T 1616/12 () of 6.8.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T161612.20150806
Datum der Entscheidung: 06 August 2015
Aktenzeichen: T 1616/12
Anmeldenummer: 02010899.9
IPC-Klasse: B32B 27/12
B32B 3/08
E04F 15/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fussbodenlaminat
Name des Anmelders: ANDY Holzprodukte GmbH
Name des Einsprechenden: Fritz Egger GmbH & Co. OG
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent EP 1 262 313 B1 zurückzuweisen.

II. Das Patent war mit 5 Ansprüchen erteilt worden, von denen die Ansprüche 1 und 2 wie folgt lauten:

"1. Fußbodenlaminat, mit einer oberseitigen Nutz- und Dekorlage (2) und einer mit dieser verbundenen unterseitigen Trägerplatte (3), dadurch gekennzeichnet, dass die Oberfläche (10) des Laminat[s] (1) an zumindest zwei gegenüberliegenden Seitenkanten (4) abgerundet oder abgeschrägt ist, dass weiterhin die oberseitige Nutz- und Dekorlage (2) einstückig ausgebildet ist und die abgerundeten und die abgeschrägten Bereiche mit umfasst, dass außerdem das Laminat (1) mit nut- bzw. federartigen Befestigungsbereichen versehene Längskanten aufweist, und dass die Befestigungsbereiche für eine leimlose Verlegung mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung versehen sind, wobei die Oberfläche (10) allseitig abgerundete oder abgeschrägte Seitenkanten (4) aufweist."

"2. Laminat (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Nutz- und Dekorlage (2) aus elektronenstrahlgehärtetem Material, insbesondere aus Polyester und/oder Acrylaten besteht."

Die Ansprüche 3 bis 5 sind weitere abhängige Ansprüche.

III. Der Einspruch war auf die Gründe gemäß Artikel 100(a) EPÜ, dass der Gegenstand der Erfindung nicht neu und nicht erfinderisch sei, gestützt. Von der Einsprechenden wurden unter anderem folgende Dokumente genannt:

D1 CA 2 628 655 A1

D2 WO 97/47834 A1

D3 US 5 112 671 A

D4/D4a JP 63040055 und englische Übersetzung

D6 DE 30 37 233 A1

D7 WO 00/47841 A1.

IV. Die Entscheidungsgründe der Einspruchsabteilung, die zur Zurückweisung des Einspruchs führten, können wie folgt zusammengefasst werden:

Neuheit

D1 betreffe ein Fussbodenlaminat mit einer Nutz- und Dekorlage und einer Trägerplatte mit nut- und federartigen Befestigungsbereichen. Der Randbereich sei bezüglich der restlichen Oberfläche versenkt, wobei die Keramikfliese gemäß Figur 3 einen Randbereich mit einer scharf konturierten Stufe aufweise, der nicht als abgeschrägt oder abgerundet angesehen werden könne.

Das Laminat werde zur Erzielung einer strukturierten Oberfläche und des versenkten Randes gepresst und geschnitten. Da dieser Rand nur wenige Zehntel Millimeter tiefer als der Rest der Oberfläche sein könne, sei anzunehmen, dass die Nutz- und Dekorlage abgerundete oder abgeschrägte Bereiche nicht mitumfasse.

In D1 gebe es ferner keine Hinweise auf die Ausgestaltung der Nut- und Federverbindung. Die Offenbarung in D1 sei als allgemein zu betrachten, die die anspruchsgemäße speziellere Ausführung mit Rastvorsprüngen und Aussparungen nicht vorwegnehmen könne, zumal zum Prioritätszeitpunkt konventionelle Nut-/Federverbindungen noch gebräuchlich gewesen seien.

Der beanspruchte Gegenstand sei damit neu.

Erfinderische Tätigkeit

D1 sei als nächstliegender Stand der Technik anzusehen, von dem sich das beanspruchte Laminat durch

- die abgeschrägten/abgerundeten Seitenkanten,

- das Herumziehen der Nutz- und Dekorlage um diese abgeschrägten/abgerundeten Bereiche und

- die nut- und federartigen Befestigungsbereiche mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung

unterscheide.

Die Auffassung der Einsprechenden, dass mit diesen unterscheidenden Merkmalen drei unabhängige Teilaufgaben gelöst werden, werde geteilt.

