kombinationswert zuordnet, und
[für jedes vorbestimmte Material werden Referenzdaten KMAT bereitgestellt und als Kennlinien, in Form einer empirisch generierten "Look-up"-Tabelle, wobei weitere KMAT-Werte durch Interpolation berechnet werden, abgespeichert; die einzelnen KMAT-Werte sind von den ersten und zweiten Intensitätswerten H und L abhängige Funktionen KMAT = KMAT(HT,LT,HB,LB) (siehe D2, Spalte 4, Zeilen 32 bis 52; Spalte 11, Zeile 59 bis Spalte 12, Zeile 13)]
wobei die Einrichtung zum Zuordnen eine Einrichtung zum Bestimmen, zu welcher der Kennlinien ein Vektor aus dem Kombinationswert sowie dem ersten und/oder zweiten Intensitätswert oder eine Mehrzahl von aus einer Mehrzahl von Bestrahlung/Erfassungen an dem Objekt durch die Einrichtung zum Bestrahlen und Erfassen erhaltenen Vektoren aus Kombinationswert und erstem und/oder zweitem Intensitätswert am nächsten liegt, aufweist
[für jeden Pixel des Objekts wird laut Formel (5) ein von den Einzelwerten (H, L) abhängiger KTB-Wert (HT, LT, HB, LB) berechnet, welcher dem beanspruchten "Vektor aus dem Kombinationswert sowie dem ersten und/oder zweiten Intensitätswert" entspricht; dieser KTB-Wert (HT, LT, HB, LB) wird mit einer der Kennlinien KMAT(HT, LT, HB, LB) verglichen; wenn der KTB-Wert mit dem KMAT-Wert identisch ist, oder innerhalb eines Fensters um den KMAT-Wert liegt, wird der Pixel des Objekts dem der Kennlinie entsprechenden vorbestimmten Material zugeordnet (siehe D2, Spalte 12, Zeile 13 bis Spalte 13, Zeile 37)]. Damit wird der KTB-Wert der Kennlinie, die am nächsten liegt, zugeordnet.
1.3 Es folgt, dass D2 alle Merkmale der beanspruchten Vorrichtung offenbart.
1.4 Gegenargumente der Patentinhaberin
1.4.1 Die Patentinhaberin behauptete, dass die aus D2 bekannte Vorrichtung lediglich dazu geeignet sei, die An- oder Abwesenheit eines einzigen Materials in einem Koffer aufzuspüren, z.B. einen gefährlichen Sprengstoff oder eine Bombe. In Spalte 2, Zeile 14 oder Spalte 3, Zeile 44 ("a specific material") sei eindeutig von einem einzigen Material die Rede. Es gebe daher in D2 keine Bereitstellung von Referenzdaten für eine Mehrzahl von vorbestimmten Materialien, sowie auch keine Zuordnung eines Objektmaterials zu einem der vorbestimmten Materialien.
Die Kammer kann sich dieser Meinung nicht anschließen. D2 offenbart eindeutig die Zuordnung eines Objektmaterials zu einem aus einer Mehrzahl von vorbestimmten Materialien ausgewählten Material, z.B. verschiedene Plastik- und Nicht-Plastik-Sprengstoffe, Drogen oder Fremdkörper in Nahrung (siehe D2, Spalte 8, Zeilen 7 bis 22). Die Vorgehensweise für die Zuordnung eines Objektmaterials wird anhand eines vorbestimmten Materials erläutert, jedoch offenbart D2 eindeutig, (siehe Spalte 13, Zeile 25: "specific material(s) of interest"), dass diese Vorgehensweise für weitere vorbestimmte Materialien wiederholt wird.
1.4.2 Die Patentinhaberin argumentierte, dass das Aufspüren eines spezifischen Materials in D2 dadurch erfolge, dass für jeden Testpixel T die Anzahl der Übereinstimmungen der Parameter KTB und KMAT gezählt werde und, abhängig von einem Schwellenwert, der jeweilige Testpixel dem spezifischen Material zugeordnet werde (cf. "vote" und "threshold value" in Spalte 13, Zeilen 16 bis 37). Hierfür seien komplexe Berechnungen auf Basis von vier Parametern (HT, LT, HB, LB) erforderlich. Diese Vorgehensweise entspreche nicht derjenigen des Anspruchs 1, die darin bestehe, die den Messdaten am nächsten liegende Kennlinie zu bestimmen.
