T 0069/13 (Herstellung von Proteinen/WACKER CHEMIE) of 8.3.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T006913.20160308
Datum der Entscheidung: 08 März 2016
Aktenzeichen: T 0069/13
Anmeldenummer: 06121090.2
IPC-Klasse: C12N 1/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur fermentativen Herstellung von Proteinen
Name des Anmelders: Wacker Chemie AG
Name des Einsprechenden: Lonza AG
Kammer: 3.3.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 114(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 8. November 2012, den Einspruch gegen das europäische Patent No. 1903105 (Anmeldenummer 06121090.2) mit der Bezeichnung "Verfahren zur fermentativen Herstellung von Proteinen" zurückzuweisen.

II. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) neue Vergleichsversuche (Entgegenhaltung O18) ein.

III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte mit ihrer Erwiderung die neuen Entgegenhaltungen O19 bis O21 ein.

IV. In der Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Meinung zu dem Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit mit.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 8. März 2016 statt.

VI. Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Produktion eines heterologen Proteins mittels eines E. coli-Stammes, welcher eine Mutation im lpp-Gen oder im Promotorbereich des lpp-Gens aufweist und ein Gen kodierend für ein heterologes Protein, welches mit einer Signalsequenz kodierend für ein Signalpeptid funktionell verknüpft ist, enthält, in einem Fermenter mit einem Volumen von mehr als 5 l, dadurch gekennzeichnet, dass die Mutation im lpp?Gen eine Substitution, eine Deletion oder eine Insertion eines oder mehrerer Nukleotide im lpp-Gen oder im Promotorbereich des lpp-Gens ist, welche dazu führt, dass das lpp-Gen nicht mehr oder nur noch vermindert exprimiert wird, so dass in den Zellen nur noch maximal 80 % der Lpp-Proteinmenge im Vergleich zu Zellen des Wildtyp-Stammes W3110 (ATTC:27325) nachgewiesen werden kann oder die zu einer veränderten Aminosäuresequenz des Lpp-Proteines führt, welche mit einer Verminderung der Funktionalität des Lpp-Proteins einhergeht, worunter zu verstehen ist, dass die Resistenz der Zellen gegenüber Globomycin um mindestens den Faktor 2 im Vergleich zu dem lpp-Wildtypstamm W31l0 erhöht ist, oder dass die Mutation im lpp-Gen einen Austausch des Arginin-Rests an Position 77 von SEQ ID No. 2 gegen einen Cystein-Rest bewirkt oder einen Austausch des Glycin-Rests an Position 14 von SEQ ID No. 2 gegen einen Asparaginsäure-Rest bewirkt und in einem Fermentationsmedium enthaltend Ca**(2+)-Ionen in einer Konzentration von 10 mg/l bis 5000 mg/l und Mg**(2+)-Ionen in einer Konzentration größer 48 mg/l bis 5000 mg/l fermentiert wird, wobei der E. coli-Stamm das heterologe Protein in das Fermentationsmedium ausscheidet und das Protein vom Fermentationsmedium abgetrennt wird."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 11 definieren spezielle Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1.

VII. Folgende Entgegenhaltungen werden in dieser Entscheidung zitiert:

O1: Kanamori T. et al., 1988, Gene, Vol. 66, 295-300;

O2: Leonhartsberger S., April 2006, BioProcess International, 2-4;

O3: Yem D.W. and Wu H.C., 1978, Journal of Bacteriology, Vol. 133(3), 1419-1426;

O4: Suzuki H. et al., 1978, Molec. Gen. Genet., Vol. 167, 1-9;

O6: Lee S. Y., 1996, Tibtech, Vol. 14, 98-105;

O8: Sonntag I. et al., 1978, Journal of Bacteriology, Vol. 136(1), 280-285;

O14: Riesenberg et al., 1991, Journal of Biotechnology, 20, 17-28;

O15: Paalme T. et al., 1990, Biotechnol. Bioeng., Vol. 35, 312-319;

O17: Cutayar J.M. and Poillon D., 1989, Biotechnol. Lett., Vol. 11 (3), 155-160;

O18: "Comparison of FM4 medium (Wacker) with medium O15 (Paalme et al.)"

O20: Lee J.-H. et al., 1989, Biotechnol. Lett., Vol. II (10), 695-698;

O21: Shokri A. et al., 2003, Appl. Microbiol. Biotechnol., 60, 654-664.

VIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung sind, lauten wie folgt:

Zulassung der Entgegenhaltung O18

Entgegenhaltung O18 beschreibe von der Beschwerdeführerin durchgeführte Vergleichsversuche. Sie sei mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden, um das Argument der Einspruchsabteilung, der Fachmann habe keine Veranlassung gehabt, Entgegenhaltung O15 zur Lösung des technischen Problems heranzuziehen, zu widerlegen. Sie sei zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingereicht worden.

Die von der Beschwerdegegnerin eingereichte Entgegenhaltung O20 solle zugelassen werden.

