T 1770/12 () of 16.2.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T177012.20170216
Datum der Entscheidung: 16 Februar 2017
Aktenzeichen: T 1770/12
Anmeldenummer: 04741161.6
IPC-Klasse: B29C 63/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Innenausstattungskomponenten von Kraftfahrzeugen mit einem definierten Oberflächenprofil
Name des Anmelders: Toyota Boshoku Kabushiki Kaisha
Name des Einsprechenden: Faurecia Innenraum Systeme Gmbh
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: "Wiedereinführung eines vor der Einspruchsabteilung zurückgenommenen Einspruchsgrunds - nein"
"Zulassung von weiteren Druckschriften in das Beschwerdeverfahren - nein"
"Verspätetes Vorbringen - nicht zugelassen"
"Unzulässige Erweiterung - nein"
"Erweiterung des Schutzumfanges - nein"
"Ansprüche deutlich, knapp gefasst und von der Beschreibung gestützt - ja"
"Neuheit - Ja"
"Erfinderische Tätigkeit - ja"
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) und Beschwerdeführerin II (Einsprechende) haben am 3. August 2012 bzw. am 14. August 2012 gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 14. Juni 2012 über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 1 646 492 in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann, Beschwerde eingelegt. Die jeweiligen Beschwerdebegründungen sind am 16. bzw. am 24. Oktober 2012 eingegangen.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 5 des am 3. April 2014 eingereichten Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, aber dass der während der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag (entspricht Ansprüchen 1 bis 4 des Hauptantrags ? Anspruch 5 wurde gestrichen) den Erfordernissen der Artikel 54, 56 und 84 EPÜ 1973 sowie Artikel 123 (2) EPÜ genügen.

II. In einer Mitteilung vom 28. Oktober 2016 zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, führte die Kammer unter anderem Folgendes aus:

"3. Insbesondere folgende Punkte dürften während der mündlichen Verhandlung zu erörtern sein:

- Ist der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 Gegenstand des Beschwerdeverfahrens?

- ...

4. Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ 1973

4.1 Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ 1973 (mangelnde Neuheit, Artikel 54 EPÜ 1973, und mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ 1973), Artikel 100 b) EPÜ 1973 (mangelnde Ausführbarkeit, Artikel 83 EPÜ 1973) und Artikel 100 c) EPÜ 1973 (unzulässige Erweiterung, Artikel 123 (2) EPÜ) angegriffen worden.

Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 10. Mai 2012 geht hervor, dass der Vertreter der Einsprechenden den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 zurückgezogen hat (vgl. Punkt 4: "Nach einer kurzen Diskussion ließ OI den Einspruchsgrund 100(b) fallen" und Punkt 1.2: "Der Vertreter der Einsprechenden (nachfolgend mit OI bezeichnet ...").

Folglich hat die Einspruchsabteilung den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 nicht geprüft und er ist deshalb kein Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.

4.2 Die Beschwerdeführerin II hat in ihrer Beschwerdebegründung vom 24. Oktober 2012 den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 nicht erwähnt. Sie hat erst in ihrem Schreiben vom 2. Mai 2013 Folgendes ausgeführt:

"In Punkt 4 der Niederschrift vom 14.06.2012 über die mündliche Verhandlung vom 10.05.2012 wird geschrieben, dass OI den Einspruchsgrund 100(b) "fallen" ließ. Zur Klarstellung wird hiermit erklärt, dass es sich nicht um einen Verzicht auf Geltendmachung des Einspruchsgrund [sic] gehandelt hatte, sondern es sollte nach dem Hinweis auf große Temperaturunterschiede der Dekorschicht kein weiterer Vortrag gemacht werden.

In der mündlichen Verhandlung wurde vorgetragen, dass es ohne weitere Spezifikation nicht generell, also bei jeglichen Dicken der Dekorfolie, möglich ist, einen Temperaturunterschied von mindestens 20 Grad Celsius und maximal 70 Grad Celsius einzustellen, wie es der Anspruch 1 verlangt. Um dies zu realisieren, sind Maßnahmen nötig, bei denen der Fachmann erfinderisch tätig werden müsste. Diese Angaben fehlen in der ursprünglichen Offenbarung. Die Inhaberseite hat hierzu keine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung gemacht.

Auch hätte die Einspruchsabteilung in dieser Hinsicht aufgrund der Amtsermittlung Stellung nehmen und eine Entscheidung treffen müssen, was nicht erfolgt ist, so dass hierüber eine Entscheidung aussteht."

4.3 Da aus Sicht der Einspruchsabteilung der Einspruchsgrund 100(b) von der Beschwerdeführerin II nicht aufrechterhalten wurde, war sie nicht verpflichtet diesen Einspruchsgrund weiter zu prüfen.

Die Beschwerdeführerin II hat weder unverzüglich nach Zustellung der Niederschrift bzw. der Entscheidung der Einspruchsabteilung bei der Einspruchsabteilung eine Berichtigung der Niederschrift beantragt, noch in ihrer Beschwerdebegründung beanstandet, dass die Einspruchsabteilung keine Entscheidung zum Einspruchsgrund der mangelnder Ausführbarkeit getroffen hat.

Bei dieser Sachlage würde die Wiedereinführung des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 einen neuen Einspruchsgrund darstellen, der nicht ohne das Einverständnis der Beschwerdeführerin I in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden darf, vgl. G 10/91, Punkt 3 der Stellungnahme.

[5. bis 8.]

9. Zulassung von weiteren Druckschriften in das Beschwerdeverfahren

9.1 Die Beschwerdeführerin II hat im Einspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 10. April 2012, d. h. nach Ablauf der Einspruchsfrist, in Hinblick auf eventuelle zukünftige Änderungen, vorsorglich beantragt, die in den Absätzen [0006] und [0007] des Patents zitierten Druckschriften WO 01/41999 (D10) und US 5,614,285 (D11) sowie die im Recherchebericht zitierte Druckschrift EP-A 0 256 803 (D12) in das Verfahren zuzulassen.

