European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T130212.20180515 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 15 Mai 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1302/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04764814.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K 31/685 A61K 31/683 A61K 31/661 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | PHYSIOLOGISCH AKTIVE ZUSAMMENSETZUNG AUF PHOSPHATIDYLSERIN-BASIS | ||||||||
Name des Anmelders: | Cargill Texturizing Solutions Deutschland GmbH & Co KG |
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Name des Einsprechenden: | N.V. Nutricia | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Gegen die Erteilung des europäischen Patents Nr. 1 660 097, basierend auf der europäischen Anmeldung 04764814.2, veröffentlicht als WO2005/023271, wurde Einspruch eingelegt, der auf die unter Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ genannten Einspruchsgründe gestützt war, mit der Begründung, dass der Gegenstand des Patents nach Artikel 52(1) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ wegen fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentierbar sei und dass das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Mit Schreiben vom 23. November 2011 machte die Einsprechende verspätet den Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ geltend, wonach der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Die Einspruchsabteilung ließ diesen Einspruchsgrund nicht ins Verfahren zu.
Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch zurück.
II. Die Einsprechende legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
III. Gegenstand der Beschwerde ist das Patent wie erteilt.
Der Anspruch 1 des Streitpatents lautet wie folgt:
"1. Physiologisch aktive Zusammensetzung, enthaltend als physiologisch aktive Bestandteile die Komponenten a) Phosphatidylserin und/oder Lyso-Phosphatidylserin (jeweils "PS") und
b) mindestens ein von Komponente a) verschiedenes (Lyso-)Phospholipid, ausgewählt aus Phosphatidylcholin, Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylinosit, und
c) eine von Komponente a) verschiedene Serin-Quelle, ausgewählt aus L-Serin und/oder O-Phospho-L-Serin, wobei die molaren Verhältnisse a : b und a : c jeweils 1,0 : 1,0 bis 100 betragen."
IV. Im Verlauf des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens wurden u.a. die folgenden Entgegenhaltungen genannt:
(2) WO 01/84961
(4) FR 2 437 834
(5) Zanotti et al., Psychopharmacology 1989, 99, 316-321
(V1) Versuchsberichte, eingereicht mit Schreiben vom 8. April 2010
V. Am 23. Februar 2018 teilte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) mit, dass sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückziehe und nicht an der Verhandlung teilnehmen werde.
VI. Am 26. Februar 2018 teilte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) mit, dass sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückziehe und nicht an der Verhandlung teilnehmen werde.
VII. Am 15. Mai 2018 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer in Abwesenheit der Parteien statt.
VIII. Die schriftlich vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden. Es werden nur die entscheidungsrelevanten Argumente angeführt.
Ausgehend von Dokument (2) als nächstem Stand der Technik kann der Unterschied, wenn Anspruch 1 des Streitpatents als nur freies Serin definierend interpretiert wird, darin gesehen werden, dass des weiteren freies Serin zugesetzt wird. Ein Effekt über die gesamte Breite des Anspruchs kann nicht anerkannt werden. Die von der Inhaberin gemachten Versuche betreffen nur ein bestimmtes molares Verhältnis, nämlich a):b):c) = 1:3:4, während der Anspruch Verhältnisse von a):b) bzw. a):c) zwischen 1:1 und 1:100 erlaubt. Es wird in diesen Versuchen nur gegen die Gabe von Phosphatidylserin alleine verglichen, Vergleiche gegen Phosphatidylcholin oder Serin, die beide für ihre einschlägige Wirkung bekannt sind, werden nicht geführt. Auch fehlt ein Versuch der eine Wirkung bei Wahl von Phosphatidylinosit als Komponente a) belegt. Eine in vivo Wirksamkeit der Kombination Phosphatidylinosit und Serin ist unwahrscheinlich, da die beiden Verbindungen über komplett getrennte Wege metabolisiert werden. Es erscheint für die Wirksamkeit egal zu sein, ob Serin in freier (siehe Dokument (4)) oder gebundener Form (wie z.B. im Dokument (2) offenbart) zugeführt wird, da es nur darauf ankommt, Serin für den gewünschten Zweck zur Verfügung zu stellen. Die metabolischen Abläufe bei der Biosynthese von Phosphatidylserin sind Allgemeinwissen. Da keine Verbesserung anerkannt werden kann und die metabolischen Abläufe betreffend Serin und Phosphatidylserin sowie deren Wirksamkeit bekannt sind, ist keine erfinderische Tätigkeit anzuerkennen.