Berücksichtigung eines neuen Einwands (Artikel 114(2) EPÜ i.V.m. Artikel 13 VOBK)

Die Entgegenhaltung O20 sei hoch relevant für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, weil sie ein Kulturverfahren in einem Medium beschreibe, welches dem in Anspruch 1 definierten entspreche. Der einzige Unterschied zum beanspruchten Verfahren liege in der Verwendung eines Fermenters mit einem kleineren Volumen. Die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Berechnungen der Ca**(2+)- und Mg**(2+)- Konzentrationen seien nicht komplex und leicht nachvollziehbar. Da über die Zulassung der Entgegenhaltung O20 erst am Tag der mündlichen Verhandlung entschieden worden sei, habe dieser Einwand nicht früher vorgebracht werden können.

Erfinderische Tätigkeit

In der angefochtenen Entscheidung habe die Einspruchabteilung die Entgegenhaltung O1 als nächstliegenden Stand der Technik angesehen. In dieser werde die Verwendung der aus Entgegenhaltung O4 bekannten E. coli-Lipoproteinmutante JE5505 zur Herstellung eines heterologen Proteins beschrieben. Aus Entgegenhaltung O4 sei dem Fachmann bekannt, dass Lipoproteinmutanten von E. coli sehr empfindlich auf die Zugabe von EDTA reagieren. Bei Wachstum in Minimalmedium bildeten diese Mutanten Bläschen ("blebs") und verloren einen Teil der Enzyme aus dem periplasmatischen Raum an das Kulturmedium. Die Ausbildung von Bläschen unterbleibe jedoch in Medien mit einer Mg**(2+)-Ionenkonzentration von 2 mM oder mehr. Das in Entgegenhaltung O1 verwendete Kulturmedium enthalte eine im Vergleich zum in Entgegenhaltung O4 verwendeten Kulturmedium um den Faktor 2 erhöhte Konzentration der Ca**(2+)-Ionen. Der Fachmann habe aus Entgegenhaltung O1 unter Einbezug der in Entgegenhaltung O1 ausdrücklich erwähnten Entgegenhaltung O4 geschlossen, dass eine Erhöhung der Konzentration der zweiwertigen Ionen im Kulturmedium zu einer Stabilisierung der Zellmembran führe und diese die Sekretion heterologer Proteine nicht behindere.

Aus Entgegenhaltung O3 sei dem Fachmann bekannt, dass vor allem Mg**(2+)-Ionen, möglicherweise aber auch Ca**(2+)-Ionen einen stabilisierenden Einfluss auf die Zellmembran haben. Sowohl der Chelatbildner EDTA als auch der bevorzugt Ca**(2+)-Ionen bindende Chelatbildner EGTA beeinflussten das Wachstum von Lipoproteinmutanten von E. coli negativ. Der Fachmann habe daraus geschlossen, dass zur Stabilisierung der Zellmembran sowohl Ca**(2+)- als auch Mg**(2+)-Ionen notwendig seien. Die Verwendung von Kulturmedien mit erhöhten Konzentrationen der beiden Ionen werde dem Fachmann deshalb durch die Kombination der Lehren der Entgegenhaltungen O1 und O3 nahegelegt. Zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelange der Fachmann, ausgehend von Entgegenhaltung O1, auch durch Heranziehen der Lehre der Entgegenhaltung O8.

Das im Streitpatent beschriebene Verfahren führe in einer kurzen Fermentationszeit zu ähnlich hohen Zelldichten wie in Verfahren mit Stämmen ohne lpp-Mutation (vgl. Absatz [0059] des Patents). Dem Fachmann sei bekannt, dass Fermentationsverfahren mit hohen Zelldichten in großtechnischem Maßstab vorteilhaft seien. Deshalb komme er auch unter Heranziehen der Entgegenhaltungen O15 oder O17, welche Fermentationsverfahren mit hohen Zelldichten unter Verwendung von Kulturmedien mit anspruchsgemäßer Zusammensetzung beschrieben, in naheliegender Weise zur beanspruchten Erfindung. Die in Entgegenhaltung O18 beschriebenen Versuche bestätigten dies.

Entgegenhaltung O20 beschreibe ein Fermentationsverfahren, bei dem von einem E. coli-Stamm hergestelltes Interferon in das Kulturmedium ausgeschieden werde. Während des Kulturverfahrens werde die Casaminosäuren-Konzentration im Kulturmedium sukzessive erhöht. Aus Figur 2 und weiteren Angaben in dieser Entgegenhaltung lasse sich errechnen, dass sich die Ca**(2+)- und die Mg**(2+)-Ionenkonzentrationen zum Zeitpunkt der Induktion der Expression von Interferon im Bereich der in Anspruch 1 genannten Konzentrationen befanden. Figur 3 zeige zudem, dass große Mengen von Interferon produziert würden und einiges davon ins Medium ausgeschieden werde. Daher werde das beanspruchte Verfahren auch durch die Entgegenhaltung O1 in Verbindung mit Entgegenhaltung O20 nahegelegt.

