T 0106/13 () of 5.12.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T010613.20171205
Datum der Entscheidung: 05 Dezember 2017
Aktenzeichen: T 0106/13
Anmeldenummer: 05785118.0
IPC-Klasse: F01K 7/00
F01K 13/02
F02C 7/26
F02C 9/28
F01D 19/00
F01D 19/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND MODUL ZUM VORRAUSSCHAUENDEN ANFAHREN VON DAMPFTURBINEN
Name des Anmelders: ABB Technology AG
Name des Einsprechenden: General Electric Technology GmbH
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichtes Dokument - zugelassen (nein)
Spät vorgebrachte Argumente - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, mit der ihr Einspruch gegen das europäische Patent mit der Nummer 1 797 284 zurückgewiesen wurde.

II. Die unabhängigen Ansprüche des Patents haben folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zum vorrausschauenden Anfahren von Dampfturbinen einer Turbinenanlage mittels eines Moduls (1), wobei

- optimierte zeitliche Verläufe der Dampfparameter am Turbineneintritt und am Kesselaustritt vor und/oder während des Anfahrens der Turbine unter Berücksichtigung der zulässigen Beanspruchung der kritischen Stellen des Turbinenmetalls mittels eines im Modul (1) integrierten Vorschaumodells (10) ermittelt werden,

- die Beanspruchung an den kritischen Stellen des Turbinenmetalls auf einen optimal ansteigenden Beanspruchungs-Sollwert bis zum Erreichen einer zulässigen Beanspruchungsgrenze mittels des Vorschaumodells (10) geregelt wird,

- weiterhin mittels dem Vorschaumodell (10) die zulässige Beanspruchung an den kritischen Stellen des Turbinenmetalls bis zum Erreichen vorgegebener Nenn-Dampftemperaturen geregelt eingehalten wird, und

- als Stellgrößen für die Kessel- und/oder Turbinenregelung die Öffnungsgeschwindigkeit der Frischdampfregelventile (YHD) und der Abfangregelventile (YMD) und nach Erreichen der maximalen Stellung der Ventile als Stellgröße die Änderungsgeschwindigkeit der Dampfparameter am jeweiligen Turbineneintritt eingesetzt werden."

"23. Modul zur prädiktiven Anfahroptimierung von Dampfturbinen einer Turbinenanlage, welches

- ein Vorschaumodell (10) zur Ermittlung optimierter zeitlicher Verläufe der Dampfparameter am Turbineneintritt und am Kesselaustritt vor jedem Anfahren der Turbine unter Berücksichtigung der zulässigen Beanspruchung der kritischen Stellen des Turbinenmetalls umfasst,

- das Vorschaumodell (10) die Beanspruchung an den kritischen Stellen des Turbinenmetalls auf einen optimal ansteigenden Beanspruchungs-Sollwert bis zum Erreichen einer zulässigen Beanspruchungsgrenze regelt,

- weiterhin das Vorschaumodell (10) die zulässige Beanspruchung an den kritischen Stellen des Turbinenmetalls bis zum Erreichen vorgegebener Nenn-Dampftemperaturen geregelt einhält, und

- als Stellgrößen für die Kessel- und/oder Turbinenregelung die Öffnungsgeschwindigkeit der Frischdampfregelventile (YHD) und der Abfangregelventile (YMD) und nach Erreichen der maximalen Stellung der Ventile als Stellgrößen die Anstiegsgeschwindigkeit der Dampfparameter am jeweiligen Turbineneintritt eingesetzt sind."

III. In der Beschwerdebegründung trug die Beschwerdeführerin vor, dass Anspruch 1 gegenüber

D1 : US-A-4558 227

entweder nicht neu oder nicht erfinderisch sei.

Sie verwies außerdem zur Stützung ihrer Argumente auf den im Internet zugänglichen Artikel

N1: "High Steam Turbine Operating Flexibility Coupled With Service Interval Optimization", P. Armitage et al. (siehe proceedings.asmedigitalcollection.asme.org, doi:10.1115/IJPGC2003-40072),

und legte einen Ausdruck seiner frei zugänglichen Zusammenfassung vor.