IX. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte im schriftlichen Verfahren die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1660097.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) stellte im schriftlichen Verfahren keine Anträge.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Abwesenheit der Parteien.
Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand in Abwesenheit der beiden Parteien statt, die nach ordnungsgemäßer Ladung angekündigt hatten, nicht daran teilzunehmen.
Die vorliegende Entscheidung basiert auf Tatsachen und Beweismittel, die schon im schriftlichen Verfahren vorgebracht wurden und zu denen den Parteien Gelegenheit gegeben wurde, Stellung zu nehmen.
Die Kammer ist nach Artikel 15(3) VOBK nicht verpflichtet, einen Verfahrensschritt einschließlich ihrer Entscheidung aufzuschieben, nur weil ein ordnungsgemäß geladener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend ist; dieser kann dann so behandelt werden, als stütze er sich lediglich auf sein schriftliches Vorbringen. Dies hat die Beschwerdeführerin auch explizit geltend gemacht, indem sie eine "decision on the file as is [sic] stands" schriftlich beantragt hat.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Gegenstand des Streitpatents ist die Bereitstellung einer physiologisch aktiven Zubereitung auf Phosphatidylserin-Basis zur Verbesserung und Stärkung der Gehirn- und Gedächtnisfunktion (Absätze [0013] und [0028], sowie Anspruch 9). Bei oraler Gabe sollen hohe Wirkstoffmengen an den möglichen Wirkorten im Körper erreicht werden. Um dies zu erzielen, wird eine Zusammensetzung enthaltend a) Phosphatidylserin (oder dessen Lyso-Form), b) ein weiteres Phospholipid (oder dessen Lyso-Form) ausgewählt aus Phosphatidylcholin, Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylinosit, sowie c) eine Serin-Quelle ausgewählt aus L-Serin und O-Phospho-L-Serin verabreicht. Die Komponenten a), b) und c) sind in einem bestimmten Verhältnis zueinander zuzuführen. Die Gabe eines weiteren Phospholipids in Kombination mit einer Serin-Quelle soll die in vivo Bildung von weiterem Phosphatidylserin erlauben, wodurch die Menge an oral zuzuführendem Phosphatidylserin gesenkt werden kann.
3.2 Als nächster Stand der Technik wird das Dokument (2) angesehen. Es betrifft die Behandlung von vaskulären Problemen, insbesondere Demenzsyndromen (Seite 1, Zeilen 6 bis 9). Dabei kommt eine Zusammensetzung zum Einsatz die langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Phospholipide und weitere aktive Verbindungen, die unter Punkt c) aufgelistet werden, beinhaltet (Anspruch 1). Die Phospholipidfraktion kann z.B. Phosphatidylcholin, Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylserin enthalten (Anspruch 6). In Beispiel 1 werden 130 mg Phosphatidylcholin und 120 mg Phosphatidylserin eingesetzt.
3.3 Der Unterschied zwischen dem Anspruch 1 des Streitpatents und der Offenbarung des Dokuments (2) liegt somit in der Anwesenheit einer Serinquelle in Form von L-Serin oder O-Phospho-L-Serin.
Die Versuchsberichte der Anlage V1 zeigen den Vergleich einer erfindungsgemäßen Zusammensetzung enthaltend Phosphatidylserin:Phosphatidylcholin:L-Serin in einem Verhältnis von 1:3:4 mit einer Zusammensetzung enthalten nur Phosphatidylserin in einer Menge die der rechnerisch erzielbaren Menge, nach metabolischen Vorgängen, der erfindungsgemäßen Zusammensetzung entspricht. Die erfindungsgemäße Zusammensetzung erzielt zumindest vergleichbare Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten (Beispiel 1 bei Ratten im "twoway active avoidance task"; Beispiel 2 am Menschen für "Aktivitäten des täglichen Lebens", "Orientierung in Zeit und Raum" und "Allgemeine Gedächtnisleistungen" nach dem "Wechsler and Mental Status Questionaire").
3.4 Das technische Problem könnte folglich in Bereitstellung einer Zubereitung, die bei vermindertem Phosphatidylserin-Einsatz zu einer Verbesserung der Gehirn- und Gedächtnisfunktion führt, gesehen werden.
Die Beschwerdeführerin hat jedoch bezweifelt, dass ein solches Problem über die gesamte Breite gelöst ist. Sie führt an, dass nur ein einziges Verhältnis der Inhaltsstoffe zueinander, nämlich a):b):c) = 1:3:4 getestet wurde, während der Anspruch auch Verhältnisse von a):b) bzw. a):c) von 1:100 erlaubt.