Zum beanspruchten Verfahren gelange der Fachmann auch ausgehend von Entgegenhaltung O2, welche die großtechnische Kultivierung eines Stammes von E. coli mit einem "leaky" Phänotyp beschreibe. Da die Anzahl der bekannten "leaky"-Mutanten beschränkt sei, müsse der verwendete Stamm entweder ein omp**(-) oder ein lpp**(-)-Stamm sein. Das in dieser Entgegenhaltung beschriebene "rich medium" sei beispielsweise ein LB Medium mit einer Ca**(2+)-Konzentration von 11 mg/l und einer Mg**(2+)-Ionen Konzentration von 5 mg/l. Aus den Entgegenhaltungen O3 oder O4 sei dem Fachmann die stabilisierende Wirkung erhöhter Mg**(2+)-Ionenkonzentrationen bekannt. Die Verwendung eines Mediums mit anspruchsgemäßen Mg**(2+)- und Ca**(2+)-Ionen Konzentrationen werde deshalb durch die Lehre der Entgegenhaltung O2 in Verbindung mit den Lehren der Entgegenhaltungen O3 oder O4 nahegelegt. Da dem Fachmann außerdem die Vorteile großtechnischer Fermentationsverfahren bekannt seien, gelange er auch unter Verwendung der in den Entgegenhaltungen O15 oder O17 beschriebenen Kulturmedien in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung.

IX. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, soweit sie für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung sind, lauten wie folgt:

Zulassung der Entgegenhaltungen O18 bis O21

Entgegenhaltung O18 enthalte nur Informationen, die auch den bereits im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen entnommen werden könnten. Werde Entgegenhaltung O18 im Verfahren zugelassen, so müssten auch die als Erwiderung auf deren Vorbringen eingereichten Entgegenhaltungen O19 bis O21 zugelassen werden.

Berücksichtigung eines neuen Einwands (Artikel 114(2) EPÜ i.V.m. Artikel 13 VOBK)

Der auf Entgegenhaltung O20 gestützte Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit sei erstmalig am Tag der mündlichen Verhandlung erhoben worden, obwohl diese Entgegenhaltung bereits im Juli 2013 eingereicht worden sei. Der Einwand hätte wesentlich früher erhoben werden müssen, um der Beschwerdegegnerin ausreichend Zeit zur Erwiderung zu geben. Der Einwand solle deshalb als verspätetes Vorbringen nicht zugelassen werden. Werde er dennoch zugelassen, so müsse das Beschwerdeverfahren schriftlich fortgesetzt werden.

Erfinderische Tätigkeit

Entgegenhaltung O4 beschäftige sich überhaupt nicht mit der sekretorischen Herstellung heterologer Proteine. Weder schlugen die Entgegenhaltungen O3 und O8 vor noch legten sie es sonstwie nahe, in einem Verfahren zur sekretorischen Herstellung heterologer Proteine gleichzeitig die Mg**(2+)- und die Ca**(2+)-Ionenkonzentrationen auf die im Anspruch angegebenen Werte zu erhöhen. Der von Entgegenhaltung O1 ausgehende Fachmann gelange daher durch Heranziehen der Lehren einer der Entgegenhaltungen O3 oder O8 nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Erfindung. Der Fachmann strebe auch gar kein Fermentationsverfahren mit einer hohen Zelldichte an. Bei Hochzelldichteverfahren sei die Vitalität der Zellen wichtig, um überhaupt eine hohe Zelldichte zu erreichen. Bei der sekretorischen Fermentation sei die Vitalität der Zellen hingegen weniger wichtig, solange die Zellen das Produkt in das Kulturmedium ausscheiden. Abgesehen davon, dass der Fachmann deshalb keine Veranlassung gehabt habe, die Entgegenhaltungen O15 oder O17 heranzuziehen, lasse sich diesen auch nicht entnehmen, welche Ca**(2+)- und Mg**(2+)-Ionenkonzentrationen die darin beschriebenen Fermentationsmedien enthielten.

Der Figur 3 von Entgegenhaltung O20 ließe sich nicht entnehmen, welche Mengen an heterologem Protein in das Kulturmedium ausgeschieden werden. Das auf Entgegenhaltung O20 gestützte Argument des Beschwerdeführers sei deshalb spekulativ. Der Fachmann habe keine Veranlassung, Entgegenhaltung O20 heranzuziehen.

