T 0036/13 () of 20.5.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T003613.20150520
Datum der Entscheidung: 20 Mai 2015
Aktenzeichen: T 0036/13
Anmeldenummer: 07003833.6
IPC-Klasse: B60T 8/36
B60T 13/66
B60T 15/02
B60T 15/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Relaisventil
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse
Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Haldex Brake Products GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Änderungen- unzulässige Erweiterung- Hauptantrag und Hilfsanträge 1 und 2 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent 1 844 999 widerrufen wurde.

II. Die Einspruchsabteilung befand, dass die im Anspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag durchgeführten Änderungen gegen die Bestimmungen des Artikels 123(2) EPÜ verstoßen.

III. Am 20. Mai 2015 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin / Patentinhaberin beantragte, die Entscheidung der Einspruchabteilung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags, hilfsweise der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin 1 / Einsprechende 1 und die Beschwerdegegnerin 2 / Einsprechende 2 beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"Relaisventil (1) einer Druckluftbremsanlage von Lastkraftwagen, mit einem ersten Gehäuseteil (2) und einem zweiten Gehäuseteil (7), zwischen denen ein Relaiskolben (3) angeordnet ist, welcher mittels eines Dichtelements (5) gegenüber dem ersten Gehäuseteil (2) abgedichtet ist, und mit einem Dichtsitz (6), an welchem im entlüfteten Zustand des Relaisventils (1) ein Plattenventil (4) anliegt, so dass ein Hauptluftdruck (pB) von einem axial oberhalb des Dichtsitzes (6) angeordneten kreisförmigen ersten Raum (11) in einen axial unterhalb des Dichtsitzes (6) angeordneten dritten Raum (13) gelangt, wobei zeitgleich über eine axiale Öffnung im ersten Gehäuseteil (2) eine Entlüftung eines Redundanzluftdruckes (pR) durch eine mit dem Relaiskolben (3) oder mit dem ersten Gehäuseteil (2) verbundene Luftführungseinrichtung (9) in den dritten Raum (13) erfolgt, wobei im belüfteten Zustand der erste Raum (11) mit einem axial unterhalb des ersten Raums (11) angeordneten zweiten Raum (12) verbunden ist, wobei der dritte Raum (13) koaxial vom zweiten Raum (12) umgeben ist, wobei der Relaiskolben (3) ausschließlich axial oberhalb des Dichtsitzes (6) am ersten Gehäuseteil (2) axial verschieblich gelagert ist, dadurch gekennzeichnet,

dass eine Mündung (10) der Luftführungseinrichtung (9) in axialer Richtung unterhalb des Dichtsitzes (6) endet, und die gesonderte Luftführungseinrichtung (9) so ausgebildet ist, dass eine Richtwirkung der von der Luftführungseinrichtung (9) geführten Hauptluftdruck [sic] (pB) über die Mündung (10) der Luftführungseinrichtung (9) des ersten Gehäuseteils (2) oder des Relaiskolbens (3) hinaus nach axial unten erzielt wird."

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass im kennzeichnenden Teil das Merkmal eingefügt wurde, dass die Mündung (10) der Luftführungseinrichtung (9) im entlüfteten Zustand im dritten Raum (13) endet.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lautet wie folgt:

"Relaisventil (1) einer Druckluftbremsanlage von Lastkraftwagen, mit einem ersten Gehäuseteil (2) und einem zweiten Gehäuseteil (7), zwischen denen ein Relaiskolben (3) angeordnet ist, welcher mittels eines Dichtelements (5) gegenüber dem ersten Gehäuseteil (2) abgedichtet ist, und mit einem Dichtsitz (6), an welchem im entlüfteten Zustand des Relaisventils (1) ein Plattenventil (4) anliegt, so dass ein Hauptluftdruck (pB) von einem axial oberhalb des Dichtsitzes (6) angeordneten kreisförmigen ersten Raum (11) in einen axial unterhalb des Dichtsitzes (6) angeordneten dritten Raum (13) gelangt, wobei zeitgleich über eine axiale Öffnung im ersten Gehäuseteil (2) eine Entlüftung eines Redundanzluftdruckes (pR) durch eine mit dem Relaiskolben (3) oder mit dem ersten Gehäuseteil (2) verbundene Luftführungseinrichtung (9) in den dritten Raum (13) erfolgt, wobei im belüfteten Zustand der erste Raum (11) mit einem axial unterhalb des ersten Raums (11) angeordneten zweiten Raum (12) verbunden ist, wobei der dritte Raum (13) koaxial vom zweiten Raum (12) umgeben ist, dadurch gekennzeichnet,

