European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T189412.20170912 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 12 September 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1894/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00127886.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | B66B 5/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Aufzuganlage mit verringerter Schachtgrubentiefe | ||||||||
Name des Anmelders: | ThyssenKrupp Aufzugswerke GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | KONE Corporation Otis Elevator Company |
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Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichter Antrag - Zulässigkeit in das Verfahren (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende I und II) richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass das im Einspruchsverfahren geänderte europäische Patent Nr. 1 118 574 den Erfordernissen des EPÜ genügt.
II. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) verfolgte mit ihrer Beschwerdeerwiderung nur die Zurückweisung der Beschwerden, reichte allerdings im weiteren schriftlichen Verfahren zwei Hilfsanträge ein.
III. In einer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar, wonach die im Einspruchsverfahren vorgenommenen und für gewährbar befundenen Änderungen am Anspruch 1 die Erfordernisse der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ nicht zu erfüllen schienen. Ebenso schienen die geänderten Ansprüche der beiden Hilfsanträge zumindest den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ nicht zu genügen. Die Beschwerdeführerin reichte vor der mündlichen Verhandlung nochmals zwei Hilfsanträge ein, die die zuvor vorgelegten Hilfsanträge ersetzten.
IV. Am 12. September 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Im Verlauf der Verhandlung legte die Beschwerdegegnerin unter anderem einen Hilfsantrag 3 ein, den sie am Ende der Verhandlung zu ihrem einzigen Antrag (Hauptantrag) machte. Der entsprechende Anspruchssatz weist neben einem unabhängigen Anspruch nur noch zwei von diesem abhängige Ansprüche auf.
V. Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
VI. Die Beschwerdegegnerin beantragte, das Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2017 eingereichten Hilfsantrags 3 aufrecht zu erhalten.
VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:
"Aufzuganlage mit einem in einer Fahrkorbfahrbahn mit verringerter Schachtgrubentiefe verfahrbaren Fahrkorb und mit einer auf eine Fahrbewegung des Fahrkorbs einwirkenden und durch als ein Geschwindigkeitsbegrenzer oder eine Schlaffseilauslösung ausgebildete erste Aktivierungsmittel auslösbaren Fangvorrichtung, dadurch gekennzeichnet, dass als eine außerhalb eines Aufzugschachtes der Aufzuganlage angeordnete und von einer Person des Aufzugschachtes zu betätigende Auslösevorrichtung ausgebildete zweite zusätzliche Mittel zum Aktivieren der Fangvorrichtung vorgesehen sind, wobei durch eine Aktivierung der Fangvorrichtung durch die zweiten zusätzlichen Mittel zum Aktivieren der Fangvorrichtung eine Einrichtung eines temporären Schutzraums unter dem Fahrkorb erfolgt."
VIII. Die Argumente der Beschwerdeführerinnen können wie folgt zusammengefasst werden.
Der Antrag dürfe nicht in das Verfahren zugelassen werden, da er sehr spät im Verfahren vorgelegt wurde und die Änderungen das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllten. Die Absatz 8 der Beschreibung entnommenen strukturellen Merkmale seien nur im Zusammenhang mit einem Zugangssystem zum Aufzugschacht und anderen Merkmalen, wie einer elektrischen oder mechanischen Auslösevorrichtung offenbart. Die in Absatz 8 ebenfalls offenbarte Bedingung, an die die erfindungsgemäße Einrichtung eines Schutzraums gekoppelt sei, nämlich, dass die Betätigung der Auslösevorrichtung durch eine Person vor dem Betreten des Schachts erfolgen muss, ist im Anspruch nicht durch entsprechende strukturelle Merkmale definiert.
Würde der geänderte Anspruch im Verfahren zugelassen werden, wäre weiterer Stand der Technik, so z.B. D8 (EP-A-0 662 444), im Verfahren zu berücksichtigen.
IX. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden.
Die geänderten Ansprüche seien in das Verfahren zuzulassen, da sie in Reaktion auf die zuvor erhobenen Einwände vorgenommen wurden und diese beheben würden. Die Änderungen seien nicht komplex und seien für die Beschwerdeführerinnen bereits aus den früher im schriftlichen Verfahren eingereichten Hilfsanträgen vorhersehbar gewesen.
Anspruch 1 gebe alle strukturellen Merkmale der in Absatz 8 offenbarten Aufzugsanlage an, die zur Einrichtung eines temporären Schutzraums erforderlich sind. Ein Zugangssystem für das Betreten des Schachts sei für die Einrichtung des Schutzraums nicht zwingend vorgeschrieben. Absatz 16 bestätige, dass andere Merkmale lediglich optional seien.