Entgegenhaltung O2 beschreibe die Verwendung eines "leaky" Stammes von E. coli in einem hocheffizienten Fermentationsverfahren. Dem Fachmann seien aber, wie in Entgegenhaltung O21 beschrieben, etliche Gene bekannt, die nach Mutation einen "leaky" Phänotyp hervorrufen können. Er könne deshalb nicht davon ausgehen, dass der in Entgegenhaltung O2 beschriebene Stamm ein lpp**(-)-Stamm sei. Ausgehend von Entgegenhaltung O2 habe der Fachmann deshalb keine Veranlassung, gleichzeitig einen lpp**(-)-Stamm von E. coli und ein gegenüber Entgegenhaltung O2 verändertes, wie in Anspruch 1 definiertes Kulturmedium zu benützen. Zudem legten die Entgegenhaltungen O3 und O4 aus den bereits genannten Gründen die Verwendung eines solchen Mediums auch nicht nahe. Ebenso ziehe der Fachmann die Lehren der Entgegenhaltungen O15 und O17 nicht heran, da hohe Zelldichten für ein sekretorisches Fermentationsverfahren gar nicht nötig seien. Hätte der Fachmann dennoch ein solches Verfahren in Betracht gezogen, so hätte er nicht notwendigerweise eines der in diesen Entgegenhaltungen beschriebenen Kulturmedien verwendet.

X. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

XI. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Artikel 100 b) und c) EPÜ

1. Zu den Einspruchsgründen nach Artikel 100 b) und c) EPÜ führte die Beschwerdeführerin in ihrer schriftlichen Beschwerdebegründung aus, dass sie die im Einspruchsschriftsatz erhobenen Einwände aufrecht halte (siehe Punkte III. und IV. der Beschwerdebegründung). Sie begründete jedoch nicht, weshalb sie die Feststellungen der Einspruchsabteilung bezüglich dieser Einspruchsgründe (siehe Punkte I und II der angefochtenen Entscheidung) für falsch hielt.

2. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie diese Einspruchsgründe nicht weiterverfolge.

3. Die vorliegende Entscheidung ist daher auf die Überprüfung der Feststellungen der Einspruchsabteilung zum Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ beschränkt.

Zulassung der Entgegenhaltungen O18 bis O21

4. Entgegenhaltung O18 wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht, um darzulegen, weshalb die Feststellungen der Einspruchsabteilung in Punkt 29 der angefochtenen Entscheidung fehlerhaft seien. Da diese Entgegenhaltung so früh wie möglich eingereicht wurde, entscheidet die Kammer, sie ebenso wie die zur Erwiderung von der Beschwerdegegnerin eingereichten Entgegenhaltungen O20 und 021 zuzulassen. Die Entgegenhaltung O19 befand sich bereits als O14 im Verfahren.

Berücksichtigung eines neuen Einwands (Artikel 114(2) EPÜ i.V.m. Artikel 13 VOBK)

5. Im mündlichen Verfahren vor der Beschwerdekammer argumentierte die Beschwerdeführerin erstmalig, dass die beanspruchte Erfindung im Lichte der Entgegenhaltung O20 als nächstliegender Stand der Technik nicht erfinderisch sei.

6. Die Beschwerdeführerin stützte ihr Vorbringen nicht nur auf die der Entgegenhaltung O20 direkt zu entnehmenden Daten und Aussagen, sondern auch auf eine von ihr selbst erstellte Tabelle mit Berechnungen, welche auf den Daten dieser Entgegenhaltung beruhen. Auf Grund dieser Daten kam sie zum Schluss, dass das in Entgegenhaltung O20 beschriebene Verfahren, abgesehen vom Volumen des Fermenters, alle Merkmale des Verfahrens gemäß Anspruch 1 aufweise.

7. Gemäß Artikel 13(1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung dieses Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt. Gemäß Artikel 13(3) VOBK werden Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder dem anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist.

8. Da sich die Entgegenhaltung O20 seit Juli 2013 bei den Akten befand, hätte ein darauf gestützter Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit vor der mündlichen Verhandlung erhoben werden müssen. Die Prüfung dieses Einwands erfordert nicht nur die numerische Überprüfung der vorgelegten Berechnungen, sondern auch die Überprüfung der diesen Berechnungen zu Grunde gelegten Annahmen und der Schlussfolgerungen. In der mündlichen Verhandlung ist die Beschwerdegegnerin in ihren Möglichkeiten, auf diesen Einwand angemessen zu antworten, eingeschränkt, da sie, jedenfalls in der zur Verfügung stehenden Zeit, nicht auf die ihr üblicherweise zur Verfügung stehenden Hilfsmittel zugreifen kann. Die Behandlung dieses Einwands ist der Beschwerdegegnerin deshalb ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten.

9. Die Kammer entscheidet daher, in Ausübung des ihr nach Artikel 114(2) EPÜ in Verbindung mit Artikel 13 VOBK zustehenden Ermessens, den auf Entgegenhaltung O20 als nächstliegendem Stand der Technik gestützten Einwand nicht zuzulassen.

Erfinderische Tätigkeit

10. Die Beschwerdeführerin begründete ihren Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit einmal ausgehend von der Entgegenhaltung O1 und, unabhängig davon, ausgehend von der Entgegenhaltung O2 als nächstliegendem Stand der Technik.

