T 0162/13 () of 7.3.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T016213.20170307
Datum der Entscheidung: 07 März 2017
Aktenzeichen: T 0162/13
Anmeldenummer: 06024868.9
IPC-Klasse: C08C 19/02
C08K 5/09
C08K 5/14
C08L 9/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Mikrogel-enthaltende vulkanisierbare Zusammensetzung auf Basis von hydriertem Nitrilkautschuk
Name des Anmelders: ARLANXEO Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: Albrecht, Thomas
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Spät eingereichte Tatsachen - zugelassen (nein)
Spät eingereichte Tatsachen - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Anwendbarkeit des Konstrukts gemäß G 7/95 - nicht entschieden
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
G 0001/95
G 0007/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde des Einsprechenden betrifft die am 12. Dezember 2012 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Zurückweisung des Einspruchs gegen das Europäische Patent Nr. 1 801 125.

II. Anspruch 1 des erteilten Patents hatte folgenden Wortlaut:

"Vulkanisierbare Zusammensetzung enthaltend

a) ein oder mehrere hydrierte Nitrilkautschuke,

b) eine oder mehrere ungesättigte Carbonsäure(n) und/oder eines oder mehrere Salz(e) davon,

c) mindestens ein Peroxid und

d) mindestens ein Mikrogel mit einer Glastemperatur kleiner -20°C."

Ansprüche 2-12 waren auf bevorzugte Ausführungsformen der Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 gerichtet. Ansprüche 13-15 waren auf ein Verfahren zur Herstellung der Zusammensetzungen gemäß einer der Ansprüche 1-12 gerichtet. Ansprüche 16-22 waren auf die Verwendung der Zusammensetzungen gemäß Ansprüche 1-12 zur Herstellung von Erzeugnissen bzw. auf bestimmte so hergestellte Artikel gerichtet.

III. Einspruch wurde gegen das Patent unter Geltendmachung des Einspruchsgrundes gemäß Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ (fehlende erfinderische Tätigkeit) eingelegt.

Der Einspruch wurde auf folgende Dokumente gestützt:

D1: US-A-5 124 408

D2: US 2002/0082364

D3: JP 2005-281498 (Japanische Patentanmeldung und als englische Übersetzung)

D4: US-A-5 391 627

D5: US-A-5 208 294

D6: US 2005/0085593

D7: EP-A-383 926.

Im Laufe des Einspruchsverfahrens reichte die Patentinhaberin einen Versuchsbericht (D8) ein.

IV. Die angefochtene Entscheidung erfolgte auf Grundlage des Patents in der erteilten Fassung.

V. Gemäß der Entscheidung wurde Versuchsbericht D8 ins Verfahren zugelassen. D4 (alternativ D5-D7 mit der gleichen Lehre) wurde als nächstliegender Stand der Technik betrachtet. Es wurde als erwiesen gesehen, dass das Problem der Bereitstellung von Kautschukzusammensetzungen mit verbesserten mechanischen Eigenschaften bei erhöhter Temperatur sowie vor als auch nach Alterung durch das Unterscheidungsmerkmal, nämlich den Zusatz eines Mikrogels mit Glastemperatur kleiner -20°C, gelöst wurde. Obwohl der Zusatz von Mikrogelen zu Nitrilkautschukpolymeren aus dem Stand der Technik, insbesondere D1-D3 bekannt war, befassten sich diese Dokumente mit mechanischen Eigenschaften bei Raumtemperatur; darüber hinaus zeigte D2, dass kein ausreichender Verstärkungseffekt durch Einsatz von Mikrogelen erhalten werde und D3 sagte nichts aus, ob es sich um Mikrogele mit einer Glastemperatur kleiner -20°C handele. Somit war der Anspruchsgegenstand erfinderisch.

VI. Gegen diese Entscheidung legte der Einsprechende (Beschwerdeführer) Beschwerde ein. Zusammen mit der Beschwerdebegründung wurde erstmals der Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit geltend gemacht (Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ). Weitere Dokumente - D9-D12 - wurden zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Es folgten im Laufe des Beschwerdeverfahrens zwei weitere Schreiben des Beschwerdeführers. Zusammen mit dem zweiten dieser Schreiben wurden zwei weitere Dokumente - D14 und D15 - zitiert.

