T 1823/12 (Gerät und Verfahren zur Adressierung/SEW-EURODRIVE) of 26.4.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T182312.20170426
Datum der Entscheidung: 26 April 2017
Aktenzeichen: T 1823/12
Anmeldenummer: 07725257.5
IPC-Klasse: G05B 19/042
G06F 13/38
H04L 12/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: GERÄT UND VERFAHREN ZUR ADRESSIERUNG UND UMRICHTER
Name des Anmelders: SEW-EURODRIVE GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 99(1)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention R 76(2)(a)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 030 091 zurückzuweisen, legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. Sie beantragte den vollständigen Widerruf des Streitpatents. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

II. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen bzw. hilfsweise das Patent im Umfang eines ersten bis zehnten Hilfsantrags (eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung) bzw. eines elften Hilfsantrags (eingereicht mit Schreiben vom 8. November 2013) aufrecht zu erhalten. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt, wenn dem Hauptantrag nicht stattgegeben werden könne.

III. Die Kammer hat zu einer mündlichen Verhandlung geladen und in einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK zum Sachverhalt vorläufig Stellung genommen.

IV. In ihrer Erwiderung vom 13. Februar 2017 auf den Ladungsbescheid bestätigte die Beschwerdegegnerin ihre vorhergehenden Anträge und reichte einen weiteren Hilfsantrag 1a ein.

V. Mit einer weiteren Eingabe reichte die Beschwerdegegnerin einen weiteren Hilfsantrag 12 ein.

VI. In der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2017 bestätigten die Parteien ihre Anträge, nämlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents für die Beschwerdeführerin und die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge:

- Hilfsantrag 1, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung;

- Hilfsantrag 1a, eingereicht mit Schriftsatz vom 13. Februar 2017;

- Hilfsanträge 2 bis 10, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung;

- Hilfsantrag 11, eingereicht mit Schriftsatz vom 8. November 2013; und

- Hilfsantrag 12, eingereicht mit Schriftsatz vom 24. März 2017

für die Beschwerdegegnerin.

Nach Beratung der Kammer verkündete der Vorsitzende die Entscheidung.

VII. Folgende Dokumente sind für die nachfolgende Entscheidung relevant:

D1: U. Schirmer-Kägebein: "Mehr Feldperipherie kostengünstig an AS-Interface anschließen", Zeitschrift etz, Heft 21/2000, Seiten 20 und 21;

D2: DE 102 06 657 A1; und

D3: DE 100 38 860 A1.

VIII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"An einen Bus (2) anschließbares Gerät (1), dadurch gekennzeichnet, dass es in einem ersten Modus (30) einen logischen Slave (3) als Busteilnehmer realisiert, und in einem zweiten Modus (33, 34) mindestens zwei logische Slaves (3A, 3B) als Busteilnehmer realisiert, wobei der erste Modus (30) ein Standardadressiermodus ist und das Gerät (1) eine Umschaltlogik umfasst, die bei einem Wechsel von einer Standardadresse auf einen anderen Adressen-Wert das Gerät (1) von dem ersten (30) in den zweiten Modus (33, 34) versetzt."

Im Hinblick auf die nachstehenden Entscheidungsgründe wird davon abgesehen, den Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 10 in der erteilten Fassung sowie der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge wiederzugeben.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit des Einspruchs (Artikel 99 (1) EPÜ in Verbindung mit Regel 76 (2) c) EPÜ)

1.1 Die Beschwerdegegnerin stellte die Zulässigkeit des Einspruchs wegen unzureichender Begründung in Frage.

1.2 Der Einspruch war gestützt auf Artikel 100 a) in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ (siehe Einspruchsschrift). Somit war der Einspruchsgrund der fehlenden erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ explizit als Einspruchsgrund genannt.

In der Einspruchsschrift bezog sich die Einsprechende bezüglich des Anspruchs 1 des Patents auf die Dokumente D1 und D2, aus denen sich die Merkmale a-c bzw. d-f des Anspruchs 1 des Patents ergäben, wobei sich die Kammer hier auf die Merkmalsgliederung der Einspruchsabteilung unter Punkt 5 des Sachverhalts und der Anträge der angefochtenen Entscheidung bezieht, und schloss daraus, dass der beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Seite 3, vierter Absatz der Einspruchsschrift). Außerdem wurden der zugrunde liegende Sachverhalt und die darauf aufbauende Argumentation umrissen, wobei Zitate in den Druckschriften und ihre Verbindung mit den Anspruchsmerkmalen a-f ausreichend genau angegeben wurden, so dass diese Verbindungen nachvollziehbar waren. Die logische Verknüpfung zwischen den Dokumenten D1 und D2 wurde nicht explizit hergestellt, jedoch ergibt sich diese für den Fachmann implizit dadurch, dass die Einsprechende D1 und D2 als detaillierte Beschreibungen desselben Systems, nämlich eines ASI (Actuator-Sensor-Interface)-Systems ansah und die diesbezüglichen Informationen für den Fachmann als komplementär betrachtete (vergleiche die einleitenden Absätze zu den Dokumenten D1 bzw. D2 auf den Seiten 2 und 3 der Einspruchsschrift).

