T 0063/13 () of 3.5.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T006313.20170503
Datum der Entscheidung: 03 Mai 2017
Aktenzeichen: T 0063/13
Anmeldenummer: 06011824.7
IPC-Klasse: A01B 45/02
A01D 34/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fahrzeug
Name des Anmelders: Brielmaier, Martin
Name des Einsprechenden: Stöckl GmbH
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - Änderungen nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0691/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die am 16. November 2012 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das Patent Nr. 1 731 010 in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann, am 8. Januar 2013 Beschwerde eingelegt, am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet und am 22. März 2013 die Beschwerdebegründung eingereicht.

II. Mit ihrem Einspruch hatte die Einsprechende das gesamte Patent unter anderem im Hinblick auf Artikel 100(a) i.V.m. 52(1), 54(1) und 56 EPÜ angegriffen.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Unfang gemäß dem Hauptantrag nicht entgegenstünden.

Sie hat insbesondere die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:

A2: US 6 652 186 B2

A6: AT 42352

A7: US 1 538 148

A8: US 3 934 390

A9: DE 37 44 046 A1

A11: DE 38 43 890 C1

III. Im Beschwerdeverfahren wurde mit der Beschwerdebegründung zusätzlich folgendes Dokument genannt:

A12: Dissertation "Untersuchung zum Aushalsen von Rohren mit starrem Werkzeug unter besonderer Berücksichtigung der Vorlochgeometrie", C. Hentrich, 21. Juni 2002.

IV. Eine Ladung zur mündlichen Verhandlung erging am 15. September 2016. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 21. Februar 2017 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des Sachverhalts mit.

V. Mit Schreiben vom 11. April 2017 wurden weitere Unterlagen zum Nachweis einer erstmals mit diesem Schreiben geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung von "Motormäher Rapid" vorgelegt:

- Fotos eines Bezeichnungsschilds "Rapid Typ E";

- Fotos eines Motormähers;

- Zwei Fotos eines Rads;

- Eidesstattliche Erklärung des Herrn Stöckl, 4. April 2017.

Das EPA übermittelte am 13. April 2017 eine Kopie dieser Eingabe an die Beschwerdegegnerin, die am 26 April 2017 die Zurückweisung des Vorbringens beantragte.

VI. Am 3. Mai 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Europäischen Patents in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

VIII. Die zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung maßgebende Fassung des Anspruchs 1 hat den folgenden Wortlaut:

"Fahrzeug mit zumindest einer Fahrwalze (P1, P2) mit einem Walzenmantel (1), auf dessen Oberfläche sich Vorsprünge (2, 6) mit einer Spitze (4, 7) befinden, wobei die Vorsprünge {2, 6) pyramiden- oder kegelförmig als Stacheln ausgebildet sind,

dadurch gekennzeichnet,

dass die Spitze (7) auf eine Basis (8) des Vorsprungs (6) aufgesetzt und lösbar mit der Basis (8) verbunden ist, wobei die Vorsprünge (6) zumindest einstückig aus dem Walzenmantel ausgezogen sind."

IX. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin hat folgendes vorgetragen:

- Zur Neuheit:

Im weiteren Sinne bedeute "ausgezogen" nicht nur durch eine Materialverformung hergestellt, sondern lediglich aus der Walzenoberfläche ausragend. Mit dieser Auslegung sei das Teil "W" in A2 aus dem Walzenmantel auch ausgezogen, und der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu.

Anspruch 1 weise auch keine Einschränkung auf der Seite des Vorsprungs gegenüber der Manteloberfläche auf, somit sei in A6 der Stachel "e" auf einem Vorsprung des Walzenmantels "d" aufgesetzt, in Sinne von "von innen abgestützt". In A7 befinde sich die Nadel 25 auch auf der inneren Seite eines Walzenmantels 17, somit auch auf einem in der Figur 4 ersichtlichen Vorsprung des Walzenmantels 17 im Sinne von Anspruch 1 aufgesetzt.

