T 2532/12 () of 9.6.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T253212.20160609
Datum der Entscheidung: 09 Juni 2016
Aktenzeichen: T 2532/12
Anmeldenummer: 06818359.9
IPC-Klasse: B21B 1/46
B21B 13/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES WARMGEWALZTEN STAHLBANDES UND KOMBINIERTE GIESS- UND WALZANLAGE ZUR DURCHFÜHRUNG DES VERFAHRENS
Name des Anmelders: Primetals Technologies Austria GmbH
Name des Einsprechenden: SMS group GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention R 99
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (nein)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0642/05
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Europäische Patent Nr. EP-B-1 951 451 widerrufen wurde. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 hinsichtlich WO89/11363 A1 (D2) in Kombination mit JP 4231150 A (und Deutsche Übersetzung sowie entsprechende Patent Abstracts of Japan - D1) oder JP 58077702 A (und entsprechende Patent Abstracts of Japan - D3) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhte und, dass der Gegenstand des vor ihnen vorgelegten Hilfsantrags 1 nicht klar sei (Artikel 84 EPÜ).

II. Hiergegen hat die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.

III. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer den Parteien das vorläufige Ergebnis ihrer Prüfung der Beschwerde mitgeteilt.

IV. Die mündliche Verhandlung fand am 9. Juni statt. Am Ende der Verhandlung stellten die Parteien folgende Anträge:

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent im geänderten Umfang auf der Grundlage der Ansprüche gemäß Hauptantrag aufrechtzuerhalten; hilfsweise, auf der Grundlage der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 aufrechtzuerhalten, alle Anträge eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren zur Herstellung eines warmgewalzten Stahlbandes in Bunden oder in Tafeln aus einer Stahlschmelze in einem kontinuierlichen Fertigungsprozess bei ununterbrochenem Banddurchlauf mit folgenden Verfahrensschritten:

- kontinuierliches Gießen eines Stahlstranges (5) in einer Stranggießkokille (2) einer Stranggießanlage (1),

- Walzverformen des gegossenen Stahlstranges in einer ersten Gruppe von Walzgerüsten (6) zu einem vorgewalzten Warmband (7),

- Walzverformen des vorgewalzten Warmbandes in einer zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) zu einem warmgewalzten Stahlband (21),

- Einstellen des vorgewalzten Warmbandes auf Walztemperatur zwischen der ersten Gruppe von Walzgerüsten und der zweiten Gruppe von Walzgerüsten in einer Temperatureinstellvorrichtung (14),

- Aufwickeln des warmgewalzten Stahlbandes zu Bunden oder Zerteilen des warmgewalzten Stahlbandes zu Tafeln,

wobei

- das vorgewalzte Warmband (7) unmittelbar vor dem Eintritt in die Temperatureinstelleinrichtung (14) entzundert wird,

- das vorgewalzte Warmband (7) in der Temperatureinstelleinrichtung (14) in einer Schutzgasatmosphäre gehalten wird und

- das vorgewalzte Warmband (7) nach Durchlaufen der Temperatureinstelleinrichtung (14) unmittelbar nachfolgend in der zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) walzverformt wird, sodass das Warmband (7) beim Eintritt in die zweite Gruppe von Walzgerüsten (19) eine Zunderschicht mit einer Zunderschichtdicke von maximal 8mym aufweist."

Der unabhängige Anspruch 11 gemäß Hauptantrag lautet:

"Kombinierte Gieß- und Walzanlage zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 10,

- mit einer Stranggießkokille (2) in einer Stranggießanlage (1) zur Herstellung eines gegossenen Stahlstranges (5),

- mit einer ersten Gruppe von Walzgerüsten (6) zum Walzverformen des gegossenen Stahlstranges zu einem vorgewalzten Warmband (7),

- mit einer zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) zum Walzverformen des vorgewalzten Warmbandes zu einem warmgewalzten Stahlband (21),

- mit einer Temperatureinstelleinrichtung (14) zwischen der ersten Gruppe von Walzgerüsten (6) und der zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) und

- mit einer Bandhaspeleinrichtung (23) zum Aufwickeln des warmgewalzten Stahlbandes zu Bunden oder mit einer Zerteileinrichtung zum Zerteilen des warmgewalzten Stahlbandes zu Tafeln,

wobei

die Temperatureinstellrichtung (14) in einer geschlossenen Schutzgaskammer (11) angeordnet ist, die mit Eintritts- und Austrittsöffnungen (12,13) für das vorgewaltzte Warmband und mit Versorgungsleitungen (16,17) für ein Schutzgas ausgestattet ist,

