T 2300/12 () of 30.6.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T230012.20150630
Datum der Entscheidung: 30 Juni 2015
Aktenzeichen: T 2300/12
Anmeldenummer: 04740521.2
IPC-Klasse: H01J 49/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: MASSENSPEKTROMETER UND FLÜSSIGMETALL-IONENQUELLE FÜR EIN SOLCHES MASSENSPEKTROMETER
Name des Anmelders: ION-TOF Technologies GmbH
Name des Einsprechenden: ULVAC-PHI, Inc.
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(c)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. EP-B-1 658 632 zu widerrufen (Artikel 101 (2) und (3) b) EPÜ).

II. Der Einspruch war gegen das Patent in gesamtem Umfang gerichtet und darauf gestützt, dass

- der Gegenstand des Patents nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ 1973),

- das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne (Artikel 100 b) EPÜ 1973), und

- der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Artikel 100 c) EPÜ 1973).

III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die Aufhebung der ange­foch­tenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs­.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 6 des Patents in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"6. Verfahren zur Analyse von Proben oder Oberfächen,

dadurch gekennzeichnet, dass die Probe oder Oberfläche mit einem massenreinen Ionenstrahl aus Bismutionen

einer Art Bin**(p+), bei denen n >= 2 und p >= 1 ist und n und p jeweils eine natürliche Zahl ist, bestrahlt wird, so dass Sekundärteilchen und/oder Sekundärionen gebildet werden, und wobei die Masse der Sekundärteilchen und/oder Sekundärionen analysiert wird."

V. Die Parteien trugen im Wesentlichen Folgendes in Bezug auf die Änderungen vor:

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei zwar ursprüng­lich kein Verfahrensanspruch eingereicht worden, zahl­reiche Textstellen deuteten jedoch auf das im erteilten Anspruch 6 beanspruchte Verfahren zur Analyse von Proben hin (siehe Seite 1, Zeile 8; Seite 2, Zeile 3; Seite 3, Zeile 15; Seite 4, Zeile 15; Seite 5, Zeilen 8 und 16; Ansprüche 3 und 4).

Der erteilte Anspruch 6 sei ferner so zu verstehen, wie ein Fachmann ihn verstehen würde; zur Auslegung des Anspruchs sei überdies die Beschreibung heranzuziehen. Aus der Beschreibung der Offenlegungsschrift (ins­besondere Seite 10, letzter Absatz) sei dem Fachmann der Hinweis gegeben, dass ganz allgemein Bismut-Emitter als Primär­ionen­quellen eingesetzt werden könnten. Die Herkunft der Bismut-Primärionen sei für die Erfindung auch nicht wesentlich und werde nicht als wesentlich dargestellt (siehe Abschnitt [0029] des Streitpatents). Die Effizienz der Sekundärionenbildung hänge nicht vom Typ des Ionenemitters ab. Die Nicht-Beschränkung auf Flüssig­metall­ionen­quellen erfordere auch keine Änderung im bean­spruchten Verfahren. Somit seien sämtliche drei Kriterien des sogenannten "Wesentlichkeitstests" erfüllt.

Eine Flüssigmetallionenquelle sei überdies die einzig relevante Quelle für die Erzeugung der beanspruchten Bismutcluster. Der Fachmann würde zu dieser Quelle greifen um diese Teilchen zu erzeugen. Er würde jedoch andere Ionenquellen grundsätzlich nie ausschließen, um einen bestimmten Primärionenstrahl zu erzielen.

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 6­ gehe daher nicht über den Gegenstand der ursprüng­lichen Anmeldung hinaus.

Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, dass ein Anmelder, der ursprünglich keinen Verfahrensanspruch eingereicht habe, nicht besser gestellt sein solle als ein Anmelder, welcher einen dem Vorrichtungsanspruch entsprechenden Verfahrensanspruch eingereicht habe. In allen ursprünglichen unabhängigen Ansprüchen werde eine Flüssigmetallquelle definiert. Insbesondere werde im erteilten Anspruch 6 ein generisches Verfahren zur Analyse von Proben oder Oberflächen beansprucht, welches die folgenden Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 6 nicht aufweise:

- die Ionenquelle besitzt einen heizbaren Ionen­emitter, der mit einer Flüssigmetallschicht überzogen ist,

- der Ionenstrahl wird mit Hilfe einer Filter­vor­richtung gefiltert,

- die Massenanalyse wird mittels eines Massen­spektro­meters ausgeführt,

- die Sekundärteilchen sind ionisiert.