Keine unmittelbare Verbindung zwischen dem Vorsprung und der Basis gehe aus dem Anspruchswortlaut hervor, deshalb fielen die in A8 dargestellten Spitzen "S" auch unter den Anspruchswortlaut, weil sie auf den Stangen 20 lösbar und mittelbar mit der Walze aufgesetzt seien.

- Zur erfinderischen Tätigkeit

Ausgehend von A2 unterscheide sich das Fahrzeug nach Anspruch 1 dadurch, dass die Vorsprünge zumindest einstückig aus dem Walzenmantel ausgezogen seien. Die technische Aufgabe liege darin, einen verbesserten Vorsprung im Hinblick auf sein Herstellungsverfahren vorzuschlagen. Eine einfache Auswahl aus mehreren möglichen, aber an sich sehr bekannten Herstellungsverfahren wie das Aushalsen von Blechen oder Röhren nach A11 oder A12 sei für den Fachmann für die Herstellung von Vorsprüngen naheliegend. Dies gelte auch, wenn ein zusätzliches Bohren eines Sacklochs notwendig sei, um die genaue Form des Vorsprungs "W" zu erzeugen.

Ausgehend von A8 mit einem Ringspalt zwischen Spitze und Vorsprung sei der Fachmann vor die Aufgabe gestellt, zu verhindern, dass Schmutz in den Spaltring eindringen könne. Er würde in naheliegender Weise diesen Ringspalt abdecken, indem er eine Konfiguration wie zum Beispiel in A6 gezeigt wähle.

Ausgehend von A7 sei der Fachmann vor der Aufgabe gestellt, die Nadel 25 austauschbar zu gestalten. Er würde ohne weiteres eine lösbare Decke auf der Spitze wie zum Beispiel in A3 gezeigt vorschlagen, und somit zu einer Spitze, die auf einer Basis des Vorsprungs aufgesetzt ist, wie von dem Anspruch 1 verlangt, gelangen.

- Zur verspätet vorgebrachten Vorbenutzung:

Die Beschwerdeführerin habe von der Vorbenutzung erst in November 2016 Kenntnis genommen, diese im Februar 2017 ausgewertet und schnellstmöglich im April 2017 eingereicht. Der Gegenstand sei aus technischer Hinsicht nicht komplex und gehe aus den Fotos eindeutig hervor. Somit wäre auch eine Behandlung in der mündlichen Verhandlung zumutbar. Die Umstände der Vorbenutzung, wie z. B. die Offenkundigkeit seien auch durch Ausstellung in einem Museum ohne weitere Nachforschung offenbar.

X. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin hat folgendes vorgetragen:

- Zur Neuheit:

Bei der Interpretation des Ausdrucks "einstückig aus dem Walzenmantel ausgezogen", greife der Fachmann insbesondere auf der Figur 3 des Patents zu, woraus explizit hervorgehe, dass der Vorsprung aus dem gleichen Material wie die Walze geformt sei. Das sei bei A2 eindeutig nicht der Fall, weil die Form des Vorsprungs "W" aus einem Verfahren durch Fräsen und Bohren hergestellt sei.

In der Figur 2 von A6 sei der Ansatz "i" in die innere Seite des Walzenmantels eingelassen, und weise deshalb keinen Vorsprung auf, der aus dem Walzenmantel ausgezogen sei. Die Nadel 25 in A7 weise keine Kegelform auf und liege auf der inneren Seite eines Metallbands 19 mit einer Auswölbung, aber sei nicht darauf aufgesetzt. In A8 Figur 3 seien die Spitzen "S" nicht auf den Vorsprüngen 21 der Walze aufgesetzt, sondern auf einer beweglichen Stange 20.