Die Ausgestaltung der Nut- und Federverbindung mit Rastvorsprüngen und entsprechenden Aussparungen sei bereits aus D2 und D7 bekannt und könne zur erfinderischen Tätigkeit nichts beitragen.

D1 enthalte zwar einen Hinweis, die Oberflächenstruktur und die Randbereiche der Paneele optisch an ein natürliches Produkt anzupassen, gebe aber hierfür keine weiteren detaillierten Informationen.

D6 betreffe zwar Holzwerkstoffplatten mit abgerundeten Seitenkanten und einstückigen, die abgerundeten Bereiche mitumfassenden Nutz- und Dekorlagen, gebe jedoch keinen Hinweis, dass diese Platten als Fussbodenlaminat verwendet werden könnten.

Die Kombination von D1 mit D6 lege daher den beanspruchten Gegenstand nicht nahe. Auch würde der Fachmann D3 und D4 nicht zur Lösung der Aufgabe heranziehen.

V. In ihrer Beschwerdebegründung hielt die Einsprechende (nachfolgend: Beschwerdeführerin) die Einwände der mangelnden Neuheit gegenüber D1 und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit, ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik, aufrecht.

VI. In ihrem Antwortschreiben beantragte die Patentinhaberin (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis eines der diesem Schreiben beigefügten Hilfsanträge 1 und 2.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 wurde gegenüber dem erteilten Anspruch 1 um das Merkmal des erteilten Anspruchs 2 ergänzt, dass die Trägerplatte eine Holzwerkstoffplatte, insbesondere Spanplatte, Faserplatte, MDF- oder HDF-Platte ist.

Dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 wurde noch das weitere Merkmal hinzugefügt, dass die mit nut- bzw. federartigen Befestigungsbereichen versehenen Längskanten mit einstückig mit dem Rest des Fußbodenbelags ausgeführter Feder ausgestattet sind.

VII. Die Beschwerdeführerin reichte weitere Stellungnahmen sowie folgende neue Dokumente ein:

Entscheidung T 0185/10

EP 1 229 183 A1

D8(neu) WO 01/96688 A1

D9 EP 1 642 751 B1

D10 Prüfungsbescheid vom 6. März 2009

Dabei wurde ein weiterer Einwand der mangelnden Neuheit erstmals auf D8(neu) als Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ gestützt.

VIII. Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gab die Kammer in einem Bescheid eine unverbindliche Stellungnahme zur Frage der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit ab.

Im Hinblick auf die Neuheit äußerte sie Zweifel an der Neuheitsschädlichkeit von D1 und D8 (neu).

Die Kammer sah D1 als nächstliegenden Stand der Technik für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit an. Bezüglich der schriftlichen Argumentation der Beschwerdeführerin, dass der beanspruchte Gegenstand durch eine Kombination von D1 mit dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sei, beanstandete die Kammer, dass das allgemeine Fachwissen nicht durch einschlägige Literatur belegt sei. Bezüglich einer Kombination von D1 mit D6 gab die Kammer zu bedenken, dass D6 nicht explizit auf Fußbodenlaminate gerichtet sei. Die anspruchsgemäße Ausgestaltung der nut- und federartigen Befestigungsbereiche mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung für die leimlose Verlegung von Fußbodenlaminaten sei jedoch bereits aus D2 und D7 bekannt.

IX. Die Beschwerdegegnerin reichte hierauf einen weiteren Anspruchssatz als Hilfsantrag 3 ein. Ferner äußerte sie Zweifel an der Zulässigkeit der von der Beschwerdeführerin verspätet eingereichten Dokumente.

Die Beschwerdeführerin hielt alle bisher vorgebrachten Einwände der mangelnden Neuheit und mangelnden erfinderischen Tätigkeit aufrecht und reichte ein weiteres Dokument ein:

D11 "Kunstharzfilme für Laminatfußböden - Herstellung und Eigenschaften, Qualität und Charakter im Detail" aus "Laminatfußböden - Technik und Technologien", 1999.

X. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 6. August 2015 statt. Während der Verhandlung ersetzte die Beschwerdegegnerin den bisherigen Hilfsantrag 3 durch einen neuen Hilfsantrag 3. In der Verhandlung wurden insbesondere folgende Fragen diskutiert:

- Neuheit gegenüber D1;

- Zulassung der von der Beschwerdeführerin neu eingereichten Dokumente, insbesondere D8 (neu) im Hinblick auf ihre Relevanz für die Neuheit;

- Erfinderische Tätigkeit, ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik, in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder mit D6;

- Zulassung des neuen Hilfsantrags 3 zum Verfahren.

Die entscheidungserheblichen Argumente der Parteien werden nachfolgend zusammengefasst.

XI. Argumente der Beschwerdeführerin

Neuheit

Neuheit gegenüber D1

Vergleiche man den Offenbarungsgehalt von D1 mit der auf Seite 3 der Beschwerdebegründung für das beanspruchte Fußbodenlaminat gegebenen Merkmalsanalyse, so ergebe sich, dass die strittigen Merkmale c)/h), e) und g) zumindest implizit in D1 offenbart seien.

Bezüglich der Merkmale c)/h), dass die Oberfläche des Laminats an zumindest zwei gegenüberliegenden Seitenkanten abgerundet oder abgeschrägt ist [c)], wobei die Oberfläche allseitig abgerundete oder abgeschrägte Seitenkanten aufweist [h)], sei zunächst auf die Offenbarung in D1, Seite 2, Zeilen 22ff "The object is achieved by providing a relieved perimeter" zu verweisen. Zwar sei im Zusammenhang mit dieser Offenbarung nur eine Bodenfliese mit allseits abgestuftem Rand in D1 illustriert, jedoch sei diese Offenbarung als beispielhaft und nicht limitierend anzusehen (Seite 5, Zeilen 9/10: "An example of a practical execution ... but not a limiting one ..."). Da der Ausdruck "relieved perimeter" als allgemeiner anzusehen sei, wobei lediglich die drei Varianten: "gestuft", "abgeschrägt" und "abgerundet" prinzipiell in Frage kämen, werde durch D1 das anspruchsgemäße Merkmal h), dass die Oberfläche allseitig abgerundete oder abgeschrägte Seitenkanten aufweisen könne, implizit vorweggenommen. Diesbezüglich sei auch darauf hinzuweisen, dass D1 explizit auch Fußbodenlaminate in Betracht ziehe, für die der Fachmann aufgrund seines Fachwissens keine abgestuften, sondern lediglich abgeschrägte oder abgerundete Kantenbereiche unmittelbar in Betracht ziehen würde.

Aus der Offenbarung in D1, Seite 4, Zeilen 3 bis 5, wonach die abgesenkten Randbereiche des laminierten Fußbodenbelags durch Verpressen mit polymerisierbaren Harzen imprägnierten und einem Dekor versehenen Celluloseplatten erhalten würden, i.V.m. der Offenbarung auf Seite 6, Zeilen 6 bis 9, bei Bodenfliesen im Randbereich eine möglichst realistische Fliesencharakteristik zu erhalten, ergebe sich, dass die Dekorlage die abgesenkten Randbereiche mitumfasse. Merkmal e) sei somit durch D1 ebenfalls vorweggenommen.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von D1 (2001) sei die leimlose Verlegung von Fußbodenlaminaten mittels Nut und Feder mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung bereits Stand der Technik gewesen. Dies ergebe sich aus D2 und D7, die bereits 1997 und 2000 veröffentlicht worden seien. Der Fachmann würde daher die Offenbarung in D1 "The joint 2 can be formed using ... tongue and groove" sofort dahingehend verstehen, dass die Nut- und Federverbindung mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung, gemäß dem anspruchsgemäßen Merkmal g), versehen sei.

Relevanz von D8 (neu) für die Neuheit

D8 (neu) sei zwar spät eingereicht, jedoch aufgrund ihrer Relevanz für die Neuheit zum Verfahren zuzulassen.

Insbesondere die Offenbarung auf Seite 5, Absatz 3, dass die Dekorschicht auf den abgeschrägten Kanten des Fußbodenlaminats bevorzugt separat aufgebracht sei, impliziere, dass alternativ als (weniger bevorzugte) Variante die Dekorschicht einstückig um die abgeschrägten Kanten herumgezogen werden könne.