Entgegenhaltung O1 als nächstliegender Stand der Technik

11. Die Entgegenhaltung O1 beschreibt die Produktion eines heterologen, 56 Aminosäuren langen Peptids (PSTI) in einer E. coli-Mutante mit der Bezeichnung JE5505. Diese Mutante enthält eine Deletion im lpp-Gen (siehe Absatz [0019] der Patentschrift) und scheidet beträchtliche Mengen ihrer periplasmatischen Enzyme in das Kulturmedium aus (siehe Entgegenhaltung O1, Seite 298, linke Spalte, welche die Mutante als lpo**(-) bezeichnet). Als Kulturmedium wurde M9CA verwendet. Die Parteien und die Einspruchsabteilung waren sich einig, dass dieses Medium ca. 49 mg/l Mg**(2+)- und 4 mg/l Ca**(2+)-Ionen enthält (siehe Punkt 7.1 der Einspruchsbegründung vom 21. Januar 2011 und Punkt 22 der angefochtenen Entscheidung). Die Konzentration des korrekt prozessierten Peptids im Kulturüberstand wird mit 50 mg/ l angegeben (siehe Zusammenfassung der Entgegenhaltung O1). Entgegenhaltung O1 beschreibt den Stamm JE5505 unter Verweis auf Entgegenhaltung O4, die sich ebenfalls in diesem Verfahren befindet.

12. Ausgehend von Entgegenhaltung O1 bestand die zu lösende technische Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens zur Produktion eines sekretierten heterologen Proteins in einem lpp**(-)-Stamm von E. coli.

13. Als Lösung dieser Aufgabe schlägt das Patent das Verfahren gemäß Anspruch 1 vor.

14. Die Beispiele 4, 5 und 6 des Patents zeigen, dass mit dem Verfahren gemäß Anspruch 1 verbesserte Ausbeuten von 3 g/l (Beispiele 4 und 5) bzw. 500 mg/l (Beispiel 6) erzielt werden. Die während des Prüfungsverfahrens mit Schreiben vom 26. Juni 2009 eingereichten Versuchsergebnisse (siehe Beispiele 14 und 15) zeigen ebenfalls, dass durch die Verwendung anspruchsgemäßer Medien anstelle des in Entgegenhaltung O1 verwendeten Mediums - bei ansonsten identischer Versuchsanordnung - höhere Ausbeuten erzielt werden.

15. Die zu Grunde liegende technische Aufgabe wird daher durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 gelöst.

16. Es bleibt zu prüfen, ob die beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

17. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die beanspruchte Lösung ausgehend von Entgegenhaltung O1, unter Berücksichtigung der Offenbarung von Entgegenhaltung O4, in Verbindung mit den Entgegenhaltungen O3, O8, O15, O17 oder O20 naheliegend sei.

18. In Entgegenhaltung O3 wurden die physiologischen Auswirkungen einer Mutation im lpp-Gen eines E. coli Stammes untersucht. Dabei wurden i) eine erhöhte Sensitivität gegenüber EDTA und EGTA, ii) ein Ausscheiden von periplasmatischer Ribonuklease in das Kulturmedium, iii) eine geschwächte Verbindung zwischen äußerer Zellmembran und der festen Membranhülle und iv) ein verringertes Zellwachstum in Medien mit verringerter Ionenstärke festgestellt (vgl. Zusammenfassung). In Bezug auf die erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Chelatbildnern stellten die Autoren fest, dass EDTA effektiver als EGTA war, was für konsistent mit der Hypothese gehalten wurde, dass Mg**(2+) für die strukturelle Unversehrtheit der Zellhülle von Bedeutung war. Die destabilisierende Wirkung von EDTA konnte durch Zugabe von MgSO4 (8 mM), CaCl2 (7 mM), Putrescin (10 mM), Spermidin (10 mM), Saccharose (5% gew./gew.) oder erhöhte Konzentrationen von TRIS Puffer (200 mM, pH 8) verhindert werden (vgl. Seite 1422, linke Spalte, 1. Absatz). Die Autoren schlugen vor, weitere Versuche mit anderen Chelatbildnern mit größeren Unterschieden in der Affinität zu Mg**(2+)- und Ca**(2+)-Ionen durchzuführen, um die an der Stabilisierung beteiligten Kationen zu identifizieren (vgl. Seite 1425, rechte Spalte, 2. Absatz).

19. Entgegenhaltung O3 enthält jedoch keine Aussage und schlägt auch nicht auf andere Weise vor, zur Membranstabilisierung gleichzeitig Mg**(2+)- und Ca**(2+)-Ionen in den in Anspruch 1 genannten Konzentrationen zu verwenden. Außerdem enthält Entgegenhaltung O3 keinerlei Angaben in Bezug auf mögliche Effekte der Zugabe dieser Ionen auf die Sekretion heterologer Proteine. Der von Entgegenhaltung O1 ausgehende Fachmann konnte daher auch nicht erwarten, dass lpp**(-)-Mutanten durch Kultivierung in einem Fermentationsmedium wie in Anspruch 1 definiert so stabilisiert werden, dass eine erhöhte Ausbeute gegenüber dem Verfahren aus Entgegenhaltung O1 erzielt wird. Die Kombination der Lehren aus den Entgegenhaltungen O1 und O3 legt die beanspruchte Lösung deshalb nicht nahe.