- Zur erfinderischen Tätigkeit

Die Vorsprünge "W" in A2 weisen eine komplexe Form auf, und können somit nicht durch Ausziehen herstellt worden sein. Insbesondere sei es dort nicht möglich, das Sackloch einfach durch Ausziehen herzustellen. Die Dokumente A11 und A12 betreffen das Aushalsen von Blechen und Röhren, das zum Verformen einer gebogenen Form wie einer Walze nicht verwendbar sei.

Ausgehend aus A7 erhalte der Fachmann keine Anregung, eine Walze zu modifizieren, weil dort die Walze vielmehr als das Rad 15 anzusehen sei. Das Metallband sei auch schon lösbar mit diesem Rad verbunden, somit sei es kein Problem, dieses zu ersetzen.

- Zur verspätet vorgebrachten Vorbenutzung:

Die Beschwerdegegnerin sei durch das späte Vorbringen in Bezug auf der Vorbenutzung überrascht. Die Beschwerdeführerin habe fast fünf Monate gewartet, bis sie in letzter Minute die Vorbenutzung geltend gemacht habe. Die Behandlung dieses späten Vorbringens sei für sie im Rahmen der gesetzten mündlichen Verhandlung nicht zumutbar, und somit der Antrag, die Vorbenutzung nicht zuzulassen, gerechtfertigt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Auslegung des Anspruchs 1

2.1 Das Patent betrifft ein Fahrzeug mit einer Fahrwalze mit einem Walzenmantel, auf dessen Oberfläche sich Vorsprünge mit einer Spitze befinden (vgl. Absatz 0001). Mit dem Ziel, eine verbesserte Fahrwalze im Hinblick auf ihre Herstellung zu schaffen, wird im Anspruch 1 vorgeschlagen, dass die Spitze auf eine Basis des Vorsprungs aufgesetzt und lösbar mit der Basis verbunden ist, wobei die Vorsprünge zumindest einstückig aus dem Walzenmantel ausgezogen sind.

2.2 Wenn der Fachmann das letzte Merkmal mit der Bestimmung "einstückig aus dem Walzenmantel ausgezogen" liest, versteht er, dass die Vorsprünge das Ergebnis eines bestimmten Vorgangs sind, nämlich durch einstückiges Ausziehen aus dem Material des Walzenmantels hergestellt werden. Eine normale Definition des Begriffs "ausziehen" bzw. "ziehen" ist "aus etwas herausziehen" bzw. "durch entsprechende Behandlung, Bearbeitung in eine längliche Form bringen; [durch Dehnen, Strecken] herstellen" (siehe Duden Lexikon). In diesem Zusammenhang, bezogen auf das Gebiet der Herstellungstechnik versteht der Fachmann diese Bestimmung so, dass der Walzenmantel durch irgendwelche Verformungsmaßnahmen so verarbeitet worden ist, dass einen Vorsprung einstückig aus dem Material des Walzenmantels als ausgedehntes Teil herausgezogen worden ist.

2.3 Diese sonst schon aus dem Wortlaut des Anspruchs selbst ableitbare Auslegung wird auch durch den Inhalt des Patents bestätigt. In der Beschreibung, siehe Absatz [0020], werden die Vorsprünge durch sg. Aushalsen gebildet, wie in dem darauffolgenden Absatz [0021] näher erläutert. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, ist auch anhand der Figur 3 die Ausgestaltung der Vorsprünge als Ergebnis eines Ausziehverfahrens für den Fachmann eindeutig erkennbar. Die dort dargestellte Basis 8 hat die gleiche Schraffur und besteht somit aus demselben Material wie der Walzenmantel und ragt mit abgerundeten Übergangsflächen länglich aus der Walzenmantelfläche heraus.