Erfinderische Tätigkeit

Gehe man von D1 als nächstliegendem Stand der Technik aus, so sei demgegenüber der Unterschied des beanspruchten Gegenstands darin zu sehen, dass die Kanten abgerundet oder abgeschrägt seien (Merkmale c)/h)) und die Nut- und Federverbindung mit Rastvorsprung und entsprechenden Aussparungen versehen sei (Merkmal g)).

Wie sich aus den Abschnitten [0011] und [0017] der Patentschrift ergebe, beträfen die Merkmale c)/h) die Nachbildung üblicher Holzböden durch Laminat und damit die Erzielung eines dekorativen Effekts. Das Merkmal g) der leimlosen Verlegung des Laminatbodens stehe in keinem direkten Zusammenhang zu den Merkmalen

c)/h)zueinander und löse daher ein separates Teilproblem.

Teilproblem 1: Nachbildung von Holzböden

D1 betreffe unter anderem Fußbodenlaminate, die Holz, Keramik oder Naturstein imitieren sollten (Seite 1, Absatz 2). Der Fachmann, der sich, ausgehend von D1, die Aufgabe gestellt habe, natürliche Holzfußböden, wie zum Beispiel Dielenböden, nachzubilden, werde sich nicht nur um die Oberfläche, sondern auch um die Randbereiche der Paneele kümmern. Da er wisse dass Dielenböden keine abgestuften, sondern üblicherweise abgeschrägte oder abgerundete Randbereiche aufwiesen, sei es für ihn naheliegend, die Kanten entsprechend auszubilden.

Teilproblem 2: leimlose Verlegung

Der Fachmann, der die in D1 offenbarte Verbindung der Paneele mittels Nut und Feder (Seite 1, Zeilen 18/19) für eine leimlose Verlegung geeignet machen wolle, sei durch D2 oder D7 angehalten, Rastvorsprünge und entsprechende Aussparungen vorzusehen.

Zulassung des Hilfsantrags 3 zum Verfahren

Der während der mündlichen Verhandlung eingereichte neue Hilfsantrag 3 bringe neue Sachverhalte ein, auf die sich die Beschwerdeführerin nicht habe vorbereiten können, und deren Diskussion ihr daher nicht zumutbar sei. Der Antrag sollte daher als verspätet nicht zum Verfahren zugelassen werden.

XII. Argumente der Beschwerdegegnerin

Neuheit

In D1 fehle die explizite Offenbarung, dass die Randbereiche abgeschrägt oder abgerundet sein könnten. Insbesondere fehle auch ein Hinweis, dass die Ausbildung der Kanten vom Design abhängig sei. Vielmehr sei der in D1 als stufenartig ausgebildet offenbarte Randbereich nicht an ein spezielles Design, beispielsweise die in den Figuren illustrierte Bodenfliese, gebunden. Der Offenbarungsgehalt in D1 werde daher von der Beschwerdeführerin unzulässig überinterpretiert.

Die in D1 offenbarten abgesenkten Randbereiche würden durch Pressen der imprägnierten, mit einem Dekor versehenen Celluloselagen erhalten. Aufgrund dieses Pressvorgangs sei es gar nicht möglich, dass die Dekorlage die abgestuften Ränder mitumfasse, da das Papier anderenfalls reißen würde.

D1 gebe weder den Hinweis, dass eine leimlose Verlegung beabsichtigt sei, noch offenbare sie Details zur Ausgestaltung der Nut- und Federverbindung.

D8 (neu) enthalte keine eindeutige Offenbarung der Einstückigkeit der Dekorlage. Der Passus auf Seite 5, Absatz 3 "... decorative layer, preferably a layer provided as separate" müsse als Betonung angesehen werden, zumal immer nur die bevorzugte Ausführungsform der separaten Aufbringung der Dekorlage auf die Abschrägung diskutiert, jedoch eine "weniger bevorzugte" Ausführungsform nie erwähnt werde.

Erfinderische Tätigkeit

Die beanspruchte Erfindung müsse in ihrer Gesamtheit betrachtet werden und sei nicht als eine Aneinander­reihung von Teilaufgaben anzusehen. Aufgabe der Erfindung sei es demnach, kantengeschützte, optisch angepasste und leimlos verriegelbare Fußbodenlaminate zur Verfügung zu stellen. Diese Aufgabe werde durch die Gesamtheit der im Anspruch 1 des Streitpatents offenbarten Merkmale gelöst.