Es gab für die Einspruchsabteilung offensichtlich keinen Anlass über die Zulassung dieser Druckschriften zu entscheiden, da sie während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht diskutiert und deshalb weder in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung noch in der Entscheidung erwähnt wurden. Die im Schriftsatz vom 10. April 2012 hilfsweise gemachten Ausführungen zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags aufgrund der Druckschriften D11 und D12 wurden offensichtlich vor der Einspruchsabteilung nicht weiterverfolgt (und auch im Beschwerdeverfahren nicht).

9.2 Die Beschwerdeführerin II hat in ihrer Beschwerdebegründung auf Druckschrift D10 Bezug genommen, siehe Seiten 8 und 9, und vorgetragen, dass Anspruch 5 des Hauptantrags gegenüber Druckschrift D10 nicht neu sei.

Die Beschwerdeführerin II hat in ihrer Beschwerdeerwiderung auf die Beschwerde der Gegenseite vom 2. Mai 2013 zum ersten Mal vier weitere Dokumente D10' bis D13' zitiert und einen Zeugen angeboten und hilfsweise beantragt, diese Dokumente in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Sie hat vorgetragen, dass Anspruch 5 des Hauptantrags gegenüber Dokument D13' nicht neu sei, siehe Seiten 5 bis 8.

Weder Druckschrift D10 noch Dokument D13' scheint eine Innenausstattungskomponente zu offenbaren, deren Bauteilträger separat ausgeformt wird.

Aus diesem Grund beabsichtigt die Kammer derzeit nicht, irgendwelche der Druckschriften D10 bis D12 und Dokumenten D10' bis D13' in das Beschwerdeverfahren zuzulassen."

III. Am 16. Februar 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin I beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent in der Fassung des mit Schreiben vom 1. August 2012 eingereichten Hauptantrags aufrechtzuerhalten, oder hilfsweise auf der Grundlage des mit Schreiben vom 15. Oktober 2012 eingereichten Hilfsantrags 1, oder auf der Grundlage des mit Schreiben vom 11. März 2013 eingereichten Hilfsantrag 2 aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdeführerin II beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen.

V. Die Ansprüche 1 und 5 des Hauptantrags lauten wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von Innenausstattungskomponenten von Kraftfahrzeugen aus einem Bauteilträger (1) und einer damit verbundenen schaumstoffkaschierten Kunststofffolie (2) mit definiertem Oberflächenprofil,

wobei man den Bauteilträger (1) auf der Basis von naturfaserverstärkten Polymerwerkstoffen durch separate Ausformung herstellt und dessen Oberflächentemperatur auf der mit der Kunststofffolie (2) zu versehenen Oberfläche auf die gewünschte Kaschiertemperatur im Bereich von 150 bis 180 °C einstellt,

dadurch gekennzeichnet,

dass man die Sichtseite (3) der Kunststofffolie (2) auf die gewünschte Narbtemperatur im Bereich von 200 bis 220 °C und die Kaschierseite (4) der Kunststofffolie (2) auf die gewünschte Kaschiertemperatur bringt und

anschließend den Bauteilträger (1) und die Kunststofffolie (2) in einem Werkzeug verpresst, dessen Oberwerkzeug (5) eine Struktur des definierten Oberflächenprofils aufweist."

"5. Innenausstattungskomponenten, insbesondere Türverkleidungen von Kraftfahrzeugen aus einem Bauteilträger (1) aus Flachs-Polypropylenmaterial und einer damit verbundenen schaumstoffkaschierten Kunststofffolie (2) mit definiertem Oberflächenprofil erhältlich nach einem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4.

VI. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Druckschriften Bezug genommen:

D1 US 5,868,890;

D2 EP-A 1 284 182.

D8 Eidesstattliche Versicherung von Herrn Wilfried Schilles, datiert 14. Juni 2010 (12 Seiten);

D9 Fiat 3 F (Tempra), Anlage und Werkzeuge während der Inbetriebnahme in Comind Sud / Neapel, 1989 (12 Seiten);

D10 WO 01/41999;

D11 US 5,614,285;

D12 EP-A 0 256 803;

D10' Datenblatt der Produktgruppe "Lignoflachs PP" der Firma Faurecia, Ausgabe vom 02.08.2002 (2 Seiten);

D11' Besprechungsprotokoll der Firma Faurecia zum Thema "Lignoflachs-PP-HF" vom 12.02.2002 (1 Seite);

D12' "Standardkalkulation" der Firma Faurecia erstellt am 01/2002 (1 Seite);

D13' Patentrecherche: Natürliche Fasern enthaltende thermoplastische Verbundwerkstoffe für Automobilinnenräume, Ohms, J., 10.05.2000 (25 Seiten).

VII. Die Beschwerdeführerin I hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Die Ansprüche 1 bis 4 des Hauptantrags entsprächen die Ansprüche auf dessen Grundlage die Einspruchsabteilung das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten beabsichtigte. In der angefochtenen Entscheidung seien die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit dieser Verfahrensansprüche 1 bis 4 anerkannt worden. Auch habe die Einspruchsabteilung festgestellt, dass diese Ansprüche die Erfordernisse der Artikel 84 und 123 (2) genügen. Die Einspruchsabteilung gelangte aber zur Auffassung, dass der Produktanspruch 5 des Hauptantrags im Einspruchsverfahren (identisch mit Anspruch 5 des Hauptantrags im Beschwerdeverfahren) sich vom nächstliegenden Stand der Technik darin unterscheide, dass die Auswahl von Flachs-Polypropylenmaterial als Material für den Bauteilträger, das im Automobilbau weitverbreitet sei (siehe Absatz [0016] des Patents) nicht mit einer besonderen technischen Wirkung verbunden sei und somit keine erfinderische Tätigkeit vorliege. Somit habe die Einspruchsabteilung den Ansprüchen 1 bis 5 insgesamt die Neuheit zuerkannt, lediglich dem jetzt geltenden Anspruch 5 die erfinderische Tätigkeit aberkannt. Hiergegen richte sich die Beschwerde.