- eine Entzunderungseinrichtung (9) der Schutzgaskammer (11) unmittelbar vorgelagert ist,

- die zweite Gruppe von Walzgerüsten (19) unmittelbar an die Schutzgaskammer anschließt, sodass das Warmband (7) beim Eintritt in die zweite Gruppe von Walzgerüsten (19) eine Zunderschicht mit einer Zunderschichtdicke von maximal 8mym aufweist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:

"Verfahren zur Herstellung eines warmgewalzten Stahlbandes in Bunden oder in Tafeln aus einer Stahlschmelze in einem kontinuierlichen Fertigungsprozess bei ununterbrochenem Banddurchlauf mit folgenden Verfahrensschritten:

- kontinuierliches Gießen eines Stahlstranges (5) in einer Stranggießkokille (2) einer Stranggießanlage (1),

- Walzverformen des gegossenen Stahlstranges in einer ersten Gruppe von Walzgerüsten (6) zu einem vorgewalzten Warmband (7),

- Walzverformen des vorgewalzten Warmbandes in einer zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) zu einem warmgewalzten Stahlband (21),

- Einstellen des vorgewalzten Warmbandes auf Walztemperatur zwischen der ersten Gruppe von Walzgerüsten und der zweiten Gruppe von Walzgerüsten in einer Temperatureinstellvorrichtung (14),

- Aufwickeln des warmgewalzten Stahlbandes zu Bunden oder Zerteilen des warmgewalzten Stahlbandes zu Tafeln,

wobei

- das vorgewalzte Warmband (7) unmittelbar vor dem Eintritt in die Temperatureinstelleinrichtung (14) entzundert wird,

- das vorgewalzte Warmband (7) in der Temperatureinstelleinrichtung (14) in einer Schutzgasatmosphäre gehalten wird, indem die Temperatureinstelleinrichtung (14) in einer geschlossenen Schutzgaskammer (11) angeordnet ist, mit Eintritts- und Austrittsöffnungen (12,13) für das vorgewalzte Warmband (7), und

- das vorgewalzte Warmband (7) nach Durchlaufen der Temperatureinstelleinrichtung in der Weise unmittelbar nachfolgend in der zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) walzverformt wird, dass die Austrittsöffnung (13) der Schutzgaskammer (11) für das vorgewalzte Warmband (7) einen Austrittskanal (18) umfasst, der maximal 5,0 m, vorzugsweise maximal 3,0 m, vor dem Walzspalt (20) des ersten Walzgerüstes (19a) der zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) endet."

Anspruch 11 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:

"Kombinierte Gieß- und Walzanlage zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 10,

- mit einer Stranggießkokille (2) in einer Stranggießanlage (1) zur Herstellung eines gegossenen Stahlstranges (5),

- mit einer ersten Gruppe von Walzgerüsten (6) zum Walzverformen des gegossenen Stahlstranges zu einem vorgewalzten Warmband (7),

- mit einer zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) zum Walzverformen des vorgewalzten Warmbandes zu einem warmgewalzten Stahlband (21),

- mit einer Temperatureinstelleinrichtung (14) zwischen der ersten Gruppe von Walzgerüsten (6) und der zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) und

- mit einer Bandhaspeleinrichtung (23) zum Aufwickeln des warmgewalzten Stahlbandes zu Bunden oder mit einer Zerteileinrichtung zum Zerteilen des warmgewalzten Stahlbandes zu Tafeln,

wobei

- die Temperatureinstellrichtung (14) in einer geschlossenen Schutzgaskammer (11) angeordnet ist, die mit Eintritts- und Austrittsöffnungen (12,13) für das vorgewalzte Warmband und mit Versorgungsleitungen (16,17) für ein Schutzgas ausgestattet ist,

- eine Entzunderungseinrichtung (9) der Schutzgaskammer (11) unmittelbar vorgelagert ist,

- die zweite Gruppe von Walzgerüsten (19) in der Weise unmittelbar an die Schutzgaskammer anschließt, dass die Austrittsöffnung (13) der Schutzgaskammer (11) für das vorgewalzte Warmband (7) einen Austrittskanal (18) umfasst, der maximal 5,0 m, vorzugsweise maximal 3,0 m, vor dem Walzspalt (20) des ersten Walzgerüstes (19a) der zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) endet.

