European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2015:T138412.20151113 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 13 November 2015 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1384/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05022666.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | F04B 25/00 F04B 49/08 F04B 49/22 F04B 39/08 F04B 49/03 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Mehrstufiger Kolbenverdichter mit reduzierter Leistungsaufnahme im Leerlauf | ||||||||
Name des Anmelders: | Voith Patent GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH |
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Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit der Beschwerde - (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) |
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Orientierungssatz: |
Entscheidungsgründe 1 |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat mit Schreiben vom 11. Juni 2012 Beschwerde gegen die ihren Einspruch zurückweisende Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 13. April 2012 eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ging am 16. August 2012 ein.
II. Die Beschwerdeführerin hatte gegen das erteilte Patent Einspruch erhoben und beantragt, das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Einspruchsgrund nach Artikel 100(a) in Verbindung mit Artikeln 52(1) und 56 EPÜ) zu widerrufen. Sie hatte sich u. a. auf die folgenden Druckschriften berufen:
D1 : DE374317 A
D2 : EP0091994 B1
D3 : AT187616
D15: DE366401 A
III. Am 13. November 2015 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents EP 1 650 434 B1.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der Fassung der Ansprüche 1 bis 5 ihres Antrags, eingereicht (in Reinschrift) mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2015.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Antrags hat folgenden Wortlaut:
"Mehrstufiger Kolbenverdichter zur Verdichtung kompressibler Medien mit mindestens einer stromaufwärts und mindestens einer stromabwärts angeordneten Verdichterstufe (1,2), wobei jede Verdichterstufe (1,2) mindestens einen in einem Zylinderraum (11,21) geführten Kolben sowie je eine mit dem Zylinderraum (11,21) durch ein Einlassventil (12,22) verbundene Einlassventilkammer (13,23) und eine mit dem Zylinderraum (11,21) durch ein Auslassventil (14,24) verbundene Auslassventilkammer (15,25) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass bei mindestens einer stromaufwärts angeordneten Verdichterstufe (1) die Einlassventilkammer (13) durch mindestens ein Zusatzventil (16) mit dem Zylinderraum (11) verbunden ist, das sich im Ruhezustand in einer Öffnungsstellung befindet und das sich in eine Schließstellung bewegt, wenn der Differenzdruck Ap zwischen der Auslassventilkammer (25) der am weitesten stromabwärts angeordneten Verdichterstufe (2) und der Einlassventilkammer (13) der stromaufwärts angeordneten Verdichterstufe (1) einen vorgebbaren Wert überschreitet, und dass die Auslassventilkammer (25) der am weitesten stromabwärts angeordneten Verdichterstufe (2) mit dem in der Einlassventilkammer (13) mindestens einer stromaufwärts angeordneten Verdichterstufe (1) angeordneten Zusatzventil (16) durch eine Rohrleitung (3) verbunden ist."
VI. Die Beschwerdeführerin hat die folgende Argumente vorgetragen:
Die Beschwerde sei zulässig, weil sich die Identität der Beschwerdeführerin aus dem Gesamtkontext des Verfahrens ergebe.
Erfinderische Tätigkeit:
D1 offenbare einen mehrstufigen Verdichter mit Zusatzventilen, die den Verdichter in den Leerlauf schalten können. Ob ein Zusatzventil bei Überschreiten einer Druckdifferenz zwischen Zusatzventil und Verdichterausgang schließt oder öffnet, sei eine rein konstruktive Ausgestaltung, welche für den Fachmann beliebig sei; beide Varianten seien daher naheliegend.
D1 offenbare ein zweites Ausführungsbeispiel, wonach ein Zusatzventil bei Überschreiten einer Druckdifferenz schließe.
Nach der Lehre des Streitpatent werde der Leerlauf ebenso wie im Stand der Technik aktiviert, wenn der am Verdichter gekoppelte Druckluftbehälter voll ist. Allerdings sei die Aktivierung eines (nicht beanspruchten) Überströmventils erforderlich.
