T 1891/12 () of 10.7.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T189112.20170710
Datum der Entscheidung: 10 Juli 2017
Aktenzeichen: T 1891/12
Anmeldenummer: 03008932.0
IPC-Klasse: G01M 17/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Reifenprüfgerät
Name des Anmelders: Steinbichler Optotechnik GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2558/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 03008932.0 zurückzuweisen. Die Prüfungsabteilung hatte die Zurückweisung insbesondere damit begründet, dass der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht klar sei und sein Gegenstand nicht neu sei. Darüber hinaus beruhten die Gegenstände der Ansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

II. Die Beschwerdeführerin beantragte mit der Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf Grundlage der mit der Beschwerdebegründung zu den Akten gereichten Patentansprüche gemäß Hauptantrag oder gemäß einem der Hilfsanträge 1, 2, 3, 3a oder 4. Diese Anträge entsprächen weitgehend den Anträgen in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung. Für den Fall, dass dem Hauptantrag nicht bereits im schriftlichen Verfahren entsprochen werden könne, beantragte die Beschwerdeführerin die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

III. Wie bereits im Prüfungsverfahren erhob auch im Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 24. Januar 2013 eine Dritte (SDS Systemtechnik GmbH) Einwände gemäß Artikel 115 EPÜ gegen die Patentierbarkeit der Erfindung. Die Dritte war insbesondere der Auffassung, dass der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht klar sei und dessen Gegenstand neuheitschädlich vorweggenommen sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Auch die Ansprüche 1 der Hilfsanträge seien insbesondere nicht klar und beruhten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

IV. Mit Schreiben vom 3. Juni 2013 nahm die Beschwerdeführerin zu den Einwendungen der Dritten Stellung.

V. In einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK vertrat die Kammer die vorläufige Meinung, dass der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht den Klarheitserfordernissen des Artikels 84 EPÜ 1973 genüge und der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Im Hinblick auf die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 2, 3, 3a und 4 stellte die Kammer fest, dass eine Klarstellung, wie sie von der Prüfungsabteilung angeregt und in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung diskutiert worden war, von der Beschwerdeführerin nicht schriftlich eingereicht worden sei.

VI. Mit Schreiben vom 6. April 2017 reichte die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche gemäß Hilfsanträgen 2, 3, 3a und 4 ein und führte aus, dass die geänderten Ansprüche klargestellt seien.

VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 10. Juli 2017 statt. Im Lauf der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin geänderte Patentansprüche 1 - 12, sowie eine geänderte Beschreibung gemäß Hauptantrag ein und nahm alle anderen Anträge zurück. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

- Ansprüche Nr. 1 - 12 gemäß Hauptantrag (von 14:40 Uhr), eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2017,

- Beschreibung Seiten 1 - 11 der Reinschrift, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2017,

- Zeichnungen Blatt 1/7 bis 7/7 in der ursprünglichen Fassung.

VIII. Insbesondere folgende Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung:

D1: EP 1 099 947 A2

D3: US 4 977 586 A

D5: US 4 936 138 A

IX. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem geltenden einzigen "Hauptantrag", eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2017, um 14.40 Uhr lautet wie folgt:

"Verwendung eines Reifenprüfgerätes mit einer Druckkammer zur Verformung eines zu prüfenden Reifens in der Druckkammer und einem holografischen oder shearografischen Meßkopf (14), wobei das Reifenprüfgerät waagrechte Rollen (4, 5, 6, 7) aufweist, auf die der Reifen (12) in senkrechter Lage positioniert wird,

dadurch gekennzeichnet,

daß die waagrechten Rollen so eingerichtet sind, daß während der Reifenprüfung der Reifen (12) auf den Rollen (4-7) mit seiner Wulst (41) aufliegt und/oder daß der Reifen (12) mit seiner Lauffläche (13) auf den Rollen (4-7) aufliegt,

und daß der Meßkopf (14) zur Prüfung der Lauffläche (13) und/oder der Seitenwand (29) des Reifens (12) verstellt wird, wobei der Reifen (12) nicht gedreht wird und der Meßkopf (14) um den gesamten Umfang des Reifens (12) herum gedreht wird."

Entscheidungsgründe

1. Zulassung des in der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2017 eingereichten Hauptantrags (Artikel 13 VOBK)

1.1 Der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Anspruch 1 gemäß Hauptantrag von 14.40 Uhr basiert auf dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3, der der strittigen Entscheidung der Prüfungsabteilung zugrunde lag und der mit der Beschwerdebegründung als Hilfsantrag 3a weiter präzisiert wurde. Mit der Eingabe vom 6. April 2017 wurden in Anspruch 1 des Hilfsantrags 3a, wie zuvor bereits in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, Klarheitsmängel behoben.