VI. Die Beschwerdeführerin begründete ihre Anträge im Wesentlichen wie folgt:

Zulässigkeit der Beschwerde bzw. der Anträge

Der Beschwerdegegenstand stehe erst nach der schriftlichen Begründung der Entscheidung der Einspruchsabteilung fest, worauf dann einer beschwerten Partei der Gang in das Beschwerdeverfahren mit der Entscheidung und deren Begründung Rechnung tragenden Anträgen ermöglicht sein müsse. Die Beschwerde sei daher zulässig, denn die neuen Anträge trügen nun der erst in der angefochtenen Entscheidung nachvollziehbar vorgenommenen Auslegung der Begriffe "unmittelbar vor" und "unmittelbar nach" Rechnung. Das gleich gelte für die Zulässigkeit der Anträge gemäß Artikel 12(4) VOBK.

Hilfsantrag 1 stelle eine Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer dar und bringe keine neue Sachlage in das Verfahren ein. Die in der mündlichen Verhandlung dort vorgenommenen Änderungen seien rein formeller Natur. Der Antrag sei daher unter Artikel 13(1) VOBK nicht zu beanstanden.

Hauptantrag, Artikel 84 EPÜ

Das Merkmal,

"dass das Warmband (7) beim Eintritt in die zweite Gruppe von Walzgerüsten (19) eine Zunderschicht mit einer Zunderschichtdicke von maximal 8 mym aufweist.",

sei in der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 6, vierter Absatz, isoliert offenbart worden und für einen fachkundigen Leser ausreichend klar. Insbesondere könne ein Fachmann routinemäßig mittels Probenentnahme und mikroskopischer Untersuchung der entnommenen Probe unmittelbar und eindeutig feststellen, ob der Mittelwert der Zunderschichte des Bands maximal 8 mym betrage oder nicht.

Hilfsantrag 1, Erfinderische Tätigkeit

D1 bilde den nächstliegenden Stand der Technik. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von D1 dadurch, dass

(i) das Metallband ein Stahlband sei;

(ii) die Austrittsöffnung der Schutzgaskammer für das vorgewalzte Warmband einen Austrittskanal umfasse, der maximal 5,0 m, vorzugsweise maximal 3,0 m, vor dem Walzspalt des ersten Walzgerüstes der zweiten Gruppe von Walzgerüsten ende.

Ausgehend von D1 stelle sich die Aufgabe für den Fachmann, ein Verfahren bzw. eine Vorrichtung anzugeben, welches bzw. welche ohne Qualitätseinbußen eine Vereinfachung darstelle.

Für den von D1 ausgehenden Fachmann wäre es nur im Rahmen einer unzulässigen ex-post-facto-Betrachtungsweise bei Kenntnis des Gegenstands des Hilfsantrags 1 möglich gewesen, dort zusätzlich einen Kanal an der Temperatureinstelleinrichtung vorzusehen, diesen in das Schutzgassystem zu integrieren und dann auch noch eine entsprechende Abstandsdimensionierung des Austrittskanals zum Walzgerüsteintritt vorzusehen.

Die betreffende Anlage besitze sehr große Dimensionen. Der Abstand zwischen Schutzgaskammer und Walzgerüsteintritt betrage normaleweise über 20m, weil Platz für andere Anlagekomponenten wie Leiter, hydraulische und elektrische Leitungen sowie ein Zugang für Instandhaltungsarbeiten gewährleistet werden müsse. Die Eingliederung eines Austrittskanals im Schutzgassystem ermögliche die Verringerung dieses großen Abstands auf unter 5m.

VII. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerdebegründung erfülle nicht die

Anforderungen des Artikels 108 EPÜ und der Regel 99 EPÜ

Im Wesentlichen habe die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag vorgelegt, der nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen sei. Die Beschwerde befasse sich daher auch nicht wie erforderlich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Damit bestätige die Beschwerdeführerin sogar implizit, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung korrekt gewesen sei. Daher sei die Beschwerde nicht zulässig.

Zulässigkeit der Anträge

Die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge seien hinsichtlich Artikels 12(4) VOBK nicht zulässig, weil sie bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt hätten werden können und sollen.

Die mit Schriftsatz vom 9. Mai 2016 eingereichten Anträge seien hinsichtlich Artikels 13(1) VOBK nicht zulässig, weil sie verspätet eingereicht worden seien.