IV. In einer Mitteilung mit Datum vom 10. Oktober 2017 zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung hat die Kammer ihre vorläufige Beurteilung der Sache dargelegt.

V. Mit Schreiben vom 4. November 2017, in Antwort auf diese Mitteilung, reichte die Beschwerdeführerin folgende Dokumente ein:

N2: Seiten 212, 213 aus "Combined Cycle Gas & Steam Turbine Power Plants", R. Kehlhofer et al., Second Edition, 1999, Pennwell

N3: Seite 291 aus "Boilers, Evaporators and Condensers", Ed. by S. Kakaç, 1991, John Wiley & Sons, Inc.

N4: Seiten 349-351 aus "Matlab und Simulink", J. Hoffmann, 1998, Addison Wesley Longman Verlag.

VI. In einer weiteren Mitteilung der Kammer mit Datum vom 16. November 2017 hat die Kammer die Parteistellung der Einsprechenden und Beschwerdeführerin in Frage gestellt. Mit Schreiben vom 29. November 2017 hat die Beschwerdeführerin zu den aufgeworfenen Fragen Stellung genommen und entsprechende Nachweise eingereicht.

VII. Am 5. Dezember 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat entsprechend ihrer vorhergehenden schriftlichen Ankündigung vom 26. Juni 2017 nicht an der Verhandlung teilgenommen. Wie aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung ersichtlich ist, wurde einem Antrag auf Anerkennung des Übergangs der Parteistellung als Einsprechende und Beschwerdeführerin im Hinblick auf eine zwischenzeitlich erfolgte Rechtsformänderung und Namensänderung der vormaligen Einsprechenden Alstom Technology Ltd auf die General Electric Technology GmbH statt gegeben.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

IX. Die Beschwerdegegnerin beantragte schriftlich mit ihrer Beschwerdeerwiderung die Beschwerde zurückzuweisen und N1 nicht ins Verfahren zuzulassen.

X. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber D1/N1. Der Fachmann lese das 1985 veröffentlichte Dokument D1 unter Berücksichtigung seines Fachwissens aus dem Jahr 2005, nämlich zum Zeitpunkt der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung. Der Fachmann verstehe dann die in D1 nicht explizit genannten Merkmale, wie z.B. Abfangregelventile, in D1 als implizit offenbart, weil im Jahre 2005 in (fast) allen Dampfturbinenanlagen Zwischenüberhitzer und dazugehörige Abfangregelventile angeordnet seien.

N1 dokumentiere das allgemeine Fachwissen. Es sei rechtzeitig mit der Beschwerdebegründung genannt. Es sei klar identifiziert, so dass sein Inhalt der Beschwerdegegnerin und dem EPA zugänglich sei.

Darüber hinaus offenbare D1 implizit auch die Öffnungsgeschwindigkeit der Ventile zur Regelung der Dampfparameter zu benutzen.

Bei dem in D1 offenbarten Verfahren müsste die Regulierung des Frischdampfstroms beim Anfahren der Turbinenanlage unter Berücksichtigung der zulässigen thermischen Belastung durch in Intervallen vorgenommene Änderungen der Stellung der Ventile 501 (und 402) erfolgen, siehe hierzu Spalte 2, Zeilen 17-40 und Spalte 4, Zeilen 14-18. Eine Änderung der Ventilstellung über die Zeit entspreche der zeitlichen Ableitung der Ventilstellung, somit einer Öffnungsgeschwindigkeit.

Dieses Merkmal wäre für den Fachmann aber zumindest naheliegend. Ein technischer Effekt wird dafür im Patent nirgends erwähnt, seine Bedeutung erschließt sich dem Fachmann aus der gesamten Patentsschrift nicht, so dass auch unklar sei, wie dieses Merkmal im beanspruchten Verfahren konkret zu verstehen sei. Als zu lösende Aufgabe könne nur eine alternative Regelungsstrategie angenommen werden. Anstelle die Ventilstellung über einen gewissen Zeitraum als Stellgröße zu verwenden, wäre es für den Fachmann das gleiche und damit naheliegend ihre zeitliche Ableitung zu verwenden. Wie durch N4 belegt, gehöre es zum allgemeinen Fachwissen, eine Regelung durch eine Kaskadierung stabiler zu machen, in dem neben der Stellgröße auch ihre zeitliche Ableitung erfasst und in die Regelung einfließe. Die Verwendung der Öffnungsgeschwindigkeit der Ventile zur Regelung des Dampfstroms stelle in diesem Sinne eine Kaskadierung der in D1 offenbarten Regelung durch nur die Ventilstellung dar.

