T 2350/12 () of 7.11.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T235012.20171107
Datum der Entscheidung: 07 November 2017
Aktenzeichen: T 2350/12
Anmeldenummer: 02017484.3
IPC-Klasse: F01N 1/16
F01N 1/04
F01N 7/18
F01N 1/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schalldämpfungseinrichtung
Name des Anmelders: Friedrich Boysen GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: J. EBERSPÄCHER GMBH & CO. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Spät eingereichter Hauptantrag - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Spät eingereichter Hilfsantrag - Rechtfertigung für späte Vorlage (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, mit der festgestellt wurde, dass das europäische Patent 1 321 639 in geänderter Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt.

Das Patent in seiner erteilten Fassung wie auch in der vor der Einspruchsabteilung geänderten und für gewährbar befundenen Fassung enthält nur einen unabhängigen Anspruch und mehrere von ihm abhängige Ansprüche, die jeweils auf eine Schalldämpfungseinrichtung gerichtet sind.

II. Am 7. November 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt in deren Verlauf die Beschwerdeführerin einen zuvor mit Schreiben vom 6. Oktober 2017 eingereichten Hauptantrag nach der Diskussion eines Neuheitseinwands zurücknahm und einen zu Beginn der Verhandlung als Hilfsantrag eingereichten zu ihrem neuen Hauptantrag erhob. Außerdem reichte sie den weiteren "Hilfsantrag 10:50 Uhr" ein.

III. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2017 eingereichten Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage des "Hilfsantrags 10:50 Uhr" aufrecht zu erhalten.

IV. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Der einzige unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut - Hervorhebungen durch die Kammer stellen die Änderungen im Vergleich zu seiner erteilten Fassung dar:

"Schalldämpfungseinrichtung für Verbrennungsmotoren mit einem Schalldämpfergehäuse (1) mit mindestens einer Abgaseintrittsöffnung (6, 7) und mindestens zwei Abgasaustrittsöffnungen (8, 9), insbesondere Nachschalldämpfer einer Zwei-Rohr-Abgasanlage, bei welcher ein im Wesentlichen gerades erstes Abgasrohr (17) vorgesehen ist, welches eine Abgaseintrittsöffnung (6) mit einer ersten Abgasaustrittsöffnung (8) verbindet und dessen Inneres über mindestens eine Öffnung (20) mit dem Inneren des Schalldämpfergehäuses (1) in Verbindung steht, bei welcher in Strömungsrichtung (I) hinter den Öffnungen (20) eine Absperreinrichtung (22a) angeordnet ist, die zwischen einer die Abgasströmung durch die erste Abgasaustrittsöffnung (8) mindestens teilweise unterbindenden und einer diese freigebenden Stellung verstellbar ist, wobei die Absperreinrichtung (22a) derart ausgestaltet ist, dass sie in Abhängigkeit von der Drehzahl des Verbrennungsmotors so verstellt[deleted: bar ist] wird, dass die Absperreinrichtung (22a) das erste Abgasrohr (17) bei niederen Drehzahlen sperrt und bei hohen Drehzahlen freigibt, und bei welcher ein zweites Abgasrohr (23) vorgesehen ist, dessen eines Ende mit der zweiten Abgasaustrittsöffnung (9) verbunden ist, wobei das zweite Abgasrohr (23) über mindestens eine Öffnung (24, 24', 24", 26) mit den Öffnungen (20) des ersten Abgasrohrs (17) in Strömungsverbindung steht,

dadurch gekennzeichnet,

dass das erste Abgasrohr (17) zwischen der Abgaseintrittsöffnung (6) und der Abgasaustrittsöffnung (8) als durchgängiges Rohr ausgebildet ist und dass die Öffnungen (20, 26) des ersten Abgasrohres (17) und des zweiten Abgasrohres (23) bzw. die freien Enden des zweiten Abgasrohres (23) in einer gemeinsamen Resonanzkammer (13) angeordnet sind."