Hauptantrag, Artikel 84, 123(2) EPÜ

Die Aufnahme des isolierten Merkmals, wonach

"das Warmband (7) beim Eintritt in die zweite Gruppe von Walzgerüsten (19) eine Zunderschicht mit einer Zunderschichtdicke von maximal 8 mym aufweist",

stelle eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung der ursprünglichen Offenbarung dar. Das Merkmal sei auch nach Artikel 84 EPÜ nur unzureichend deutlich. Erstens hänge die Zunderschichtdicke in der Praxis von vielen Parametern ab, wie z. B. Stahlgüte, Dicke des Warmbands, Gießgeschwindigkeit, Sauerstoffgehalt in der Schutzgaskammer, Sauerstoffgehalt in der Raumatmosphäre, Abstand zwischen der Schutzgaskammer und der zweiten Gruppe von Walzgerüsten usw., und diese wesentlichen Parameter seien in Anspruch 1 bzw. 11 nicht definiert. Ferner sei im Patent auch nicht angegeben, wo und wie die Zunderschichtdicke zu bestimmen bzw. messen sei. Eine standardisierte Messmethode sei nicht bekannt. Deshalb könne ein Dritter nicht direkt und eindeutig feststellen, ob eine von ihm angebotene Gießwalzanlage das beanspruchte funktionelle Merkmal aufweise oder nicht.

Hilfsantrag 1

Neuheit

D1 offenbare unstreitig alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 mit Ausnahme des Merkmals

der Herstellung eines Stahlbandes. D1 erlaube jedoch nach normalen Verständnis eines Fachmanns in der Praxis höchstens die Herstellung von Stahl- oder Aluminiumbrammen. Die Wahl der Herstellung von Stahl aus einer Gruppe zweier möglicher Materialien sei als nicht neu anzusehen.

Anspruch 1 verlange nicht, daß der nun zusätzlich beanspruchte Kanal einen geringeren Querschnitt als die Schutzkammer aufweisen müsse. Auch die Länge dieses Kanals bleibe undefiniert. Daher könne die implizit vorhandene Austrittsöffnung der Schutzkammer der Figur 3 von D1 als "Kanal" angesehen werden. Die Angabe von maximal 5 m ermögliche ebenfalls keine Unterscheidung der Figur 3 von D1.

Damit seien alle Merkmale des Anspruchs 1 aus D1 bekannt.

Erfinderische Tätigkeit

Die Auswahl von Stahl könne in keinem Fall eine erfinderische Tätigkeit begründen.

Ausgehend von D1 sehe die Beschwerdeführerin die technische Aufgabe darin, eine Verminderung des Energieverbrauchs und die Qualität des Produkts zu gewährleisten. Die englischsprachige Zusammenfassung von D1 spreche jedoch diese Aufgabe bereits an. Weiterhin sei aus Absatz [0011] der deutschen Übersetzung von D1 deutlich, dass keine weiteren Elemente zwischen der Entzunderungseinrichtung 4, der Temperatureinstelleinrichtung 5 und den Walzgerüsten 6 vorgesehen würden. Der Fachmann würde bereits aufgrund von D1 erkennen, dass es vorteilhaft sei, den Abstand zwischen den genannten Elementen gering zu halten, um die Qualität des Produkts durch geringe Zunderbildung zu gewährleisten und den Energieverbrauch zu reduzieren. Demnach sei die beanspruchte Änderung naheliegend.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Kammer ist - auch mit Blick auf die Entscheidung T642/05 - der Auffassung, dass die Beschwerde als zulässig anzusehen ist. Zwar trifft es zu, dass sich die Beschwerdebegründung eher beiläufig mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung befasst. Dennoch ist die Kritik an der nach Auffassung der Beschwerdeführerin unzutreffenden Auslegung der Begriffe "unmittelbar vor" und "unmittelbar nachfolgend" durch die Einspruchsabteilung deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Neuformulierung des Hauptantrags und der Hilfsanträge soll diesen Bedenken auch erkennbar Rechnung tragen.

Mit denselben Argumenten ist die Zulässigkeit der Anträge unter Artikel 12(4) VOBK ebenfalls nicht zu beanstanden.

Die Kammer stimmt zudem der Beschwerdeführerin zu, dass Hilfsantrag 1 eine Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer darstellt und keine neue Sachlage in das Verfahren einbringt. Die in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Änderungen sind rein formaler Art. Hilfsantrag 1 ist daher unter Artikel 13(1) VOBK nicht zu beanstanden.

