T 1329/12 () of 4.7.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T132912.20170704
Datum der Entscheidung: 04 Juli 2017
Aktenzeichen: T 1329/12
Anmeldenummer: 08006812.5
IPC-Klasse: B62M 25/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verstelleinrichtung für Triggerschalter
Name des Anmelders: SRAM Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: SHIMANO INC.
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus (ja)
Spät eingereichter Antrag - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 947 004 wurde erteilt auf Grundlage einer europäischen Teilanmeldung zur früheren europäischen Patentanmeldung mit der Nummer 05016841.8.

Die frühere Patentanmeldung wird in der Folge auch als Stammanmeldung bezeichnet. Verweise auf den Inhalt der ursprünglich eingereichten früheren Patentanmeldung beziehen sich dabei auf die A1-Veröffentlichung Nr. 1 623 918.

II. Der einzige Anspruch des Patents hat folgenden Wortlaut:

"Schalter zur Betätigung eines Getriebes an einem Fahrrad, umfassend ein Schaltergehäuse (1), einen Seilspeicher zum Aufwickeln eines Seiles zur Betätigung einzelner Gangstufen des Getriebes, einen Spannhebel (2) und einen Freigabehebel (4), wobei der Spannhebel (2) am Schaltergehäuse (1) zur Schaltung einzelner Gangstufen im Getriebe in einer Seilaufwickeldrehrichtung verdrehbar ist, während in einer Seilfreigabedrehrichtung durch die Betätigung des Freigabehebels (4) jeweils mindestens eine Gangstufe schaltbar ist, wobei das Schaltergehäuse (1) mit einer an einem Lenker (8) anbringbaren Schelle (6) versehen ist,

dadurch gekennzeichnet,

dass die Schelle (6) zum Schaltergehäuse (1) gesondert ausgebildet ist und dass das Schaltergehäuse (1) einen Sockel (7) mit mindestens zwei Bohrungen (9) zur Befestigung der Schelle (6) in unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse (1) aufweist, wobei die Bohrungen (9) von einander eine [sic] parallel zum Lenker (8) verlaufenden Abstand (11) aufweisen."

III. Ein Einspruch gegen das Patent wurde von der Einspruchsabteilung zurückgewiesen.

IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde eingelegt.

V. In einer Mitteilung zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung informierte die Beschwerdekammer die Parteien über ihre vorläufige Beurteilung der Sache. Die Kammer war der vorläufigen Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht in der Stammanmeldung offenbart sei.

VI. Mit Schreiben vom 20. Juni 2017 legte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) geänderte Ansprüche entsprechend einem Hilfsantrag 1 vor.

VII. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 4. Juli 2017 statt. Die Beschwerdegegnerin legte Hilfsanträge 2, 3 und 4 vor, wobei sie Hilfsanträge 1 und 2 im Verlauf der Verhandlung wieder zurücknahm.

VIII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

IX. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2017 eingereichten Hilfsanträge 3 und 4 aufrecht zu erhalten.

X. Die Änderungen am Anspruch gemäß Hilfsantrag 3 betreffen nur die Merkmale in seinem kennzeichnenden Teil, der dadurch folgenden Wortlaut erhält:

"dadurch gekennzeichnet,

dass die Schelle (6) zum Schaltergehäuse (1) gesondert ausgebildet ist und dass das Schaltergehäuse (1) einen Sockel (7) mit einer Längsführung (26) und mindestens zwei Bohrungen (9) zur Befestigung der Schelle (6) in unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse (1) aufweist, wobei die Bohrungen (9) voneinander einen parallel zum Lenker (8) verlaufenden Abstand (11) aufweisen, der es ermöglicht, die Schelle (6) wahlweise an der einen oder an der anderen um diesen Abstand (11) versetzten Bohrung (9) anzuordnen."