Obwohl dem Fachmann in dem technischen Bereich des Automobilbaus die Verwendung eines Bauteilträgers aus Flachs-Polypropylenmaterial bekannt gewesen sei, sei es jedoch nicht bekannt gewesen, dieses Material zunächst zur Herstellung eines geformten Bauteilträgers einzusetzen und dessen Steifigkeit auszunutzen, um diesen in einem weiteren Verfahrensschritt mit einer schaumstoffkaschierten Folie zu verbinden.

Die erfindungsgemäßen Innenausstattungskomponenten von Kraftfahrzeugen erlauben es aufgrund der separaten Ausformung des Bauteilträgers deutliche Radienüberhöhungen zur Verfügung zu stellen, wie dies in der Figur 4 des Patents dargestellt wird. Hier werde dargestellt, dass im oberen Bereich dieser Figur eine Spitze des Bauteilträgers in die Struktur der schaumstoffkaschierten Kunststofffolie hineinrage und somit einen relativ scharfkantigen Umbug der Kunststofffolie ermogliche.

Während das Innenausstattungsteil gemäß der Druckschrift D2 allein unter Einsatz eines geschlossenzelligen Schaums herstellbar sei, könne das erfindungsgemäße Innenausstattungsteil auch unter Einsatz eines Kunststoff kaschierten offenzelligen Schaums hergestellt werden, der eine deutlich bessere Haptik als eine Kunststofffolie mit geschlossenzelligem Schaum habe.

Die erfindungsgemäße Materialkombination gemäß der vorliegenden Erfindung vermittele dadurch einen wesentlich verbesserten Softtouch, sodass eine Bauteilkante wesentlich gradliniger gestaltet werden könne, und beispielsweise ein geringeres Spaltmaß zum Türblech eingehalten werden kann. Gleichzeitig sei durch die beanspruchte Materialkombination auch eine Narbung an diesem scharfkantigen Umbugradius möglich, der mit den Materialkombinationen des Standes der Technik nicht erreichbar sei.

Dementsprechend sei der Gegenstand der vorliegenden Erfindung nicht nur neu im Umfang der Anspruche 1 bis 5, sondern auch erfinderisch.

Die Beschwerdeführerin II sei der Auffassung, dass der Begriff "separate Ausformung" in Anspruch 1 des Hauptantrags nicht klar sei. Eine einfache Google-Recherche nach diesem Begriff "separate Ausformung" zeige, dass dieser Begriff in Patentschriften nicht ungebräuchlich ist. Aus den vorgenannten Schriften sei erkennbar, dass der Fachmann den Begriff der "separaten Ausformung" in genannten Anspruch dahingehend verstehe, dass der Bauteilträger seine endgültige Form bereits erhalten habe, bevor er mit der Kunststofffolie in Kontakt gebracht werde. Hieraus sei bereits klar, dass das erfindungsgemäße Verfahren nicht als "One-Step-Verfahren" bezeichnet werden könne.

VIII. Die Beschwerdeführerin II hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Mangelnde Klarheit gemäß Artikel 84 EPÜ

Das Merkmal "durch separate Ausformung", das im Laufe des Einspruchsverfahrens in den Anspruch 1 aufgenommen wurde, erfülle nicht die Anforderungen an die Klarheit gemäß Artikel 84 EPÜ. Bei diesem Merkmal seien sowohl "separat" als auch "Ausformung" vage und unklar. Es bleibe offen, "separat" von was die Ausformung erfolgen soll. Der Begriff "Ausformung" bezeichne eine Formgebung bzw. eine Gestaltbildung des Bauteilträgers und nenne ebenfalls keine Referenz, um die Art der Ausformung zu definieren. Darüber hinaus sage der Begriff "Ausformung" nichts über den spezifischen Materialzustand bzw. des Bauteilträgers nach der Formgebung aus, wie z. B. dessen Temperatur und somit dessen Steifigkeit oder "Rigidität", dessen Festigkeit, und ob das Material gehärtet sei, denn eine Ausformung ist für den Fachmann bereits gegeben, wenn der Bauteilträger eine vorbestimmte Form angenommen habe, auch wenn er sich noch in einem weichen Zustand befinde. Das Merkmal verlange nicht eine Aushärtung des Bauteilträgers. Das Merkmal lasse offen, ob die Ausformung des Bauteilträgers in einer - nicht im Anspruch enthaltenen - eigenen Pressverformungs-Werkzeugstation, die nicht die Werkzeugteile der Kaschier-Station seien - erfolgen müsse, oder die Ausformung zwar separat, jedoch in dem Kaschier-Werkzeug erfolgen könne, sodass die Ausformung des Bauteilträgers zusammen mit dem Kaschierschritt in einem Werkzeug und somit nach dem aus dem Stand der Technik bekannten "One-Step-Verfahren" erfolge. Bei dem One-Step-Verfahren erfolgen die Verformung des Bauteilträgers sowie das Kaschieren in eine und derselben Werkzeugstation. Wenn die Ausformung des Bauteilträgers in einer eigenen Pressverformungs-Werkzeugstation erfolge, bestünde aber die Möglichkeit, dass - zusätzlich zu dem One-Step-Verfahren - der Bauteilträger in diesem Werkzeugstation ausgeformt und abgekühlt werde, bis der Bauteilträger ausreichend Steifigkeit habe, mit der dieser in die Kaschier-Station zum Kaschieren transportiert werden könne, sodass es sich um ein zweistufiges Verfahren oder Two-Step-Verfahren handele.