VII. In der Beschwerdeerwiderung erklärte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) mit Hinweis auf G 10/91 (Abl. 1993, 420), G 1/95 (Abl. 1996, 615) und G 7/95 (Abl. 1996, 626) sie sei mit der Aufnahme des neuen Einspruchsgrunds der fehlenden Neuheit nicht einverstanden und verweigerte somit ihre Zustimmung zur Einführung des neuen Grunds ins Beschwerdeverfahren.

Es wurde trotzdem zu dem neuen Einwand Stellung genommen und in diesem Zusammenhang ein weiteres Dokument (D13) zitiert.

VIII. Es erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung sowie eine Mitteilung mit der vorläufigen Meinung der Kammer.

IX. Die mündliche Verhandlung fand am 7. März 2017 statt.

Im Laufe der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, den Grund der fehlenden Neuheit nicht weiter zu verfolgen. Es wurde jedoch auf Grundlage von D4-D7 in Zusammenhang mit den neu zitierten Dokumenten D9-D12 sowie D14 und D15 ein Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit wegen des Fehlens eines unterscheidenden Merkmals im Sinne von G 7/95 erhoben.

X. Die Argumente des Beschwerdeführers lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulässigkeit der neu zitierten Dokumente

Bereits während des schriftlichen Einspruchsverfahrens sei darauf hingewiesen worden, dass die Zusammensetzungen des Standes der Technik z.B. D4 evtl. neuheitsschädlich seien, da bereits hier Mikrogels inhärent - als Konsequenz der Verarbeitungsbedingungen - entstehen würden. Dies sei aus den Schreiben vom 30. September 2011 zu entnehmen. Die im Beschwerdeverfahren neu zitierten Dokumente sollten diesen Einwand belegen und seien somit zuzulassen.

b) Erfinderische Tätigkeit

Nächstliegender Stand der Technik sei D4. Es sei nicht bestritten worden, dass die Zugabe eines Mikrogels gegenüber einer Zusammensetzung ohne diese Komponente, wie aus Versuchsbericht D8 hervorgehe, zu einer Verbesserung der Eigenschaften auch nach Hitzealterung führe. Es gebe jedoch keine Beweise, dass die Anwesenheit des Mikrogels zu einer Verbesserung gegenüber den aus der Lehre von D4 bekannten Zusammensetzungen führe. Somit sei nicht nachgewiesen, dass der Austausch des gemäß D4 verwendeten Füllstoffs (Ruß) durch das Mikrogel einen technischen Effekt hervorrufe.

Somit sei die Aufgabe lediglich die Bereitstellung einer weiteren vulkanisierbaren Zusammensetzung mit Alterungsbeständigkeit. Dieser Effekt sei naheliegend, wie aus D1-D3, insbesondere D2, zu entnehmen. Hieraus gehe hervor, dass die Zugabe von Mikrogelen, genauso wie anorganischen Füllstoffen wie in D4 verwendet, zu Eigenschaftsverbesserungen führe. Dass diese Verbesserung nach Hitze­behandlung/Alterung bestehen bleibe, sei nicht verwunderlich, da die Mikrogele nicht abgebaut worden seien und somit auch nach Hitzebehandlung noch in den Massen anwesend seien. Somit verhielten sich die Mikrogele ähnlich wie die aus D4 bekannten anorganischen Füllstoffe mit dem gleichen Ergebnis hinsichtlich der Eigenschaftsverbesserung.

Der Austausch des Füllstoffs von D4 durch das aus D2 bekannte Mikrogel sei aufgrund der Lehre von D2 naheliegend. Die gleiche Schlussfolgerung gelte ausgehend von D5-D7 als nächstliegendem Stand der Technik und/oder unter Heranziehung von D1 oder D3 als Sekundärdokumente.

Es stelle sich ferner die Frage, ob der Effekt über der gesamten Anspruchsbreite erhalten würde, da keine Mengen im Anspruch definiert seien. Die Beispiele des Patents sowie die des nachgereichten Versuchsberichts D8 könnten dies nicht belegen, da sie nur einen Teil des beanspruchten Bereiches beträfen.