D2 offenbare das gleiche Leerlaufverhalten, da bei vollem Behälter der Druck im Behälter eine Grenze übersteigt und den Leerlauf des Verdichters aktiviert. Dies könne genauso bei fehlendem Gegendruck geschehen, falls ein Überlaufventil vorhanden sei. Aus diesem Grund sei es aus der Zusammenschau von D1 und D2 naheliegend, den Leerlauf bei fehlendem Gegendruck am Verdichterauslass zu aktivieren. Es spiele daher keine Rolle, dass der Verdichter der D2 ein einstufiger Verdichter sei.
D3 offenbare einen Verdichter mit kombiniertem Leerlauf/Einlassventil. Das Ventil schließe erst, wenn die Kräfte und damit die auf das Ventil einwirkenden Drücke, einen vorgebbaren Wert überschreiten. So sei das beanspruchte Leerlaufverhalten auch aus einer Zusammenbetrachtung der D1 und D3 offensichtlich.
D15 offenbare einen mehrstufigen Kolbenverdichter, der durch Betätigung von Zusatzventilen in den Leerlaufmodus versetzt werden könne. Die Zusatzventile würden nicht nur bei Erreichen einer oberen Druckgrenze betätigt, sondern auch bei erreichen einer unteren Druckgrenze. Obwohl der Aktivierungsmechanismus des Ventils anders als im Streitpatent beansprucht ausgestaltet sei, sei es für den Fachmann naheliegend, das Zusatzventil direkt mit dem Druck aus der letzten Verdichterstufe zu beaufschlagen, um es zu aktivieren. Ein solcher Aktivierungsmechanismus sei aus D2 bekannt. Deshalb sei der Gegenstand des Streitpatents auch ausgehend von D15 mit D2 naheliegend.
Die Lehre der D2 gehöre zum Allgemeinwissens des Fachmanns, folglich sei der Gegenstand des Anspruchs ausgehend von D1 oder D15 in Verbindung mit dem Allgemeinwissens des Fachmanns ebenfalls naheliegend.
VII. Die Beschwerdegegnerin hat folgende Argumente vorgetragen:
Die Beschwerde sei unzulässig, da die Identität der Beschwerdeführerin unbekannt sei.
Erfinderische Tätigkeit:
D1 zeige einen mehrstufigen Verdichter mit Zusatzventilen, die einen Leerlaufmodus aufweisen. Dieser Modus werde aber nur bei Übersteigung des Grenzdrucks am Verdichterausgang aktiviert. Der Druck auf die Leitungen L und O werde von einer Pumpe P erzeugt und habe nichts mit der beanspruchten Druckbedingungen am Verdichterauslass für den Leerlauf- oder Betriebsmodus zutun.
Das beanspruchte Leerlaufverhalten sei auch nicht aus einer Kombination der D1 mit D2, D3 oder D15 bzw. in Zusammenschau der D15 mit D2 naheliegend.
Aus D2 sei ein einstufiger Verdichter bekannt, der auch einen Leerlaufmodus aufweise. Der Leerlaufmodus werde aber nur bei Übersteigung eines Grenzdrucks in einem Vorratsbehälter aktiviert. Die beanspruchten Druckverhältnisse seien umgekehrt. Ein solcher einstufiger Verdichter, der den Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck am Ausgang aktivieren würde, komme aus dem Leerlauf nie heraus. D3 habe kein separates Zusatzventil. D15 offenbare einen mehrstufigen Verdichter mit Zusatzventilen. Wie bei D1 werde aber der Leerlaufmodus nur bei Übersteigen eines Grenzdrucks aktiviert. Daher komme der Fachmann auch nicht durch eine Kombination der D15 und D2 zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
1.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) geltend gemacht, in der Beschwerdeschrift werde nicht gesagt, wer die Beschwerde erhoben hat. Sie ist daher der Auffassung, die Beschwerde sei unzulässig.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) ist dem mit dem Argument entgegengetreten, die Identität der Beschwerdeführerin ergebe sich aus dem Zusammenhang. Da lediglich die Einsprechende durch die angefochtene Entscheidung beschwert werde, komme auch nur diese als Beschwerdeführerin in Betracht. Im Übrigen werde die Einsprechende in der Beschwerdebegründung ausdrücklich genannt.