20. Entgegenhaltung O8 beschreibt ebenfalls einen stabilisierenden und damit wachstumsfördernden Effekt von entweder Mg**(2+)- oder Ca**(2+)-Ionen auf lpp**(-)ompA**(-)-Doppelmutanten von E. coli (vgl. Seite 282, linke Spalte). Wie Entgegenhaltung O3 schlägt aber auch Entgegenhaltung O8 keine gleichzeitige Erhöhung der Konzentrationen der Mg**(2+)- und Ca**(2+)-Ionen vor und enthält in Bezug auf mögliche Effekte der Zugabe dieser Ionen auf die Sekretion heterologer Proteine keine Angaben. Daher wäre der von Entgegenhaltung O1 ausgehende Fachmann auch durch Einbeziehen der Lehre der Entgegenhaltung O8 nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung gelangt.

2. Entgegenhaltung O20 beschreibt Methoden zur Steuerung der spezifischen Wachstumsrate des auch in Entgegenhaltung O1 benützten E. coli Stammes JE5505. Um die bei zunehmender Zelldichte während der Fermentation von Glukose erfolgende Anhäufung des Stoffwechselprodukts Acetat und die damit einhergehende Verringerung der Wachstumsrate zu verhindern, wurden Casaminosäuren als wachstumslimitierender Nährstoff verwendet und die Zufuhr von Glukose limitiert. Aus Figur 2 geht hervor, dass die Zuflussrate der "feeding solution" während der ersten 40 Stunden des Fermentationsverfahrens stufenweise erhöht wird. Zusätzlich zur "feeding solution" werden intermittierend Phosphat- und Magnesiumsalze zugegeben (siehe Seite 696, zweiter Absatz). Nach Ansicht der Beschwerdeführerin liegt die Konzentration der Mg**(2+)-Ionen im Startmedium zwar unterhalb der in Anspruch 1 als Untergrenze genannten 48 mg/l, durch die nachfolgende, intermittierende Zugabe von Magnesiumsalzen sei sie aber nach 40 Stunden Kultivierung höher als die genannte Untergrenze. Aus Figur 3 ist ersichtlich, dass die Interferonbiosynthese nach 40 Stunden eingeleitet und Interferon in signifikanten Mengen produziert wird. Weiter wurde anhand der spezifischen Aktivitäten der einzelnen Fraktionen bestimmt, dass nur ein geringer Prozentsatz des gebildeten Interferons extrazellulär, d.h. im Fermentationsmedium, gefunden wird, das meiste jedoch im periplasmatischen Raum verbleibt.

22. Unabhängig davon, ob die Mg**(2+)-Ionenkonzentration zum Zeitpunkt der Induktion der Interferonbiosynthese tatsächlich höher als 48 mg/l ist, kommt die Kammer zum Schluss, dass der Fachmann, ausgehend von Entgegenhaltung O1, nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Erfindung gekommen wäre. Entgegenhaltung O20 gibt dem Fachmann keinen Anlass zur Vermutung, dass durch das darin beschriebene Fermentationsverfahren eine verbesserte Ausbeute an sekretiertem Protein erzielt werden könnte. Auch wenn Figur 3 keinen Schluss über die tatsächliche Ausbeute zulässt, ist der Figur doch eindeutig zu entnehmen, dass nur eine geringe Menge Interferon in das Kulturmedium ausgeschieden wird.

23. Der Fachmann hatte deshalb keine Veranlassung, zur Verbesserung des in Entgegenhaltung O1 beschriebenen Verfahrens die Entgegenhaltung O20 heranzuziehen. Und selbst wenn er es aus irgendeinem Grund doch getan hätte, hätte er keine ausreichende Erfolgserwartung gehabt, da das Dokument in Bezug auf die Ausbeute im Fermentationsmedium nicht genügend Information enthält.

24. Die Beschwerdeführerin argumentierte außerdem, dass die beanspruchte Lösung von der Entgegenhaltung O1 in Verbindung mit der Lehre einer der Entgegenhaltungen O15 oder O17, welche Verfahren mit hoher Zelldichte beschrieben, nahegelegt werde. Diese Kombination habe für den Fachmann nahegelegen, da ihm zum Beispiel aus Entgegenhaltung O6 bekannt war, dass auch mit dem in Entgegenhaltung O1 verwendeten Stamm JE5505 hohe Zelldichten erreicht werden können.