D1 offenbare implizit auch, dass nach vollständiger Öffnung der Ventile bei konstantem Druck der Frischdampfstrom durch eine gewöhnliche Regelung mittels eines gleitenden Frischdampfdrucks erfolge. Zumindest gehöre eine solche Regelung aber zum allgemeinen Fachwissen, wie zum Beispiel aus N2 und N3 hervorgeht.

XI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Der Einspruch gegen das Patent sei nicht zulässig, da seine Begründung keine substantiierte Auseinandersetzung mit den Einspruchsgründen aufgrund einer mangelnden Trennung zwischen Neuheit und erfinderischer Tätigkeit erlaube, was auch für die Beschwerdeschrift gelte.

Darüber hinaus sei der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber D1, da zumindest die Merkmale in seinem letzten Spiegelstrich nicht offenbart seien.

N1 dürfe nicht in das Verfahren zugelassen werden, da es nicht in Reaktion auf einen Hilfsantrag oder andere überraschende Umstände eingereicht wurde und prima facie nicht relevant sei. N1 offenbare die fehlenden Merkmale jedenfalls nicht.

Weder D1 noch N1 könne der Fachmann einen Hinweis auf eine Regelung durch die Öffnungsgeschwindigkeit der Ventile entnehmen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit des Einspruchs

Die Beschwerdegegnerin hat wie bereits im Einspruchs­verfahren die Zulässigkeit des Einspruchs bestritten. In ihrer Mitteilung (hier und im folgenden ist die Mitteilung vom 10. Oktober 2017 gemeint) hat die Kammer unter Punkt 1 dargelegt, dass sie diesem Vortrag nicht folgen könne, da wenigstens der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ in der Einspruchsschrift als ausreichend substantiiert angesehen werde könne.

Die Beschwerdegegnerin hat hierauf nichts erwidert. Die Kammer hat folglich keinen Grund, ihre vorläufige Meinung zur Zulässigkeit des Einspruchs zu ändern und bestätigt diese hiermit. Damit bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde.

2. Zulassung von N1, N2, N3, N4 sowie des Neuheits-Einwands gegenüber D1/N1 in das Verfahren

2.1 Artikel 12 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) bestimmt in Absatz 1, dass dem Beschwerdeverfahren unter anderem die Beschwerde und die Beschwerdebegründung, sowie Mitteilungen der Kammer und Antworten hierauf, die gemäß den Anweisungen der Kammer eingereicht worden sind, zugrunde liegen. Sein Absatz 2 bestimmt, dass die Beschwerdebegründung den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten, also der Beschwerdeführerin, enthalten muss. Sie muss deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen, und soll ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen. Alle Unterlagen, auf die Bezug genommen wird, sind a) als Anlagen beizufügen, soweit es sich nicht um im Zuge des Erteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahrens bereits eingereichte Unterlagen oder vom Amt in diesen Verfahren erstellte oder eingeführte Schriftstücke handelt; b) jedenfalls einzureichen, soweit die Kammer dazu im Einzelfall auffordert. Schließlich ist nach Absatz 4 des Artikels 12 VOBK die Kammer befugt, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind. Unbeschadet dessen wird das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Absatz 1 von der Kammer berücksichtigt, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt.

Artikel 13 (1) VOBK regelt wie geändertes Vorbringen der Parteien, nach Einreichung der Beschwerdebegründung oder ihrer Erwiderung, im Verfahren zu behandeln ist. Seine Zulassung bzw. Berücksichtigung im Verfahren liegt demnach im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer neben dem Verfahrensstand und der Komplexität des neuen Vorbringens auch die gebotene Verfahrensökonomie. Zumindest im Hinblick auf letztere ist es für die Zulassung geänderten Vorbringens in das Verfahren erforderlich, dass es prima facie relevant erscheint, in dem Sinne, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit den Ausgang des Verfahrens ändert.