1.2 In der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2017 machte die Kammer darauf aufmerksam, dass der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3a Verfahrensmerkmale zur Verwendung des Reifenprüfgerätes enthalte und zumindest das Merkmal, wonach der Reifen nicht gedreht werde, kein Merkmal des Reifenprüfgerätes selbst darstellen könne. Außerdem sei nicht klar, welche Anforderungen die Druckkammer zu erfüllen habe. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin den Anspruch 1 in einen Verwendungsanspruch geändert und entsprechend klar gestellt. Die Kammer sieht darin eine Klarstellung insbesondere der Kategorie des Anspruchs.

1.3 Im Hinblick auf die vorgenannten Umstände ließ die Kammer diesen Antrag in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) VOBK zum Verfahren zu.

2. Anspruch 1 - Klarheit (Artikel 84 EPÜ 1973)

2.1 Die Prüfungsabteilung hat den der strittigen Entscheidung zugrundeliegenden Vorrichtungsanspruch 1 gemäß Hauptantrag für nicht klar befunden, weil der Anspruch auch Verfahrensmerkmale zur Verwendung des Gerätes enthalte.

2.2 Dieser Mangel ist in dem vorliegenden Anspruch 1 dadurch behoben, dass eine Verwendung eines Reifenprüfgerätes beansprucht wird. Darüber hinaus kann die Kammer keinen Mangel an Klarheit in dem vorliegenden Anspruch 1 erkennen.

3. Anspruch 1 - Offenbarung in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen (Artikel 123(2) EPÜ)

3.1 Die ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbaren ein Reifenprüfgerät mit einer Druckkammer und einem Meßkopf (14), wobei das Reifenprüfgerät waagrechte Rollen aufweist, auf die der Reifen in senkrechter Lage positioniert wird (vgl. ursprünglicher Anspruch 1 in Verbindung mit Seite 5, vorletzter Absatz). Der Reifen wird in der Druckkammer mit einem holografischen oder shearografischen Meßkopf geprüft (vgl. Seite 2, zweiter Absatz; Seite 9, dritter Absatz, erster Satz).

Die waagrechten Rollen sind so eingerichtet, daß während der Reifenprüfung der Reifen auf den Rollen mit seiner Wulst aufliegt und/oder der Reifen mit seiner Lauffläche auf den Rollen aufliegt (vgl. Seite 8, letzter Absatz, erster und zweiter Satz).

Der Meßkopf (14) wird zur Prüfung der Lauffläche (13) und/oder der Seitenwand (29) des Reifens (12) verstellt (vgl. Anspruch 15), wobei der Reifen (12) nicht gedreht wird und der Meßkopf (14) um den gesamten Umfang des Reifens (12) herum gedreht wird (vgl. Seite 8, Zeilen 1 - 5; Seite 3, dritter Absatz, letzter Satz).

3.2 Somit sind alle Merkmale des Anspruchs 1 in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbart.

4. Anspruch 1 - Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)

Keines der im Verfahren zitierten Dokumente des Stands der Technik offenbart alle Merkmale des Anspruchs 1. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.

5. Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

5.1 Die Kammer stimmt mit der Prüfungsabteilung überein, dass das Dokument D1 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden kann. Dieses Dokument offenbart ein Reifenprüfgerät (Absatz 0001), mit einer Druckkammer (Figur 6, Einheiten 46 und 56) zur Verformung eines zu prüfenden Reifens in der Druckkammer und einem shearografischen Messkopf (Figur 8, Einheiten 82, 84; Spalte 2, Zeilen 48 - 51). Das Dokument D1 zeigt waagrechte Rollen. Mittels einer Hebe- und Kippvorrichtung kann der Reifen mit der Seite auf die Rollen gelegt werden (vgl. Spalte 11, Zeilen 4 - 8). Bei der Prüfung eines Reifens wird der Messkopf zur Prüfung der Lauffläche und/oder der Seitenwand des Reifens verstellt (vgl. Absatz 0038), und gemäß einer Ausführung wird der Reifen nicht gedreht, sondern der Messkopf wird um den gesamten Umfang des Reifens herum gedreht (vgl. Spalte 11, Zeilen 16 - 19).

5.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von Dokument D1 dadurch, dass die waagrechten Rollen so eingerichtet sind, dass während der Reifenprüfung der Reifen (12) in senkrechter Lage auf den Rollen (4-7) mit seiner Wulst (41) aufliegt und/oder dass der Reifen (12) mit seiner Lauffläche (13) auf den Rollen (4-7) aufliegt.

5.3 Dadurch, dass die waagrechten Rollen so eingerichtet sind, dass auch während der Reifenprüfung in der Druckkammer der Reifen senkrecht auf den Rollen mit seiner Lauffläche bzw. seinem Wulst aufliegt, wird der Aufwand, den Reifen im Prüfgerät zu positionieren verringert (vgl. Patentanmeldung, Seite 2, die ersten drei Absätze).

5.4 Demnach besteht ausgehend von Dokument D1 die Aufgabe darin, die Handhabung des Reifens beim Einbringen in das Reifenprüfgerät zu vereinfachen.