Das dem Fachmann bekannte einstufige Verfahren, das sich auf den angegriffenen Anspruch lesen lasse, laufe wie folgt ab: Der Bauteilträger werde als zugeschnittene und aufgrund ihrer Temperatur plastifizierte Matte auf ein Unterwerkzeug aufgelegt. Aufgrund ihres plastifizierten Zustands werde die Matte zur Ausbildung des Bauteilträgers "separat ausgeformt", da sich die Matte aufgrund ihrer Schwerkraft an die konturgebende Oberfläche des Unterwerkzeugs anlege. Diesem Zustand entspreche die Darstellung der Figur 1 des angegriffenen Patents. Die Dekorfolie werde anschließend auf die im Anspruch angegebenen Temperatur erhitzt und mit dem Bauteilträger verpresst. Auf diese Weise werden beide Schritte, die separate Ausformung des Bauteilträgers und die Verbindung desselben mit der Dekorfolie in ein und demselben Werkzeug, also in einem einstufigen Verfahren durchgeführt. Somit beinhalte der Ausdruck "separate Ausformung" für den Fachmann hinsichtlich der Anzahl der verwendbaren Werkzeugstationen eine Einstufigkeit und möglicherweise auch eine Zweistufigkeit des Herstellungsverlahrens mit einem zwischenzeitlichen Abkühlen und Wechsel der Werkzeugstation. In dieser Hinsicht ist dieser Ausdruck vage und undeutlich.

Der Ausdruck "separate Ausformung" sei in der Beschreibung mit dem Hinweis offenbart, dass dadurch hohe Festigkeitswerte an dem Bauteilträger erreichbar seien, siehe Spalte 2, Zeilen 47 bis 50 des Patents:

"Die Vorteile des erfindungsgemäßen Verfahrens bestehen insbesondere darin, dass eine weitaus höhere Steifigkeit des Bauteilträgers 1 aufgrund der separaten Ausformung erzielt werden kann". Ein Bezug zu der "weitaus hoheren Steifigkeit" sei nicht angegeben, sodass es sich um eine Behauptung handele, die nicht ausgeführt oder gar belegt ist. Für den Fachmann liege es auf der Hand, dass ohne separate Ausformung abhängig von gewählten Materialien oder Aushärtetechniken vergleichbare Steifigkeiten erzielbar seien. Mit "separat" könne ausschließlich gemeint sein, dass der Bauteilträger getrennt von der Dekorschicht bzw. der Kunststofffolie ausgeformt, d. h. gestaltet, werde.

Auch der Anspruch 5, der eine nach dem Anspruch 1 hergestellte Innenausstattungskomponente aus einem Bauteilträger aus Flachs-Polypropylenmaterial und einer damit verbundenen schaumstoffkaschierten Kunststofffolie mit definiertem Oberflächenprofil beanspruche, verstoße gegen die Anforderung gemäß Artikel 84 EPÜ, schon alleine aufgrund seines Rückbezugs auf den Anspruch 1. In diesem Anspruch 5 sei kein Merkmal enthalten, das ausschließlich durch das Verfahren nach dem Anspruch 1 eingeprägt werde, vielmehr seien solche Innenausstattungskomponenten auch durch andere Verfahren, wie z. B. nach der Druckschrift D2 erhältlich. Somit sei nicht klar, was mit dem Anspruch 5 eigentlich unter Schutz gestellt werden solle.

Mit "Kaschierseite (4) der Kunststofffolie" könne nur diejenige Seite der Kunststofffolie gemeint sein, an die der Schaum anliegt. In der ursprünglichen Beschreibung sei aber nur der Ausdruck "Kaschierseite (4) der Dekorschicht" offenbart. Selbst wenn der Begriff "Dekorschicht" durch "schaumstoffkaschierte Kunststofffolie" ersetzt wird, sei deren Kaschierseite die Kaschierseite des Schaumstoffs und nicht die Kaschierseite der Kunststofffolie. Somit sei diese Änderung unklar.

Mangelnde Patentfähigkeit nach Artikel 100 (a) EPÜ

Wie eingangs ausgeführt, lasse die aktuelle Formulierung des Anspruchs 1 offen, ob es sich um ein einstufiges oder zweistufiges Verfahren handele. Da der Wortlaut des Verfahrensanspruchs 1 auch die einstufige Variante einschließe, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber der Druckschrift D2. Das, wie oben ausgeführt, in dem Anspruch 5 kein Merkmal enthalten sei, das ausschließlich durch das Verfahren nach dem Anspruch 1 eingeprägt werde, sei dessen Gegenstand nicht neu gegenüber dem allgemeinen Stand der Technik.

Sollte die Kammer dem nicht folgen, sei der Gegenstand der des Anspruchs 1 nicht erfinderisch ausgehend von der Druckschrift D2. Der Gegenstand der Druckschrift D2 unterscheide sich vom Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch, dass die Narbung zuerst an der Dekorschicht erzeugt werde und die Dekorschicht anschließend auf ein Substrat aufgebracht werde. Die Aufgabe des Fachmanns sei, ein dazu alternatives Verfahren bereitzustellen. Hierzu entnehme der Fachmann der Druckschrift D1, wie eine wie auch immer geartete Dekorschicht 40 auf einen separat ausgeformten Bauteilträger (Figur 4, Bezugszeichen 10) kaschiert werde. Diesem Dokument entnehme der Fachmann, dass die Deckschicht - anders als es in der D2 offenbart sei ("spater", Spalte 14, Zeile 27) - mit der Vorbehandlung gemäß der Druckschrift D2 auch auf ein auf ein ausgeformtes Trägerbauteil kaschiert werden könne, das in der Figur Formhälfte 11 gelegen sei.