2.2 In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, dass der Gegenstand aller Ansprüche des Patents gegenüber D1 and N1 entweder nicht neu sei oder nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

N1 wurde erstmals im Verfahren zusammen mit der Beschwerdebegründungvorgelegt.

Der Einwand mangelnder Neuheit gegenüber diesen Dokumenten wurde allerdings, wie auch von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugestanden, in den Beschwerdegründen nicht substantiiert, sondern erst im Schreiben vom 4. November 2017 in Antwort auf die Kammermitteilung.

Gleichzeitig mit diesem Schreiben wurden auch N2, N3 und N4 eingereicht.

2.3 Die Kammer hat das zusammen mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Dokument N1 im Verfahren berücksichtigt, da die Beschwerdegegnerin nicht begründet hat, weshalb N1 bereits vor der Einspruchsabteilung hätte vorgelegt werden können (Artikel 12 (4) VOBK). Die Kammer findet dafür auch keinen Grund.

Allerdings wird von der Kammer nur der Inhalt der vorgelegten Zusammenfassung berücksichtigt. Es ist hierbei irrelevant, dass die Angaben in N1 der Kammer grundsätzlich ermöglichen würden, den vollständigen Artikel aufzufinden, worauf sich die Beschwerdeführerin in Antwort auf die Kammermitteilung berief. Der N1 zugrundeliegende vollständige Artikel, wurde entgegen der Bestimmung nach Artikel 12 (2) a) VOBK nicht vorgelegt. Die Beschwerdeführerin hat von der Vorlage des gesamten Artikels abgesehen, da die ihrer Meinung nach damit verbundene Aufnahme des Artikels in den öffentlichen Teil der Beschwerdeakte ihr möglicherweise als Verletzung eines bestehenden Copyrights angelastet werden könnte. Dieser Grund ändert nichts an der Tatsache, dass der Artikel selbst nicht eingereicht wurde und daher keine Berücksichtigung im Verfahren finden konnte (Artikel 12 (4) VOBK).

2.4 Die erst nach der Mitteilung der Kammer erfolgte Substantiierung des Neuheitseinwands gegenüber D1 stellt nach Artikel 13 (1) VOBK eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar.

2.4.1 Die Kammer kann in dem vorgetragenen Einwand keine Relevanz erkennen, da zumindest das Merkmal, wonach die Öffnungsgeschwindigkeiten der Frischdampfregelventile und der Abfangregelventile als Stellgrößen für die Kessel- und/oder Turbinenregelung verwendet werden, bzw. das genannte Abfangregelventil in D1 nicht offenbart ist, worauf die Kammer bereits unter Punkt 3 ihrer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hingewiesen hatte.

Die Beschwerdeführerin antwortete darauf, dass der Fachmann das 1985 veröffentlichte Dokument D1 unter Berücksichtigung seines Fachwissens aus dem Jahr 2005, nämlich zum Zeitpunkt der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung, lesen würde und somit die nicht explizit offenbarten Merkmale implizit mitlesen würden. Die Kammer kann diesem Argument nicht folgen. Es widerspricht der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z.B. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage, 2016, I.C.2.3). Maßgeblich für die Beurteilung der Offenbarung eines früheren Dokuments, welches zum Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ gehört, ist demnach das Veröffentlichungsdatum dieses Dokuments, vorliegend also der D1. Die Beschwerdeführerin hat auch kein Argument vorgetragen, warum von der Rechtsprechung der Kammern abzuweichen wäre.

2.4.2 Dass alle Merkmale von Anspruch 1 oder Anspruch 23 in der Zusammenfassung eines Artikels N1 offenbart seien, wurde nicht vorgetragen und ist für die Kammer auch nicht erkennbar.

2.4.3 Die Kammer hat daher in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) VOBK den erst nach Ablauf der Frist für die Beschwerdebegründung substantiierten Neuheitseinwand mangels Relevanz nicht in das Verfahren zugelassen.