dass eine axial untere Mündung (10) der Luftführungseinrichtung (9) axial unterhalb des Dichtsitzes (6) angeordnet ist, wobei der Einlass für den Hauptluftdruck (pB) in den dritten Raum (13) radial zwischen dem Plattenventil (4) und der Luftführungseinrichtung (9) und axial auf Höhe oder unterhalb des Dichtsitzes (6) und oberhalb der Mündung (10) der Luftführungseinrichtung (9) angeordnet ist und dass der Hauptluftdruck (pB) aus dem ersten Raum (11) gegen die Luftführungseinrichtung (9) geführt ist, wobei der Hauptluftdruck (pB) und der Redundanzdruck (pR) parallel zueinander nach axial unten in den dritten Raum (13) einströmen, wobei die gesonderte Luftführungseinrichtung (9) so ausgebildet ist, dass eine Richtwirkung der von der Luftführungseinrichtung (9) geführten Hauptluftdruck [sic] (pB) über die Mündung (10) der Luftführungseinrichtung (9) des ersten Gehäuseteils (2) oder des Relaiskolbens (3) hinaus nach axial unten erzielt wird."

V. Zu den in dem Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 und 2 durchgeführten Änderungen trugen die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 Folgendes vor:

Die Hinzufugung des Merkmals, "wobei der Relaiskolben (3) ausschließlich axial oberhalb des Dichtsitzes (6) am ersten Gehäuseteil (2) axial verschieblich gelagert ist" im Oberbegriff des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag (Merkmal f) in der von der Beschwerdegegnerin 2 als Anlage M2 mit ihrer Beschwerdeerwiderung vom 21. Mai 2013 eingereichten Merkmalsgliederung) in den Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und gemäß Hilfsantrag 1 verstoße gegen die Bestimmungen des Artikels 123(2) EPÜ. Die Entnahme eines negativen Merkmals wie "ausschließlich" sei aus einer Figur grundsätzlich nicht möglich. In T 1120/05 und T 169/83 werde als Grundsatz festgehalten, dass Merkmale aus Zeichnungen nur dann abgeleitet werden können, wenn sie bezüglich Struktur und Funktion vollständig und unmittelbar in klarer und eindeutiger Weise den Zeichnungen entnommen werden können. Dieses sei jedoch bei einem negativen oder fehlenden Merkmal grundsätzlich nicht möglich.

Die Hinzufugung des Merkmals, "wobei der Einlass für den Hauptluftdruck (pB) in den dritten Raum (13) radial zwischen dem Plattenventil (4) und der Luftführungseinrichtung (9) und axial auf Höhe oder unterhalb des Dichtsitzes (6) und oberhalb der Mündung (10) der Luftführungseinrichtung (9) angeordnet ist" im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 (Merkmal g) in der von der Beschwerdegegnerin 2 als Anlage M4 mit ihrer Beschwerdeerwiderung vom 21. Mai 2013 eingereichten Merkmalsgliederung) in den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 verstoße gegen die Bestimmungen des Artikels 123(2) EPÜ.

Merkmal g) beinhalte zwei Optionen, nämlich eine Positionsangabe "axial auf Höhe" oder "unterhalb" des Dichtsitzes. Da die Figuren 2 bis 4, die als Grundlage für das Merkmal dienen sollten, nur ein Ausführungsbeispiel beträfen, sei nicht ersichtlich, wie der Fachmann zwanglos diesem Ausführungsbeispiel zwei unterschiedliche Optionen für die Anordnung des Einlasses entnehmen könne. Der verschließbare Einlass für den Hauptluftdruck pB von dem Raum 11 in den Raum 13 sei in den Figuren 2 bis 4 durch eine hohlzylindrische Fläche zwischen der Nase an der stirnseitigen Kreisringfläche des Relaiskolbens 3 und dem Plattenventil 4 gebildet. Dieser Einlass sei aber nicht radial zwischen Plattenventil 4 und Luftführungseinrichtung 9 und nicht axial unterhalb des Dichtsitzes 6 angeordnet, sondern gerade axial auf Höhe oder oberhalb des Dichtsitzes 6.

VI. Die Erwiderung der Beschwerdeführerin kann im Wesentlichen wie folgt zusammengefasst werden:

Den Ausführungen der Beschwerdegegnerinnen, dass der Anspruch 1 des Hauptantrags unzulässig erweitert worden sei, weil Merkmal f) in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbart sei, könne nicht zugestimmt werden. Wie in der Anlage V gezeigt, die der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung beigefügt ist, ergebe sich bei der Betrachtung der Figuren in Verbindung mit den Absätzen [0012] und [0013] der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung EP-A-1 844 999 (nachfolgend D0 bezeichnet), dass der Relaiskolben 3 ausschließlich axial oberhalb des Dichtsitzes 6 am ersten Gehäuseteil 2 axial verschieblich gelagert sei.