1.3 Es wurde eingewandt, dass möglicherweise nicht kompatible Ausführungsbeispiele der D1 und der D2 miteinander verbunden wurden, so dass die Einspruchsabteilung und die Patentinhaberin eigene Ermittlungen hätten anstellen müssen, um den Sachverhalt zu klären.

Die Frage ob die zitierten Passagen einer Druckschrift einzeln oder im Zusammenhang tatsächlich den Merkmalen eines beanspruchten Gegenstands entsprechen, berührt jedoch die Begründetheit des Einspruchs und nicht seine Zulässigkeit, denn der Gedankengang der Einsprechenden bleibt nachvollziehbar, auch wenn er möglicherweise in der Sache nicht zutreffend war.

1.4 Aus diesen Gründen ist der Einspruch ausreichend begründet (Regel 76 (2) c) EPÜ) und war daher zulässig (Artikel 99 (1) EPÜ).

2. Hauptantrag: erfinderische Tätigkeit (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ)

2.1 Die Kammer geht von D3 als dem nächstliegenden Stand der Technik aus. Dieses Dokument bezieht sich auf einen ASI-Slave zum Anschluss an eine ASI-Leitung eines ASI-Systems (Spalte 1, erster Satz). Die Kammer bezieht sich insbesondere auf das in Figur 3 gezeigte Gerät, einen ASI-Slave bzw. "Multi-Slave" (Bezugszeichen 1), bei dem ein mit einem Analogteil, einem Analog/Digital-Umsetzungsteil und einem Digitalteil verbundener Mikroprozessor den Digitalteil derart beeinflusst, dass aus Sicht eines ASI-Masters unterschiedliche ASI-Slaves mit jeweils unterschiedlichen Adressen vorhanden sind (Absätze [0037] und [0038]). Dieser "Multi-Slave" ist über ASI-Leitungen mit dem ASI-Master verbunden (siehe Figur 3 in Verbindung mit Absatz [0031], der sich in diesem Punkt auch auf das Ausführungsbeispiel der Figur 3 bezieht), wobei die ASI-Leitungen einen Bus darstellen.

Somit ist aus D3 ein an einen Bus anschließbares Gerät bekannt.

Es ist ferner allgemein bekannt, dass die Adressierung eines ASI-Slaves durch einen speziellen Masteraufruf über die ASI-Leitung erfolgen kann, wenn der ASI-Slave mit der üblicherweise zuvor im Auslieferungszustand eingestellten Adresse "0" versehen ist (D3, Spalte 2, Zeilen 14-23 und Streitpatent, Absatz [0024]). Damit dies funktioniert, kann immer nur ein ASI-Slave mit der Adresse "0" zu einem gegebenen Zeitpunkt an die ASI-Leitung angeschlossen sein. Alternativ kann die Adressierung durch ein Adressiergerät erfolgen (dies wird z.B. durch D3, Spalte 6, Zeilen 37-42 impliziert). Der ASI-Master erkennt anschließend die eingeschriebene Adresse.

Es war für den von D3 ausgehenden Fachmann naheliegend, den Slave vorzugsweise mit der üblichen Auslieferungsadresse "0" anzuschließen, da gemäß D3 andernfalls eine fehlerhafte Adresseinstellung durch den Kunden möglich ist (Spalte 6, Zeilen 37-42).

Da der mit der Auslieferungsadresse "0" angeschlossene Slave gemäß den Vorgaben des ASI-Standards eine Adresse von dem ASI-Master erhält (wie es in D3 in Spalte 2, Zeilen 18-23, für den Spezialfall eines Austauschs eines defekten ASI-Slaves beschrieben ist; es war aber unbestritten, dass dies auch allgemein bei jedem Neuanschluss der Fall ist), bildet das aus D3 bekannte Gerät in einem ersten Modus in nahe liegender Weise einen logischen Slave als Busteilnehmer, wobei der erste Modus ein Standardadressiermodus ist.

Nach Anschluss des "Multi-Slaves" als logischer Slave als Busteilnehmer, der in nahe liegender Weise mit der Adresse "0" versehen wurde, wird diesem, wie zuvor dargestellt, gemäß dem ASI-Standard von dem ASI-Master automatisch eine Betriebsadresse ungleich "0" mitgeteilt. Mit der in D3, Spalte 6, Zeilen 20-38, beschriebenen, selbständigen Auswertung von Masteraufrufen durch den Mikroprozessor des ASI-Slaves zum Auffinden (weiterer) freier Adressen und deren eigenständiger Belegung für den ASI-Slave kann erst nach dem Anschluss des ASI-Slaves an die ASI-Leitung begonnen werden. Das heißt, der "Multi-Slave" kann erst nach einem Wechsel von der Standardadresse "0" auf einen anderen Adressen-Wert in einen Modus, hier den zweiten Modus, versetzt werden, in dem alle ermittelten freien Adressen von dem "Multi-Slave" belegt sind. Zum Umschalten des "Multi-Slaves" aus dem ersten Modus in den zweiten Modus ist eine Umschaltlogik nötig, die die Masteraufrufe auf der ASI-Leitung auswertet und die als frei erkannten Adressen mit einzelnen logischen Slaves des "Multi-Slaves" belegt.