XI. Entsprechend hat der kennzeichnende Teil des geänderten Anspruchs gemäß Hilfsantrag 4 folgenden Wortlaut:

"dadurch gekennzeichnet,

dass die Schelle (6) zum Schaltergehäuse (1) gesondert ausgebildet ist und dass das Schaltergehäuse (1) einen Sockel (7) mit einer Längsführung (26) und mindestens zwei Bohrungen (9) zur Befestigung der Schelle (6) in unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse (1) aufweist, wobei die Bohrungen (9) voneinander einen parallel zum Lenker (8) verlaufenden Abstand (11) aufweisen, der es ermöglicht, die Schelle (6) wahlweise an der einen oder an der anderen um diesen Abstand (11) versetzten Bohrung (9) anzuordnen, wobei das Schaltergehäuse (1) gegenüber einem an dem Lenker (8) vorgesehenen Griffteil (27) parallel zum Lenker (8) verschiebbar ist."

XII. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Zum Hauptantrag der Beschwerdegegnerin

Der Gegenstand des Anspruchs des Patents stelle eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung des Inhalts der Stammanmeldung dar. Unter anderem sei das Merkmal, wonach "die Bohrungen voneinander einen parallel zum Lenker verlaufenden Abstand aufweisen" in der Stammanmeldung nirgends offenbart. Absatz 5 der Beschreibung, der als einzige Textstelle zum Nachweis für dieses Merkmal diene, offenbare es jedenfalls nicht. In diesem Absatz seien auch weitere Merkmale genannt, so zum Beispiel eine zum Lenker parallele Längsführung am Sockel, die nicht in den Anspruch aufgenommen wurden. Außerdem fehle der in Absatz 5 genannte Zweck im Anspruch, der den Abstand zwischen den beiden Bohrungen weiter beschreibt. Der Anspruch umfasse jetzt, dass die beabstandeten Bohrungen andere Funktionen erlauben, wie zum Beispiel eine Verdrehbarkeit des Gehäuses um 180° gegenüber der Schelle, wofür es keine Offenbarung gebe.

Hilfsanträge 3 und 4

Beide Anträge seien spät vorgelegt und nicht prima facie gewährbar, da sie die ausstehenden Einwände nicht beheben würden und außerdem nicht alle Merkmale des Ausführungsbeispiels, das in Absatz 12 der Stammanmeldung beschrieben wird, definierten. Zum Beispiel sei die im Zusammenhang mit der Längsführung genannte Schraube oder die Positionen der Bohrungen auf der Längsführung nicht im Anspruch definiert.

XIII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Hauptantrag

Der Anspruch beruhe auf einer Kombination von Ansprüchen 7 und 8 der Stammanmeldung sowie Merkmalen aus Absatz 5 der Beschreibung. Das Merkmal betreffend den parallel zum Lenker verlaufenden Abstand der Bohrungen ergebe sich zwangsläufig aus dem Satz in Zeilen 16 bis 20 in Spalte 2. Die Zweckangabe in diesem Satz sei implizit im Anspruch enthalten, da mit dem beanspruchten parallelen Bohrungsabstand keine andere technisch sinnvolle und unter den Wortlaut des Anspruchs fallende Ausführungsform darstellbar sei. So falle eine 180°-Verdrehbarkeit nicht unter den Wortlaut des Anspruchs, da aus der Verdrehung des Gehäuses gegenüber der Schelle keine unterschiedlichen Anbringpositionen, sondern allenfalls andere Stellungen oder Orientierungen resultierten oder die Befestigung in einer der beiden Orientierungen auch mit nur einer Bohrung erfolgen könnte, und nicht wie in Anspruch 1 gefordert, als Konsequenz aus dem Vorhandensein zweier Bohrungen resultiere. Der Fachmann verstehe darüber hinaus, dass alle im Anschluss an diesen Satz erwähnten Merkmale den Merkmalen in den abhängigen Ansprüchen der Stammanmeldung entsprächen und somit also als optionale Merkmale offenbart seien.