D1 gebe dem Fachmann weder eine Anregung, in Abhängigkeit vom Design des Fußbodenlaminats von der in den Figuren illustrierten stufenartigen Ausbildung der Kantenbereiche abzuweichen, noch enthalte das Dokument einen Hinweis, die Paneele leimlos zu verlegen. Was die abgestufte Ausbildung der Kantenbereiche betreffe, erhalte der Fachmann lediglich den Hinweis, dass damit die Beständigkeit gegen Abnutzung aufgrund von Trittbelastung verbessert werden soll. Ein Zusammenhang zwischen der Kantengestaltung und der Erzielung eines bestimmten optischen Effekts werde in D1 nicht hergestellt.

Zulassung des Hilfsantrags 3 zum Verfahren

Das neue Merkmal im Anspruch 1 des Hilfsantrags 3, dass die Nutz- und Dekorlage (2) aus elektronenstrahl­gehärtetem Material, insbesondere Polyester und/oder Acrylaten besteht, stamme aus dem erteilten Anspruch 2 und sei der Beschwerdeführerin bekannt gewesen, zumal sie bereits in ihrer Beschwerdebegründung darauf eingegangen sei. Der Hilfsantrag sollte daher zugelassen werden.

XIII. Schlussanträge

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent auf Basis eines der Hilfsanträge 1 oder 2, eingereicht mit Schreiben vom 25. Januar 2013, oder auf Basis des Hilfsantrags 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung der verspätet eingereichten Dokumente D8 (neu), D9, D10, T 185/10, EP 1 229 183 A1 und D11 zum Verfahren

1.1 Obwohl D8 (neu) bereits im Prüfungsverfahren diskutiert wurde und im Abschnitt [0006] der Streitpatentschrift gewürdigt ist, wurde sie erst in einem sehr späten Stadium des Beschwerdeverfahrens genannt. Abgesehen davon ist D8 (neu), ein Dokument gemäß Artikel 54(3) EPÜ, für den beanspruchten Gegenstand auch prima facie nicht relevant, da es keine eindeutige Offenbahrung der Einstückigkeit der Dekorlage enthält. Die Kammer hat daher nach entsprechender Diskussion in der mündlichen Verhandlung entschieden, D8 (neu) nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1) VOBK).

1.2 Daher sind die Dokumente D9 und D10, die die Argumentation aus D8 stützen sollten, gegenstandslos.

1.3 T 185/10, EP 1 229 183 A1 und D11 wurden in der mündlichen Verhandlung nicht mehr angezogen, so dass über deren Zulassung nicht zu entscheiden war.

Hauptantrag

2. Neuheit gegenüber D1

Die Kammer stellt fest, dass in D1 zumindest die Merkmale

- dass die Oberfläche des Laminats allseitig abgerundete oder abgeschrägte Seitenkanten aufweist (Merkmal h) der Merkmalsanalyse der Beschwerdeführerin), und

- dass die nut- und federartigen Befestigungs­bereiche mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung versehen sind (Merkmal g))

nicht explizit offenbart sind. Die Kammer folgt auch nicht der Argumentation der Beschwerdeführerin, dass sich obige Merkmale für den Fachmann implizit, aber dennoch eindeutig aus der Offenbarung in D1 ergeben. Hierfür waren keine hinreichenden Gründe vorgetragen. Die Kammer sieht daher D1 nicht als neuheitsschädlich für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 an. Da sich jedoch, wie nachfolgend gezeigt werden wird, obige Merkmale für den Fachmann ausgehend von D1 in naheliegender Weise ergeben, und das Patent mangels erfinderischer Tätigkeit zu widerrufen war, wird auf eine eingehendere Neuheitsanalyse verzichtet.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Das Patent betrifft gemäß der Merkmalsanalyse der Beschwerdeführerin ein Fußbodenlaminat mit

a) einer oberseitigen Nutz- und Dekorlage (2)

b) und einer mit dieser verbundenen unterseitigen Trägerplatte (3),

c) dass die Oberfläche (10) des Laminats (1) an zumindest zwei gegenüberliegenden Seitenkanten (4) abgerundet oder abgeschrägt ist,

