T 1937/12 () of 13.9.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T193712.20170913
Datum der Entscheidung: 13 September 2017
Aktenzeichen: T 1937/12
Anmeldenummer: 08158235.5
IPC-Klasse: A01F 15/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Landwirtschaftliche Ballenpresse
Name des Anmelders: Usines CLAAS France S.A.S.
Name des Einsprechenden: CNH Belgium N.V.
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Verspätet eingereichtes Dokument - zugelassen (ja)
Neuheit Anspruch 1 wie erteilt (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, zur Post gegeben am 18. Juni 2012, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 022 319 gemäß Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hatte am 28. August 2012 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 29. Oktober 2012 eingegangen.

II. Der Einspruch gegen das Patent war auf die Gründe Artikel 100 a) i.V.m. 54 und 56 EPÜ, gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass keine der genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegenstünden.

III. Folgendes Beweismittel aus dem Beschwerdeverfahren wurde in vorliegender Entscheidung berücksichtigt:

D4 = US 2,470,278

IV. In einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, welche am 13. September 2017 unter Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien stattfand.

V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im vollen Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 wie erteilt hat folgenden Wortlaut:

"Landwirtschaftliche Ballenpresse mit einer Steuer- einrichtung zur Steuerung der Presskraft in einem Presskanal, bestehend aus einer Aufnahmevorrichtung, einem Zuführkanal und wenigstens einer oberen schwenkbeweglichen Pressklappe und schwenkbeweglichen Seitenwänden, die mit Anpresseinrichtungen ausgestattet sind, dadurch gekennzeichnet, dass das Verhältnis der Presskraft der Anpresseinrichtung (15) der wenigstens einen oberen schwenkbeweglichen Pressklappe (13) zur Presskraft der Anpresseinrichtungen (16) der schwenkbeweglichen Seitenwände (11, 12) einstellbar ist."

VII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

D4 sei zuzulassen, da sie als Reaktion auf die Einspruchsentscheidung eingereicht worden sei und prima facie unabhängig einstellbare Presskräfte offenbare. Aus Anspruch 1 des Patents gehe nicht hervor, dass wegen der Einstellbarkeit des Verhältnisses der Presskräfte die jeweilige Presskraft genau auf einen vorgegebenen Wert eingestellt werden müsse. Da D4 offenbare, siehe Figuren, dass das Verhältnis der jeweiligen Presskräfte individuell einstellbar sei, und die Offenbarung der übrigen Merkmale des Anspruchs 1 nicht bestritten werde, sei Anspruch 1 des Patents nicht neu gegenüber D4.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

D4 sei als verspätet nicht zu berücksichtigen, da die Sachlage (Patent wie erteilt) unverändert sei, und D4 zudem prima facie keine Einstellbarkeit des Presskraftverhältnisses offenbare. Der Wortlaut des Anspruchs 1 erfordere durch den Begriff "einstellbar" inhärent, dass die jeweilige Presskraft genau auf einen spezifischen Wert eingestellt werden müsse. Aus D4 sei aber nur ein Verändern des Verhältnisses der Presskräfte zu entnehmen, jedoch nicht deren genaue Einstellung. Anspruch 1 des Patents sei daher neu gegenüber D4.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung Dokument D4

2.1 Dokument D4 wurde mit Beschwerdebegründung eingereicht und beschreibt eine Ballenpresse. Die Beschwerdegegnerin erwidert zur verspäteten Einreichung der D4, dass die Sachlage unverändert sei, d.h., Patent wie erteilt. D4 hätte daher früher vorgelegt werden müssen. D4 sei zudem prima facie irrelevant. So beschreibe D4 zwar eine Vielzahl von Möglichkeiten das Verhältnis der Presskräfte zu ändern, siehe D4, Figuren. D4 könne aber keinen Hinweis darauf liefern, ob bzw. wie die Presskräfte genau eingestellt würden. D4 offenbare daher kein "einstellbares" Presskraftverhältnis. Die verspätet vorgebrachte D4 sei somit nicht zu berücksichtigen.

2.2 Demgegenüber folgt die Kammer jedoch dem Vortrag der Beschwerdeführerin, wonach die Einreichung der D4 zunächst als Reaktion auf die schriftliche Entscheidung der Einspruchabteilung erfolgte. So befand die Einspruchsabteilung, dass im bis dato bekannten Stand der Technik keine unabhängige Einstellbarkeit des Verhältnisses der oberen und seitlichen Presskräfte offenbart sei.

Im Gegensatz zum bisher bekanntgewordenen Stand der Technik sind in D4 die Presskräfte aber offenbar individuell verstellbar. Den von der Beschwerdeführerin zitierten Passagen, insbesondere der Spalte 3, Zeilen 3-32, dem Brückenabsatz zwischen Spalte 3 und 4, und den Figuren, sind prima facie zwei voneinander unabhängig einstellbare Anpresseinrichtungen zu entnehmen: eine vertikale Schraubenspindel 48 (vertical threaded studs 48) für die Presskraft der oberen Pressklappe 40 (top wall 40), und mittels Griffen 34 verstellbare Druckfedern 26,27 (compression springs 26,27) für die Presskraft der Seitenwände 16,17 (sidewalls 16,17).

2.3 In Ausübung Ihres Ermessens entschied die Kammer daher dem Antrag auf Nichtzulassung des Dokuments D4 ins Verfahren nicht stattzugeben, Artikel 12(4) VOBK.