Hilfsanträge 3 und 4

Die Änderungen in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruhten auf Absatz 12 der Beschreibung und konkretisierten weiter die Anbringpositionen und in Hilfsantrag 4 noch weiter den zum Lenker parallel verlaufenden Bohrungs-Abstand. Damit seien alle wesentlichen strukturellen Merkmale des Ausführungsbeispiels dem Absatz 12 der Stammanmeldung entnommen und die Anträge somit prima facie gewährbar und in das Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Es ist über die Frage zu entscheiden, ob der in Artikel 100 c) EPÜ genannte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen steht, genauer, ob der Gegenstand des einzigen Anspruchs des Streitpatents über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht oder nicht.

Bei der Beurteilung dieser Frage ist der gleiche Standard anzuwenden, wie bei der Prüfung, ob das Erfordernis nach Artikel 123 (2) EPÜ erfüllt ist (G 1/05, ABl. EPA 2008, 271, Punkt 5.1).

Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme G 3/89 und die Entscheidung G 11/91 (ABl. EPA 1993, 117 und 125), hat die Große Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 2/10 einen als "Goldstandard" bezeichneten Test für die Prüfung von Änderungen auf die Erfüllung des Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ bestätigt (G 2/10, ABl. EPA 2012, 376, Punkt 4.3).

In Anwendung dieses Goldstandards auf die Prüfung der Zulässigkeit von Änderungen in europäischen Teilanmeldungen sind demnach Änderungen zu erlauben, die unabhängig vom Kontext der vorgenommenen Änderung nur im Rahmen dessen erfolgen, was der Fachmann der Gesamtheit der Unterlagen der früheren Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann.

2. Die Änderungen, auf denen der Anspruch des Streitpatents beruht, genügen diesem Erfordernis nicht. Die Kammer findet in den von der Beschwerdegegnerin zitierten Textstellen der Stammanmeldung keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung für die im Streitpatent beanspruchte Merkmalskombination.

2.1 Es ist unstreitig, dass das Merkmal

"wobei die Bohrungen (9) von einander eine [sic] parallel zum Lenker (8) verlaufenden Abstand (11) aufweisen",

insbesondere hinsichtlich der zum Lenker definierten Parallelität des Bohrungsabstands in den ursprünglichen Ansprüchen 7 und 8 der Stammanmeldung keine Grundlage hat. Als Grundlage benennt die Beschwerdegegnerin dagegen nur Absatz 5, Zeilen 16 bis 20.

Absatz 5 (in Spalte 2) der Stammanmeldung beschreibt einen Schalter mit Merkmalen entsprechend einer "zweiten Maßnahme" für das am Ende von Absatz 1 der Stammanmeldung genannte Ziel der Erfindung. Mit den Merkmalen dieser zweiten Maßnahme soll nämlich eine individuelle Einstellbarkeit der Position des Spannhebels und des Freigabehebels relativ zur Lage des Griffteils erzielt werden und zwar durch eine variable Befestigung der Schelle am Schaltergehäuse, die bewirken soll, dass die Schelle des Schaltergehäuses entweder direkt neben dem Griffteil am Lenker montiert werden kann, oder aber erst im Anschluss an eine Bremsbandage des Handbremshebels, wobei die Schelle am Schaltergehäuse in ihrer Position veränderbar ist.

In Zeilen 16 bis 20 der Spalte 2 wird dabei erläutert:

"Das Schaltergehäuse weist einen Sockel mit mindestens zwei Bohrungen auf, die voneinander einen Abstand aufweisen, der es erlaubt, das Schaltergehäuse gegenüber der Schelle parallel zum Lenker in mindestens einer Stufe zu versetzen."

Im sich unmittelbar daran anschließenden Satz heißt es (Spalte 2, Zeilen 20-24):

"Der Sockel weist eine zum Griffteil des Lenkers vorzugsweise parallele Längsführung auf, auf der die Schelle verschoben und an einer der Bohrungen mittels der Schraube auf der Längsführung befestigt werden kann."

Darauf folgt eine Beschreibung der Montage eines solchen Schalters.

2.3 Die Kammer stellt fest, dass beide oben zitierten Sätze in gleicher Weise im Indikativ formuliert sind, um die strukturellen Merkmale des Gehäuses bzw. seines Sockels zu definieren: "Das Schaltergehäuse/Der Sockel weist ... auf...".