2.5 Die Druckschriften N2, N3 und N4 stellen ähnlich wie der spät vorgebrachte Neuheitseinwand eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar. Mangels einer erkennbaren Relevanz dieser Dokumente für die Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 23 hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK dahingehend ausgeübt, N2, N3 und N4 nicht in das Verfahren zuzulassen. Zur Relevanz, siehe unten Punkte 3.6.4 und 3.6.5.

3. Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ - Anspruch 1

3.1 Der einzige Einwand der Beschwerdeführerin geht von D1 als nächstliegendem Stand der Technik aus.

3.2 Wie schon die Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt hatte, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem Verfahren aus D1 zumindest durch die Merkmale in seinem dritten Spiegelstrich.

3.3 Die Beschwerdeführerin hat dieser Auffassung unter anderem hinsichtlich des Teil-Merkmals daraus widersprochen, wonach die Öffnungsgeschwindigkeit des Frischdampfregelventils (Referenzzeichen 501 in Figur 1 der D1) als Stellgröße für die Kessel- und/oder Turbinenregelung eingesetzt werde. Die Kammer findet allerdings die Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach dieses Teil-Merkmal implizit offenbart sei, nicht überzeugend.

3.3.1 Die Passagen der Beschreibung, auf die sich die Beschwerdeführerin hierzu beruft, nämlich Spalte 2, Zeilen 18 bis 40, und Spalte 4, Zeilen 14-17, offenbaren jede für sich oder im Zusammenhang gelesen hinsichtlich der Funktion der Ventile zur Regelung des Kessels oder der Turbine nichts konkretes, insbesondere nicht, dass deren Öffnungsgeschwindigkeit als Stellgröße diene.

Die Passage auf Seite 2 beschreibt das in D1 offenbarte Verfahren im allgemeinen, ohne spezifische Details der Ansteuerung von Ventilen zu erwähnen. Der dort erwähnte Vergleich und die Auswahl von Parametern zur Durchführung des Verfahrens versteht der Fachmann vielmehr im Zusammenhang der gesamten Offenbarung der D1, unter Berücksichtigung der beschriebenen Ausführungsbeispiele, z.B. aus dem in Figur 5 dargestellten Ablaufdiagramm, dahingehend, dass mit dem Begriff "Parameter" in Spalte 2, entweder die thermische Beanspruchung ("thermal stress") der relevanten Kesselkomponenten oder die thermische Beanspruchung der relevanten Turbinenkomponenten gemeint ist (vgl. Spalte 16, Zeilen 1-35), aber nicht die zur Regelung verwendete Stellgröße der Ventile.

Die zitierte Passage in Spalte 4 erwähnt zwar, dass der Dampfstrom zu den Turbinen durch das Ventil 501, mittels eines vom Computer 20 generierten Signals reguliert wird. Dabei bleibt aber offen, ob die Öffnungsgeschwindigkeit des Ventils als Stellgröße der Regelung dient.

Auch aus der Erwähnung von Temperatur- und Druckerhöhungsraten (siehe zum Beispiel, Spalte 16, Zeile 24, 25) kann keine eindeutige und unmittelbare Schlussfolgerung über die Arbeit der Ventile gezogen werden.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Frischdampfventil 501 vor der Hochdruckturbine z.B. zeitweise, teils oder ganz geöffnet und wieder geschlossen werden könnte. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, wonach der Fachmann ein solches Verfahren, das ein schnelles Hochfahren der Turbinenanlage ermöglichen soll, aufgrund damit einhergehender Druckverluste grundsätzlich ausschließen würde, wurde nicht belegt.

3.3.2 Prinzipiell könnte zwar, wie von der Beschwerdeführerin außerdem argumentiert, aus zwei aufeinanderfolgenden Ventilstellungen alpha(t) und alpha(t+Deltat) zu den Zeiten t und t+Deltat eine Geschwindigkeit der Ventilöffnung, (alpha(t+Deltat)-alpha(t))/Deltat, ermittelt werden. Es gibt aber keine Offenbarung in D1, dass eine solche Größe tatsächlich ermittelt oder vorgegeben, geschweige denn als Stellgröße zur Regelung des Kessels oder der Turbine verwendet wird.