2.4 Die Beschwerdeführerin legt den Begriff "ausgezogen" im weiten Sinne so aus, dass der Vorsprung gegenüber dem Walzenmantel lediglich ausragen muss, d.h. dass er aus dem Mantel länglich hervorragt, ähnlich wie eine Schublade, die aus einem Möbelstück ausgezogen ist. Im Rahmen eines Vorrichtungsanspruchs sei nur der körperlich räumliche Abstand des Vorsprungs wichtig und sichtbar, nicht aber, wie dieser Vorsprung hergestellt wurde.

2.5 Für die Kammer passt eine solche Auslegung nicht für den Gesamtkontext des Anspruchs 1. Nach dem Wortlaut dieses Merkmals ist der Vorsprung nicht lediglich aus der Walzenoberfläche ausgezogen und ragt daraus hervor, sondern er ist insbesondere "zumindest einstückig aus dem Walzenmantel ausgezogen" (Hervorhebung durch die Kammer). Diese Angabe versteht der Fachmann eindeutig so, dass der Vorsprung aus dem gleichen Material wie der Walzenmantel und integral mit diesem geformt ist. Wenn Zweifel über die genaue Auslegung von "ausgezogen" bestehen, so ergibt sich ihre genaue Bedeutung spätestens aus dem Zusammenhang des Anspruchswortlauts.

Ein aus dem Walzenmantel ausgezogener Vorsprung ist für den Fachmann ohne weiteres erkennbar und feststellbar. Dieses baulich bedingte Merkmal lässt sich in einem kontinuierlichen, nahtlosen Übergang zwischen Mantel und Vorsprung erkennen, die aus dem gleichen Material bestehen.

3. Neuheit

3.1 Mit ihrer Auslegung des Begriffs "ausgezogen" trägt die Beschwerdeführerin vor, dass in den Figuren 1 und 2 von A2 der Teil "W" aus einem nicht dargestellten Walzenmantel herausrage, und somit als ausgezogen anzusehen sei. Dabei könne auch die schraffierte Darstellung des Teils "W" in der Figur 1 als Ausriss aus dem Walzenmantel angesehen werden.

3.2 Dieses Argument auf der Grundlage obiger Auslegung ist aus den bereits ausführten Gründen nicht überzeugend. In der Figur 1 A2 ist ein mit "W" bezeichnetes Teil eines Müllverdichtungsfahrzeugrads dargestellt (Spalte 3, Zeilen 3-5). Die sonstigen Merkmale dieses Teils "W" sind lediglich aus den Figuren 1 und 2 ersichtlich. Diese Figuren zeigen keinen Walzenmantel, noch irgendwelche Übergangszone zwischen dem Teil "W" und dem Walzenmantel.

Eben so wenig erkennt der Fachmann in der Figur 1 einen Ausriss aus dem Walzenmantel. Ausrisse werden standardmäßig mit ungeraden, bogenförmigen Grenzlinien dargestellt. Dagegen ist hier der Teil "W" unten rechts und unten mit geradlinigen Grenzlinien gezeichnet, was darauf schließen lässt, dass der Teil dort Umfangsflächen aufweist und somit nicht einstückig mit dem Walzenmantel geformt ist.

Da A2 keinen Vorsprung, der einstückig aus einem Walzenmantel ausgezogen ist, im Sinne von Anspruch 1 offenbart, ist das Fahrzeug gemäß Anspruch 1 auch neu.

3.3 Die Figur 2 von A6 stellt einen Walzenmantel d dar, auf dem konische Stacheln e anhand von Schraubenbolzen in eine kegelförmige Bohrung des Ringmantels eingeführt und auf der inneren Seite des Mantels mittels einer Mutter f fest angezogen sind. Der mit dem Referenzzeichen "i" dargestellte Teil wird in der Beschreibung nicht erläutert; aus der Figur 2 geht aber hervor, dass es sich hier um einen nach innen gerichteten Ansatz des Walzenrings d (siehe Seite 1, Zeilen 19-20) handelt. Wie der Vorsprung "i" erzeugt wurde, ist nicht näher beschrieben, und es kann auch kein schlüssiger Hinweis auf seine Herstellung allein aus der Figur 2 abgeleitet werden. Zudem ist dieser nach innen gerichtete Ansatz kein "Vorsprung" im Sinne des Anspruchs, und auch der Stachel e ist nicht auf ein Basis dieses Vorsprungs aufgesetzt, wie es der Wortlaut des Anspruchs verlangt.