VI. Der "Hilfsantrag 10:50 Uhr" umfasst zwei unabhängige Ansprüche, wobei der Anspruch 1 dem von der Einspruchsabteilung für gewährbar befundenen Anspruch entspricht. Da sein Wortlaut für die hier zu treffende Entscheidung nicht relevant ist, wird auf seine Wiedergabe verzichtet. Der unabhängige Anspruch 11 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zum Betrieb einer Schalldämpfungseinrichtung für Verbrennungsmotoren mit einem Schalldämpfergehäuse (1) mit mindestens einer Abgaseintrittsöffnung (6, 7) und mindestens zwei Abgasaustrittsöffnungen (8, 9), insbesondere Nachschalldämpfer einer Zwei-Rohr-Abgasanlage, bei welcher ein im Wesentlichen gerades erstes Abgasrohr (17) vorgesehen ist, welches eine Abgaseintrittsöffnung (6) mit einer ersten Abgasaustrittsöffnung (8) verbindet und dessen Inneres über mindestens eine Öffnung (20) mit dem Inneren des Schalldämpfergehäuses (1) in Verbindung steht, bei welcher in Strömungsrichtung (I) hinter den Öffnungen (20) eine Absperreinrichtung (22a) angeordnet ist, die zwischen einer die Abgasströmung durch die erste Abgasaustrittsöffnung (8) mindestens teilweise unterbindenden und einer diese freigebenden Stellung verstellbar ist, und bei welcher ein zweites Abgasrohr (23) vorgesehen ist, dessen eines Ende mit der zweiten Abgasaustrittsöffnung (9) verbunden ist, wobei das zweite Abgasrohr (23) über mindestens eine Öffnung (24, 24', 24", 26) mit den Öffnungen (20) des ersten Abgasrohrs (17) in Strömungsverbindung steht,

wobei das erste Abgasrohr (17) zwischen der Abgaseintrittsöffnung (6) und der Abgasaustrittsöffnung (8) als durchgängiges Rohr ausgebildet ist und

wobei die Öffnungen (20, 26) des ersten Abgasrohres (17) und des zweiten Abgasrohres (23) bzw. die freien Enden des zweiten Abgasrohres (23) in einer gemeinsamen Resonanzkammer (13) angeordnet sind,

dadurch gekennzeichnet,

[sic] die Absperreinrichtung (22a) in Abhängigkeit von der Drehzahl des Verbrennungsmotors so verstellt wird, dass die Absperreinrichtung (22a) das erste Abgasrohr (17) bei niederen Drehzahlen sperrt und bei hohen Drehzahlen freigibt."

VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag

Die Änderungen erfolgten in Reaktion auf die erstmals kurz vor der mündlichen Verhandlung schriftlich erhobenen neuen Einwände der Beschwerdegegnerin zur erfinderischen Tätigkeit des erteilten Anspruchs 1. Sie schränkten die beanspruchte Schalldämpfungseinrichtung durch ein funktionelles Merkmal auch strukturell in der Form ein, dass die definierte Absperreinrichtung nunmehr nicht irgendeine beliebige Absperreinrichtung sein dürfe, die nur geeignet für die beanspruchte Funktion sei, sondern strukturelle Merkmale aufweisen müsse, um diese Funktion auch durchzuführen. Die Definition weiterer konkreter Merkmale sei dabei nicht erforderlich, um dem Erfordernis des Artikels 84 EPÜ zu genügen.

"Hilfsantrag 10:50Uhr"

Der unabhängige Verfahrensanspruch 11 definiere die eigentliche Erfindung, die dem Patent zugrundeliege.

VIII. Die Beschwerdegegnerin widersprach der Zulassung des Hauptantrags in das Verfahren weil ihrer Meinung nach die Änderungen keine weiteren klaren strukturellen Einschränkungen gegenüber dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung definierten.

Entscheidungsgründe

1. Artikel 12 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) bestimmt, welches Vorbringen der Parteien die Grundlage des Beschwerdeverfahrens bildet.

Nach Artikel 12 (1)b) VOBK liegt dem Verfahren unter anderem die Beschwerde und ihre Begründung zugrunde.

Nach Artikel 12 (2) VOBK muss die Begründung den vollständigen Sachvortrag der Beschwerdeführerin enthalten. Sie muss insbesondere ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen. Obwohl nicht explizit erwähnt, gehören dazu auch die Anträge einer Partei, hier der Beschwerdeführerin.

Artikel 12 (4) VOBK gibt der Kammer ein Ermessen, unter anderem Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind.

Anträge, die erst nach Ablauf der Frist für die Beschwerdebegründung eingereicht werden, stellen nach Artikel 13 (1) VOBK eine Änderung des Vorbringens eines Beteiligten dar. Ihre Zulassung in das Verfahren liegt im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer neben dem Verfahrensstand und der Komplexität des neuen Vorbringens auch die gebotene Verfahrensökonomie. Im Hinblick auf letztere ist es für die Zulassung geänderter Ansprüche in das Verfahren erforderlich, dass diese prima facie gewährbar sind, in dem Sinne, dass sie bestehende Einwände eindeutig beheben ohne dabei neue einzuführen.