d) dass weiterhin die oberseitige Nutz- und Dekorlage (2) einstückig ausgebildet ist

e) und die abgerundeten und die abgeschrägten Bereiche mit umfasst,

f) dass außerdem das Laminat (1) mit nut- bzw. federartigen Befestigungsbereichen versehene Längskanten aufweist,

g) und dass die Befestigungsbereiche für eine leimlose Verlegung mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung versehen sind,

h) wobei die Oberfläche (10) allseitig abgerundete oder abgeschrägte Seitenkanten (4) aufweist.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Merkmal c) (zumindest zwei gegenüberliegende Seitenkanten) keine eigenständige Einschränkung darstellt, da es automatisch durch das Merkmal h) (allseitig) gegeben ist.

Das Laminat soll einfach und kostengünstig herstellbar sein und eine Nachbildung von Holzböden mit unebener bzw. zweidimensional verformter Oberfläche ermöglichen (Abschnitt [0007]). Ferner soll eine leimlose Verlegung möglich sein (Abschnitt [0017]).

3.2 Der nächstliegende Stand der Technik wird durch D1 repräsentiert. D1 betrifft Holzwerkstoffe wie Platten, Paneele oder Fußbodenlaminate, die durch Heißverpressen von mit Phenolharz oder Melaminharz imprägnierten und ein Dekor aufweisenden Cellulose(Papier)bahnen erhalten werden und die einen durch das Verpressen abgesenkten Randbereich aufweisen (Seite 1, Absatz 2; Seite 4, Absätze 2 und 4). Beispielhaft wird eine quadratische Bodenfliese mit einer Relieftextur a und b auf der Oberfläche vorgestellt, die allseitig rechtwinklig abgestufte Randbereiche aufweisen (Figuren 1 und 3).

3.2.1 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass gemäß D1 die Dekorschicht nicht die abgesenkten Randbereiche mitumfasse, da beim Absenken des Randbereichs durch Pressen das imprägnierte Papier reißen würde, wenn man es über die Randbereiche ziehe. Die Kammer hält dieses Argument nicht für überzeugend, da gemäß der Offenbarung auf Seite 2/3 verbrückender Absatz die Absenkung nur wenige zehntel Millimeter betragen soll, so dass ein Reißen des Papiers sehr unwahrscheinlich ist. Außerdem ergibt sich aus der Offenbarung auf Seite 6, Absatz 2 dass durch die Absenkung des Randbereichs erfolgreich der Stoß zweier Keramikfliesen nachgeahmt wird, und zwar sowohl fühlbar als auch visuell. Die Kammer sieht daher die Merkmale d) und e), nämlich dass die Dekorlage einstückig ist und die abgesenkten Bereiche mitumfasst, als in D1 offenbart an.

Somit dient die imprägnierte und mit einem Dekor versehene Papierlage einerseits optischen Zwecken zur Nachahmung der Oberfläche eines natürlichen Produkts (Keramikfliese, Holz; Seite 3, Absatz 2), während andererseits der stufenförmig abgesenkte vom Dekor mitumfasste Randbereich der Verringerung der Abnutzung durch Trittbelastung dient (Seite 2/3, verbrückender Absatz) sowie auch die aneinanderstoßenden Kantenbereiche von Fliesen optisch gestalten kann (Seite 6, Absatz 2; Figuren 1 und 2).

D1 offenbart aber nicht, dass die Seitenkanten abgerundet oder abgeschrägt sind (Merkmal h).

3.2.2 Als Verbindungselemente mehrerer Laminate sind in D1 unter anderem Nut und Feder vorgesehen (Seite 1, Absatz 3; Seite 5, Zeilen 19/20). Dass Nut und Feder Rastvorsprünge und entsprechende Aussparungen (Merkmal g) aufweisen sollen, offenbart D1 nicht.

3.3 Im Hinblick auf D1 können die folgenden zwei Teilaufgaben formuliert werden:

1) die Geometrie der Kantenbereiche so auszugestalten, dass Fugen von Holzböden, beispielsweise herkömmlicher Dielenböden, nachgebildet werden können, und

2) eine leimlose Verlegung des Fußbodenlaminats zu ermöglichen.

Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass die Verbindung von Bodenlaminaten durch Nut und Feder nicht separat gesehen werden dürfe, sondern Teil eines Gesamtkonzepts sei, ist nicht überzeugend. Die Verbindung einzelner Laminate zu einem flächigen Fußboden mittels Nut und Feder hat nämlich mit der Oberflächengestaltung unmittelbar nichts zu tun. Nut und Feder sind Befestigungselemente, die unterhalb der Oberflächenbeschichtung an der Trägerplatte des Laminats angebracht sind und daher die sichtbare Oberfläche nicht beeinflussen. Die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Herstellung des Laminats können nicht berücksichtigt werden, da sie möglicherweise den Herstellungsprozess betreffen, sich aber nicht in den Merkmalen des vorliegenden Produktanspruchs widerspiegeln.

3.4 Als Lösung beider Teilprobleme schlägt Anspruch 1 im Unterschied zu D1 vor, dass das Fußbodenlaminat allseitig abgerundete oder abgeschrägte Seitenkanten aufweist (Merkmal h)), und die nut- und federartigen Befestigungsbereiche mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung versehen sind (Merkmal g)).

Obwohl die Patentschrift keine Beispiele enthält, ist die Kammer davon überzeugt, dass beide Teilprobleme durch die Merkmale h) und g) gelöst werden. Die Erläuterungen in den Abschnitten [0019] bis [0022] der Patentschrift geben entsprechende Hinweise. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten.

3.5 Erstes Teilproblem

Obwohl D1 die Ausgestaltung der Kantenbereiche in abgestufter Form nur anhand einer Nachbildung von Keramikfliesen beschreibt (Seite 6, zweiter Absatz, Figur 1), ist die Gesamtoffenbarung in D1 diesbezüglich nicht auf Fliesen beschränkt. So wird bereits in dem Abschnitt "Background of the Invention" darauf hingewiesen, dass durch die Heißverpressung von mit Phenol- oder Melaminharzen imprägnierten Celluloseschichten mit Holzpaneelen/platten unter anderem Fußbodenlaminate mit imitierter Holzoberfläche herstellbar sind (Seite 1, Absatz 2). Als Beispiel für die in D1 beschriebene Erfindung wird auf Seite 3 unten unter Punkt b) auf die Gestaltung von Holz hingewiesen, wobei Adern, Poren und Äste, die durch das Papier nachgebildet werden, mit der Oberflächentextur korrelieren. Damit wird nicht nur ein optischer Effekt, sondern auch eine realistische tastbare Reliefstruktur erzielt. Ferner weist die Passage im Absatz 2 auf Seite 4 darauf hin, dass mit der Erfindung Laminatfußböden nachgebildet werden, die nach dem Verpressen abgesenkte Randbereiche aufweisen. Dies bedeutet, dass die ertastbare Reliefstruktur auch bei Laminatfußböden im Randbereich zu finden ist.

Der Fachmann konnte somit der Offenbarung in D1 entnehmen, dass mit der darin beschriebenen Erfindung Fußbodenlaminate gebildet werden können, mit denen sowohl im Hinblick auf ihre Oberfläche, als auch auf die aneinanderstoßenden Randbereiche in realistischer Weise Holzfußböden nachgeahmt werden können. Ferner ist davon auszugehen, dass dem Fachmann die Struktur üblicher Holzfußböden, beispielsweise von Dielenböden, bekannt ist. Diesbezüglich hat auch die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass Holzbohlen mit abgeschrägten Kanten zum Anmeldezeitpunkt bekannt gewesen sind. Damit gehört es auch zum allgemeinen Fachwissen, dass die Kantenbereiche von Holzböden nicht rechtwinklig gestuft (wie in D1 für Fliesen illustriert), sondern in der Regel abgeschrägt oder abgerundet sind. Daher würde der Fachmann, ausgehend von D1, bei der Nachahmung von Holzböden, wie Dielenböden, die Kantenbereiche abschrägen oder abrunden, um eine naturgetreue Nachbildung zu erhalten. Das anspruchsgemäße Merkmal, dass die Seitenkanten abgerundet oder abgeschrägt sind, ist daher aus D1 in Kombination mit dem Fachwissen nahegelegt.