Das Argument der Beschwerdeführerin, wonach keine Einschränkung in dem Anspruch bezüglich der Seite des Vorsprungs vorhanden sei, und dass somit der Stachel aufgesetzt auch im Sinne von "von innen abgestützt" verstanden werden könne, vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Das Lesen des gesamten Anspruchsinhalts im Kontext erfordert, dass die Spitze auf einer Basis aufgesetzt sein soll, wobei diese Basis den einstückig ausgezogenen Vorsprung bildet. Dies ist eindeutig nicht der Fall bei A6, wo die Spitze mit seinem integralen konischen Basisteil in den Walzenmantel eingesetzt und direkt auf der dem Ansatz i entgegengesetzten Walzenmanteloberfläche mit seinem Flansch aufgesetzt ist, und von der inneren Seite am Walzenmantel durch die Mutter "f" festgeschraubt ist.

3.4 A7 (Seite 1, Zeilen 72-91; Figuren 1,4) offenbart einen Rasenmäher. Auf den Rädern 14 und 15 wird ein Band 17 auf dem Radumfang befestigt. Durch Löcher 24 dieses Bands werden Nadelköpfe 26 der Nadeln ("Spikes 25") gegen die innere Seite dieses Band 17 festgehalten. Dabei könnte die nach außen gewölbte Oberfläche dieses Bands, wie in der Figur 4 gezeigt, als ein aus dem Walzenmantel ausgezogener Vorsprung betrachtet werden. Allerdings sind entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin die Nadeln 25 nicht auf der Basis dieser Vorsprünge aufgesetzt, sondern sie ragen durch die Vorsprünge hindurch und sind mit ihren Nadelköpfen 26 (wie in der Figur 4 gezeigt) zwischen dem Radmantel 14 und dem Band 17 eingeklemmt. Die Köpfe liegen somit wiederum an der den Vorsprüngen entgegengesetzten Walzenmanteloberfläche an, die damit nicht auf der Basis der Vorsprünge aufgesetzt, sondern wie bei A6 auf der inneren Seite des Radmantels 14 abgestützt sind.

3.5 A8 (Spalte 2, Zeilen 27-34) offenbart eine Walze 55 mit ausgezogenen Vorsprüngen (conical embossments 14). Diese Vorsprünge weisen Löcher 13 auf, durch die Spitzen "S" von der Innenseite des Walzenmantels durchdringen. Diese Spitzen sind aber auf einer Stange ("bar" 20) befestigt, die selber innerhalb der Walze federnd gelagert ist (Spalte 2, Zeilen 54-62). Da keine Verbindung zwischen dem Vorsprung und der Spitze besteht, fehlt auch das erste kennzeichnende Merkmal, wonach die Spitze auf der Basis der Vorsprünge des Walzenmantels aufgesetzt und lösbar verbunden sind.

Der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Spitzen "S" durch ihre lösbare Befestigung auf der Stange 20 auch mittelbar auf der Walze aufgesetzt seien, kann auch nicht beim Lesen des Anspruchs 1 im Kontext gefolgt werden. Diese Auslegung geht weit über den Inhalt des Anspruchs 1 hinaus. Wenn die Spitze auf einer Basis des Vorsprungs aufgesetzt und mit dieser Basis verbunden sein soll, versteht der Fachmann, dass diese Spitze "S" direkt auf der Basis des Vorsprungs 14 und unmittelbar damit verbunden sein sollte, was in A8 eindeutig nicht der Fall ist.