XI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

a) Zulässigkeit der im Beschwerdeverfahren neu zitierten Dokumente

Die Dokumente D9-D12, D14 und D15 stünden in Zusammenhang mit einem Einwand, der vorher nicht im Verfahren vorgebracht worden sei. Der Zulassung des neuen Einspruchsgrunds der fehlenden Neuheit sei widersprochen worden. Die Dokumente seien schon aus diesem Grund nicht zuzulassen. Darüber hinaus seien sie nicht relevant, da sie keinen direkten Bezug zu den Dokumenten D4-D7 hätten und könnten somit die - auch inhärente - Anwesenheit von Mikrogelen in deren Zusammensetzungen nicht zeigen bzw. belegen. Das Argument basiere vielmehr größtenteils auf unbewiesenen Spekulationen und Mutmaßungen.

b) Erfinderische Tätigkeit

Der nächstliegende Stand der Technik D4 zeige, dass die Eigenschaften der Ausgangszusammensetzungen nach Hitzealterung verschlechtert worden seien. Dies belege, dass durch Hitze die Komponenten abgebaut worden seien. Ziel von D4 sei es, diese hitzebedingte Verschlechterung der Zusammensetzungen zu verhindern. Hierbei seien im wesentlichen die gleichen Eigenschaften wie die des Streitpatents behandelt worden. Gemäß D4 seien gute Eigenschaften durch den Einsatz eines anorganischen Füllstoffes erhalten worden. Der Austausch dieses Füllstoffes durch ein Mikrogel sei nicht naheliegend. Insbesondere sei D2 nicht zu entnehmen, dass die dort offenbarten Mikrogele geeignet wären, die Eigenschaften der HNBR Zusammensetzungen nach Hitzebeanspruchung positiv zu beeinflussen. D2 befasse sich hauptsächlich mit Eigenschaften bei Raumtemperatur. Nur zwei Eigenschaften - Härte und Belastbarkeit ("Resilience") - würden bei erhöhter Temperatur (70°C) bestimmt. Alterungsversuche seien aber in D2 nicht enthalten. Somit sei es nicht als naheliegend anzusehen, dass die anorganischen Füllstoffe von D4 durch die Mikrogele von D2 unter Beibehaltung der Eigenschaften nach Hitzebehandlung gemäß D4 ersetzt werden könnten.

Bezüglich der Mengen der Mikrogele und Umfang des Anspruchs gehe aus Versuchsbericht D8 hervor, dass die Komponente sowohl hinsichtlich Menge als auch Beschaffenheit unter Beibehaltung des gezeigten Effekts variiert werden könnten.

Die gleiche Schlussfolgerung ergebe sich ausgehend von D5-D7 als nächstliegendem Stand der Technik und/oder unter Heranziehung von D1 und D3, deren Lehre der von D2 entspreche.

XII. Der Beschwerdeführer beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäischen Patent Nr. 1801125 zu widerrufen.

XIII. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der nachgereichten Dokumente und des entsprechenden Einwands

Der Beschwerdeführer ersuchte zusammen mit der Beschwerdebegründung, den Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit (Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ) geltend zu machen. Diesem Antrag wurde von der Beschwerdegegnerin widersprochen, die ihre Zustimmung zur Einführung des neuen Einspruchsgrunds explizit nicht erteilte. Somit kann der Grund der fehlenden Neuheit nicht während des Beschwerdeverfahrens behandelt werden (G 10/91, oben, Absatz 18 der Entscheidungsgründe, sowie Absatz 3 der Stellungnahme).

Die nachgereichten Dokumente wurden in Zusammenhang mit der ersuchten Einführung des neuen Einspruchsgrunds eingereicht.

Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde die Einführung des Einspruchsgrunds der fehlenden Neuheit von dem Beschwerdeführer nicht weiter verfolgt. Es wurde jedoch ein Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit wegen des Fehlens eines Unterscheidungsmerkmals im Sinne von G 7/95 (oben, Absatz 7.2 der Entscheidungsgründe) gegenüber D4-D7 erhoben. Dieser Einwand sollte durch die neu vorgelegten Dokumente belegt werden. Hierzu gibt es zwei Aspekte, die zu behandeln sind.