2. Hauptantrag

2.1 Unzulässige Erweiterung, Artikel 123(2) EPÜ

2.1.1 Anspruch 1 bzw. 11 des Hauptantrags weisen gegenüber der erteilten Fassung das Merkmal:

"sodass das Warmband (7) beim Eintritt in die zweite

Gruppe von Walzgerüsten (19) eine Zunderschicht mit

einer Zunderschichtdicke von maximal 8 mym aufweist"

auf. Die Beschwerdeführerin hält das aufgenommene Merkmal für in der Beschreibung Spalte 5, Zeile 57 bis Spalte 6, Zeile 4 (entsprechend Seite 6, 4. Abschnitt der veröffentlichten Anmeldung) offenbart. Diese Textstelle lautet:

"Zur weitgehenden Vermeidung einer neuerlichen Verzunderung des Stahlbandes vor dem Eintritt in das erste Walzgerüst der zweiten Gruppe von Walzgerüsten umfasst die Austrittsöffnung der Schutzgaskammer einen Austrittskanal, der maximal 5,0 m, vorzugsweise maximal 3,0 m, vor dem Walzspalt des ersten Walzgerüstes der zweiten Gruppe von Walzgerüsten endet. Auf dieser kurzen Wegstrecke kommt es bei den dort auftretenden

Bandgeschwindigkeiten erfahrungsgemäß zwar zu einem neuerlichen Aufbau einer Zunderschicht mit einer Zunderschichtdicke von maximal 8 mym, die allerdings keine Probleme für die Oberflächenqualität des Walzgutes verursacht."

2.1.2 Aus dieser Textstelle geht hervor, dass der Wert der Zunderschichtdicke von maximal 8 mym das Ergebnis des Betriebs einer besonderen Ausführungsform ist, bei der der Abstand zwischen dem Ende des Austrittskanals und dem Walzspalt des ersten Walzgerüstes der zweiten Gruppe von Walzgerüsten maximal 5,0 m, vorzugsweise maximal 3,0 m, also eine kurze Wegstrecke, beträgt.

2.1.3 Es ist jedoch nicht zulässig, einen sich aus einem bestimmten Beispiel ergebenden Wert auf andere, nicht offenbarte Ausführungsformen zu übertragen und damit unzulässig zu verallgemeinern. Somit sind die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt.

2.2 Klarheit, Artikel 84 EPÜ

2.2.1 Nach Auffassung der Kammer erfüllt dieses Merkmal in Zusammenhang von Anspruch 1 bzw. 11 auch nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ, weil es dem Fachmann keine ausreichend klare technische Lehre offenbart, die er mit zumutbarem Denkaufwand ausführen könnte (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern 2013, Kapitel II.A.3.4 "Funktionelle Merkmale").

2.2.2 Die Zunderschichtdicke hängt in der Praxis von vielen Parametern ab, wie z. B. Stahlgüte, Dicke des Warmbands, Gießgeschwindigkeit (siehe Spalte 6, Zeilen 46 bis 49 des Streitpatents), Sauerstoffgehalt in der Schutzgaskammer, Sauerstoffgehalt in der Raumatmosphäre, Abstand zwischen der Schutzgaskammer und der zweiten Gruppe von Walzgerüsten usw. Diese wesentlichen Parameter sind jedoch in Anspruch 1 bzw. 11 nicht definiert.

2.2.3 Ferner gibt das Patent auch nicht an, wo und wie die Zunderschichtdicke zu bestimmen bzw. messen ist. Bei derartig geringer Schichtdicke ist die Messmethode wichtig, weil die Schicht nicht nur ungleichmäßig über die Bandfläche verteilt ist, sondern auch die Dimensionen der Spitzen und Tälern der Oberflächentopographie bedeutungsvoll ist. Eine Messmethode ist jedoch im Patent nicht beschrieben und eine standardisierte Messmethode ist nicht bekannt. Insbesondere ist es nicht klar, ob es sich hier um einen Mittelwert der Zunderschicht, der maximal 8 mym beträgt, oder einen absoluten Maximalwert von 8 mym handelt. Bei einem Mittelwert wäre es wiederum nicht klar, wie dieser definiert wird (z.B. quadratischer oder arithmetischen Mittelwert).