3.4 Die Kammer kann der Beschwerdeführerin dahingehend zustimmen, dass das Patent selbst keinen technischen Effekt für die Regelung des Kessels oder der Turbine mittels der Ventilöffnungsgeschwindigkeiten als Stellgröße nennt. Im Zusammenhang mit dem Verlauf der Stellgröße für die Frischdampf-Regelventile YHD in Figur 5 des Streitpatents, auf die die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang hingewiesen hat, kann z.B. entnommen werden, dass YHD im Intervall zwischen 70 Sekunden und ca. 130 Sekunden in drei Teil-Abschnitten etwa linear, aber mit unterschiedlichen Koeffizienten ansteigt, um dann ab ca. 130 Sekunden einen konstanten Wert von 100% anzunehmen. In der gleichen Figur können im gleichen Intervall auch Änderungen zum Beispiel für den Verlauf des Frischdampfdrucks vor der Hochdruckturbine (pFD,vHDT), oder des Dampfdrucks vor ihrer Beschaufelung (pvHDB) oder der Temperatur TFD,vHDT Änderungen entnommen werden. Figur 6a des Streitpatents dokumentiert demnach einen technischen Effekt, der z.B. in der Änderung der Dampfparameter vor der Hochdruckturbine und folglich zumindest als Beitrag zur Regelung der Turbine gesehen werden kann. Dabei kann es für die hier zu entscheidende Frage dahingestellt bleiben, wie das Merkmal "Öffnungsgeschwindigeit der Ventile als Stellgröße verwenden" in der Praxis vom Fachmann umzusetzen ist.

3.5 Ausgehend von dem Verfahren nach D1 als nächstliegendem Stand der Technik und auf Grundlage der festgestellten unterscheidenden Merkmale kann die von der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabe, nämlich die Bereitstellung einer alternativen Regelungsstrategie, als eine objektive Aufgabe angesehen werden.

3.6 Zumindest das Merkmal betreffend die Verwendung der Ventilöffnungsgeschwindigkeiten als Stellgröße zur Kessel-/Turbineregelung ist weder durch D1 noch das allgemeine Fachwissen nahegelegt.

3.6.1 Die von der Beschwerdeführerin aufgrund der oben unter Punkt 3.3.2 wiedergegebenen Überlegungen führen den Fachmann nicht in naheliegender Weise zu diesem Merkmal. Die zugrundegelegte Annahme einer schrittweisen Öffnung des Ventils 501 ist unbegründet, da wie erwähnt die Ansteuerung der Ventile in D1 nirgends offenbart ist (vgl. Punkt 3.3.1).

3.6.2 Ungeachtet dessen hat die Beschwerdeführerin keinen Nachweis für ihre Behauptung erbracht, dass eine Kessel- oder Turbinenregelung mittels einer schrittweisen Öffnung, bei der das Ventil über ein Zeitintervall Deltat in einer festen Stellung (teilweise oder ganz) geöffnet ist und danach in eine andere Stellung gebracht wird, in ihrer Funktion gleich einer Regelung ist, in der die Öffnungsgeschwindigkeit der Ventile als Stellgröße verwendet wird. Wird beispielsweise das Ventil zu Beginn der Regelung vollständig (oder teilweise) geöffnet und verbleibt in dieser geöffneten Stellung über einen bestimmten Zeitraum Deltat (z.B. 120 Sekunden, um in der gleichen Größenordnung zu bleiben wie in Figur 6a des Streitpatents), muss nicht die gleiche Entwicklung der Dampfparameter oder thermischen Belastung beim Kessel oder an der Turbine folgen, als wenn das Ventil über den gleichen Zeitraum Deltat mit einer z.B. konstanten Geschwindigkeit in diese geöffnete Stellung fahren würde. Einen Beleg für ein solches gleiches Verhalten hat die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht dargelegt. Die zugrundeliegende Annahme der Beschwerdeführerin (vgl. Punkt 3.3.2) wäre allenfalls gültig im Falle einer kontinuierlichen Verstellung des Ventils, für die es aber in D1 ebenso wie für eine schrittweise Öffnung keine Offenbarung gibt.