Die Kammer ist von diesem Argument nicht überzeugt: In D2 erfolgt die Zuordnung eines Testpixels T zu einem vorbestimmten Material, wenn der KTB-Wert des Testpixels und der KMAT-Wert des vorbestimmten Materials entweder identisch sind oder sich innerhalb eines begrenzten Toleranzbereichs befinden (Spalte 12, Zeile 29 bis 46), d.h. der Testpixel T wird demjenigen vorbestimmten Material zugeordnet, dessen Kennlinie dem Messwert des Testpixels am nächsten liegt. Diese grundlegende Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Zuordnung eines Testpixels T auf Basis von mehreren Hintergrundpixeln B erfolgt und die Zuordnung des aus den Testpixel zusammengesetzten Objektmaterials letztendlich statistisch bestimmt wird (Spalte 12, Zeile 64 bis Spalte 13, Zeile 15).
1.4.3 Die Patentinhaberin verwies auf das in Spalte 12, Zeilen 41 bis 63, beschriebene Ausführungsbeispiel, in dem ein Objektmaterial dem Sprengstoff C4 oder dem "Wasser-Gel-Sprengstoff" nicht eindeutig zugeordnet werden könne, weil beide Sprengstoffe durch einen identischen KMAT-Wert von 0,6 gekennzeichnet sind. Dies belege, dass D2 keine Vorrichtung offenbare, die geeignet sei, Objektmaterial einem vorbestimmten Material ("C4-Sprengstoff" oder "Wasser-Gel-Sprengstoff") zuzuordnen.
Die Kammer folgt diesem Einwand nicht, weil dieses Ausführungsbeispiel einen besonderen Fall beschreibt, der keine Allgemeingültigkeit besitzt. Es kann auf Basis dieses einzelnen Ausführungsbeispiels nicht abgeleitet werden, dass alle vorbestimmten Materialien den gleichen KMAT aufweisen. Im Gegenteil, in der Regel werden unterschiedliche Materialien unterschiedliche KMAT-Werte aufweisen. Darüber hinaus bezieht sich dieses Ausführungsbeispiel nicht auf eine polyenergetische, sondern auf eine monoenergetische Röntgenstrahlung. Bei polyenergetischer Bestrahlung lehrt D2 (Spalte 12, Zeilen 8 bis 10) nämlich, dass das vorbestimmte Material nicht durch einen einzelnen, konstanten KMAT-Wert gekennzeichnet ist, sondern durch eine Funktion KMAT(HT, LT, HB, LB), die unterschiedliche, von den gemessenen Intensitätswerten H und L abhängige Werte annimmt, die allgemein eine Zuordnung des Objektmaterials zu einem bestimmten Sprengstoff erlauben sollte.
1.4.4 Die Patentinhaberin argumentierte, dass D2 keine Kennlinie im Sinne des Patents offenbare. Gemäß Absatz [0033] des Patents sei eine Kennlinie eine "eindimensionale Funktion", bzw. eine "in einem dreidimensionalen Raum verlaufende Linie". D2 offenbare lediglich das Bereitstellen einer "look-up"-Tabelle mit empirischen Messdaten und einer Interpolationsformel (siehe D2, Spalte 12, Zeilen 10 bis 13).
Die Kammer folgt diesem Argument nicht, weil der Wortlaut des Anspruchs 1 offen lässt, welche genauen Merkmale eine Kennlinie besitzt und die Beschreibung nicht dazu dienen kann, den Schutzbereich des Anspruchs einzuschränken. Die Kammer ist der Meinung, dass der Begriff "Kennlinie" wegen des Fehlens einer entsprechenden Definition im Anspruchswortlaut breit auszulegen ist. Des Weiteren fällt auch eine "look-up"-Tabelle, wie in dem Patent, Absatz [0033], Zeilen 44 und 45, angedeutet, ebenfalls unter den Begriff "Kennlinie". Durch Interpolation der einzelnen Messdaten aus der "look-up"-Tabelle entsteht eine kontinuierliche Kennlinie.
1.4.5 Schlussfolgernd stellt die Kammer fest, dass die Gegenargumente der Patentinhaberin zugunsten der Neuheit der beanspruchten Vorrichtung zur Bestimmung eines Objektmaterials nicht überzeugend sind (Artikel 54(1) EPÜ 1973).
2. Zweiter Hilfsantrag - Zulassung
In Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) VOBK lässt die Kammer den zweiten Hilfsantrag wenigstens aus den folgenden Gründen nicht zum Verfahren zu. Siehe hierzu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern" (8. Auflage 2016), Kapitel IV.E.4.4.
2.1 Der zweite Hilfsantrag wurde erst nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereicht. Die darin beanspruchte Vorrichtung ist auf die im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag bereits definierte Variante eingeschränkt, laut der die Zuordnung eines Objektmaterials einer Kennlinie darauf beruht, dass eine Mehrzahl von Vektoren der Kennlinie am nächsten liegen. Dieser Gegenstand wurde gemäß zweitem Hilfsantrag dadurch weiter eingeschränkt, dass die Mehrzahl von Vektoren durch Messungen an unterschiedlichen Stellen des Objekts erhalten wurden.