2.2.4 Deshalb kann ein Dritter nicht unmittelbar und eindeutig feststellen, ob eine von ihm angebotene Gießwalzanlage das beanspruchte funktionelle Merkmal des Anspruchs 11 aufweist oder nicht.

2.2.5 Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

3. Hilfsantrag 1

3.1 Unzulässige Erweiterung Artikel 123(2) EPÜ, Klarheit,Artikel 84 EPÜ

3.1.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 wurde zu Anspruch 1 des Hauptantrags das folgende Merkmal hinzugefügt:

"die Austrittsöffnung (13) der Schutzgaskammer (11) für das vorgewalzte Warmband (7) einen Austrittskanal (18) umfasst, der maximal 5,0 m, vorzugsweise maximal 3,0 m, vor dem Walzspalt (20) des ersten Walzgerüstes (19a) der zweiten Gruppe von Walzgerüsten (19) endet"

und das Merkmal:

"sodass das Warmband (7) beim Eintritt in die zweite Gruppe von Walzgerüsten (19) eine Zunderschicht mit einer Zunderschichtdicke von maximal 8 mym aufweist."

gestrichen.

3.1.2 Die Beschwerdegegnerin hat keine Einwände gegen diese Änderungen unter Artikel 123(2),(3) und Artikel 84 EPÜ erhoben.

3.1.3 Die Kammer ist ebenfalls der Auffassung, dass die Ansprüche 1 und 11 des Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des Artikels 123(2) und (3) EPÜ erfüllen.

3.2 Neuheit

3.2.1 Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass der Gegenstand die Ansprüche 1 und 11 hinsichtlich D1 nicht neu seien.

3.2.2 Nach Auffassung der Kammer ist aber entgegen der Auffassungfin der schematischen Darstellung in Figur 3 von D1 ein Austrittskanal der Schutzgaskammer nicht eindeutig und unmittelbar erkennbar. Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es zudem nicht möglich, einer solchen schematischen Darstellung genaue Abmessungen zu zuzusprechen, die sie nicht enthält.

3.2.3 D1 offenbart daher:

ein Verfahren zur Herstellung eines warmgewalzten Metallbandes in Bunden oder in Tafeln ("Dünnband-Gussstücken") aus einer Metallschmelze in einem kontinuierlichen Fertigungsprozess bei ununterbrochenem Banddurchlauf mit folgenden Verfahrensschritten:

- kontinuierliches Giessen eines Stahlstranges in einer

Stranggießkokille einer Stranggießanlage (1),

- Walzverformen des gegossenen Stahlstranges in einer ersten Gruppe von Walzgerüsten (2) zu einem vorgewalzten Warmband,

- Walzverformen des vorgewalzten Warmbandes in einer zweiten Gruppe von Walzgerüsten (6) zu einem warmgewalzten Stahlband,

- Einstellen des vorgewalzten Warmbandes auf Walztemperatur zwischen der ersten Gruppe von Walzgerüsten und der zweiten Gruppe von Walzgerüsten in einer Temperatureinstellvorrichtung ("Heizofen" 5),

- Aufwickeln des warmgewalzten Stahlbandes zu Bunden "Aufwickeleinrichtung 8)

wobei

das vorgewalzte Warmband unmittelbar vor dem Eintritt in die Temperatureinstelleinrichtung (5) entzundert wird (siehe Abschnitt [0008] der deutschen Übersetzung),

- das vorgewalzte Warmband in der Temperatureinstelleinrichtung (5) in einer Schutzgasatmosphäre gehalten wird und das vorgewalzte Warmband nach Durchlaufen der Temperatureinstelleinrichtung unmittelbar nachfolgend in der zweiten Gruppe von Walzgerüsten walzverformt wird.

3.2.4 Hiervon unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch, dass

(i) das Metallband ein Stahlband ist;

(ii) die Austrittsöffnung der Schutzgaskammer für das vorgewalzte Warmband einen Austrittskanal umfasst, der maximal 5,0 m, vorzugsweise maximal 3,0 m, vor dem Walzspalt des ersten Walzgerüstes der zweiten Gruppe von Walzgerüsten endet.

Zumindest Unterschiedsmerkmal (ii) ist auch im Anspruch 11 enthalten.

Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 ist daher neu.

3.3 Erfinderische Tätigkeit

3.3.1 Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass hinsichtlich

D1 bzw. D2 jeweils in Kombination mit dem allgemeinen

Fachwissen der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 gemäß Hilfsantrag 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

3.3.2 Die Kammer betrachtet D1 als nächstliegenden Stand der Technik, weil dort im Gegensatz zur D2 das Aufheizen des Warmbandes unter Schutzgasatmosphäre offenbart ist.