Damit brauchte auf die von der Beschwerdeführerin alternativ vorgebrachte Argumentation, dass die Lösung des ersten Teilproblems auch durch Kombination von D1 mit D6 nahegelegt sei, nicht eingegangen zu werden.

3.6 Zweites Teilproblem

Bereits vor dem Prioritätstag war es bekannt, Fußbodenlaminate leimlos zu verlegen und dazu die Nut- und Federverbindungen mit Rastvorsprüngen und entsprechenden Aussparungen zu versehen. Dies ergibt sich beispielsweise aus D2, Seite 7, Absatz 3 sowie den Figuren 2 bis 11. Der Fachmann, der die in D1 offenbarte Verbindung von Fußbodenlaminaten mittels Nut und Feder (Seite 1, Zeilen 18/19 i.V.m. Seite 5, Zeilen 19/20) als leimloses Befestigungselement ausgestalten möchte, würde daher Rastvorsprünge und entsprechende Aussparungen gemäß D2 vorsehen. Daher legt die Kombination von D1 mit D2 die anspruchsgemäße Ausgestaltung der nut- und federartigen Befestigungs­bereiche mit Rastvorsprung und entsprechender Aussparung nahe.

3.7 Da die Lösung beider Teilprobleme nahegelegt ist, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

Hilfsantrag 1

4. Anspruch 1 fordert als zusätzliches Merkmal, dass die Trägerplatte des Fußbodenlaminats eine Holzwerkstoffplatte, insbesondere Spanplatte, Faserplatte, MDF- oder HDF-Platte ist. Es ist jedoch bereits aus D1 bekannt, dass die Trägerplatten von Fußbodenlaminaten aus Holzwerkstoffplatten oder Paneelen bestehen (Seite 1, Absatz 2). Dieses zusätzliche Merkmal kann daher zur erfinderischen Tätigkeit nichts beitragen.

Damit ist aus denselben Gründen wie für den Hauptantrag der Hilfsantrag 1 nicht gewährbar.

Hilfsantrag 2

5. Zusätzlich zum Hilfsantrag 2 enthält Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 die Merkmale, dass

- das Fußbodenlaminat als längliche Platte ausgebildet ist, und

- die Feder des nut- und federartigen Befestigungsbereichs einstückig mit dem Rest des Fußbodenlaminats ausgeführt ist.

Die längliche Ausgestaltung von Paneelen ist jedoch Stand der Technik und bereits in D1, Seite 1, Zeilen 17/18 (Abmessungen 1200x200 mm) genannt.

Die einstückige Ausgestaltung ist bereits in D2 explizit beschrieben (Seite 10, Zeilen 14 bis 16) und aus den Figuren 2 bis 11 ersichtlich.

Damit können auch diese zusätzlichen Merkmale nichts zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.

Der Hilfsantrag 2 ist daher ebenfalls nicht gewährbar.

Hilfsantrags 3 - Zulassung zum Verfahren

6. Hilfsantrag 3 basiert auf dem Hilfsantrag 2, wobei in den Anspruch 1 noch das Merkmal des erteilten Anspruchs 2, dass die Nutz- und Dekorlage (2) aus elektronenstrahlgehärtetem Material, insbesondere aus Polyester und/oder Acrylaten besteht, aufgenommen wurde.

Der Hilfsantrag 3 wurde erst während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht und bringt durch die Aufnahme des neuen Merkmals als erfindungs­wesentliches Merkmal in den Anspruch 1 einen neuen Sachverhalt ein. Dieses im erteilten abhängigen Anspruch 2 enthaltene Merkmal 2 wurde zwar von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung (Punkt 6.1) aufgegriffen, jedoch war eine Diskussion darüber, ob dieses Merkmal eine die erfinderische Tätigkeit begründende Rolle spielt, niemals Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Es ist daher weder der Beschwerdeführerin noch der Kammer zuzumuten, diese Frage in einem so späten Stadium des Verfahrens mit hinreichender Gründlichkeit vorzubereiten und zu diskutieren, ohne dass hierfür die mündliche Verhandlung verlegt werden müsste. Die Kammer lässt daher, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, den Hilfsantrag 3 nicht zum Verfahren zu.

7. Aus Vorstehendem ergibt sich, dass kein gewährbarer Antrag vorliegt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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