1.2 Es trifft zu, dass die Einsprechende in der Beschwerdeschrift vom 11. Juni 2012 namentlich nicht genannt ist. Ihr Verfahrensbevollmächtigter, der die Einsprechende bereits vor der Einspruchsabteilung vertreten hat, hat dort unter Angabe seines - seit dem Verfahren vor der Einspruchsabteilung unveränderten Aktenzeichens "KNN 039 EPEIN" - lediglich ausgeführt: ,,Hiermit wird Beschwerde gegen die Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs (Art. 101(2) EPÜ) gegen das Europäische Patent Nr. EP-B-1 650 434 vom 13. April 2012 eingelegt." Namentlich genannt wird die Einsprechende im Beschwerdeverfahren erstmals von der Beschwerdegegnerin in ihrem Schriftsatz vom 29. Juni 2012 und sodann in der Beschwerdebegründung vom 16. August 2012
1.3 Die Kammer vermag aus diesem Ablauf nicht auf die Unzulässigkeit der Beschwerde zu schließen.
1.3.1 Artikel 108 EPÜ und Regel 99 (1) a) EPÜ verlangen zwar, dass Name und Anschrift des Beschwerdeführers in der Beschwerdeschrift anzugeben sind. Die Vorschrift dient damit der Identifizierung des Beschwerdeführers (vgl. Joos/Schmitz, in: Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl., Art. 108 Rd. 16). Nach Regel 101 (2) EPÜ führt ein Verstoß gegen diese Regel jedoch nur dann zur Unzulässigkeit der Beschwerde, wenn dieser Mangel nicht innerhalb einer von der Beschwerdekammer zu setzenden Frist behoben wird.
1.3.2 In dem vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer zwar keine Frist zur ordnungsgemäßen Benennung der Beschwerdeführerin gesetzt. Die Beschwerdeführerin hat die Einsprechende jedoch in der Beschwerdebegründung namentlich genannt und damit noch innerhalb der für die Beschwerdebegründung geltenden Frist klargestellt, dass die Beschwerde in deren Namen erhoben worden ist. Die Identifizierbarkeit der Beschwerdeführerin ist damit spätestens ab diesem Zeitpunkt gewährleistet, so dass die Beschwerde zulässig ist.
2. Einleitung
Das Patent betrifft einen mehrstufigen Kolbenverdichter, der der Kompression von Gasen dient. Ein solcher Kolbenverdichter mit mehreren Stufen in Serie ist bekannt (Patentschrift Absatz [0006]). Es ist auch bekannt, eine am Ausgang eines Verdichters gekoppelte Last, z. B. ein Druckluftbehälter, durch ein Regelventil abzukoppeln, sodass die aus dem Verdichter gestoßene Luft entweicht. Dann fehlt der Gegendruck (Patentschrift Absätze [0001] und [0002]). Aufgrund des Rohrleitungswiderstands zwischen Ausgang und Regelventil sowie aufgrund unterschiedlicher Hubvolumina der einzelnen Stufen muss jedoch auch bei fehlendem Gegendruck Arbeit geleistet werden (Patentschrift Absatz [0003]). Die Aufgabe der Erfindung besteht deshalb unter anderem darin, einen mehrstufigen Verdichter zur Verfügung zu stellen, der bei fehlendem Gegendruck eine geringere Leistungsaufnahme aufweist (Absätze [0001] und [0007] der Patentschrift).
Zu diesem Zweck weist zumindest eine der stromaufwärts angeordneten Verdichtungsstufen des beanspruchten Verdichters ein zwischen Einlasskammer und Zylinderraum vorgesehenes Zusatzventil auf. Wenn das Zusatzventil geschlossen ist, befindet sich der Verdichter in Betriebsmodus (Absatz [0011] der Patentschrift). Bei geöffnetem Zusatzventil wird das Medium in der Verdichtungsstufe nicht komprimiert, sodass die Verdichtungsstufe sich im Leerlaufmodus befindet (Absatz [0012] der Patentschrift).
3. Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit
3.1 Aus der D1 ist ein mehrstufiger Verdichter (auch Kompressor genannt) bekannt (Titel). Folglich ist er zur Verdichtung kompressibler Medien geeignet. Dabei ergibt sich nach Ansicht der Kammer aus den Figuren 1 und 2 der D1, dass die individuellen Stufen a1...a4 des Verdichters über Kolben verfügen, die sich in Zylinderräumen hin und herbewegen. Weiterhin weist jede Stufe ein Einlass- sowie ein Auslassventil auf (siehe Figuren). Schließlich verfügt mindestens eine der stromaufwärts angeordneten Verdichterstufen - z.B. die Stufe a1 - über ein Zusatzventil e1 (Seite 2, Zeilen 12-16).