Auch der Behauptung der Beschwerdegegnerinnen, dass der Anspruch 1 des Hauptantrags unzulässig erweitert worden sei, weil Merkmal f) in D0 nicht offenbart sei, könne nicht zugestimmt werden. Merkmal f) ergebe sich eindeutig aus der Betrachtung der Figuren 1 bis 4 von D0.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag; Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

Merkmal f) (vgl. Merkmalsgliederung M2) wurde u.a. in den Anspruch 1 aufgenommen, um einen Neuheitseinwand der Beschwerdegegnerrinnen zu begegnen, so dass diesem Merkmal unter Umständen eine wichtige Bedeutung in Hinblick auf die Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit zukommen könnte. Es kann insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass nach einer Abgrenzung des beanspruchten Gegenstands gegenüber dem Stand der Technik, dieses Merkmal an sich alleine den einzigen Unterschied dazu bilden könnte.

Es stellt sich daher die Frage, ob der Fachmann das Merkmal f) des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der ursprünglich eingereichten Anmeldung D0 entnehmen kann.

Die Beschwerdeführerin hat zugegeben, dass der Wortlaut dieses Merkmals in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht zu finden ist. In der Tat wird in der ursprünglichen Beschreibung die axiale Lagerung des Relaiskolbens überhaupt nicht thematisiert. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Textstellen präzisieren lediglich, dass der Relaiskolben mittels eines Dichtelements gegenüber dem ersten Gehäuseteil abgedichtet wird (Absatz [0012] von D0: Spalte 2, Zeilen 26-29) und dass "eine senkrechte Verschiebung des Relaiskolbens" erfolgt (Absatz [0013] von D0).

Mit Hinweis auf die Anlage V, die der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung beigefügt ist, vertrat die Beschwerdeführerin die Ansicht, dass Merkmal f) sich z.B. aus der Figur 3 von D0 ergebe. Bei der Betrachtung dieser Zeichnung erkennt der Fachmann, dass der Relaiskolben 3 über zwei koaxialen, abgestuften hohlzylindrischen Führungsflächen (mit XIV und XV in der Anlage V markiert) auf dem ersten Gehäuseteil 2 verschieblich gelagert wird. Nach Auffassung der Kammer wird der Fachmann bei der Betrachtung der Figur 3 eine spezielle Konstruktion für die Lagerung des Relaiskolbens erkennen, jedoch nicht auf alle möglichen Lagerungsformen kommen, die unter den Wortlaut des Merkmals f) fallen.

Bei der Betrachtung der in den Figuren 2 bis 4 von D0 dargestellten Führungsflächen (XIV und XV) ist überhaupt fraglich, ob die allgemeine Lehre einer Lagerung des Relaiskolbens ausschließlich axial oberhalb des Dichtsitzes 6 zum Wesen der in D0 offenbarten Erfindung gehört. Berücksichtigt man die Definition des durch einen Sicherungsring 8 am zweiten Gehäuseteil 7 gehaltenen Dichtsitzes 6 als Bauteil des Relaisventils (vgl. D0: Spalte 2, Zeilen 29-32), ist nicht eindeutig, dass die in Bezug auf die Lagerung des Relaiskolbens beanspruchte Einschränkung, die durch die Formulierung "ausschließlich axial oberhalb des Dichtsitzes" entsteht, in den Figuren 2 bis 4 von D0 offenbart ist. Für die Kammer scheint dieses negative Merkmal willkürlich gewählt worden zu sein.

Somit handelt es sich bei der Ergänzung des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag durch das Merkmals f) um eine unzulässige Änderung, die gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ verstößt.

2.1 Hilfsantrag 1; Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

Da der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 auch das Merkmal f) enthält, verstößt dieser Antrag ebenfalls gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ.

2.2 Hilfsantrag 2; Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

Für die Beschwerdeführerin soll sich Merkmal g) für den Fachmann aus den Figuren 2 bis 4 ergeben. Der beanspruchte "Einlass für den Hauptluftdruck (pB) [vom ersten Raum (11)] in den dritten Raum (13)" ist in D0 weder erwähnt, noch definiert. Die Kammer teilt die Ansicht der Beschwerdegegnerinnen, dass dieser (verschließbare) Einlass in den Figuren 2 bis 4 eine hohlzylindrische Fläche zwischen der Nase an der Stirnseite des Relaiskolbens 3 und dem Plattenventil 4 ist. Im Widerspruch mit dem Wortlaut von Merkmal g) liegt in den Figuren dieser Einlass aber nicht radial zwischen dem Plattenventil 4 und der Luftführungseinrichtung 9 und er ist auch nicht axial unterhalb des Dichtsitzes 6 angeordnet, sondern axial auf Höhe des Dichtsitzes 6, wenn dieser als Bauteil betrachtet wird, oder oberhalb des Dichtsitzes 6, wenn dieser als Kontaktfläche mit dem Plattenventil 4 betrachtet wird.

Somit handelt es sich bei der Einführung des Merkmals f) in den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 um eine unzulässige Änderung, die gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ verstößt.

3. Da keiner der Anträge der Beschwerdeführerin gewährt werden kann, muss die Beschwerde zurückgewiesen werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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