Die Kammer zieht daraus die Schlussfolgerung, dass der Fachmann allein auf Grundlage von D1 ohne rückschauende Betrachtungsweise, d.h. in Kenntnis der Erfindung, nicht auf den Gedanken käme, die zeitliche Ableitung der Ventilstellung, d.h. Öffnungsgeschwindigkeit zur Regelung des Kessels oder der Turbine zu verwenden.

3.6.3 Das Dokument N1 erwähnt keine Details hinsichtlich der Regelung von Kessel oder Turbine durch die in den entsprechenden Anlagen eingesetzten Ventile, insbesondere auch nichts hinsichtlich der dabei verwendeten Stellgrößen. Es kann somit den Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahelegen.

3.6.4 Das erst in Reaktion auf die Kammermitteilung eingereichte Dokument N4 offenbart Kenntnisse des Fachmanns im Bereich Regelungstechnik, insbesondere zum Thema stabilisierender Kaskadenregelungen. Es scheint keine Bezugnahme auf die Regelung von Ventilen in Dampfturbinenanlagen zu enthalten. Die Kammer kann nicht erkennen, dass der beanspruchte Gegenstand, bzw. der Gegenstand des Streitpatents auf eine Kaskadenregelung gerichtet ist. Dokument N4 hat folglich keine Relevanz für die zu entscheidende Frage erfinderischer Tätigkeit hinsichtlich des Merkmals "Öffnungsgeschwindigkeit als Stellgröße" und wurde aus diesem Grund nicht in das Verfahren zugelassen (siehe oben Punkt 2.9).

3.6.5 Dokumente N2 und N3 wurden von der Beschwerdeführerin nur im Hinblick auf das Teilmerkmal im dritten Spiegelstrich von Anspruch 1 vorgelegt, welches sich auf die Regelung nach dem Erreichen der maximalen Ventilöffnung bezieht. Es wurde nicht behauptet und die Kammer kann auch prima facie nicht erkennen, dass die Verwendung der Öffnungsgeschwindigkeit der Ventile als Stellgröße durch N2 oder N3 nahegelegt wird. Da es für die Erfüllung des Erfordernisses nach Artikel 56 EPÜ ausreichend ist, dass nur eines der Merkmale des beanspruchten Gegenstands Anspruch 1 für die Lösung der objektiven Aufgabe nicht naheliegend ist, hier das Merkmal betreffend die "Öffnungsgeschwindigkeit", ist es ohne Belang, ob alle anderen Merkmale für den Fachmann naheliegen könnten. Insofern hat die Kammer N2 und N3 mangels Relevanz auch nicht in das Verfahren zugelassen (siehe oben Punkt 2.9).

3.6.6 Obwohl die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung weitere, in der angefochtenen Entscheidung genannte Dokumente angegeben hat, hat sie sich für Einwände gegen Anspruch 1 nicht auf diese bezogen. Die Kammer kann prima facie auch nicht erkennen, dass die Beurteilung dieses Stands der Technik durch die Einspruchsabteilung fehlerhaft gewesen sein könnte.

3.7 Die Kammer findet daher, dass der Gegenstand von Anspruch 1 durch den von der Beschwerdeführerin herangezogenen Stand der Technik nicht nahegelegt ist.

3.8 Eine Interpretation des Merkmals von Anspruch 1 "Öffnungsgeschwindigkeit der Ventile als Stellgröße", insbesondere im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Frage, welche konkreten technischen Merkmale darunter zu verstehen wären, ist im Rahmen der hier zu treffenden Entscheidung nicht erforderlich. Unter Berücksichtigung der Auslegungen des Merkmals, auf die sich die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einwände gestützt hat (siehe oben), konnte die Kammer nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass mit diesen Auslegungen das Merkmal als offenbart oder naheliegend anzusehen wäre.

4. Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ - Anspruch 23

Die Kammer kann nicht erkennen, dass die Beurteilung des Gegenstands von Anspruch 23 abweichend ausfallen könnte. Dies wurde auch nicht vorgetragen.

5. Daher steht kein Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents entgegen. Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung und Widerruf kann also nicht gefolgt werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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