3.1.1 Es ist unstreitig, dass sich der Verdichter gemäß Anspruch 1 von dem aus D1 bekannten Verdichter zunächst dadurch unterscheidet, dass sich das Zusatzventil im Ruhestand in einer Öffnungsstellung befindet (Verdichterstufe im Leerlauf), und dass es sich in eine Schließstellung bewegt (Verdichterstufe im Betriebsmodus), wenn der Differenzdruck DELTAp zwischen dem Auslass (25) der am weitesten stromabwärts angeordneten Verdichterstufe (2) und der Einlassventilkammer (13) der stromaufwärts angeordneten Verdichterstufe (1) einen vorgebbaren Wert überschreitet (Merkmal a)).
Nach Ansicht der Kammer ist dieses Merkmal keine rein konstruktive Ausgestaltung, die den Aktivierungsmechanismus des Zusatzventils an sich definiert. Vielmehr definiert es die Druckverhältnisse am Verdichterauslass, die den Leer- bzw. Betriebsmodus der stromabwärts angeordneten Verdichterstufe aktivieren.
Insbesondere definiert das Merkmal die Offenstellung (Leerlauf) bzw. Schließstellung (Betriebsmodus) des Zusatzventils in Abhängigkeit vom den Druckverhältnissen am Verdichterausgang und nicht den Betätigungsmechanismus des Zusatzventils. Folglich legt das Merkmal fest, welche Druckverhältnisse am Verdichterausgang einen Leerlauf- bzw. Betriebsmodus herbeiführen. Kurz zusammengefasst heißt Merkmal a): Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck und Betriebsmodus nach Grenzdrucküberschreitung.
3.1.2 Hinsichtlich D1 ist unstreitig, dass jedes Zusatzventil e1, e2... im Ruhezustand geschlossen ist (Verdichter in Betriebsmodus) und dass es sich in eine Offenstellung bewegt, wenn der Druck am Auslass c4 der am weitesten stromabwärts angeordneten Verdichterstufe a4 einen vorgebbaren Grenzdruckwert überschreitet und so das Sicherheitsventil F4 betätigt (Seite 2, Zeilen 23-31 und Figuren). Mit anderen Worten: Eine stromaufwärts liegende Verdichterstufe a1 der D1 wird in den Leerlaufmodus gesetzt, sobald der Druck in der letzten Stufe einen Grenzdruck übersteigt.
In diesem Zusammenhang ist es irrelevant, ob bei D1 der Druck in der Aktivierungsschleife (Leitungen L, S bzw. O) einen Grenzdruck überschreitet, um das Zusatzventil zu öffnen (Seite 2, Zeilen 56-61). Der Druck in den Leitungen L, S bzw. O entspricht nicht dem Druck am Ausgang des Verdichters wie beansprucht, sondern dem Druck in einer separaten Aktivierungsschleifen L, S und O, der von einer Pumpe P generiert wird (Seite 2, Zeilen 12 bis 31, Figuren 1 und 2).
3.1.3 Weiterhin unterscheidet sich Anspruch 1 von D1 durch zwei weitere Merkmale, nämlich
b) dass weder eine Einlassventilkammer noch eine Auslassventilkammer vorhanden ist. Folglich verbinden die Einlass- und Zusatzventile nicht die Einlasskammer mit dem Zylinderraum und das Auslassventil verbindet die Auslasskammer nicht mit dem Zylinderraum wie beansprucht (in D1 befinden sich die Ventile direkt in den Zylinderräume, vgl. Figuren) und
c) dass die Auslassventilkammer der am weitesten stromabwärts angeordneten Verdichterstufe mit dem in der Einlassventilkammer angeordneten Zusatzventil mindestens einer stromaufwärts angeordneten Verdichterstufe durch eine Rohrleitung verbunden ist. Wie auch oben ausgeführt (Punkt 3.1.1) werden die Zusatzventile in D1 mittels eines separaten Betätigungsmechanismus, nämlich der Pumpe P und den Leitungen L, S und O betätigt.