3. Neuheit

3.1 Es ist unstreitig zwischen den Parteien, dass alle Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1 aus der D4 hervorgehen. Zweifelsohne betrifft das Dokument eine landwirtschaftliche Ballenpresse ("Baling press") mit einem Presskanal mit schwenkbeweglicher Pressklappe 40 und schwenkbeweglichen Seitenwänden 16, 17 (siehe Figuren). Im Presskanal wird die (vertikale bzw. horizontale) Presskraft über Federn 26, 27 und Schraubenspindeln 48 aufgebracht. Weiterhin ist die Anpassung der Presskräfte mittels Federn 26,27 und Spindel 38 als Steuereinrichtung zu betrachten.Nicht gezeigt aber zwingend vorhanden ist eine Aufnahmevorrichtung sowie ein Zufuhrkanal.

3.2 Nur die Offenbarung des kennzeichnenden Merkmals des Anspruchs 1 durch D4 ist zwischen den Parteien streitig. Aus Sicht der Beschwerdegegnerin befänden sich zwar am Ende des Presskanals der D4 Handräder (handwheels 51) mit Spindeln (threaded studs 48) zur Änderung der vertikalen Presskräfte, und Griffe (handles 34) mit Federn (springs 26,27) zum seitlichen Verändern der Presskräfte, vgl. D4, Figuren. Somit seien in D4 Spindeln bzw. Federn unabhängig voneinander variierbar und dadurch Veränderungen des Verhältnisses der Presskräfte möglich.

D4 offenbare aber nicht, dass das Verhältnis der tatsächlichen Presskräfte einstellbar sei. Dies gehe auch aus D4, Spalte 4, Zeilen 27 und 28 hervor, wo nur vom Einstellen der Öffnung die Rede sei, aber nicht der Presskräfte: "...to constrict the discharge opening...". Dem Begriff "einstellbar" nach Anspruch 1 des Patents sei aber inhärent, dass die Presskräfte präzise auf eine bestimmte Vorgabe eingestellt werden müssten.

Daher sei Anspruch 1 wie erteilt, nach der Meinung der Beschwerdegegnerin, neu gegenüber D4.

3.3 Diese Auslegung der Beschwerdegegnerin bezüglich des einstellbaren Verhältnisses der Presskräfte in Anspruch 1 vermag die Kammer jedoch nicht zu überzeugen.

3.3.1 Anspruch 1 wie erteilt beschreibt, dass "das Verhältnis der Presskraft der Anpresseinrichtung der wenigstens einen oberen schwenkbeweglichen Pressklappe zur Presskraft der Anpresseinrichtungen der schwenkbeweglichen Seitenwände einstellbar ist".

3.3.2 Wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, geht für den Fachmann aus diesem Wortlaut des Anspruchs 1 jedoch nicht hervor, auch nicht inhärent, dass das Verhältnis der einen Presskraft zur Anderen auf die Vorgabe eines ganz spezifischen Werts eingestellt werden muss.

Das breit formulierte Anspruchsmerkmal "einstellbar" setzt in Anspruch 1 vielmehr nur voraus, dass das Verhältnis der Presskräfte irgendwie eingestellt werden kann. Es erfordert nicht, dass die Presse durch besondere Anpassungen nur auf präzise, vorgegebene Verhältniswerte eingestellt werden kann. Eine Einstellung des Presskraftverhältnisses in diesem breiteren Sinne wird auch dadurch verwirklicht, indem die Presskräfte der oberen Anpresseinrichtung oder der seitlichen Anpresseinrichtungen jeweils für sich, also unabhängig voneinander, geändert werden können. Dadurch dass die vertikalen und horizontalen Presskräfte gesondert variiert werden können, ist deren Verhältnis zueinander auch variierbar.

Es herrscht im übrigen Übereinstimmung zwischen den Parteien, dass ein solches Ändern des Verhältnisses von voneinander unabhängigen Presskräften der Anpresseinrichtungen für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus D4 zu entnehmen ist. Der Vollständigkeit halber verweist die Kammer hierzu abschließend auf D4 Spalte 3, Zeilen 69,70, "Each of the walls 40,41 is adjustable vertically to increase or decrease the pressure thereof ..." für die obere (und untere) Pressklappe, und auf D4, Spalte 3, Zeilen 29-32, "...and thus adjusting the amount of force applied to urge the two walls 16, 17 towards each other..." für die Seitenwände.

3.4 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Merkmal im Kennzeichen des Anspruchs 1 hinsichtlich der Einstellbarkeit des Verhältnisses der Presskräfte der Anpresseinrichtungen im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdegegnerin in D4 offenbart ist. Die Offenbarung der übrigen Merkmale des Anspruchs 1 aus D4 ist unbestritten.

3.5 Zusammenfassend kommt die Kammer zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents im Lichte der Offenbarung der D4 nicht neu ist.

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 erfüllt daher nicht die Erfordernisse des Artikels 100 a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ.

4. Die Kammer schließt aus diesen Gründen, dass, im Gegensatz zur angegriffenen Entscheidung, wenigstens ein Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht. Da keine Hilfsanträge seitens der Beschwerdegegnerin während des Beschwerdeverfahrens vorgelegt wurden, ist somit das Patent nach Artikel 101(2) EPÜ zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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