25. Entgegenhaltung O15 beschreibt ein Fermentationsverfahren, das auf die Erzeugung hoher Zelldichten abzielt. Dies wurde durch die limitierte Zugabe von Glukose erreicht, so dass die Akkumulation von wachstumshemmenden Stoffwechselprodukten wie Acetat im Kulturmedium verhindert wurde. Tabelle 1 beschreibt ein zu Beginn des Fermentationsverfahrens eingesetztes Startmedium A welches 4 g/l MgSO4**(.)7H2O aber kein CaCl2 enthielt. Das zur Steuerung der Glukosezufuhr limitierend zugeführte Nährmedium A enthielt kein MgSO4, jedoch 2 g/l CaCl2**(.)2H2O. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die Konzentrationen der Mg**(2+)- und Ca**(2+)-Ionen im anspruchsgemäßen Bereich lägen. Die Beschwerdegegnerin bestritt dies. Ihrer Meinung nach enthält die Entgegenhaltung keine Angaben zum Startvolumen der Kultur. Daher sei es unmöglich, diese Konzentrationen zu berechnen.

26. Entgegenhaltung O17 beschreibt ebenfalls ein Kulturverfahren zur Erzielung hoher Zelldichten von E. coli. Die Akkumulation inhibierender Stoffwechselprodukte wurde ebenfalls durch die kontrollierte Zufuhr glukosehaltiger Nährstofflösung verhindert. Gemäß Tabelle 1 enthielten das Startmedium und das zur Nährstoffzufuhr benützte Produktionsmedium 15.4 mg/l MgSO4**(.)7H2O und 120 mg/l CaCl2**(.)2H2O. Auch in Bezug auf Entgegenhaltung O17 argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass ohne Angabe eines Startvolumens keine Berechnung der Ionen-Konzentrationen im verwendeten Kulturmedium möglich sei.

27. Die Kammer kann dem Argument der Beschwerdeführerin nicht folgen. Weder Entgegenhaltung O15 noch Entgegenhaltung O17 enthalten Informationen in Bezug auf die Sekretion heterologer Proteine. Der Fachmann hatte deshalb keinen Grund, anzunehmen, dass er durch Heranziehen der Lehre eines dieser Dokumente das in der Entgegenhaltung O1 beschriebene Verfahren in Bezug auf die Ausbeute des in das Fermentationsmedium sekretierten Proteins verbessern könnte. Das Argument, dass er dies getan hätte, weil mit dem beanspruchten Verfahren hohe Zelldichten erzielt werden, beruht auf einer rückschauenden Betrachtungsweise, die Kenntnis des beanspruchten Verfahrens voraussetzt. Zudem waren im Stand der Technik weitere Medien zur Kultivierung von E. coli mit hoher Zelldichte bekannt, welche Ca**(2+)- und Mg**(2+)-Ionen Konzentrationen außerhalb der in Anspruch 1 genannten Bereiche enthalten (vgl. dazu Entgegenhaltung O14, Tabelle 1). Weil die Verwendung von "leaky"-Stämmen von E. coli zur großtechnischen Produktion von Proteinen als schwierig galt, wäre zudem ein gezielter Hinweis oder eine andere Form der Motivation in einer der Entgegenhaltungen O1, O15 oder O17 nötig gewesen, der die Anwendung eines Verfahrens mit hoher Zelldichte für die Produktion eines heterologen Proteins mit einem lpp**(-)-Stamm von E. coli nahelegt. Einen solchen Hinweis gab es jedoch nicht.

28. Das beanspruchte Verfahren wird deshalb, ausgehend von der Lehre der Entgegenhaltung O1, durch keine der Entgegenhaltungen O3, O8, O15, O17 oder O20 nahegelegt.

Entgegenhaltung O2 als nächstliegender Stand der Technik

29. Die Entgegenhaltung O2 beschreibt einen E. coli-Stamm, WCM105, dessen äußere Membran modifiziert ist. Auch wenn die Art der Modifikation nicht beschrieben wird, handelt es sich doch um einen "leaky" Stamm, der im Gegensatz zu anderen bekannten "leaky"-Stämmen für die Fermentation im großen Maßstab geeignet sein soll. Abkömmlinge von WCM105 enthalten zusätzliche Deletionen in Protease-Genen (siehe Seite 3, mittlere Spalte, unten). Um die Proteinexpression und -sekretion weiter zu verbessern, wurden Vektoren mit speziellen Signalpeptiden entwickelt, deren Struktur ebenfalls nicht beschrieben ist. Die Kombination des Stamms WCM105 mit einem optimierten Expressionsplasmid ergab Ausbeuten von bis zu 7 g Protein pro Liter "rich medium" (Seite 4, mittlere Spalte, oben).

30. In Bezug auf Entgegenhaltung O2 als nächstliegendem Stand der Technik argumentierte die Beschwerdeführerin, dass sich das beanspruchte Verfahren von dem darin beschriebenen Verfahren lediglich durch die Verwendung eines Kulturmediums mit einer erhöhten Mg**(2+)-Konzentration unterscheide. Gegenüber den in Entgegenhaltung O2 offenbarten Ausbeuten von 7 g/l bedeuteten die in den Beispielen des angefochtenen Patents offenbarten Ausbeuten von 3 g/l, bzw. 500 mg/l (siehe Punkt 14, oben) keine Verbesserung.