3.2 Das Merkmal a) (Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck und Betriebsmodus nach Grenzdrucküberschreitung) bewirkt, dass eine stromaufwärts angeordnete Verdichterstufe bei fehlendem Gegendruck am Verdichterausgang mit reduzierter Leistungsaufnahme arbeitet, da die Stufe im Leerlauf ist (Patentschrift Absätze [0003] und [0012]). Im Ausführungsbeispiel entsteht ein fehlender Gegendruck am Verdichterausgang z.B. durch Öffnung eines Überstromventils am Druckbehälter, wenn dieser bei der Befüllung einen vorgegebenen Innendruck erreicht hat. Somit bewirkt das Merkmal a), dass bei Anwendung eines mehrstufigen Kolbenverdichters - z.B. durch Einsatz eines Überstromventils - bei Befüllung einen Druckabfall stattfindet, durch den der Leerlauf aktiviert wird. Der Verdichter ist durch dieses Merkmal an diese besondere Anwendung angepasst.
3.2.1 Das Patent sagt nichts darüber aus, welche Vorteile das Merkmal b) (Ein- und Auslassventilkammern) mit sich bringt. Es ist nicht bestritten, dass solche Kammern an sich bekannt sind (siehe Absatz [0006] der Patenschrift). Insofern handelt es sich lediglich um eine alternative Anordnung für das Ein- bzw. Auslassventil.
Das Merkmal c) (Rohrleitungsverbindung zwischen Verdichterausgang und Zusatzventil) vereinfacht den Betätigungsmechanismus des Zusatzventils (Patentschrift Absatz [00024]).
3.2.2 Die Kammer erkennt keine Synergieeffekte zwischen diesen Merkmalen. Die Voraussetzungen für den Leerlaufmodus/Betriebsmodus sind unabhängig von dem Vorhandensein von Ventilkammern nach Merkmal b). Ebenso haben die Druckverhältnisse für den Betriebs- bzw. den Leerlaufmodus keine erkennbare Zusammenwirkung auf den Aktivierungsmechanismus des Zusatzventils. Mit anderen Worten sieht die Kammer diese Effekte als unterschiedliche technische Effekte, die nicht in unmittelbarer Wechselwirkung zueinander stehen. Folglich lösen sie unterschiedliche Teilaufgaben und können daher getrennt voneinander für die Beurteilung der erfinderische Tätigkeit berücksichtigt werden.
3.3 Im Hinblick auf Merkmal a) (Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck und Betriebsmodus nach Grenzdruck Überschreitung) kann die damit verbundenen Teilaufgabe darin gesehen werden, die Leistungsaufnahme des Verdichters bei fehlendem Gegendruck an dessen Ausgang, das heißt beispielsweise bei solchen Anwendungen zu reduzieren, bei denen durch Befüllung oder Überdruck durch Öffnung eines Überstromventils einen Druckabfall entsteht (Patentschrift Absatz [0007] mit Figuren 1 und 2).
Nach Ansicht der Kammer bieten die Druckschriften D2, D3 oder D15 weder eine Lösung der gestellten Teilaufgabe, noch offenbaren sie das beanspruchte Leerlaufverhalten nach Merkmal a). Insbesondere sind die Verdichter danach ausschließlich dazu geeignet, den Leerlaufmodus durch eine Drucküberschreitung am Verdichterausgang zu aktivieren. Keine dieser Druckschriften offenbart aber solche Anwendungen, bei denen einen Druckanstieg im Behälter - z.B. durch Zwischenschaltung eines Überstromventils - einen Druckabfall am Eingang zur Folge hat. Somit können diese Druckschriften die beanspruchte Anpassung an solche Anwendungen nicht nahelegen.
3.4 D2 offenbart in Spalte 1, Zeile 1 bis Spalte 4 und Zeile 24, Figuren 1 bis 3 einen einstufigen Kolbenverdichter, der Luft in einen Behälter 8 drückt (Figur 1). Der Verdichter verfügt auch über ein Zusatzventil 12. Durch Offenhalten des Zusatzventils 12 entsteht eine Verbindung zwischen Einlassventilkammer (Saugraum 2) und Zylinderraum (Verdichtungsraum 1), sodass der Verdichter in Leerlauf ist.