Hauptantrag

2. Dieser Antrag wurde in der mündlichen Verhandlung und somit nach Ablauf der Frist für die Beschwerdebegründung eingereicht. Seine Zulassung in das Verfahren liegt folglich nach Artikel 13 (1) VOBK im Ermessen der Kammer unter Berücksichtigung der zuvor genannten Kriterien.

3. Die am Anspruch 1 im Vergleich zu seiner Fassung im erteilten Patent durchgeführten Änderungen (vgl. Punkt V oben) scheinen zumindest den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ nicht zu genügen, insofern sie die geforderte deutliche Fassung (Klarheit) betreffen.

Laut erteiltem Anspruch 1 war die Absperreinrichtung der beanspruchten Schalldämpfungseinrichtung unter anderem dadurch definiert, dass "die Absperreinrichtung (22a) in Abhängigkeit von der Drehzahl des Verbrennungsmotor so verstellbar ist", dass sie das erste Abgasrohr bei niederen Drehzahlen sperrt und bei hohen Drehzahlen freigibt. Die geforderte Verstellbarkeit schränkte daher die Absperreinrichtung nur bezüglich ihrer generellen Eignung für das drehzahlabhängige Öffnen und Schließen des ersten Abgasrohres ein.

Im geänderten Anspruch wurde der zuvor zitierte Wortlaut geändert in "die Absperreinrichtung (22a) derart ausgestaltet ist, dass sie in Abhängigkeit von der Drehzahl des Verbrennungsmotors so verstellt wird". Nach Ansicht der Beschwerdeführerin würde damit aus einer beliebigen Absperreinrichtung, die nur eine generelle Eignung für die drehzahlabhängige Funktion aufweisen müsse, eine solche, die strukturell so ausgebildet sei, dass sie nur genau die beanspruchte Funktion (Schließen bei niedrigen, Öffnen bei hohen Drehzahlen) ausführen könne.

Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt. Das geänderte Merkmal definiert die Verwendung der Absperreinrichtung im Betrieb der Schalldämpfungseinrichtung am Verbrennungsmotor und stellt daher ein Verfahrensmerkmal ("...verstellt wird...") in einem auf ein Produkt gerichteten Anspruch dar, ohne dass klar wird, durch welche strukturellen Merkmale die Schalldämpfungseinrichtung bzw. ihre Absperreinrichtung selbst weiter präzisiert sein könnte. Laut Beschreibung, siehe z.B. Absatz 8 des Patents, und den abhängigen Ansprüchen, siehe z.B. Ansprüche 3 und 4, wird die Absperreinrichtung nämlich bevorzugt durch eine (regelbare) Abgasklappe gebildet, die durch eine über eine an die Luftansaugleitung des Motors anschließbare Unterdruckdose betätigbar ist. Die beanspruchte drehzahlabhängige Funktion scheint also durch diese, gerade nicht zur Absperreinrichtung gehörenden Merkmale ausgeführt zu werden, so dass unklar bleibt, durch welche weiteren (strukturellen) Merkmale die Absperreinrichtung selbst "derart ausgestaltet" sein könnte, um die gewollte Funktion auszuführen.

4. Da der geänderte Anspruch 1 zumindest die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht zu erfüllen scheint, ist der Hauptantrag nicht prima facie gewährbar. Die Kammer hat deshalb ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK dahingehend ausgeübt, den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

"Hilfsantrag 10:50 Uhr"

5. Dieser Hilfsantrag enthält zum ersten Mal im gesamten Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren einen unabhängigen Anspruch, der auf ein "Verfahren zum Betrieb einer Schalldämpfungseinrichtung" gerichtet ist. Dass bei der Diskussionen der erhobenen Einwände in der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren übersehen worden sei, worin der Kern der Erfindung des Patents eigentlich liege, kann die Kammer als Begründung dafür, dass ein solcher Verfahrens-Anspruch nicht bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hätte vorgelegt werden können, nicht gelten lassen. Die Beschwerdeführerin wurde nach eigenen Angaben von der Einspruchsabteilung auch nicht daran gehindert, weitere Änderungen ihrer Anträge vorzunehmen. Es ist folglich nicht erkennbar, aus welchen Gründen ein entsprechender Antrag nicht bereits vor der Einspruchsabteilung hätte vorgelegt werden können.

6. Die Kammer hat deshalb ihr Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK dahingehend ausgeübt, den in der mündlichen Verhandlung eingereichten "Hilfsantrag 10:50 Uhr" nicht in das Verfahren zuzulassen.

7. In Ermangelung eines Antrags der Beschwerdeführerin, auf dessen Grundlage die angefochtene Zwischenentscheidung aufgehoben werden könnte, hat die Kammer entschieden, dem Antrag der Beschwerdegegnerin zu folgen und die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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