3.3.3 Nach Meinung der Kammer liegt es für den Fachmann auf der Hand, dass das bzw. die in D1 offenbarte Verfahren bzw. Vorrichtung für die Herstellung von Stahlbändern geeignet ist.

3.3.4 Die Frage der erfinderischen Tätigkeit konzentriert sich auf die Ausbildung eines Austrittskanals an der Austrittsöffnung der Schutzgaskammer und die Bestimmung des Abstands zwischen Austrittskanalende und Walzgerüsteneintritt.

3.3.5 Nach Auffassung der Kammer würde der Fachmann das Unterschiedungsmerkmal:

"die Austrittsöffnung der Schutzgaskammer für das vorgewalzte Warmband einen Austrittskanal umfasst"

nicht als eine einfache Austrittsöffnung verstehen, weil eine derartige Auslegung der Streichung des Begriffs "Austrittskanal" gleichkommt und dem Begriff "umfassen" nicht gerecht würde. Die Kammer ist vielmehr der Auffassung, dass der Fachmann dem Begriff "Austrittskanal" die technisch sinnvolle Bedeutung beilegen würde, die sie auf dem Gebiet der Herstellung von warmgewalzten Stahlband normalerweise hat. Hiernach hat ein solcher Austrittskanal zwangsläufig einen geringeren Querschnitt als die Schutzkammer selbst, weil die Austrittsöffnung implizit in der Schutzkammerwand platziert ist. Es mag richtig sein, dass die Länge des Austrittskanals nicht genau bestimmt ist, jedenfalls aber weist ein Kanal in der Regel eine gewisse Länge auf, die wiederum in Abhängigkeit ihres Zwecks bestimmt wird.

3.3.6 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass der herkömmliche Abstand zwischen Schutzgaskammer und Walzgerüsteintritt bei einer derartige Anlage normalerweise über 20m betrage, weil Platz für andere Anlagekomponenten wie Leiter, hydraulische und elektrische Leitungen, sowie Zugang für Instandhaltungsarbeiten gewährleistet werden müsse. In dem von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren genannten Stand der Technik sei keinerlei Hinweis darauf zu finden, dass diese Behauptung unzutreffend und ein geringerer Abstand zu berücksichtigen wäre.

3.3.7 Die Ausbildung eines in seiner Länge angepassten Austrittskanals an der Austrittsöffnung der Schutzgaskammer ermöglicht die Verkürzung des Abstands zwischen Austrittskanalende und Walzgerüsteintritt auf einen Wert unter 5 m. Weil ein derartiger Kanal weniger ausladend und sperrig ist, kann auf diese Art und Weise der Zugang für Instandhaltungsarbeiten sowie Platz für Anlagekomponenten gewährleistet werden, ohne dass die Schutzgaswirkung in schädlicher Weise unterbrochen werden würde.

3.3.8 Die Kammer akzeptiert die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene objektive Aufgabe, ein Verfahren anzugeben, welches ohne Qualitätseinbußen eine Vereinfachung des herkömmlichen Verfahrens darstellt und dabei weniger Energie verbraucht. Diese Aufgabe ist mit der vorliegenden Lösung gelöst.

3.3.9 Die Kammer ist mit der Beschwerdeführerin der Auffassung, dass der mit der obengenannten Aufgabe befasste Fachmann ausgehend von D1 nur mit einer rückschauenden Betrachtungsweise die Ausbildung eines Austrittskanals an der Austrittsöffnung der Schutzgaskammer und eine entsprechende Abstandsdimensionierung des Austrittskanals zum Walzgerüsteintritt unternehmen würde, da sich aus dem Stand der Technik keinerlei Hinweis auf die gefundene Lösung ergibt.

3.3.10 Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 des Hilfsantrags 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3.3.11 Die Beschwerde ist daher im Umfang des unten stehenden Tenors begründet.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit den in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer als Hilfsantrag 1 eingereichten Ansprüchen 1 bis 17, den Beschreibungsseiten 2 bis 6 gemäß der Patentschrift, der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Beschreibungsseite 2a (inhaltlich einzufügen zwischen den Absätzen 6 und 7 der Patentschrift) und den Figuren 1 bis 3 gemäß der Patentschrift aufrechtzuerhalten.

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