1.1 Zeitpunkt des Einreichens der neuen Dokumente

Bereits während des Einspruchsverfahrens wurde mit Schreiben vom 30. September 2011 seitens des Einsprechenden die Frage aufgeworfen, ob die Zusammensetzungen gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik - insbesondere D4 - inhärent Mikrogel wie im Anspruch 1 des Streitpatents enthalten würden. In der Beschwerdebegründung, Seite 18, würde explizit hierauf verwiesen und die entsprechende Textstelle aus der Eingabe zitiert:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Hieraus geht hervor, dass der Einwand, welcher durch die neu eingereichten Dokumente gestützt werden sollte, bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens auch wenn nicht erhoben, so doch in Erwägung gezogen wurde, wie vom Beschwerdeführer bestätigt. Somit hätten bereits zu diesem Zeitpunkt die notwendigen Beweise vorgebracht werden können und sollen. Dies ist aber nicht geschehen.

Gemäß Artikel 12(4) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Da, wie oben gezeigt, der Einwand im erstinstanzlichen Verfahren in Erwägung gezogen wurde, hätten zeitgleich auch die entsprechenden Belege (Dokumente) miteingereicht werden können und sollen.

Die Frage des Fehlens eines Unterscheidungsmerkmals im Sinne von G 7/95 wurde - ausweislich des Protokolls - bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit von dem Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht angesprochen. Demzufolge wurde dieser Aspekt in der Entscheidung auch nicht behandelt. Somit ist es nicht der Fall, dass die Notwendigkeit des Einreichens der erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente sich erst im Lichte der Entscheidung der Einspruchsabteilung ergibt, welche Situation unter Umständen die Vorlage der Dokumente erst zu diesem Zeitpunkt hätte rechtfertigen können.

Erschwerend kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die neu eingereichten Dokumente, die das Fehlen eines Unterscheidungsmerkmals belegen sollten, keine direkte Beweise bezüglich der Beschaffenheit der Zusammensetzungen gemäß D4 liefern. Die in diesen Dokumenten dargestellten Produkte und Verfahren sind mit denen von D4 nicht identisch und auch zwischen den neuen Dokumenten gibt es Unterschiede und keine direkte Konkordanz von deren Inhalten. Vielmehr wird bei diesem Vorbringen des Beschwerdeführers zum größten Teil spekulativ und mit Wahrscheinlichkeiten argumentiert. Dieser Tatsachenbestand geht eindeutig aus der Wortwahl des Beschwerdeführers hervor, wodurch z.B. gemäß Seite 20 der Beschwerdebegründung (zweiten Absatz) es im Hinblick auf D12 "exceedingly likely" sei, dass Mikrogele die - angeblich inhärent - in den Zusammensetzungen von D4-D7 anwesend wären, eine Tg im beanspruchten Bereich aufweisen würden.

Da der Einwand der durch diese Dokumente belegt werden sollte, bereits im erstinstanzlichen Verfahren in Erwägung gezogen wurde, ohne ihn zu erheben und weiterzuverfolgen oder durch Dokumente zu belegen, sowie - zusätzlich - im Hinblick auf die fehlende Relevanz dieser Dokumente - entscheidet die Kammer in Ausübung des gemäß Artikel 12(4) VOBK gewährten Ermessens, die neu eingereichten Dokumente D9-D12 des Beschwerdeführers nicht zuzulassen. Aus den selben Gründen werden die Dokumente D14 und D15, in Ausübung des gemäß Artikel 13(1) VOBK gewährten Ermessens, nicht zugelassen. Folglich ist es nicht notwendig, das als Reaktion demgegenüber eingereichte Dokument D13 der Beschwerdegegnerin zuzulassen.

1.2 Anwendbarkeit des Konstrukts gemäß G 7/95

G 7/95 betrifft eine Situation, bei der ein Patent wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit aufgrund von mit der Einspruchsbegründung eingereichten Dokumenten angegriffen wurde. Ein Angriff der fehlender Neuheit aufgrund der gleichen Dokumente ist dann als neuer Einspruchsgrund anzusehen. Jedoch kann diese Frage im Rahmen des Beschwerdeverfahrens über den Einspruchsgrund der fehlenden erfinderischen Tätigkeit geprüft werden (G 7/95 Entscheidungsformel).

G 7/95 ist jedoch explizit auf die Situation beschränkt, bei der der neue Einwand der fehlenden Neuheit auf dem bereits im Verfahren befindlichen nächstliegenden Stand der Technik gegründet ist. Die Situation, bei der neue Dokumente angeführt wurden, wird ausdrücklich nicht behandelt (Entscheidungsgründe 7.3).