Für das Verabreichen der sogenannten "Low Cost Formulation" mit dem speziellen Verhältnis von a):b):c) = 1:3:4 zeigen die Vergleichsversuche (V1) eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten und der Gedächtnisleistung im Vergleich zu Plazebo. Die "Low Cost Formulation" zeigt daher einen mit der Gabe von entsprechenden Mengen Phosphatidylserin vergleichbaren Effekt, siehe Punkt 3.3 oben. Es muss nun geklärt werden, ob dieser Effekt auch bei anderen erfindungsgemäßen Verhältnissen, z.B a):b):c) = 1:100:1 oder 1:1:100 auftritt. Basierend auf theoretischen Überlegungen scheint es nicht plausibel, dass der Effekt auch bei Formulierungen, die die Komponente b) in beträchtlichem Überschuss aufweisen, auftritt. Formulierungen mit solch einem Verhältnis haben nämlich einen relativen Serin Unterschuß, sodass rein theoretisch eine zu einer effektiven Menge führenden in vivo Synthese von Phosphatidylserin nicht möglich ist.
Die experimentellen Versuche betreffen darüber hinaus nur eines der drei Phospholipide, die unter dem Punkt b) des Anspruchs 1 auszuwählen sind. Für Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylinosit, insbesondere in Formulierungen, die diese Substanzen als Hauptbestandteil (z.B bei einem Verhältnis von a):b):c) = 1:100:1) enthalten, gibt es keinen Beleg einer verbesserten Wirksamkeit. Die Beschwerdeführerin hat des weiteren geltend gemacht, dass Phosphatidylinosit über andere physiologische Wege metabolisiert wird als Serin bzw. Phosphatidylserin. Die Gültigkeit dieser Behauptung kann jedoch in Abwesenheit unterstützender Fakten nicht überprüft werden.
Insgesamt ist aber anzumerken, dass die Vergleichsversuche (V1) sich auf eine einzige spezielle Formulierung beziehen. Die durch diese Formulierung hervorgerufenen Effekte können nicht direkt auf die gesamte Anspruchsbreite übertragen werden. Es gibt daher keinen Beleg, dass das Problem über die ganze Anspruchsbreite gelöst wurde.
3.5 Da das technische Problem nicht über die ganze Breite des Anspruchs als gelöst angesehen werden kann, muss das technische Problem umformuliert werden.
Das umformulierte technische Problem wird als Bereitstellung einer alternativen Zusammensetzung zur Verbesserung der Gehirn- und Gedächtnisfunktion gesehen.
Es wurde nicht in Zweifel gezogen, dass dieses Problem durch die Zusammensetzung des Anspruchs 1 des Patents wie erteilt gelöst wird.
3.6 Die Offenbarung der Dokumente (2), (4) und (5) wird nun zur Beurteilung des Naheliegens dieser Lösung herangezogen:
Dokument (2) offenbart, wie bereits oben ausgeführt, den Einsatz von Phosphatidylserin und weitern Phospholipiden wie zum Beispiel Phosphatidylcholin, Phosphatidylethanolamin und/oder Phosphatidylinosit zur Behandlung von Demenzsyndromen.
Dokument (5) bezieht sich auf Phosphatidylserin (Zusammenfassung) im Kontext von Lern- und Gedächtnisleistung von greisen Tieren.
Dokument (4) lehrt den Einsatz von L-Serin zur Behandlung von z.B. Morbus Alzheimer (Anspruch 1).
Sämtliche Inhaltsstoffe der Zusammensetzung des Anspruchs 1 des Streitpatents sind folglich im Kontext des Einsatzes zur Verbesserung der Gehirn- und Gedächtnisfunktion bereits bekannt. Die Kombination von mehreren Inhaltsstoffen, die bereits einzeln für eine bestimmte Verwendung bekannt sind, ist für einen Fachmann, der eine Alternative bereitstellen soll, offensichtlich.
Die Kammer merkt hier an, dass in Abwesenheit weiterer Versuche den beanspruchten Verhältnissen kein Effekt zuerkannt werden kann. Im Rahmen seines routinemäßigen Vorgehens bei der Bestimmung der optimalen Konzentrationen, würde der Fachmann ohne erfinderisches Zutun in diesem breiten Verhältnisbereich arbeiten. Der Auswahl der beanspruchten Verhältnisse liegt daher keine erfinderische Tätigkeit zugrunde.
3.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).
4. Da die Kammer zu dem Schluss gekommen ist, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch ist, erübrigt sich eine Prüfung der übrigen Einwände.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.