3.4.1 Der Leerlaufmodus wird aktiviert, sobald ein vorgegebener Druck im Behälter 8 erreicht wird: Der Druck im Behälter 8 entsperrt einen ,,Governor" 9 und Druckluft strömt vom Behälter 8 über die Leitung 13 auf den Kolben 11 des Zusatzventils. Dadurch öffnet sich das Zusatzventil 12. Wenn der Druck im Behälter wieder abfällt, kehrt das Zusatzventil wieder in seine Schlussstellung zurück. Mit anderen Worten: Im Gegensatz zum beanspruchten Zusatzventil bewegt sich das Zusatzventil der D2 aus seiner Schließstellung im Ruhestand in eine Offenstellung, wenn der auf dem Ventil wirkende Druck einen bestimmten Wert überschreitet.
3.4.2 Der Fachmann weiß, dass im Leerlaufmodus die Leistungsaufnahme eines Verdichters sinkt. Insofern lehrt D2 wie die Leistungsaufnahme bei Hochdruck im Behälter reduziert werden kann, nicht aber wie die gestellte Aufgabe (reduzierte Leistungsaufnahme bei Druckabfall am Verdichterausgang) zu lösen ist.
Der Fachmann würde das in D2 offenbarte Leerlaufverhalten auch nicht als ein Äquivalent zum beanspruchten Leerlaufverhalten betrachten. Wenn der Druck im Behälter 8 steigt, steigt er auch am Verdichterausgang, weil diese direkt über die Leitung 7 verbunden sind (Spalte 3, Zeilen 9-12 und Figur 3).
3.4.3 Außerdem würde der Fachmann einen einstufigen Verdichter - mit oder ohne Überstromventil zwischen Verdichterausgang und Behälter - nicht in der Weise konzipieren, dass er bei fehlendem Gegendruck am Verdichterausgang im Leerlaufmodus und bei Grenzdruckübersteigung im Betriebsmodus wäre. Sobald ein solcher Verdichter im Leerlaufmodus wäre, könnte er nicht den notwendigen Druck am Verdichterausgang erzeugen, um in den Betriebsmodus zurückzukehren. Mit anderen Worten wäre er permanent im Leerlaufmodus (vgl. Absatz [0022]der Patentschrift).
3.4.4 Daher führte eine Kombination der D1 mit D2 im besten Fall zu einem mehrstufigen Kolbenverdichter mit Zusatzventil, das im Ruhezustand geschlossen wäre und sich bei Hochdruck am Verdichterausgang in eine Offenstellung bewegen würde. Keinesfalls aber führte eine solche Kombination zu einem Leerlaufverhalten des beanspruchten Verdichters gemäß Merkmal a) (Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck und Betriebsmodus nach Grenzdruck Überschreitung).
3.5 Auch die Kombination von D1 mit anderen Dokumenten des Standes der Technik führt nicht zu diesem Merkmal.
3.5.1 Aus der D3 (siehe Seite 1, Zeile 73 bis Seite 2, Zeile 62 und Figur 1) ist ein (einstufiger) Kolbenkompressor mit einem speziellen Einlassventil bekannt, das auch als Leerlaufventil fungiert (Seite 1, Zeilen 73-83, Seite 2, Zeilen 31-46 und Figur 1). Es mag sein, dass unter Umständen, die Schließkräfte am Ventil einen bestimmten kleingehaltenen Federdruck überwinden müssen. Dies geschieht aber nur im Betriebsmodus (Seite 1, Zeilen 75 bis 83). Im Leerlaufmodus werden diese Federkräfte ausgeschlossen (Seite 2, Zeilen 34 bis 46). D3 sagt nicht, unter welchen Bedingungen der Leerlauf eintreten soll. Es wird lediglich gesagt, dass beim Leerlauf das Ventil offengehalten wird. Im besten Fall könnte der Fachmann das Einlassventil und das Zusatzventil der D1 mit dem Einlassventil der D3 ersetzen. Dann würde er aber das Leerlaufverhalten des Verdichters der D1 beibehalten (Leerlauf bei Grenzdrucküberschreitung). Somit käme er weder zum beanspruchten Leerlaufverhalten (Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck und Betriebsmodus nach Grenzdrucküberschreitung) noch zu einem Kolbenverdichter mit Zusatzventil.