Im vorliegendem Fall wurde der Einwand des Fehlens eines Unterscheidungsmerkmals zwar im Hinblick auf die Offenbarung von D4 (D5-D7) erhoben. Der Einwand wurde jedoch nur in Zusammenhang mit weiteren - nachgereichten - Dokumenten begründet. Somit ist es aufgrund der Heranziehung weiterer, nicht im Einspruchsverfahren zitierter Dokumente fraglich, ob die Schlussfolgerung bzw. das Konstrukt von G 7/95 im vorliegenden Fall anwendbar wäre. Diese Frage braucht jedoch im Hinblick auf die obige Schlussfolgerung im Hinblick auf Artikel 12(4) VOBK nicht abschließend beantwortet zu werden, da der Einwand nur in Verbindung mit den nicht zugelassenen Dokumenten erhoben wurde.

2. Artikel 56 EPÜ

2.1 Nächstliegender Stand der Technik

Das Patent betrifft vulkanisierbare Zusammensetzungen auf Basis von hydrierten Nitrilkautschuken (HNBR), ungesättigten Carbonsäuren oder deren Salzen, Peroxiden, sowie Mikrogelen mit Glastemperatur <-20°C (Absatz [0001] und Anspruch 1). Die Zusammensetzungen werden in Riemen, Walzenbelägen, Dichtungen, Schläuchen und Kabeln verwendet (Absatz [0001]). Die Aufgabe des Patents besteht darin, Vulkanisate mit verbesserten mechanischen Eigenschaften, insbesondere bei hohen Temperaturen sowie nach Alterung (Heißluftlagerung bei 150°C) zur Verfügung zu stellen (Absatz [0005]).

Solche vulkanisierbaren Zusammensetzungen für die besagten Anwendungsgebiete sind aus den Dokumenten D4-D7 bekannt, welche, nach Auffassung beider Parteien sowie der Einspruchsabteilung gleichermaßen den nächstliegenden Stand der Technik darstellen.

D4, welches stellvertretend für alle diesen Dokumente herangezogen wird, betrifft gemäß Anspruch 1 ein Zahnradriemen enthaltend eine Schicht eines vulkanisierten Kautschuks bestehend aus:

- hydriertem Acrylnitril-Butadien Copolymer (HNBR)

- einem Metallsalz einer ungesättigten Carbonsäure.

Gemäß der Einführung von D4 sowie "Object and Summary of the Invention" sollen die Zusammensetzungen gute Beständigkeit gegenüber Hitze und Öl sowie gute mechanischen Eigenschaften, insbesondere Modul und Elastizität aufweisen. Gemäß Beispiel 1 enthält ferner die Zusammensetzung zwei Peroxiden sowie Ruß als Füllstoff.

2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents unterscheidet sich von der Lehre von D4 dadurch, dass als Füllstoff mindestens ein Mikrogel mit Glastemperatur kleiner -20°C anstelle von Ruß verwendet wird.

2.3 Die Beispiele des Patents sowie des nachgereichten Versuchsberichts D8, dessen Ergebnisse von dem Beschwerdeführer nicht bestritten wurden, zeigen, dass die Zusammensetzungen gemäß Anspruch 1 bei erhöhter Temperatur (130°C) sowohl vor als auch nach Heißluftalterung (150°C/7 Tage) gegenüber einer Zusammensetzung ohne Zugabe des Mikrogels verbesserte Spannungswerte bei 25% und 100% Dehnung aufweisen. Das Produkt der Größen Spannungswert bei 25% bzw 100% Dehnung und Bruchdehnung (sigma25xepsilonb, bzw sigma100xepsilonb), welches Produkt ein Maß für die mechanische Belastbarkeit eines Zahnradriemens darstellt, ist sowohl vor (Beispiele von Patent und D8) als auch nach Alterung (Beispiele vom Patent) gegenüber der Zusammensetzung ohne Mikrogelzusatz verbessert. Diese Verbesserung wird auch bei Raumtemperatur (ohne Alterung) festgestellt.

2.4 Die objektive Aufgabe und Lösung

Ein Vergleich mit den Zusammensetzungen gemäß D4 ist im Patent nicht vorhanden und entsprechende Beweise wurden nicht nachgereicht.