Der Gegenstand des Anspruchs 5 sei auch nicht erfinderisch gegenüber der Druckschrift D2, da die Verwendung von Flachs-Polypropylenmaterial für den Bauteilträger auf eine beliebiegen Auswahl aus dem Fachmann zur Verfügung stehenden Materialien basiere.

Hinausgehen über die eingereichte Fassung, Artikel 123 (2) EPÜ

Durch die Streichung der Ausdrücke "in einem ersten Schritt" und "in einem zweiten Schritt" in Anspruch 1 der Anmeldung beinhalte die jetzige Fassung des Anspruchs 1 nicht nur eine parallele Durchführung der Aufheizschritte von Bauteilträger und Dekorschicht, sondern auch jegliche Reihenfolge derselben, also zuerst die Aufheizung des Bauteilträgers und anschließend die Aufheizung der Dekorschicht oder zuerst die Aufheizung der Dekorschicht und anschließend die Aufheizung des Bauteilträgers. Der letztere Fall sei aber in der ursprünglichen Offenbarung nicht enthalten, sodass der Anspruch 1 des Hauptantrags über den ursprünglichen Offenbarungsgehalt hinausgehe.

Die Ausdrücke "einer damit verbundenen Dekorschicht (2)"" bzw. "Kaschierseite (4) der Dekorschicht (2)" im Anspruch 1 der Anmeldung seien durch den Ausdrücke "und einer damit verbundenen schaumstoffkaschierten Kunststofffolie (2)" bzw. "Kaschierseite (4) der Kunststofffolie (2)" ersetzt worden. Letztere Ausdruck, nämlich "Kaschierseite (4) der Kunststofffolie (2)" sei nicht ursprünglich offenbart worden. Diese Änderung gehe deshalb über den ursprünglichen Offenbarungsgehalt hinaus und ist gemäß Artikel 123(2) EPÜ nicht zulässig.

Erweiterung des Schutzbereiches im Sinne des Artikels 123 (3) EPÜ

Das Einführen des Ausdrucks "[wobei man den Bauteilträger] ... durch separate Ausformung herstellt" in den Anspruch 1, der "in einem ersten Schritt" und "in einem zweiten Schritt" nicht länger enthalte, stelle eine Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Anspruchs 1 dar, da die Einstellung der Oberflächentemperatur des Bauteilträgers und das Erwärmen der Sichtseite der Dekorschicht auf die Narbtemperatur vorher separat voneinander erfolgten, jetzt aber in einem einzigen Schritt erfolgen, Artikel 123 (3) EPÜ.

Im Streitpatent werde nur im ersten Halbsatz des Anspruchs 1 der Begriff "schaumstoffkaschierte Kunststofffolie" verwendet, bei der Benennung der übrigen Merkmale des anspruchsgemäßen Verfahrens im Anspruch 1, auf die es ankommt, weggelassen wurde, liege eine Erweiterung des Schutzbereichs gemäß Artikel 123(3) EPÜ vor.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

VERFAHRENSFRAGEN

2. Wiedereinführung des vor der Einspruchsabteilung zurückgenommenen Einspruchsgrunds nach Artikel 100 b) EPÜ 1973

2.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdeführerin II erklärt, dass sie den in ihrer Beschwerdebegründung vorgetragenen Einspruchsgrund mangelnder Ausführbarkeit aufrechterhalte aber keine weiteren mündlichen Ausführungen machen wolle, auch nicht zu der vorläufigen Stellungnahme der Kammer in ihrer Mitteilung vom 28. Oktober 2016 zur Frage, ob der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist.

Die Beschwerdeführerin I hat während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erklärt, dass sie mit der Wiedereinführung des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 nicht einverstanden sei.

Bei dieser Sachlage hat die Kammer keinen Grund gesehen, von der in Punkt 4 ihrer Mitteilung (siehe Punkt III, supra) geäußerten vorläufigen Auffassung abzurücken, dass die Wiedereinführung des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 einen neuen Einspruchsgrund darstelle, der nicht ohne das Einverständnis der Beschwerdeführerin I in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden dürfe.

2.2 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ 1973 wird deshalb nicht im Beschwerdeverfahren zugelassen.

3. Zulassung von weiteren Druckschriften in das Beschwerdeverfahren

3.1 Die Beschwerdeführerin II hat schriftlich ausdrücklich beantragt, die Druckschriften D10 bis D12 und die Dokumente D10' bis D13' im Beschwerdeverfahren zuzulassen.

In ihrer Mitteilung vom 28. Oktober 2016 hat die Kammer ausgeführt, dass sie derzeit nicht beabsichtigt, diese Druckschriften in das Beschwerdeverfahren zuzulassen, siehe Punkt 9 der Mitteilung (siehe Punkt III, supra).

Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdeführerin II keine Ausführungen zu diesen Druckschriften gemacht und keinen Antrag auf Zulassung der genannten Druckschriften gestellt.

3.2 Bei dieser Sachlage hat die Kammer keinen Grund gesehen, von der in Punkt 9 ihrer Mitteilung geäußerten vorläufigen Auffassung abzurücken.

3.3 Die Druckschriften D10 bis D12 und die Dokumente D10' bis D13' werden deshalb nicht im Beschwerdeverfahren zugelassen. Deshalb war die Ladung des zur Durchführung der im Dokument D11' dokumentierten Besprechung genannten Zeugen nicht erforderlich.

4. Verspätetes Vorbringen

4.1 Nach Artikel 12 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (VOBK) (siehe ABl. EPA 2007, 536 ff.) müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachverhalt eines Beteiligten enthalten und gemäß Artikel 13 (3) VOBK sind nach Anberaumen einer mündlichen Verhandlung vorgelegte Änderungen nicht zuzulassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist.