3.6 Aus diesen Gründen bestätigt die Kammer die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand nach dem im Einspruchsverfahren geänderten Anspruch 1 gegenüber der vorgebrachten Entgegenhaltungen neu ist.

4. Erfinderische Tätigkeit.

4.1 A2 in Kombination mit dem Fachwissen

4.1.1 Ausgehend von A2 unterscheidet sich das Fahrzeug nach Anspruch 1 dadurch, dass die Vorsprünge (6) zumindest einstückig mit dem Walzenmantel geformt und daraus ausgezogen sind.

Die Vorsprünge auszuziehen beruht auf einem leichten und einfachen Herstellungsverfahren, und die Aufgabe kann wie in Absatz [0014] des Patents formuliert werden: einen verbesserten Vorsprung im Hinblick auf sein Herstellungsverfahren vorzuschlagen.

4.1.2 Die Dokumente A9, A11 sowie das nach der Einspruchsfrist gem. Artikel 99 (1) EPÜ vorbebrachte A12 belegen alle die sonst unbestrittene Tatsache, dass dem Fachmann auf dem Gebiet der Herstellungstechnik die Herstellung von Durchzügen oder sonstigen Aushalsungen in Blechen oder Röhren durch Materialverformung, insbesondere Aushalsen, geläufig ist.

4.1.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass eine einfache Auswahl aus mehreren möglichen, aber sehr bekannten Herstellungsverfahren für den Fachmann zum Erzeugen des Teils "W" naheliegend sei, wobei die besondere Ausgestaltung des Vorsprungs "W" mit seinem Sackloch in A2 zwar nicht durch Ausziehen allein, wohl aber durch die zusätzliche Verwendung von Bohren oder Fräsen erzeugbar sei. Eine zusätzliche Fertigungsmaßnahme sei durch den Anspruchswortlaut nicht ausgeschlossen.

4.1.4 Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Der in A2 dargestellte Vorsprung "W" weist eine besondere Form auf, die nicht nur durch ein Sackloch zur Anbringung der Spitze, sondern auch durch seine geneigte Ausrichtung sowie die Anwesenheit von flachen Flächen gekennzeichnet ist. Eine solche komplexe Form mit geometrisch präzise definierten flachen und gewölbten Flächen, Bohrungen, Ausschnitten und scharfen Kanten kann aus Sicht des Fachmannes nicht ohne Weiteres durch Materialverformung direkt hergestellt werden. Auch angenommen, dass der Fachmann weitere Verarbeitungsschritte wie Bohren und Fräsen zum Erzeugen des Sacklochs und der geometrischen Seitenflächen in Betracht ziehen würde, würde er eine Materialverformung als ungeeignet zum Erzeugen einer geneigten Ausrichtung des Vorsprungs wie in der Figur 1 gezeigt betrachten. Bei der Suche eines verbesserten Herstellungsverfahrens des Vorsprungs würde der Fachmann deshalb nicht in naheliegender Weise sowohl das Herstellungsverfahren als auch die notwendige Formänderung des Vorsprungs ohne erfinderisches Zutun vorschlagen.

Die Überlegung der Beschwerdeführerin, dass im Anspruch ein solches Sackloch oder schräge Ausrichtung nicht definiert und deswegen nicht zu berücksichtigen sei, kann auch nicht gefolgt werden. Dem Fachmann wird ausgehend von der Lehre der A2 mit seiner besonderen Gestaltung des Vorsprungs die Aufgabe gestellt, Änderungen eben dieses spezifisch gestalteten Vorsprungs vorzunehmen. Insoweit die besonderen Merkmale dieser Ausgestaltung der Anwendung einer weiteren Lehre entgegenstehen, kann diese nicht als naheliegend betrachtet werden.