Der Satz in Zeilen 20 bis 24 macht für den Fachmann daher unmissverständlich klar, dass der Sockel des Schaltergehäuses gemäß dieser "zweiten Maßnahme" neben den im vorhergehenden Satz erwähnten beabstandeten Bohrungen unter anderem eine Längsführung aufweist.

Einen Hinweis, dass diese Längsführung oder ein anderes in Absatz 5 erwähntes Merkmal eines Schalters entsprechend dieser "zweiten Maßnahme" fakultativ sein könnte, abgesehen von dem Merkmal "eine zum Griffteil des Lenker vorzugsweise parallele" Anordnung der Längsführung, findet der Fachmann in dieser Passage der Beschreibung nicht.

Für den Fachmann gehören damit die in Absatz 5 beschriebenen strukturellen Merkmale in ihrer Gesamtheit, mit Ausnahme der erwähnten parallelen Anordnung der Längsführung, zu einem Schalter entsprechend der "zweiten Maßnahme" zur Erreichung des der Stammanmeldung zugrunde liegenden Ziels.

2.4 Eine Verbindung der in Absatz 5 beschriebenen Merkmale zu den Ansprüchen der Stammanmeldung ergibt sich nicht allein dadurch, dass die Merkmale "am Sockel ausgebildete beabstandete Bohrungen" und "Längsführung" in Absatz 5 in der gleichen Reihenfolge beschrieben werden, wie sie in den abhängigen Ansprüchen 8 und 9 definiert werden.

Obwohl der Beschwerdegegnerin zugestimmt werden kann, dass die Ansprüche für sich genommen auch eine Offenbarungsquelle darstellen, ändert dies an der obigen Beurteilung nichts. Denn der Anspruch des Streitpatents beruht nicht auf einer reinen Kombination von Merkmalen der Ansprüche der Stammanmeldung sondern stützt sich auch auf die Beschreibung, so dass die Ansprüche eben nicht für sich genommen betrachtet werden können, um dem Fachmann einer Unterscheidung zu ermöglichen welche Merkmale fakultativ sein könnten und welche nicht.

Auch wenn Anspruch 9 die Längsführung bei ausschließlicher Betrachtung der Ansprüche als fakultatives Merkmal definieren sollte, im übrigen genau wie die dem Anspruch 8 entnommenen Merkmale, die die beabstandeten Bohrungen am Sockel definieren, so sind beide Merkmale im Absatz 5 nicht als fakultativ dargestellt (siehe Punkt 2.3). Die Offenbarung wäre in diesem Sinne nicht eindeutig (vgl. Punkt 1 oben).

2.5 Auch die Tatsache, dass bei der Beschreibung des Verfahrens der Montage des Schalters die Längsführung nicht erwähnt werde, überzeugt die Kammer nicht. Das in Absatz 13, Spalten 4/5 der Beschreibung der Stammanmeldung erläuterte Verfahren bezieht sich auf das zuvor detaillierte Ausführungsbeispiel eines Schalters, der am Sockel die umstrittenen Merkmale aufweist, ohne dass erkennbar wäre, dass diese wegfallen könnten. Darüber hinaus wird bei der Beschreibung des Montageverfahrens weder der Sockel selbst noch die Parallelität des Bohrungsabstands zum Lenker erwähnt, so dass aus dieser Passage keine differenzierten Schlussfolgerungen hinsichtlich der Bedeutung einzelner Merkmale gezogen werden können.

2.6 Woraus der Fachmann unter Berücksichtigung der ursprünglichen Ansprüche also folgern sollte, dass den in Absatz 5, Zeilen 16 bis 20, offenbarten Merkmalen, betreffend unter anderem die dort nicht einmal explizit genannte Parallelität des Bohrungsabstands zum Lenker, eine andere Bedeutung zukommt als den Merkmalen in Zeilen 20 bis 24, die die Längsführung betreffen, erschließt sich der Kammer nicht.