3.5.2 Auch aus der D15 ist das beanspruchte Leerlaufverhalten nicht bekannt. D15 offenbart einen mehrstufigen Kolbenverdichter (Titel) mit Zusatzventil (Leerlaufventile) 1', 2, 2' (Seite 3, Zeilen 13-19; Seite 5, letzten 6 Zeilen). Wie auch bei D1 lehrt D15 die Einführung eines Leerlaufmodus bei Übersteigung eines bestimmten Grenzdrucks am Ausgang des Verdichters. Um einen ständigen Wechsel zwischen Leerlauf und Betriebsmodus zu vermeiden, muss der Druck erst sinken, bevor der Leerlaufmodus wieder beendet wird (Seite 5, Zeilen 2 bis 6). Wie genau dies geschieht, wird auf Seite 7, Zeile 8 bis Seite 8, Zeile 3 mit der Figur beschrieben.
Bei D15 kann ein Leerlaufmodus nicht nur automatisch, sondern auch manuell durch Betätigung des Schalter 28 aktiviert werden. Dadurch wird der Stromkreis des Solenoids 36 unter Strom gesetzt und aktiviert das Ventil 26. Dies wiederum schaltet sämtliche Stufen in den Leerlauf (Seite 8, Zeilen 4 bis 9). Um das Ventil 26 wieder auszuschalten und dadurch den Leerlauf zu beenden, muss der Schalter 29 betätigt werden (Seite 8, Zeilen 13 bis 19). Kurz gesagt schaltet der Schalter 28 den Verdichter in den Leerlaufmodus und der Schalter 29 in den Betriebsmodus.
Um den Leerlaufmodus automatisch ein- und wieder auszuschalten, ist ein Kontaktmanometer 24 vorgesehen. Bei Erreichen eines hohen Gegendrucks (Kontakt 25) wird der gleiche Stromkreis wie beim Schalter 28 geschlossen. Fällt der Gegendruck unter einen bestimmten Wert, wird ein zweiter Kontakt 25' betätigt und der gleiche Stromkreis wie beim Schalter 29 wird geschlossen (Figur). Folglich schaltet der Verdichter bei Erreichen einer oberen Druckgrenze (Kontakt 25 am Monometer 24) automatisch auf Leerlauf und bleibt im Leerlauf, bis eine untere Druckgrenze (Kontakt 25' am Monometer 24) erreicht wird.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist die Kammer daher der Auffassung, dass die Aussage der D15 (Seite 7, Zeilen 14 bis 17) "... dass die Betätigung der Leerlaufventile nur bei Erreichung einer unteren und oberen Grenze des Gegendruckes der Kolbenmaschine erfolgt" nicht heißt, dass das Zusatzventil des Verdichters im Ruhestand offen ist (Leerlauf) und so bleibt, bis eine bestimmte Druckgrenze ereicht wird, wie im Anspruch 1. Vielmehr ist damit lediglich gemeint, dass der Verdichter beim Erreichen eines bestimmten Gegendrucks vom Betriebsmodus in den Leerlaufmodus umschaltet und so bleibt bis der Gegendruck auf einen anderen (niedrigeren) Gegendruck gesunken ist. Diese Interpretation stimmt auch mit der oben erwähnten Textstelle (Seite 5, Zeilen 3 bis 6, Ein- bzw. Abschaltung der Leerlauf-Regelung bei Erreichung einer oberen bzw. unteren Druckgrenze...) überein.
Da weder D1 noch D15 das beanspruchte Leerlaufverhalten offenbart (Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck und Betriebsmodus nach Grenzdrucküberschreitung), führt die Kombination der D15 mit D1 auch nicht auf naheliegende Weise zum beanspruchten Leerlaufverhalten.
3.6 Die Kammer kommt zum gleichen Ergebnis ausgehend von D15 in Kombination mit D2.
Wie bereits oben ausgeführt, offenbart D15 einen mehrstufigen Kolbenverdichter. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass D15 die Merkmale b) (Ein-bzw. Auslassventilkammern) und c) (Rohrleitung Verbindung zwischen Verdichter Ausgang und Zusatzventil) nicht offenbart.