4.1.5 Aus diesen Gründen schließt die Kammer, dass ausgehend von der A2 das Fahrzeug gemäß dem aufrechterhaltenen Anspruch 1 (Hauptantrag) auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4.2 Kombination von A8 mit dem Fachwissen wie in A6

4.2.1 Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin würde der Fachmann ausgehend von A8, wo ein Ringspalt zwischen Spitze und Vorsprung besteht, und vor die Aufgabe gestellt, zu vermeiden, dass Schmutz in den Spaltring eindringen könnte, in naheliegender Weise diesen Ringspalt abdecken, indem er die Spitze in ihrem oberen Bereich so breit ausführt, dass sie den Ringspalt abdeckt, wie zum Beispiel in der Figur 2 der A6 gezeigt.

4.2.2 Nach Meinung der Kammer würde der Fachmann eine Vergrößerung der Spitze S nicht in Erwägung ziehen. Der Kern der technischen Lehre in A8 ist es, eine Bewegung der Spitze nach innen in Bezug auf den Walzenmantel zu erlauben. Eine Vergrößerung des Spitzenquerschnitts, bis der ganze Ringspalt abgedeckt wird, würde diese Beweglichkeit verhindern und deshalb von der Kernlehre der A8 wegführen. Aus diesem Grund würde der Fachmann die Lehre aus der Figur 2 der A6, wo eine Spitze direkt auf einem Walzenmantel in fester, nicht beweglicher Verbindung steht, zum Modifizieren der Spitzen S in A8 nicht heranziehen.

4.3 Kombination von A7 mit dem Fachwissen oder A3

4.3.1 Ausgehend von A7 hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, dass der Fachmann vor die Aufgabe gestellt, die Nadel 25 austauschbar zu gestalten, ohne weiteres die Anbringung einer lösbaren Decke auf der Spitze vornehmen würde. Somit würde er zu einer Spitze gelangen, die z.B. auf einer Basis des Vorsprungs eingeschraubt aufgesetzt ist, wie von Anspruch 1 definiert.

4.3.2 Die Kammer ist erstens von dieser Aufgabestellung nicht überzeugt. In A7 ist eine lösbare Verbindung zwischen dem Rad 14 und dem Band 19 bereits gegeben. Der Fachmann hat auch sonst keinen Anlass, die Nadel 25 zerlegbar mit einem lösbaren Kopf 26 umzugestalten, da eine solche Lösung zu komplex und als solche von der einfachen Lehre der A7 wegführend wäre. Wenn er überhaupt eine solche Lösung mit einer ersetzbaren Spitze in Betracht ziehen würde, bieten sich sehr viel einfachere Möglichkeiten an, z.B. dadurch, dass das äußere Ende der Spitze lösbar mit dem Kopf verbunden wird, ohne dass es dann aber auf einer Basis des Vorsprungs aufgesetzt ist. Somit würde er dadurch nicht zum Erfindungsgegenstand gelangen.

4.4 Aufgrund der vorstehenden Betrachtungen sieht die Kammer keinen Grund, von dem positiven Befund der Einspruchsabteilung abzuweichen, dass der Gegenstand nach dem im Einspruchsverfahren geänderten Anspruch 1 im Lichte der im erstinstanzlichen Verfahren herangenzogenen Dokumente auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5. Zulassung der verspätet geltend gemachten Vorbenutzung, Artikel 13(3) VOBK.

5.1 Erst mit Brief von 11. April 2017 macht die Beschwerdeführerin eine neue offenkundige Vorbenutzung "Motormäher Rapid" anhand von vier Fotos und einer eidesstattlichen Erklärung geltend.

5.2 Entsprechend der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern liegen dem Beschwerdeverfahren die Beschwerdebegründung sowie die Erwiderung darauf zugrunde, Artikel 12(1) VOBK. Nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung sind nach Artikel 13(3) VOBK Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nicht zuzulassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist. Dieses Prinzip gilt nach geltender Rechtsprechung auch bei der Zulassung einer verspätet geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung, wo ein sehr strenger Maßstab angelegt wird, siehe hierzu die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage 2016, IV.C.1.3.17 a).