31. Ausgehend von der Lehre der Entgegenhaltung O2, bestand die zu lösende technische Aufgabe in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zur Produktion eines sekretierten heterologen Proteins in einem "leaky" Stamm von E. coli.

32. Es ist unstrittig, dass dieses Problem durch das beanspruchte Verfahren gelöst wird.

33. Es bleibt zu prüfen, ob das beanspruchte Verfahren, ausgehend von der Lehre der Entgegenhaltung O2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

34. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass das beanspruchte Verfahren dem von Entgegenhaltung O2 ausgehenden Fachmann zum einen durch die Offenbarung der Entgegenhaltungen O3 oder O4, zum andern durch die Offenbarung der Entgegenhaltungen O15 oder O17 nahegelegt worden sei.

35. Wie in Punkt 29 (supra) ausgeführt, beschreibt Entgegenhaltung O2 die großtechnische Herstellung heterologer Proteine in einer "leaky" Mutante von E. coli. Dem Fachmann sind jedoch Mutationen in mehreren Genen des Genoms von E. coli bekannt, die einen "leaky" Phänotyp hervorrufen können (vgl. Entgegenhaltung O21, Seite 657, rechte Spalte). Der Entgegenhaltung O2 kann der Fachmann nicht entnehmen, ob der Stamm WCM105 ein modifiziertes lpp-Gen enthält. Der Stamm könnte auch anderweitig modifiziert sein. Ebenso wenig lässt sich der Entgegenhaltung O2 entnehmen in welchem Medium die Zellen kultiviert wurden, um eine Ausbeute von 7 g/l zu erzielen. Als Kulturmedium wird lediglich "rich medium" angegeben.

36. Um zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu kommen, hätte der von Entgegenhaltung O2 ausgehende Fachmann deshalb zunächst die Entscheidung treffen müssen, den in dieser Entgegenhaltung beschriebenen Stamm WCM105 durch den in den Entgegenhaltungen O3 und O4 beschriebenen lpp**(-)-Stamm von E. coli (siehe Punkte 18 und 19, supra) zu ersetzen. Angesichts der Tatsache, dass der Stamm WCM105 bereits für die Herstellung heterologer Proteine optimiert war und solche Proteine mit Ausbeuten von 7 g/l herstellen konnte, hätte der Fachmann dazu jedoch keine Veranlassung gehabt. Außerdem schlagen weder die Entgegenhaltung O3 noch die Entgegenhaltung O4 ein Zellkulturmedium mit Ionenkonzentrationen in den in Anspruch 1 definierten Bereichen vor (siehe Punkt 19, supra). Selbst wenn er diese Entgegenhaltungen zu Rate gezogen hätte, wäre der Fachmann deshalb nicht in naheliegender Weise zur in Anspruch 1 beanspruchten Lösung gelangt.

37. Die Entgegenhaltungen O15 und O17 beschreiben Fermentationssysteme zur Kultivierung von E. coli mit hoher Zelldichte. Die beschriebenen Kulturmedien enthalten Mg**(2+)- und Ca**(2+)-Ionenkonzentrationen, die nach Ansicht der Beschwerdeführerin in die in Anspruch 1 genannten Bereiche fallen. In den Entgegenhaltungen O15 und O17 werden lpp**(-)-Stämme von E. coli nicht erwähnt.

38. Um unter Einbeziehung der Lehre der Entgegenhaltungen O15 oder O17 zum beanspruchten Erfindungsgegenstand zu kommen, hätte der von Entgegenhaltung O2 ausgehende Fachmann neben der gezielten Auswahl eines lpp**(-)-Stammes zusätzlich die Entscheidung treffen müssen, zur Herstellung eines heterologen Proteins ein Verfahren mit hoher Zelldichte durchzuführen. Da mit dem in Entgegenhaltung O2 beschriebenen Stamm bereits hohe Ausbeuten erzielt wurden, hatte er dafür wiederum keine Veranlassung. Außerdem waren dem Fachmann, wie in Punkt 27 (supra) erläutert, weitere Verfahren zur Erzielung hoher Zelldichten bekannt, die ohne die Verwendung von Kulturmedien mit den im Anspruch 1 definierten Ionenkonzentrationen durchgeführt werden. Mangels eines expliziten Hinweises in den Entgegenhaltungen O2, O3 oder O4, hatte der Fachmann keine Veranlassung, ausgerechnet die Entgegenhaltungen O15 und O17 zur Lösung des technischen Problems heranzuziehen.

39. Nach Auffassung der Kammer beruht die Argumentation der Beschwerdeführerin auf einer rückschauenden Betrachtungsweise in Kenntnis der Erfindung.

40. Die beanspruchte Lösung des technischen Problems wird deshalb, ausgehend von der Lehre der Entgegenhaltung O2, durch keine der Entgegenhaltungen O3, O4, O15 oder O17 nahegelegt.

41. Der vorliegende Anspruchssatz erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

42.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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