Somit kann die gegenüber D4 objektiv zu lösende Aufgabe nur als die formuliert werden, weitere vulkanisierbare Zusammensetzungen für den genannten Einsatz mit guten mechanischen Eigenschaften bei hohen Temperaturen sowie nach Alterung zur Verfügung zu stellen.

Diese Aufgabe wurde gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 dadurch gelöst, dass als Füllstoff ein Mikrogel mit definierter Tg anstelle von Ruß verwendet wurde.

2.5 Naheliegen der definierten Lösung

Mikrogele als Zusätze für Kautschuke, unter anderem auch für HNBR, sind aus D1-D3 bekannt.

D2, welches Dokument während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer von den Parteien vorrangig herangezogen wurde, offenbart, dass Mikrogele als Verstärkung für vulkanisierte Kautschuke verwendet werden können. Hierdurch werden Härte, Modul, und Festigkeit verbessert (D2, Absätze [0002] und [0003]). Die Zusammensetzungen werden für die ähnliche Einsatzgebiete wie im Patent sowie D4 angegeben vorgesehen (Absatz [0055]). Gemäß D2 ist der verstärkende Effekt nicht ausreichend. Dies kann jedoch durch Zugabe von Phosphoryl Polysulfiden verbessert werden (Absatz [0005]).

Ungeachtet dieser Bemerkung bzw. Aufgabenstellung in D2 ist dem Dokument zu entnehmen, dass die Zugabe von Mikrogelen zu vulkanisierten Kautschuken genau die Eigenschaften verbessert, die im Streitpatent sowie in D4 angesprochen werden.

Jedoch geht aus der Diskussion und den Beispielen von D2 nur die Eigenschaften bei Raumtemperatur und ohne Alterung hervor. Die einzigen Eigenschaften, die bei erhöhter Temperatur (70°C) angegeben sind, sind die Härte sowie Belastbarkeit (Resilience). Eine Prüfung nach Alterung wurde jedoch nicht vorgenommen und auch nicht anderweitig erwähnt.

Es ist somit aus D2 kein Hinweis zu entnehmen, dass die Mikrogele als Füllstoff bei Zusammensetzungen, die hohen Temperaturbelastungen - auch auf Dauer (Alterung) - ausgesetzt werden, eingesetzt werden könnten und hierbei zu guten mechanischen Eigenschaften unter diesen Bedingungen führen würden.

Somit ist es nicht naheliegend, im Anbetracht der obigen Problemstellung, den Füllstoff von D4 durch die Mikrogele von D2 zu ersetzen.

Auch den Dokumenten D1 und D3 sind keine entsprechenden Hinweise bezüglich des Einsatzes von Mikrogelen als Füllstoff, um diese Aufgabe zu lösen bzw. diese Effekte zu erzielen, zu entnehmen. Die gleiche Schlussfolgerung ergibt sich unter Heranziehung der weiteren Dokumente D5-D7 in Verbindung mit D1-D3.

2.6 Es wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens seitens des Beschwerdeführers bemängelt, der gezeigte Effekt würde nicht über die gesamte Anspruchsbreite erhalten werden. Im Antwort hierauf reichte die Beschwerdegegnerin den Versuchsbericht D8 ein. In diesem Bericht wurde sowohl die Art des Mikrogels (BR, SBR, NBR, HNBR) als auch deren Menge (0,5-40 Gew.-Teile/100 Teile HNBR) über weite Bereiche variiert. Ferner wurde die Menge des Carbonsäuresalzes variiert (10-60 Gew-Teile/100 Teile HNBR). Der obengenannte Effekt der Verbesserung der Hitzebeständigkeit wurde bei allen gezeigten anspruchsgemäßen Zusammensetzungen sowohl bei Raumtemperatur (23°C) als auch bei 120°C, zwar ohne Alterung, nachgewiesen. Gegenbeweise wurden vom Beschwerdeführer nicht vorgelegt.

Der Einwand des Beschwerdeführers bezüglich der Beibehaltung des Effekts bei Variationen der Zusammensetzungen, d.h. wegen der Breite der Ansprüche, wird durch die Beweise von D8 somit - unwidersprochen - entkräftet und kann somit nicht durchgreifen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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