5.3 Der Kammer nimmt Bezug auf die Entscheidung T 691/12 vom 21. Januar 2014, wonach eine erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachte offenkundige Vorbenutzung nur noch dann berücksichtigt werden kann, wenn zumindest drei Bedingungen erfüllt sind:

a) es darf sich nicht um einen erkennbaren Verfahrensmissbrauch handeln;

b) die Vorbenutzung muss prima facie so relevant sein, dass sie wie vorgebracht die Gültigkeit des Patents in Frage stellt; und

c) die Vorbenutzung muss lückenlos nachgewiesen sein, sodass keine weiteren Ermittlungen zur Feststellung ihres Gegenstands bzw. ihrer Umstände notwendig sind. Die Kammer teilt diese Auffassung, und nach Ansicht der Kammer können diese Bedingungen nicht weniger strikt geprüft werden, wenn die Vorbenutzung sogar erheblich später als mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht worden ist, wie im vorliegenden Fall.

5.4 Die Kammer stellt zunächst fest, dass auch ohne einen erkennbaren Verfahrensmissbrauch zumindest die gebotene Sorgfalt bei der Geltendmachung zu fehlen scheint. Die Beschwerdeführerin hat bereits im November 2016 von der Vorbenutzung Kenntnis genommen, diese aber erst fast fünf Monate später, im April 2017 eingereicht, ohne jedoch die Gegenpartei direkt darüber zu informieren. Bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht hätte sie dies aber tun müssen, um der Beschwerdegegnerin zu ermöglichen, auf geeignete Weise darauf zu reagieren. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin kann der Zeitraum von circa fünf Monaten nach dem Besuch der Messe nicht als schnellstmögliche Reaktion angesehen werden.

5.5 Bei der zweiten Bedingung wurde von der Beschwerdeführerin lediglich angegeben, dass die Vorsprünge offensichtlich herausgedrückt seien. Ein solches Herstellungsverfahren geht aber nicht eindeutig aus der Vergrößerung der Verschraubung hervor, weil dort die Mutter die genaue Form der Auswölbung verdeckt. So ist jedenfalls die zweite Bedingung nicht erfüllt.

5.6 Nach Meinung der Kammer erscheint letztendlich auch die Erfüllung der dritten Bedingung fraglich. Insbesondere sind die Umstände nicht lückenlos nachgewiesen worden, sodass weitere Ermittlungen zur Feststellung dieser Umstände notwendig wären. Zum Beispiel wurde kein Nachweis vorgelegt, der die ständige Ausstellung des Motormähers im Rapid-Museum mit deren Zeitrang und öffentlicher Zugänglichkeit des Museums belegen würde. Der Behauptung, dass durch die einfache Ausstellung in einem Privatmuseum die relevanten Umstände ohne Nachforschung geklärt wären, kann die Kammer somit nicht folgen. Die eidesstattliche Erklärung des Herrn Stöckl kann dazu auch nicht beitragen, weil sie lediglich bestätigt, was auf einer Messe im November 2016 ausgestellt wurde.

5.7 Im Ergebnis muss die Kammer feststellen, dass aus den oberstehenden Gründen eine adäquate Behandlung dieses Vorbringens noch in der mündlichen Verhandlung, z. B. die Prüfung der Stichhaltigkeit der Beweismittel, zumindest der Beschwerdegegnerin nicht zuzumuten ist. Aus diesen Gründen hat die Kammer in Ausübung ihrer Befugnisse nach Artikel 13(3) VOBK entschieden, den neuen Vortrag auf der Grundlage der Vorbenutzung "Motormäher Rapid" nicht in das Verfahren zuzulassen.

6. Die Kammer stellt fest, dass keiner der Gründe, die die Beschwerdeführerin gegen die angefochtene Entscheidung geltend gemacht hat, Erfolg hat. Sie bestätigt diese somit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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