4.2 Die Beschwerdeführerin II hat in ihrer Einspruchsschrift von 16. Juni 2010 im Hinblick auf die eidesstattliche Versicherung D8 und Druckschrift D9 eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht und vorgetragen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents durch diese Druckschriften vorweggenommen sei. In der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung zur eidesstattlichen Versicherung D8 Stellung genommen und die Neuheit des Anspruchs 1 des damaligen Hilfsantrags (entspricht Anspruch 1 des Hauptantrags im Beschwerdeverfahren) bejaht, siehe Entscheidungsgründe, Punkt 5.4 (vgl. "Auf Seite 2, im ersten Absatz [der eidesstattlichen Versicherung D8] ist es aber klar geschrieben, dass die Narbung der Sichtseite der Dekorschicht bereits beim Hersteller der Folien erzeugt wurde, und nicht wie in den angegriffenen Patent während das Verpressen des Bauteilträgers und der Dekorschicht").

Die Beschwerdeführerin II hat während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren, vorgetragen, dass der Gegenstand des Anspruchs 5 des Hauptantrags durch diese Druckschriften vorweggenommen sei. Weder in der Beschwerdebegründung vom 24. Oktober 2012, noch im Schreiben vom 2. Mai 2013, oder im Schreiben vom 16. Januar 2017 zu der Mitteilung der Kammer vom 28. Oktober 2016, hat sie die Druckschriften D8 und D9 erwähnt und/oder eine angebliche offenkundige Vorbenutzung gestützt auf diese Druckschriften geltend gemacht hat.

Deshalb ist ihr Vortrag während der mündlichen Verhandlung als eine überraschende Änderung des Vorbringens in einem sehr späten Verfahrensstadium zu werten, mit der weder die Beschwerdeführerin I noch die Kammer zu rechnen hatten und deren Zulassung eine Verlegung der mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde.

4.3 Da das neue Vorbringen der Beschwerdeführerin II Fragen aufwerfen würde, deren Behandlung der Kammer und der Beschwerdeführerin I ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist, wurde das neue Vorbringen nicht zugelassen.

HAUPTANTRAG

5. Einwand unzulässiger Erweiterung, Artikel 100 c) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 123 (2) und (3) EPÜ und Einwand mangelnder Klarheit, Artikel 84 EPÜ 1973

5.1 Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von der ursprünglich eingereichten Anspruch 1 dadurch, dass der Ausdruck "Dekorschicht (2) mit" durch den Ausdruck "schaumstoffkaschierten Kunststofffolie (2) mit" ersetzt worden ist, dass der Ausdruck "durch separate Ausformung" vor dem Wort "herstellt" eingefügt wurde, dass der Ausdruck "dadurch gekennzeichnet, dass man" nach dem Wort "einstellt" eingefügt wurde, dass die Ausdrücke "der Dekorschicht" bzw. "die Dekorschicht" durch den Ausdrücke "der Kunststofffolie" bzw. " die Kunststofffolie" ersetzt worden sind und dass die Ausdrücke "in einem ersten Schritt" bzw. "in einem zweiten Schritt" gestrichen wurden.

Dass als Dekorschicht eine Folie, insbesondere eine schaumstoffkaschierte Kunststofffolie, eingesetzt werden kann, ist in Anspruch 3 der Anmeldung offenbart. Eine Stütze für das Merkmal "wobei man Bauteilträger ... durch separate Ausformung herstellt" ist Figur 1 der der ursprünglich eingereichten Anmeldung in der veröffentlichen Fassung (weiterhin als Anmeldung bezeichnet), vgl. auch Seite 4, Zeilen 16 bis 18 der Anmeldung.

Nach Auffassung der Kammer wird der Fachmann das beanspruchte Verfahren nach Anspruch 1 des Hauptantrags so verstehen, dass ein ausgeformter auf eine bestimmte Oberflächentemperatur eingestellter Bauteilträger und eine auf eine bestimmten Oberflächentemperatur eingestellte Kunststofffolie bereitgestellt und anschließend in einem Werkzeug verpresst werden. Der Fachmann wird auch erkennen, dass es unerheblich ist, ob eine(r) von beiden, der ausgeformter Bauteilträger oder Kunststofffolie, zuerst bereitgestellt wird, oder ob sie gleichzeitig für den Verpressvorgang im Werkzeug bereitgestellt werden. Das Gleiche gilt für das Einstellen auf die gewünschte Oberflächentemperatur des Bauteilträgers bzw. der Kunststofffolie.

Aus Seite 5, Zeilen 13 bis 15 der Anmeldung geht hervor, dass das Aufheizen des Bauteilträgers und das Aufheizen der Kunststofffolie parallel stattfindet. Bereits aus diesem Grund würde der Fachmann die in Zeilen 1 und 7 der Seite 4 verwendete Ausdrücke "in einem ersten Schritt" bzw. "in einem zweiten Schritt" nicht zwingend als zuerst der erste Schritt und dann der zweite Schritt verstehen. Der Fachmann wird erkennen, dass "parallel Aufheizen" nicht zwingend bedeutet, dass das Aufheizen des Bauteilträgers und das Aufheizen der Kunststofffolie exakt zu denselben Zeitpunkten anfängt und endet.

Die Streichung der Ausdrücke "in einem ersten Schritt" und "in einem zweiten Schritt" aus Anspruch 1 der Anmeldung geht deshalb weder über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ) noch führt zu einer Erweiterung des Schutzumfanges (Artikel 123 (3) EPÜ).

5.2 Anspruch 5 des Hauptantrags unterscheidet sich von dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 dadurch, dass der Ausdruck "aus Flachs-Polypropylenmaterial" nach den Ausdruck "Bauteilträger (1)" eingefügt wurde.

Eine Stütze dafür, dass ein Bauteilträger aus Flachs-Polypropylenmaterial einsetzt werden kann, ist Anspruch 2 der Anmeldung.