Dieser Hilfsantrag ist verspätet eingereicht, da er einerseits nicht, wie von Artikel 12(2) VOBK vorgeschrieben, innerhalb der für die Erwiderung auf die Beschwerdebegründung gesetzte Frist eingereicht wurde und andererseits sich die Sachlage seit dem Einreichen der Beschwerdebegründung nicht so verändert hat, dass es das Einreichen eines Hilfsantrags in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens rechtfertigen würde. Der von der Einsprechenden erhobene Einwand fehlender Neuheit im Hinblick auf D2 ist seit Beginn des Beschwerdeverfahrens unverändert geblieben.
2.2 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 8. Auflage 2016, Kapitel IV.E.4.4.2) sind verspätet eingereichte Hilfsanträge nicht zulässig, wenn sie prima facie nicht auf einen gewährbaren Gegenstand gerichtet sind. Der Gegenstand des geänderten Anspruchs soll so klar und einfach sein, dass er ohne Weiteres verständlich und gewährbar ist.
Der vorliegende Anspruch 1 erfüllt dieses Kriterium nicht. Im Gegenteil, der vorliegende Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 ist prima facie nicht gewährbar. Die Kammer teilt die während der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Meinung der Einsprechenden, dass die aus D2 bekannte Vorrichtung die Neuheit des geänderten Merkmals vorwegnimmt. D2 (Spalte 12, Zeile 64 bis Spalte 13, Zeile 15; Spalte 13, Zeilen 30 bis 32) offenbart, dass das Verfahren, gemäß dem die Parameter KTB und KMAT verglichen werden und auf Basis dessen die Bestimmung des jeweiligen Pixels zu einem vorbestimmten Material erfolgt, für alle Pixel des Objekts wiederholt wird. Dies bedeutet, dass in D2, genau wie durch das geänderte Merkmal des Anspruchs 1 definiert, eine Mehrzahl von Messungen oder "Vektoren" an unterschiedlichen Stellen des Objekts erhoben und zur Materialbestimmung herangezogen wird.
Die Einsprechende erhob weitere, aus Sicht der Kammer nicht von vornherein fernliegende Einwände nach Artikel 123(2) und 83 EPÜ gegen den geänderten Anspruch 1. Auch daher ist der beanspruchte Gegenstand nicht prima facie gewährbar.
2.3 Gegenargumente der Patentinhaberin
2.3.1 Die Patentinhaberin war der Meinung, dass die Einsprechende in ihrer Beschwerdebegründung keine neuen Argumente vorgebracht habe. Deshalb habe keine Notwendigkeit bestanden, Hilfsanträge als Erwiderung auf die Beschwerdebegründung einzureichen. Erst mit der Mitteilung der Beschwerdekammer seien der Patentinhaberin zum ersten Mal das neue Argument fehlender Neuheit, Verweise auf neue Textpassagen in D2 und neue Auslegungen zur Kenntnis gebracht worden.
Die Kammer bemerkt hierzu, dass die Sachlage betreffend fehlende Neuheit gegenüber D2 sich seit dem Beginn des Beschwerdeverfahrens nicht verändert hat. Die Mitteilung der Beschwerdekammer warf lediglich mögliche, in der Verhandlung zu besprechende Fragen zu den bekannten Textstellen in D2 auf (insbesondere zu Spalte 11, Zeile 59 bis Spalte 13, Zeile 37). Die Patentinhaberin hat auch in der mündlichen Verhandlung keine speziellen Angaben gemacht, welche genauen Argumente, Textpassagen oder Auslegungen in der Mitteilung der Beschwerdekammer neue Hilfsanträge rechtfertigen würden und aus welchen Gründen dies der Fall sei.
2.3.2 Die Patentinhaberin erklärte, dass gemäß dem geänderten Merkmal konkrete Messungen mittels Bestrahlung und Erfassung der Strahlen an mehreren Positionen des zu bestimmenden Objekts erfolgen. Dieses Merkmal sei neu, weil in D2 die Messungen für mehrere Hintergrundpixel erfolgen würden, anstatt an mehreren Positionen des zu bestimmenden Objekts.
Diese Argument ist nicht überzeugend, weil auch die in D2 erwähnten Hintergrundpixel (B) zum zu bestimmenden Objekt gehören können. Ausgehend von einem ersten Testpixel (T) des zu bestimmenden Objekts werden mehrere Messungen an naheliegenden Positionen, d.h. an Positionen von sogenannten Hindergrundpixeln (B), gewonnen. Danach erfolgen ähnliche Messungen, ausgehend von weiteren Testpixeln, so lange bis alle Pixel des zu bestimmenden Objekts als Testpixel für die Messungen dienen (Spalte 12, Zeile 64 bis Spalte 13, Zeile 15).
