European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T178212.20170804 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 04 August 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1782/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06777784.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | A47J 42/08 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | ELEKTROMOTORISCHES KÜCHENGERÄT MIT ELEKTRISCHER ODER ELEKTRONISCHER VERRIEGELUNG | ||||||||
Name des Anmelders: | BSH Hausgeräte GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | THE PROCTER & GAMBLE COMPANY | ||||||||
Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichter Hilfsantrag 2 - zugelassen (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2 (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 24. April 2012, zur Post gegeben am 29. Mai 2012, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 921 955 gemäß Artikel 101(2) zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hatte am 2. August 2012 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 8. Oktober 2012 eingegangen.
II. Der Einspruch gegen das Patent war auf die Gründe Artikel 100a) i.V.m. 54 und 56 EPÜ, Artikel 100b) und Artikel 100c) gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass keine der genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegenstünden. Sie hatte dabei unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:
D2 = JP 48-8466 (inklusive englischer Übersetzung)
D5 = US 5,583,386
III. In einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, welche am 4. August 2017 unter Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien stattfand. Im Laufe der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) drei neue Hilfsanträge 1 bis 3 vor, unter Weglassung aller Verfahrensansprüche in den jeweiligen Anspruchssätzen. Am Ende der Verhandlung zog die Beschwerdegegnerin alle Anträge mit Ausnahme des neuen Hilfsantrags 2 zurück.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hilfsantrags 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, sowie der in der mündlichen Verhandlung angepassten Beschreibung.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des in der Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 2 hat folgenden Wortlaut:
"Elektromotorisches Küchengerät (1), insbesondere ein elektromotorisches Handgerät, vorzugsweise ein Stabmixer (2), mit einem Einschalter (67) dadurch gekennzeichnet, dass eine fingerbetätigbare elektrische Verriegelung (68) für den Einschalter (67) vorgesehen ist, wobei die elektrische Verriegelung (68) einen von dem Einschalter (67) separaten, insbesondere in einer Vertiefung angeordneten, manuell betätigbaren Sicherheitsschalter (69) aufweist, wobei die Verriegelung (68) eine Zeitintegrationsschaltung (70) aufweist, mit welcher der Einschalter (67) erst nach längerem ununterbrochenem Betätigen des Sicherheitsschalters (69) entriegelt wird."
VI. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
Gegen die Zulassung des Hilfsantrags 2 bestünden keine Einwände. Eine "elektrische Verriegelung" des Einschalters könne in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 auch funktionell erfolgen. Daher unterscheide sich Anspruch 1 von der Reihenschaltung aus D2 nur durch eine Zeitintegrationsschaltung, die der Verbesserung der Sicherheit diene. D5 betreffe dieselbe Sicherheitsproblematik elektrischer Geräte wie D2, und schlage zur Steigerung der Sicherheit bereits eine Zeitintegrationsschaltung vor. Zeitintegrations-schaltungen seien zudem allgemein bekannt. Daher sei Anspruch 1 ausgehend von D2 durch D5 oder allgemeines Fachwissen nahe gelegt. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sei daher nicht erfinderisch.
VII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
Eine "elektrische Verriegelung" des Einschalters könne in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 nur strukturell erfolgen. Daher unterscheide sich Anspruch 1 von D2 durch eine elektrische Verriegelung mit Zeitintegrationsschaltung. Ausgehend vom Stabmixer der D2 würde der Fachmann die weiter ab liegende D5, welche Bohrmaschinen und Bügeleisen betreffe, nicht in Betracht ziehen. Zudem sei D5 keine Zeitintegrationsschaltung nach Anspruch 1 zu entnehmen. Die Sicherheit in D2 könnte auch z.B. durch eine andere Ausbildung der Griffmulde verbessert werden. Ausgehend von D2 sei Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 daher im Lichte der D5 bzw. allgemeinem Fachwissen für den Fachmann nicht nahe gelegt und somit erfinderisch.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Zulässigkeit Hilfsantrag 2
Hilfsantrag 2 wurde während der Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Weder die Beschwerdeführerin noch die Kammer hatten gegen die verspätete Vorlage des Hilfsantrags 2 Einwände, da sein bisheriger Anspruchssatz nur dahingehend verändert wurde, dass alle Verfahrensansprüche entfielen. In Ausübung ihres Ermessens entschied die Kammer daher, Hilfsantrag 2 ins Verfahren zuzulassen, Artikel 13(3) VOBK.