5.5 Bei der Suche nach einer Lösung dieser Aufgabe würde der Fachmann sich anhand von verfügbaren Reifenprüfgeräten informieren, wie die Reifen in ein Prüfgerät gelangen können. Er würde dabei auch auf das Dokument D3 stoßen. Dieses Dokument offenbart ein Reifenprüfgerät, bei dem der Reifen mittels Röntgenstrahlen untersucht wird. In Spalte 4, Zeilen 43-48 wird dargelegt, dass das Gerät horizontale Rollen aufweist und dass ein Reifen einfach über eine Rampe in das Gerät gerollt werden kann, wo er mit seiner Lauffläche auf den Rollen stehend untersucht werden kann. Eine Hebe- und Kippvorrichtung ist dabei nicht erforderlich. Zur Prüfung des Reifens kann der Messkopf relativ zum Reifen verstellt werden, um gegenüberliegende Seiten des Reifens untersuchen zu können, ohne den Reifen manuell wenden zu müssen (vgl. Spalte 2, Zeilen 28 - 35; Figur 11). Während der Prüfung wird der Reifen gedreht, um den ganzen Umfang des Reifens untersuchen zu können (vgl. Spalte 2, Zeilen 14 - 21 und 38 - 43).

5.6 Es stellt sich die Frage, ob der Fachmann diese Lehre aus Dokument D3 bei der Verwendung des Reifenprüfgerätes aus Dokument D1, bei der der Reifen in der Druckkammer nicht gedreht wird, anwenden und damit in naheliegender Weise zur beanspruchten Verwendung kommen würde.

Der Fachmann erkennt, dass die Vorrichtung aus Dokument D3 ihm eine Lösung für die Aufgabe, die Handhabung des Reifens beim Einbringen in das Reifenprüfgerät zu vereinfachen, anbietet. Er würde also die Lagerung des Reifens, wie in Dokument D3 gezeigt, ausführen und die Halterung für den shearografischen Messkopf entsprechend anordnen. Eine angepasste Druckkammer könnte um den Prüfstand angeordnet bleiben. Allerdings ist die senkrechte Anordnung des zu prüfenden Reifens gemäß Dokument D3 nur dazu ausgelegt, den Reifen während der Prüfung zu drehen. Der Fachmann würde bei einer senkrechten Anordnung des Reifens auf lediglich zwei Rollen, wie sie in Dokument D3 gezeigt ist, nicht auf die Idee kommen, das Reifenprüfgerät so zu verwenden, dass der Reifen nicht gedreht wird und der Messkopf um den gesamten Umfang des Reifens herum gedreht wird. Daher ist eine derartige Verwendung nicht naheliegend.

5.7 Der Fachmann würde bei der Suche nach einer Lösung für die oben angegebene Aufgabe auch das Dokument D5 berücksichtigen. Dokument D5 offenbart ein Reifenprüfgerät, bei dem der Reifen einfach in das Gerät gerollt werden kann (vgl. Figur 1) und dann ohne Drehen oder Kippen in senkrechter Lage mit seiner Wulst auf die waagrechten Rollen gehoben werden kann (vgl. Spalte 6, Zeilen 10-13). In dieser Lage wird der Reifen gedreht, um ihn über den gesamten Umfang zu prüfen.

Der Fachmann würde erkennen, dass diese Art der Reifenhandhabung einfacher ist als der Einsatz der in Dokument D1 offenbarten Hebe- und Kippvorrichtung. Der Fachmann würde bei dieser senkrechten Anordnung des Reifens, wie sie in Dokument D5 gezeigt ist und bei der der Reifen lediglich mit seiner Wulst auf zwei Rollen aufliegt, nicht auf die Idee kommen, das Reifenprüfgerät so zu verwenden, dass der Reifen nicht gedreht und der Messkopf um den gesamten Umfang des Reifens herum gedreht wird. Daher ist eine derartige Verwendung bei Kombination von D1 mit D5 ebenfalls nicht naheliegend.

5.8 Auch keines der anderen Dokumente des Stands der Technik legt, zusammen mit D1, eine Verwendung eines Reifenprüfgeräts nahe, bei dem der Reifen in der Druckkammer senkrecht positioniert und nicht gedreht wird und der Messkopf um den gesamten Umfang des Reifens herumgedreht wird.

6. Die Ansprüche 2 - 12 sind abhängig von Anspruch 1 und betreffen vorteilhafte Ausgestaltungen des Gegenstands des Anspruchs 1. Ihr Gegenstand beruht daher ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche angepasst, und der relevante Stand der Technik wurde in der Beschreibung zitiert. Die Beschreibung erfüllt damit die Erfordernisse der Regel 27 EPÜ 1973.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Ansprüche:

Nr. 1 - 12 gemäß Hauptantrag (von 14:40 Uhr), eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2017,

Beschreibung:

Seiten 1 - 11 der Reinschrift, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2017,

Zeichnungen:

Blatt 1/7 bis 7/7 in der ursprünglichen Fassung.

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