Die vorgenommenen Änderungen gehen somit nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, Artikel 123 (2) EPÜ.

5.3 Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft ein "Verfahren zur Herstellung von Innenausstattungskomponenten von Kraftfahrzeugen aus einem Bauteilträger (1) und einer damit verbundenen schaumstoffkaschierten Kunststofffolie (2) ..." (Hervorhebung durch die Kammer). Viermal wird in diesem Anspruch auf die genannte schaumstoffkaschierte Kunststofffolie zurückverwiesen (vgl. "[der/die] Kunststofffolie"), ohne das Adjektiv "schaumstoffkaschiert" zu wiederholen.

Diese 4-fache Weglassung des Zusatzes "schaumstoffkaschiert" wurde von der Beschwerdeführerin II unter Artikel 123 (3) EPÜ und 84 EPÜ 1973 beanstandet.

Da die Kunststofffolie in Anspruch 1 mit dem bestimmten Artikel einen eindeutigen Bezug auf die vorher in ersten Halbsatz definierte "schaumstoffkaschierte Kunststofffolie" aufweist, erkennt die Kammer weder eine Erweiterung des Schutzbereiches noch eine Unklarheit. In anderen Worten, mit Anspruch 1 wird ausschließlich eine schaumstoffkaschierte Kunststofffolie beschrieben und beansprucht.

5.4 Die mit dem Verfahren nach Anspruch 1 des Hauptantrags hergestellte Innenausstattungskomponente umfasst den Bauteilträger und die Kunststofffolie. Figur 1 zeigt den ausgeformten Bauteilträger 1 in einer Kavität eines Werkzeugs, dessen Unter- und Oberwerkzeuge Formteile darstellen. Anschließend werden der Bauteilträger und die Kunststofffolie in einem Werkzeug verpresst, wobei die Kunststofffolie die gleiche Ausformung wie der Bauteilträger bekommt. Die Kunststofffolie bekommt auch eine Oberflächenstruktur durch das Oberwerkzeug.

Der Fachmann wird das Merkmal "wobei man Bauteilträger (1) ... durch separate Ausformung herstellt", im Lichte der Beschreibung und Zeichnungen des Patents als Ganzes betrachtet, so verstehen, dass der Bauteilträger einzeln, d. h. separat von der Kunststofffolie, ausgeformt wird, bevor der Bauteilträger und die Kunststofffolie anschließend gemeinsam verpresst werden.

Die Einfügung des Ausdrucks "durch separate Ausformung" vor dem Wort "herstellt" im Merkmal des Anspruchs 1 der Anmeldung, nämlich "wobei man den Bauteilträger (1) auf der Basis von naturfaserverstärkten Polymerwerkstoffen herstellt", bedeutet, dass der Bauteilträger nicht nur her- oder bereitgestellt wird, sondern zusätzlich "geformt" wird.

Anspruch 1 des Hauptantrags ist deshalb deutlich, knapp gefasst und von der Beschreibung gestützt, Artikel 84 EPÜ 1973.

6. Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit und Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit, Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikeln 54 und 56 EPÜ 1973

6.1 Druckschrift D2 stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar. Diese Druckschrift offenbart ein Verfahren zum Formen von Teilen mit eingeformter Oberflächenstruktur (siehe Absätze [0005] bis [0008], Figuren 4 und 5 und Anspruch 1), bei der eine Deckschicht 20, die eine die Oberfläche bildende Haut 21 und einen aus Schaumstoff bestehenden Träger 22 aufweist, unter Verwendung einer Vorrichtung zum Herstellen von Formteilen, wobei die Oberfläche einer Formhälfte eine eingeformte Oberflächenstruktur aufweist, erhitzt wird, zwischen den Formteilen angeordnet und konturiert wird, wobei in die Haut eine eingeformte Oberflächenstruktur geformt wird.

In einem nachfolgenden Schritt kann ein Substrat auf die rückseitige Oberfläche des Trägers der Deckschicht direkt in derselben Vorrichtung geformt und laminiert werden, siehe Absatz [0009] und Absatz [0060] ("ein Substrat 30 kann direkt auf die Rückseite der vorgeformten Deckschicht 20 in derselben Vorrichtung 1 aufgeformt werden").

Druckschrift D2 offenbart nicht, dass das Substrat (entspricht dem Bauteilträger des Streitpatents) durch separate Ausformung, d. h. separat von der Deckschicht, hergestellt wird. Der Druckschrift D2 ist nicht zu entnehmen, auf welche Oberflächentemperaturen das Substrat und die Deckschicht gebracht werden sollen, um geformt und laminiert zu werden.

6.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist deshalb neu gegenüber der Druckschrift D2.

6.3 Anspruch 5 des Hauptantrags enthält das Merkmal "erhältlich nach einem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4" und stellt somit einen Product-by-Process-Anspruch dar, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage, II.A.7.

Die Beschwerdeführerin II hat nicht nachgewiesen, dass durch die separate Ausformung des Bauteilträgers kein strukturell unterscheidbares Endprodukt erhalten wird. Sie hat zum Nachweis während der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die einstufige Variante (wobei Substrat und Deckschicht in einer Vorrichtung geformt und laminiert werden - ohne separate Ausformung des Substrats vorab) und die zweistufige Variante des Streitpatents das gleiche Endprodukt ergeben.