3. Änderungen
Unbestritten beruht Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 auf der Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1, 2 und 4. Seine abhängigen Ansprüche 2 bis 8 beruhen auf den ursprünglichen Ansprüchen, 2,3 und 5 bis 9. Die Beschreibung wurde entsprechend angepasst. Hilfsantrag 2 erfüllt daher die Erfordernisse der Artikel 123(2) und (3) EPÜ.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Selbst wollte man mit der Auffassung der Beschwerdeführerin dahingehend übereinstimmen, dass aus der Sicht des Fachmanns eine "elektrische Verriegelung für den Einschalter" nach Anspruch 1 sowohl strukturell (Einschalter blockiert), als auch funktionell (Einschalter wirkungslos) erfolgen könne, so ist Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unstreitig neu.
4.2 Als Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 wird dabei übereinstimmend Dokument D2 erachtet, gegenüber dem sich Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unbestritten durch folgende Merkmale unterscheidet:
- wobei die Verriegelung eine Zeitintegrationsschaltung aufweist, mit welcher der Einschalter erst nach längerem ununterbrochenem Betätigen des Sicherheitsschalters entriegelt wird.
Dokument D2 (siehe Figuren 1 und 2) betrifft dabei einen Stabmixer mit zwei in Reihe geschalteten Schaltern, nämlich dem Einschalter 9 ("power supply 9"), und dem in einer Vertiefung angeordneten manuell betätigbaren Sicherheitsschalter 8 ("safety switch 8"), vgl. D2, englische Übersetzung, Seite 1/3, letzter Satz bis Seite 2/3, erster Absatz.
Ausgehend von D2 kann diesen Merkmalen die Aufgabe zugrunde gelegt werden, die Sicherheit des Stabmixers aus D2 weiter zu erhöhen, vgl. Patent, Absatz 0005 i.V.m. Spalte 2, Zeilen 52 bis 55.
4.3 Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass D2 in Kombination mit Dokument D5 zum Gegenstand der Erfindung führe. D5 beschäftige sich bereits mit sicherheitsrelevanten Vorrichtungen bei elektrischen Geräten, siehe die Einleitung der D5, Spalte 1, Zeilen 1 bis 21. Mit anderen Worten, D5 befasse sich mit einer zu D2 identischen Sicherheitsproblematik. Wie Spalte 3, Zeilen 14 bis 18, und insbesondere dem Wortlaut der Ansprüche 1 und 4 der D5 zu entnehmen sei, müssten in D5 vorteilhaft mindestens zwei Schalter gleichzeitig betätigt werden, wobei der zweite Schalter zeitverzögert auf den ersten anspreche. Die elektrische Verriegelung der D5 weise also zur Verbesserung der Betriebssicherheit eine Zeitintegrationsschaltung auf, vgl. D5, Anspruch 4: "... in a time-staggered fashion".
Darüber hinaus seien elektrische, aber auch mechanische (z.B. bei Toastern) "Zeitintegrationsschaltungen" dem Fachmann hinlänglich vorbekannt.
Somit sei Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 für den Fachmann durch eine Kombination von D2 mit D5 oder mit allgemeinem Fachwissen nahe gelegt, soweit die Sicherheit des Gerätes gegen ausgehend von D2 weiter verbessert werden solle.
4.4 Dieser "Aufgabe-Lösungs-Ansatz" der Beschwerdeführerin vermag die Kammer jedoch nicht zu überzeugen. Wie von der Beschwerdegegnerin dargelegt, entnimmt der mit der Lehre der D5 befasste Fachmann D5 keine allgemeinen Hinweise zu beliebigen elektrischen Geräten, sondern konkrete Sicherheitsschaltungen für Handbohrmaschinen (vgl. Figur 1: "hand drill 10"), Gewindeschneider für Rohre (vgl. Figur 2: "electric thread cutter 20", "pipe 21"), oder Bügeleisen (vgl. Figur 3: "electric iron 30").
4.5 Bei Anwendung des "Aufgabe-Lösungs-Ansatzes" muss nach ständiger Rechtsprechung die Wahl des Ausgangspunktes im Stand der Technik zunächst unter den Gegenstand des Anspruchs 1 fallen. Im vorliegenden Fall wird ein elektrisches Küchengerät beansprucht, unter das ein Stabmixer aus D2 fällt. Sobald der Fachmann ein bestimmtes Fachgebiet als Ausgangspunkt gewählt hat, hier der Stabmixer, wird er dieses spezielle Fachgebiet im Rahmen einer Weiterentwicklung in Kenntnis der technischen Vor- und Nachteile unterschiedlicher Fachgebiete aber beibehalten (müssen). Mit anderen Worten, für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist im vorliegenden Fall der zuständige Fachmann auf dem technischen Gebiet von Stabmixern tätig, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage, I.D.3.4.3.
Wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, ist folglich für die Kammer nicht ersichtlich, wieso der Fachmann zur Lösung von Sicherheitsfragen bei der Bedienung und Handhabung von Stabmixern im Küchenbereich Anregungen bei grundlegend verschiedenen elektrischen Geräten suchen sollte: etwa beim beidhändigen Betrieb einer Handbohrmaschine auf Baustellen (vgl. D5, Figur 1), bei möglichst senkrecht angesetzten Gewindeschneidern für im Schraubstock eingespannte Rohre (vgl. D5, Figur 2 und Spalte 4, Zeilen 54,55), oder womöglich bei Bügeleisen mit Lagesensoren zur sicheren Feststellung der aufrechten Position, vgl. D5, Figur 3 und Spalte 5, Zeilen 5 bis 11. Die Kammer ist daher der Auffassung, daß der Fachmann die Lehre der D2 mit der des Dokuments D5 zwar kombinieren könnte, aber wegen der technischen Besonderheiten eines Stabmixers einerseits, und von Handbohrmaschinen, Gewindeschneidern, oder Bügeleisen andererseits, nicht kombinieren würde.
4.6 Nur der Vollständigkeit halber stellt die Kammer darüber hinaus fest, dass weder Anspruch 1 noch Anspruch 4 der D5 vorschreiben, dass, wie in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 gefordert, erst "nach längerem", ganz zu schweigen "nach längerem ununterbrochenen", Betätigen des Sicherheitsschalters der Einschalter durch die Zeitintegrationsschaltung der Verriegelung entriegelt wird.
Nach Ansicht der Kammer definiert Anspruch 1 der D5 nur, dass die Schaltkontaktelemente so positioniert sind, dass die Hand des Benutzers sie gleichzeitig berührt, sobald die Hand in der korrekten Handhaltung zum Betreiben des Geräts ist, anstatt zu offenbaren, dass beide Schalter gleichzeitig und über einen längeren Zeitraum kontinuierlich betätigt werden müssen, wie die Beschwerdeführerin argumentiert hat: "... said contact elements being so positioned on the hand grip that the contact elements are simultaneously touched by the user's hand ...".
4.7 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Fachmann ausgehend von D2 zur Steigerung der Sicherheit des Stabmixers der D2 die Lehre der D5 nicht in Betracht ziehen würde. Zudem kann D5, selbst bei Zusammenschau mit D2, nicht zu einem längeren ununterbrochenen Betätigen des Sicherheitsschalters nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 führen.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erhält der Fachmann darüber hinaus auch aufgrund seines Fachwissens keine Anregung, ausgehend von D2 eine Verriegelung mit Zeitintegrationsschaltung für den Sicherheitsschalter vorzusehen, um die Sicherheit der D2 zu verbessern. Wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, bieten sich in D2 hierzu viele Möglichkeiten, etwa eine verbesserte Ausbildung der Mulde für den Sicherheitsschalter 8.
4.8 Zusammenfassend kommt die Kammer zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von D2 im Lichte der D5 oder allgemeinem Fachwissen für den Fachmann nicht nahe liegt. Die Kammer hat sich abschließend auch davon überzeugt, dass der ansonsten im Verfahren befindliche Stand der Technik nicht relevanter ist, als der in der Verhandlung von den Parteien diskutierte.
Daher beruht Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5. Hilfsantrag 2 erfüllt somit die Erfordernisse des EPÜ. Die Patentbeschreibung wurde durch die Beschwerdegegnerin im Einverständnis mit der Beschwerdeführerin entsprechend an den Hilfsantrag 2 angepasst. Die Kammer stellt daher fest, dass unter Berücksichtigung der mit dem Hilfsantrag 2 vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Somit kann das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten werden, Artikel 101(3)a) EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 - 8 von Hilfsantrag 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
- Beschreibung Seiten 4 - 8 und 10 (bis Spalte 18 Zeile 15) der Patentschrift wie erteilt, Seiten 2, 3 und 9 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
- Figuren 1 - 9 der Patentschrift wie erteilt.