Entscheidungsgründe
Zulässigkeit des Antrags der Beschwerdegegnerin
1. Die geänderten Ansprüche des einzigen Antrags der Beschwerdegegnerin wurden in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer und damit nach Ablauf der Frist für die Beschwerdeerwiderung eingereicht. Der geänderte Antrag stellt somit nach Artikel 13 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin dar. Seine Zulassung in das Verfahren liegt im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung ihres Ermessens sind von der Kammer die Komplexität des neuen Vorbringens, der Verfahrensstand und die gebotene Verfahrensökonomie zu berücksichtigen. Im Hinblick auf letztere ist es für die Zulassung geänderter Ansprüche in das Verfahren erforderlich, dass diese prima facie gewährbar sind.
2. Die Änderungen der Ansprüche erfolgten sehr spät, in der Tat zum spätest möglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren. Allerdings kann die Kammer allein in der Verspätung keinen Grund erkennen, diesen Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen.
3. Die Einspruchsabteilung hatte in der von ihr für gewährbar befundenen Fassung die Aufnahme eines Merkmals in Anspruch 1 erlaubt, "wobei die Aktivierung der Fangvorrichtung erfolgt, wenn eine Person die Schachtgrube betreten will", welches die Beschwerdeführerinnen und die Kammer in ihrer Mitteilung unter anderem als unklar im Sinne des Artikels 84 EPÜ bemängelten. Die an den Ansprüchen daraufhin im Beschwerdeverfahren vorgenommenen Änderungen erfolgten erkennbar und konsistent in der Absicht, die erhobenen Einwände gegen die Ansprüche, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen (ursprünglicher Hauptantrag der Beschwerdegegnerin) bzw. gegen die Ansprüche der anderen eingereichten und wieder zurückgenommenen Hilfsanträge durch eine Präzisierung struktureller Merkmale zu beheben.
Das von der Einspruchsabteilung zugelassene unklare Merkmal, sowie die an seiner Stelle jetzt definierten strukturellen Merkmale beruhen auf dem gleichen Absatz der Beschreibung und betreffen die gleiche Ausführungsform einer Aufzuganlage. Die möglichen Änderungen, um den erhobenen Klarheitseinwand auszuräumen, orientieren das Verfahren somit nicht in eine neue Richtung.
Das Argument der Beschwerdeführerinnen, wonach entsprechende Änderungen schon im schriftlichen Verfahren hätten eingereicht werden können, überzeugt die Kammer nicht. Die Behebung des Klarheitseinwands gegen das von der Einspruchsabteilung zugelassene unklare Merkmale musste nämlich in einem Rahmen erfolgen, der neben den im EPÜ aufgeführten Erfordernissen (z.B. Artikel 84 und 123 EPÜ) auch die Berücksichtigung der in den Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 1/99 (ABl. EPA 2001, 381) aufgestellten Prinzipien hinsichtlich des prinzipiellen Verbots einer reformatio in peius erforderte (siehe auch unten Punkt 7). Wie die notwendigen Änderungen am Anspruch zur Behebung dieses Mangels zu formulieren waren, war daher im Hinblick auf das Zusammenwirken der vorgenannten Erfordernisse nicht einfach zu erkennen.
Die Kammer kann auch nicht erkennen, dass das mit den Änderungen verbundene Vorbringen eine besondere Komplexität aufweisen würde. Der diesbezügliche Einwand der Beschwerdeführerinnen, wonach die Änderung im Hinblick auf die aufgenommenen Merkmale komplex sei, war zu allgemein gehalten, um die Kammer zu überzeugen.
4. Die Beschwerdeführerinnen haben außerdem argumentiert, dass die Zulassung des Antrags in das Verfahren die Berücksichtigung weiteren Stands der Technik erforderlich machen würde. Obwohl die Einführung neuen Stands der Technik im Prinzip der in Artikel 13 (1) VOBK geforderten Verfahrensökonomie entgegen stehen könnte, ist die Kammer der Auffassung, dass auch dies im vorliegenden Fall kein Grund ist, den Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen. Die Änderungen, die zur Aufnahme weiterer struktureller Merkmale aus der Beschreibung in den Anspruch führten, waren nämlich für die Beschwerdegegnerin die einzige Möglichkeit ihr Patent zu verteidigen und den Einwand gegen das von der Einspruchsabteilung zugelassene unklare Merkmal auszuräumen, ohne den Gegenstand des Verfahrens völlig zu ändern, wie z.B. durch die Aufnahme von Merkmalen der erteilten abhängigen Ansprüche, von denen keiner einen Bezug zu dem unklaren Merkmal aufweist.