2.7 In Ermangelung einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung für den Gegenstand des Anspruch des Streitpatents, ohne die Merkmale, die in Absatz 5 im Zusammenhang mit der Längsführung beschrieben sind, kann bereits aus diesem Grund das Patent in der erteilten Fassung nicht aufrechterhalten werden.

2.8 Auf eine Begründung dafür, dass die Kammer den beanspruchten Gegenstand des Streitpatents auch aus anderen Gründen, die im schriftlichen Verfahren vorgetragen und in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden, für nicht in der Stammanmeldung offenbart ansieht, kann damit hier verzichtet werden.

Hilfsanträge 3 und 4

3. Beide Hilfsanträge wurden in Reaktion auf die Erörterungen des Hauptantrags und der wieder zurückgenommenen Hilfsanträge 1 und 2 in der mündlichen Verhandlung eingereicht und stellen nach Artikel 13 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin dar.

Die Zulassung der Anträge in das Verfahren liegt demnach im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer neben dem Verfahrensstand und der Komplexität des neuen Vorbringens auch die gebotene Verfahrensökonomie.

Im Hinblick auf letztere ist es für die Zulassung geänderter Ansprüche in das Verfahren erforderlich, dass sie wenigstens prima facie gewährbar sind, dass nämlich sofort erkennbar sein muss, dass die bestehenden Einwände eindeutig behoben werden ohne weitere hervorzurufen.

3.1 Beiden Hilfsanträgen ist gemeinsam, dass als Grundlage für die vorgenommenen Änderungen das Ausführungsbeispiel in der Stammanmeldung, bzw. in der dem Streitpatent zugrundeliegenden Teilanmeldung herangezogen wird. Insbesondere bezieht sich die Beschwerdegegnerin dabei auf Absatz 12 der Stammanmeldung, entsprechend Absatz 14 der veröffentlichten Teilanmeldung bzw. des Streitpatents, die inhaltlich keinen Unterschied zwischen Stamm- und Teilanmeldung erkennen lassen.

3.2 In dem zitierten Absatz wird das einzige Ausführungsbeispiel eines Schalters mit Bezug auf die Figuren erläutert. Neben der dort zweifelsfrei offenbarten Längsführung, die unter anderem im Anspruch beider Hilfsanträge hinzugefügt wurde, sind allerdings eine große Zahl weiterer Merkmale offenbart. Diese scheinen für den Fachmann strukturell und funktionell untrennbar mit der Längsführung verbunden zu sein und sind nur in dieser spezifischen Kombination offenbart. Einen Hinweis darauf, dass z.B. die konkrete Befestigung des Schaltergehäuses auf der Längsführung mittels einer Schraube nur fakultativ wäre und auch andere Befestigungsarten verwendet werden könnten, scheint nirgends offenbart zu sein. Sogenannte "wesentliche Merkmale" des Ausführungsbeispiels, auf die sich die Beschwerdegegnerin bei den Änderungen beruft, werden anscheinend auch nirgends herausgestellt. Der Fachmann kann der genannten Passage oder den Figuren nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass eine Längsführung ein wesentliches Merkmal sein könnte, die Befestigung mittels einer Schraube oder die Anordnung beider Bohrungen auf der Längsführung (und nicht daneben oder dahinter) aber nicht.

Die unterschiedlichen funktionellen Definitionen in den Ansprüchen der beiden Hilfsanträge 3 und 4 scheinen diese Merkmale auch nicht zu implizieren, was auch nicht von der Beschwerdegegnerin behauptet wurde.

3.3 Da der jeweilige Anspruch beider Hilfsanträge 3 und 4 die oben beispielsweise genannten weiteren strukturellen Merkmale weder explizit noch implizit zu definieren scheint, scheint ihr Gegenstand den ursprünglich eingereichten Unterlagen der Teilanmeldung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen zu sein. Daher scheint das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ wenigstens prima facie nicht erfüllt zu sein.

3.4 Die Kammer hat daher ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK dahingehend ausgeübt, die Hilfsanträge 3 und 4 nicht in das Verfahren zuzulassen.

4. Da kein Antrag vorliegt, der die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, ist das Patent gemäß Artikel 101 (3) b) EPÜ zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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