Daher umfasse der erteilte Anspruch 6 Ausführungs­beispiele, welche nicht unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ableitbar seien.

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 6 gehe daher über den Inhalt der Anmeldung in der ursprüng­lichen Fassung hinaus.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen

1.1 In der angefochtenen Entscheidung entschied die Ein­spruchsabteilung, dass der Gegenstand des Streit­patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Punkt 2.1 der Gründe). Insbesondere war die Einspruchsabteilung der Ansicht, dass die Nichterwähnung der Flüssigmetall-Ionenquelle im erteilten Anspruch 6 nicht von der ursprünglichen Beschreibung gestützt sei.

1.2 Die Beschwerdeführerin wendete den sogenannten "Wesentlichkeitstest" an und war der Ansicht, dass in Bezug auf die Nichtnennung einer Flüssigmetall­ionenquelle im erteilten Anspruch 6 alle drei Kriterien dieses Tests erfüllt seien, so dass keine Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung vorliege.

Bei dem Wesentlichkeitstest geht es darum, zu prüfen, ob das Ersetzen oder Streichen eines Merkmals in einem ursprünglich eingereichten unabhängigen Anspruch eine Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der ur­sprüng­lich eingereichten Fassung darstellt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Auflage 2013, Abschnitt II.E.1.7.2). Der erteil­te Anspruch 6 betrifft ein Verfahren zur Analyse von Proben oder Oberflächen. Der ursprünglich einge­reichte Anspruchssatz enthält jedoch überhaupt keinen Ver­fahrens­­anspruch, sondern lediglich die unabhängigen Ansprüche 1 und 6, welche einen Massen­spektrometer beziehungsweise eine Ionenquelle betreffen, sowie von diesen Ansprüchen abhängige Ansprüche. Schon aus diesem Grund ist der Wesentlich­keits­test im vorliegenden Fall bei der Prüfung, ob der Gegenstand des erteilten Anspruchs 6 eine unzulässige Erweiterung enthält, nicht direkt anwendbar.

Vielmehr ist hinsichtlich des Einspruchsgrundes nach Artikel 100 c) EPÜ 1973 gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu überprüfen, ob der Gegenstand des Anspruchs 6 für den Fachmann, der sein Fachwissen heran­zieht, unmittelbar und eindeutig aus den ur­sprüng­lich eingereichten Anmeldungsunterlagen hervor­geht (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Auflage 2013, Abschnitt II.E.1).

1.3 Im Anspruch 6, der - wie oben erwähnt - ein ­­Verfahren zur Analyse von Proben oder Oberfächen betrifft, wird angegeben, dass die Probe oder Oberfläche mit einem massenreinen Ionen­strahl aus Bismutionen einer Art Bin**(p+) bestrahlt wird, wobei n >= 2 und p >= 1 und n und p jeweils eine natür­liche Zahl ist. Eine Quelle der Bismutionen wird im Anspruch 6 nicht angegeben.

In der ursprünglichen Beschreibung wird mit Bezug auf Figur 1 eine für den Massenspektrometer geeignete Flüssig­metall-Ionen­quelle beschrieben (siehe Seite 6, letzter Absatz - Seite 7, letzter Absatz der Offen­legungs­schrift). Aus einem Reservoir 5, in dem sich im Betrieb ein Vorrat an geschmolzenem Bismut befindet, ragt zentrisch eine Emitter-Nadel, welche bis zu ihrer Spitze mit flüssigem Bismut benetzt ist. Wenn zwischen benetzter Emitter-Nadel und Extraktionsblende 2 eine ausreichend hohe Spannung angelegt wird, setzt die Emission von Metallionen ein, wobei der Emissionsstrom bei etwa 0,2 und 5 myA liegt.

Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass aus der Beschreibung hervorgehe, dass ganz allgemein Bismut-Emitter als Ionenquellen eingesetzt werden könnten und führt insbesondere die Passage auf Seite 10, letzter Absatz, an. Diese Passage folgt der Beschreibung einer Analyse organischer Ober­flächen mit demselben Flüssig­metall-Ionen­massenspektro­meter aber verschiedenen Primär­ionen-Arten, nämlich Gold und Bismut (siehe Abbildung 3 und Seite 9, erster Absatz - Seite 10, erster Absatz). In der Passage auf Seite 9, letzter Absatz bis Seite 10, zweiter Absatz wird dabei ins­besondere darauf hingewiesen, dass sich bei dieser Analyse durch die Verwendung von Bi3**(+) gegenüber Au3**(+) die Primär­ionenströme steigern lassen, wodurch die Messzeit reduziert und der Probendurchsatz erhöht werden kann.

In der zitierten Passage wird nun angeführt, dass "[z]usätzlich zu den beschriebenen Vorteilen hin­sicht­lich der Messzeit" Bismut-Emitter gegenüber Gold-Emittern Vorteile hinsichtlich der Stabilität der Emission bei kleinen Emissionsströmen und der Massen­separation der emittierten Ionenarten aufweisen. Es ist somit offenkundig, dass sich diese Passage auf die mit Bezug auf Figur 3 beschriebene Analyse organischer Ober­flächen bezieht, bei der - wie oben beschrieben - eine Flüssig­metall-Ionen­quelle verwendet wird. Die Passage gibt also keinen Hinweis darauf, dass ganz allgemein Bismut-Emitter als Ionenquellen eingesetzt werden könnten.

1.4 Die Erzeugung der beanspruchten Bismutcluster ist eng an die verwendete Flüssigmetall-Ionenquelle geknüpft. Insbesondere muss der Heizstrom so eingestellt werden, dass die Emitter-Nadel auf einer Temperatur gehalten wird, bei der das Bismut geschmolzen bleibt und die Nadel benetzt. Ferner muss die Beschaffenheit der Emitter-Nadel (Drahtdurchmesser, Krümmungsradius an der Spitze) und die zwischen Emitter-Nadel und Extraktions­blende angelegte Spannung so gewählt werden, dass sich an der Nadelspitze der sogenannte Taylor-Konus bilden kann. Die damit verbundene Verjüngung an der Spitze des Taylor-Konus führt zu einem deutlichen Anstieg der Feldstärke, so dass dort die gewünschten Bismutcluster emittiert werden.

Die Beschwerdeführerin selbst ist der Ansicht, dass eine Flüssigmetallionenquelle die einzig relevante Quelle für die Erzeugung der beanspruchten Bismut­cluster sei, und der Fachmann zu dieser Quelle greifen würde, um diese Teilchen zu erzeugen. In der Tat gibt es keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Bismut­cluster auch mittels anderer Ionenquellen erzeugt werden könnten.

1.5 Außerdem wird in allen ursprünglich eingereichten un­abhängigen Ansprüchen, nämlich den bereits oben unter Punkt 1.2 erwähnten unabhängigen Ansprüchen 1 und 6, eine Flüssigmetall-Ionenquelle beansprucht. Insbeson­dere wird in beiden Ansprüchen eine Quelle mit einem heizbaren Ionenemitter, der im feldausgesetzten Bereich mit einer Flüssigmetallschicht überzogen ist, ange­geben.

Die ursprünglich eingereichten Ansprüche bieten somit ebenfalls keine Basis für die Nichtnennung der Flüssigmetall-Ionenquelle.

1.6 Aus diesen Gründen ist das Verfahren ohne eine Flüssig­metall-Ionenquelle, das im unabhängigen Anspruchs 6 des Patents in der erteilten Fassung beansprucht wird, nicht unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ableitbar.

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 6 geht daher über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ 1973 steht daher der Aufrecht­erhaltung des Patents entgegen und das Patent ist zu widerrufen (Artikel 101 (2) EPÜ). Die Entscheidung der Einspruchsabteilung ist somit zu bestätigen, und die Beschwerde ist zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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