Nach Ansicht der Kammer offenbart D15 darüber hinaus auch das Merkmal a) (Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck und Betriebsmodus nach Grenzdruck Überschreitung) nicht (siehe oben Punkt 3.5.2).
Wie ebenfalls bereits ausgeführt, ist das Merkmal a) auch nicht in der D2 offenbart oder nahegelegt.
Unter Punkt 3.4.1 hat die Kammer dargelegt, dass D2 einen einstufigen Verdichter mit einem anderen Leerlaufverhalten als beansprucht offenbart. D2 bietet keine Lösung der gestellten Aufgabe. Im Gegensatz zum beanspruchten Zusatzventil bewegt sich das Zusatzventil der D2 von seiner Schließstellung im Ruhestand in eine Offenstellung (Leerlauf), wenn der Druck in einem Vorratsbehälter 8 eine bestimmte Druckgrenze überschreitet. Daher führt eine Kombination der Dokumente D15 mit D2 im besten Fall zu einem mehrstufigen Kolbenverdichter mit Zusatzventil, das im Ruhezustand geschlossen bleibt, wobei das Ventil sich bei Erreichung eines bestimmten Druckpegels am Verdichterausgang in eine Offenstellung bewegt. Die Lehre der D2 führt aber nicht zum Leerlaufverhalten des beanspruchten Verdichters nach dem Merkmal a) (Leerlaufmodus bei fehlendem Gegendruck der dann bei Grenzdrucküberschreitung aufhört).
3.7 Letztlich findet die Kammer keine Belege dafür, dass der Fachmann aufgrund seiner allgemeine Fachkenntnisse auf naheliegende Weise dazu kommen würde, bei Vorhandensein eines Überströmventils den Leerlauf bei Druckabfall zu aktivieren. Keine der Entgegenhaltungen offenbart die Anwendung eines Verdichters unter Zwischenschaltung eines Überstromventils oder legt diese nahe. Dies gilt erstrecht für die beanspruchte Anpassung eines Verdichters an eine solche Anwendung. Abgesehen davon, dass eine Patentschrift regelmäßig nicht als Beleg für allgemeines Fachwissen herangezogen werden kann, könnten diese Druckschriften, z.B. die D2, allenfalls die Aktivierung des Leerlaufs bei Druckanstieg belegen. Auch geht nach Meinung der Kammer aus diesen Prinzip an sich nicht hervor, dass der Leerlauf bei Zwischenschaltung eines Überstromventils bei Druckabfall notwendigerweise aktiviert wird. Somit führt auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens - ob durch D2 belegt oder nicht - keine der genannten Kombinationen zum Erfindungsgegenstand.
3.8 Folglich ist, ausgehend von D1 mit D2, D3 oder D15 bzw. ausgehend von D15 mit D2, auch unter Berücksichtigung von allgemeinen Fachkenntnissen zumindest das beanspruchte Merkmal a) für den Fachmann nicht naheliegend. Insofern kann auch die Frage unbeantwortet bleiben, ob die Merkmale b) (Ein-bzw. Auslassventilkammern) und c) (Rohrleitung Verbindung zwischen Verdichter Ausgang und Zusatzventil), im Lichte der Stand der Technik naheliegend sind.
3.9 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik beruht, Artikel 100(a) und 56 EPÜ.
4. Hauptantrag - Änderungen
Anspruch 1 des Hauptantrag ist durch Aufnahme der Merkmale des erteilten Anspruchs 2 geändert worden. Der letztgenannte Anspruch entspricht wiederum Anspruch 2 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Die vorgenommene Änderung erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Es sind diesbezüglich auch keine Einwände erhoben worden.
Die Beschreibung ist durch entsprechende Änderungen an den geänderten Anspruch 1 angepasst worden. Auch diese Änderungen erfüllen die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
Auch vermag die Kammer keinen sonstigen Grund zu erkennen, aus denen das geänderte Patent den Erfordernissen des EPÜ nicht entspricht, Artikel 101(3)(a) EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in folgender Fassung aufrecht zu erhalten:
Beschreibung:
- Seiten: 2 und 3 (Spalten 1-4) eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer
- Seite 4 (Spalten 5,6) der Patentschrift
Ansprüche:
- 1 bis 5 wie mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2015 eingereicht,
Zeichnungen:
- Figuren 1 und 2 der Patentschrift.