Dem kann nicht gefolgt werden. In Absatz [13] des Patents wird ausgeführt: "Die Vorteile des erfindungsgemäßen Verfahrens bestehen insbesondere darin, dass eine weitaus höhere Steifigkeit des Bauteilträgers 1 aufgrund der separaten Ausformung erzielt werden kann. Im Werkzeug können nun deutliche Radienüberhöhungen vorgesehen werden, dies ermöglicht die Darstellung sehr enger Radien im Bereich ab 0,6 mm, insbesondere 2 bis 3 mm. Hervorzuheben ist auch, dass aufgrund der geringen Druckbelastung des zu kaschierenden Dekormaterials 2 die Schaumschädigung wesentlich geringer ist und dadurch Schaumbruch und Faltenproblematik ausgeschlossen werden kann. Besonders an den Radien, wie am übrigen Bauteil, wird durch das erfindungsgemäße Verfahren ein wesentlich verbesserter Softtouch erzielt. Im Vergleich der Verfahren des Standes der Technik kann die Bauteilkante wesentlich geradliniger gestaltet werden, so dass ein geringeres Spaltmaß zum Türblech eingehalten werden kann. Gleichzeitig ist auch eine Narbung an diesem scharfkantigen Umbugradius möglich. Mit Hilfe der vorliegenden Erfindung ist darüber hinaus bei der Darstellung einer Galvano/Laser-Narbe, beispielsweise ausgehend von einem Belederungsmodel, die Realisierung eines Zweiglanzes möglich" (Hervorhebung durch die Kammer).

Dem Fachmann ist klar, dass der Bauteilträger einer Innenausstattungskomponente, wie zum Beispiel einer Türverkleidung von Kraftfahrzeugen, im Vergleich zu der als schaumstoffkaschierte Kunststofffolie gestalteten Deckschicht größere Druckbelastungen als diese Deckschicht aushält. Das zweistufige Verfahren, d. h. die separate Ausformung des Bauteilträgers, ermöglicht es den Bauteilträger unter höherem Druck auszuformen, was zu eine höheren Steifigkeit des Bauteilträgers und Ausformung kleiner Radien führt. Im anschließenden Verpressvorgang im Werkzeug wird eine geringere Druckbelastung benötigt, da der Bauteilträger bereits ausgeformt ist.

Nach Auffassung der Kammer wird der Fachmann das im Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchte Herstellungsverfahren, bei dem ein Bauteilträger und eine schaumstoffkaschierte Kunststofffolie mit einander zu einer Innenausstattungskomponente verpresst werden, als ein zweistufiges Verfahren betrachten, weil einer der beiden Teile (hier: der Bauteilträger) separat ausgeformt wird. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Bauteilträger in dem gleichen Werkzeug ausgeformt wird wie das Werkzeug, in dem der Bauteilträger und die Kunststofffolie mit einander verpresst werden. Der erste Schritt des beanspruchten Verfahren, nämlich die Ausformung des Bauteilträgers, und der zweite Schritt, nämlich die schaumstoffkaschierte Kunststofffolie mit dem ausgeformten Bauteilträger zu verbinden, sind sehr unterschiedliche Verfahrenschritte. Bei der Ausformung des Bauteilträgers müssen dessen Temperatur und der (erhebliche) Druck so gewählt werden, dass der Bauteilträger die gewünschte Form erhält, hingegen bei dem zweiten Schritt lediglich die Oberflächen der zu verbindenden Teile auf die gewünschte Kaschiertemperaturen gebracht werden müssen und ein niedrigerer Druck aufgebracht werden kann.

Folglich geht die Kammer davon aus, gestützt durch die Angaben in Absatz [0013] des Patents, dass eine Innenausstattungskomponente, die mit dem Verfahren nach Anspruch 1 hergestellt wird, sich wegen der separate Ausformung des Bauteilträgers von einer Innenausstattungskomponente unterscheidet, die mit einem Verfahren hergestellt wurde, bei dem der Bauteilträger nicht separat ausgeformt wird.

6.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist deshalb neu gegenüber der Druckschrift D2.

6.5 Die Druckschrift D2 offenbart ein Verfahren zur Herstellung eines Formteils 40 mit eingeformter Oberflächenstruktur, das eine Deckschicht 20, die eine Haut 21 und einen aus Schaumstoff bestehenden Träger 22 umfasst, und ein Substrat 30 aufweist. Erst durch Aufformen eines Substrats auf die Rückseite der vorgeformten Deckschicht 20 wird das Formteil in derselben Vorrichtung 1 aufgeformt, siehe Spalte 14, Zeilen 30 bis 35.

Die Druckschrift D2 offenbart somit ebenfalls ein zweistufiges Verfahren, aber anders als das im Streitpatent beanspruchte Verfahren wird nicht das Substrat sondern die Deckschicht separat ausgeformt.

Der Fachmann hat keine Veranlassung, ausgehend von der Druckschrift D2, die Druckschrift D1 heranzuziehen, um das Substrat zuerst separat auszuformen, da diese Maßnahme der Lehre der Druckschrift D2 zuwiderlaufen würde.

Nach Auffassung der Kammer kann die Druckschrift D2, einzeln betrachtet oder in Kombination mit anderen im Verfahren zitierten Druckschriften den Fachmann, auch unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens, nicht dazu anregen ein Verfahren zur Herstellung von Innenausstattungskomponenten von Kraftfahrzeugen, wobei man den Bauteilträger auf der Basis von naturfaserverstärkten Polymerwerkstoffen durch separate Ausformung herstellt, wie sie im Anspruch 1 des Hauptantrags beansprucht wird, bereitzustellen.

6.6 Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 5 des Hauptantrags ergeben sich somit nicht in naheliegender Weise aus dem zitierten Stand der Technik und beruhen daher auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

7. Folglich kann das Patent auf der Basis der Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hauptantrag aufrechterhalten werden. Auf den Hilfsantrag und Hilfsantrag 2 braucht bei dieser Sachlage nicht eingegangen zu werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wir aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche:

1 bis 5, eingereicht am 3. August 2012 als Hauptantrag;

Beschreibung:

Seiten 1 bis 5, eingereicht am 3. April 2012;

Seite 6, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 10. Mai 2012;

Zeichnungen:

Figuren 1 bis 4 der Patentschrift.

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