Diese Umschaltlogik versetzt also das Gerät "bei einem Wechsel" der Auslieferungsadresse "0" des angeschlossenen "Multi-Slaves" auf einen anderen Adressen-Wert, der diesem in einem ASI-System automatisch nach Anschluss zugeteilt wird, somit letztendlich von dem ersten in den zweiten Modus. Hierbei versteht die Kammer "bei" im Sinne von "zeitlich nahe bei" oder "infolge", da angesichts der sequentiellen Abarbeitung von Programmierbefehlen eine Gleichzeitigkeit nicht gemeint sein kann und Zwischenschritte nicht ausgeschlossen sind.

Somit zeigt D3, wenn man davon ausgeht, dass der "Multi-Slave" beim ersten Anschluss an die ASI-Leitung die Adresse "0" aufweist, was, wie oben ausgeführt, für den Fachmann nahe lag, alle weiteren Merkmale des Anspruchs 1.

2.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Funktion der Umschaltlogik gemäß Anspruch 1 derart sei, dass ein Gerät gemäß der vorliegenden Erfindung lediglich den Wechsel einer internen Adresse von der Standardadresse auf einen anderen Adressen-Wert überwachen muss, um eine Adresszuweisung für alle logischen Slaves des Geräts zu bewirken. Eine Überwachung des Datenverkehrs auf dem Bus sei nicht nötig.

Hierzu merkt die Kammer an, dass die Beschwerdegegnerin den Wortlaut des Anspruchs dahin gehend eng interpretiert, dass ein unmittelbarer, kausaler Zusammenhang zwischen dem Wechsel einer internen Adresse von der Standardadresse auf einen anderen Adressen-Wert und der Adresszuweisung für alle logischen Slaves des Geräts besteht. Die verwendete Formulierung "bei einem Wechsel" stellt jedoch nach Ansicht der Kammer einen allgemeineren Zusammenhang her, der zwar eine Kausalität impliziert, Zwischenschritte jedoch nicht ausschließt. Wie oben ausgeführt ist das Merkmal daher im Sinne von "zeitlich nahe bei" oder "infolge" zu verstehen.

Es wurde ebenfalls argumentiert, dass nicht klar sei, wie gemäß D3 dem Master die von dem Mikroprozessor des "Multi-Slaves" als frei erkannten und zugeteilten Adressen mitgeteilt würden. Die Beschwerdegegnerin gestand aber zu, dass die beanspruchte Erfindung ebenfalls die Zuweisung mehrerer Adressen vorsieht (Spalte 7, Zeilen 36-42). Weiterhin ist es gemäß des ASI-Standards möglich, dass Adressen eines ASI-Slaves über ein Adressiergerät eingestellt werden (implizit in D3, Absatz [0023], letzter Satz). In gleicher Weise können Adressen nach ihrer eigenständigen Belegung innerhalb des ASI-Slaves an den ASI-Master übermittelt werden.

2.3 Aus obigen Gründen folgt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags für den von D3 ausgehenden Fachmann unter Berücksichtigung seines allgemeinen Fachwissens nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).

2.4 Der Hauptantrag ist demzufolge nicht gewährbar und die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben.

3. Zurückverweisung (Artikel 111 (1) EPÜ)

3.1 Durch eine Entscheidung über den Hauptantrag ist der Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens, der unterlegenen Partei eine Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten (siehe G 9/91, ABl. EPA 1993, 408, Punkt 18 der Entscheidungsgründe), genüge getan.

3.2 Gemäß Artikel 111 (1) EPÜ wird die Beschwerdekammer entweder im Rahmen des Organs tätig, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück.

3.3 Im vorliegenden Fall setzt sich die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung ausschließlich mit dem Hauptantrag, d.h. der Zurückweisung des Einspruchs, auseinander. Sie hat sich demzufolge nicht mit den im Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 7. Mai 2012 eingereichten neun Hilfsanträge 1 bis 9, weder bezüglich deren Zulässigkeit noch deren Gewährbarkeit, befasst, wobei diese Hilfsanträge 1 bis 9 mit den vorliegenden Hilfsanträgen 1, bzw. 3 bis 10 identisch sind.

Ferner sei bemerkt, dass im Beschwerdeverfahren die Parteien keine Einwände gegen eine mögliche Zurückverweisung erhoben haben.

3.4 Aus diesen Gründen übt die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 111 (1) EPÜ dahin gehend aus, den Fall zur Weiterbehandlung und Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Fall wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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