2.3.3 Daher überzeugen die von der Patentinhaberin vorgebrachten Gegenargumente die Kammer nicht.
2.4 Dementsprechend lässt die Kammer den zweiten Hilfsantrag nicht in das Verfahren zu.
3. Dritter Hilfsantrag
In Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) VOBK lässt die Kammer auch den erst gegen Ende der mündlichen Verhandlung eingereichten dritten Hilfsantrag nicht zum Verfahren zu.
3.1 Die Gründe dafür sind, ähnlich wie bei dem zweiten Hilfsantrag (siehe oben die Punkte 2.12.1 und 2.22.2 ), die fehlende, stichhaltige Rechtfertigung für das verspätete Einreichen, sowie die Feststellung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 prima facie von D2 vorweggenommen wird. D2 offenbart nämlich unter Anderem eine Vorrichtung zum Sortieren von Gepäck in Gepäck mit und ohne gefährlichem Sprengstoff (siehe D2, Spalte 8, Zeilen 7 bis 13).
3.2 Das von der Patentinhaberin vorgebrachte Argument, dass D2 kein Material im Sinne des Patents sortiere, weil D2 keine Sortieranlage offenbare, die z.B. mit einem Förderband, Schredder und Sortierstation, wie in Figur 5 des Patents gezeigt, versehen sei, kann die Kammer nicht überzeugen, da der Anspruch 1 keine entsprechenden, einschränkenden Merkmale enthält. Die aus D2 bekannte Vorrichtung fällt daher unter den Wortlaut des rein funktionalen Merkmals "Materialsortiervorrichtung".
4. Vierter Hilfsantrag
Auf Antrag der Einsprechenden und in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) und 13(3) VOBK lässt die Kammer auch den ebenfalls erst gegen Ende der mündlichen Verhandlung eingereichten vierten Hilfsantrag nicht zum Verfahren zu.
4.1 Ähnlich wie bei dem zweiten und dritten Hilfsantrag liegt die Begründung (siehe oben die Punkte 2.12.1 , 2.22.2 und 3) in der fehlenden stichhaltigen Rechtfertigung für das verspätete Einreichen, sowie der Feststellung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf D2 prima facie nicht erfinderisch ist. D2, Spalte 12, Zeilen 41 bis 44, offenbart, dass die Zuordnung eines Pixels zu einem vorbestimmten Material prinzipiell auf Basis der Feststellung erfolgt, wonach der entsprechende KTB-Wert sich innerhalb eines Fensters um den KMAT-Wert befindet. Weiterhin verweist D2, Spalte 13, Zeilen 5 bis 12, auf statistische Entscheidungskriterien zur Bestimmung, ob ein vorbestimmtes Material durch die Messpunkte erkannt wurde. Es stellt jedoch eine naheliegende Alternative dar, eine Kennlinie, der eine Mehrzahl von Messpunkten am nächsten liegen, aus mehreren Kennlinien so auszuwählen, dass diese Messpunkte eine minimale Summe von Abstandsquadraten aufweisen.
4.2 Die Einsprechende trug vor, dass das geänderte Merkmal aus der Beschreibung stamme, diese Änderung äußerst spät in dem Verfahren eingereicht worden sei und sie auch nach einer einstündigen Pause keine ausreichend durchdachte und stichhaltige Stellung dazu nehmen könnte.
Da das neu aufgenommene Merkmal nur kurz und beispielhaft in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 22, Zeilen 4 und 5, erwähnt wird, ist nicht automatisch davon auszugehen, dass dieses Merkmal recherchiert wurde. Bei einer nachträglichen Recherche wären eine Rückkehr ins schriftliche Verfahren, ggf. eine Verlegung der mündlichen Verhandlung oder eine Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung notwendig. Eine derartige Vorgehensweise würde jedoch der Zielsetzung von Artikel 13 (3) VOBK widersprechen.
4.3 Die Patentinhaberin brachte vor, dass erst während der mündlichen Verhandlung klar geworden sei, wie die Kammer das Merkmal "... am nächsten liegt ..." auslege. Um deutlicher zum Ausdruck zubringen, wie dieses Merkmal zu verstehen sei, habe die Patentinhaberin den geänderten Anspruch 1 gemäß dem vierten Hilfsantrag eingereicht, in dem eine konkrete Ausführung definiert sei, wie eine nächstliegende Kennlinie zu bestimmen sei.
Die Kammer ist der Meinung, dass auch wenn die genaue Auslegung des Merkmals "am nächsten liegt ... " der Patentinhaberin erst in der mündlichen Verhandlung klar geworden sein sollte, dies nicht zur Zulassung des Antrags führen könnte, weil der beanspruchte Gegenstand prima facie nicht erfinderisch ist (siehe oben, Punkt 4.1).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.