5. Die Beschwerdeführerinnen haben weiter bemängelt, dass die Änderungen am Anspruch 1 gegen das Erfordernis des Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen würden, so dass der Anspruch nicht prima facie gewährbar wäre. Die Kammer kann den vorgetragenen Argumenten allerdings nicht folgen.
5.1 Der geänderte Anspruch 1 beruht auf dem ursprünglichen Anspruch 1 sowie Absätzen 6 bis 8 der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung (hier und in der Folge wird auf die veröffentlichte Fassung Bezug genommen).
5.2 Wie die Beschwerdegegnerin dargelegt hat, definiert Anspruch 1 alle strukturellen Merkmale, die die im Absatz 8 beschriebene Alternative einer Aufzuganlage aufweisen muss, damit die Fangvorrichtung durch zweite zusätzliche Aktivierungsmittel aktiviert bzw. ausgelöst werden kann, so dass durch ihre Aktivierung durch diese zweiten Aktivierungsmittel - in Gestalt einer außerhalb des Aufzugsschachts angeordneten und von einer Person zu betätigenden Auslösevorrichtung - die Einrichtung eines temporären Schutzraums unter dem Fahrkorb erfolgt (wenn eine Person die Schachtgrube betreten will).
In Absätzen 6 oder 7, bzw. Anspruch 1 in seiner ursprünglichen Fassung, die die Erfindung in ihrer ursprünglich breitesten Form beschreiben, wird nicht dargestellt, dass ein Zugangssystem vorzusehen wäre, was den Zutritt zum Schacht vor Einrichtung des temporären Schutzraums verhindern soll. Ein solches ist entgegen der Meinung der Beschwerdeführerinnen z.B. in Absatz 8, Spalte 2, Zeilen 14ff oder Absatz 16 eindeutig als vorteilhaft und damit nicht zwingend notwendig offenbart.
Auch die weiteren in Absatz 8 und 16 erwähnten Merkmale, wie zum Beispiel, dass es sich um eine elektrische oder mechanische Auslösevorrichtung handeln kann, mit einem Knopf oder einem Hebel, sind nur als optionale Merkmale offenbart, siehe z.B. der Ausdruck "insbesondere", in Spalte 2, Zeile 9, oder in Zeile 6, "kann zum einen durch ... Knopfes ... Hebels oder dergleichen..." (Hervorhebung durch die Kammer).
5.3 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt ist.
6. Ein Einwand unter Artikel 123 (3) EPÜ wurde nicht erhoben und die Kammer hat diesbezüglich angesichts der Hinzufügung weiterer struktureller Merkmale zum erteilten Anspruch 1 auch keine Bedenken.
7. Die Streichung des im Einspruchsverfahren aufgenommenen unklaren Merkmals ist die einzige Möglichkeit, den gegen diese Änderung erhobenen Klarheitseinwand auszuräumen und daher hier ausnahmsweise zulässig (siehe Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 1/99, ibid.).
8. Einwände unter Artikel 84 EPÜ gegen die vorliegenden Ansprüche 1 bis 3 wurden nicht erhoben und auch die Kammer hat sich davon überzeugt, dass die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ, wonach die Ansprüche knapp und deutlich gefasst sein müssen, erfüllt sind. Die Prüfung, ob die Beschreibung an die geänderten Ansprüche anzupassen wäre, hat die Kammer beim jetzigen Stand des Verfahrens noch nicht für erforderlich gehalten.
9. Unter Berücksichtigung aller Umstände dieser Sache hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK dahingehend ausgeübt, den Antrag in das Verfahren zuzulassen.
Zurückverweisung
10. Nach Artikel 111 (1) EPÜ wird die Beschwerdekammer entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung tätig oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an diese zurück.
10.1 Im vorliegenden Fall wurde der Gegenstand des Verfahrens durch die Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung und die Streichung des im Einspruchsverfahrens eingeführten (unklaren) Merkmals geändert. Der resultierende Anspruch war bisher nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Die Beschwerdeführerinnen haben weiter vorgetragen, dass dies die Berücksichtigung weiteren Stands der Technik, z. B. die im Einspruchsverfahren vorgelegte und im Beschwerdeverfahren bisher nicht berücksichtigte Druckschrift D8, im Verfahren erforderlich machen würde, was die Kammer nicht ausschließen kann.
10.2 Aus diesen Gründen und um den Parteien die Möglichkeit zu geben, ihre Sache vor zwei Instanzen vorzutragen, übt die Kammer das ihr nach Artikel 111 (1) EPÜ gegebene Ermessen dahingehend aus, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Die Kammer bemerkt, dass auf ihre ausdrückliche Nachfrage die Parteien keine Einwände gegen die Zurückverweisung geäußert haben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.