T 1249/12 () of 21.6.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T124912.20130621
Datum der Entscheidung: 21 Juni 2013
Aktenzeichen: T 1249/12
Anmeldenummer: 08103906.7
IPC-Klasse: B60P 7/08
B62D 25/20
B62D 33/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kofferaufbau mit einem eine Befestigungseinrichtung aufweisenden Paneel
Name des Anmelders: Schmitz Cargobull AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
Schlagwörter: Neuheitsschädliches Dokument erstmals in Entscheidung der Prüfungsabteilung genannt
Neue Beanstandung der mangelnden Offenbarung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die am 13. Januar 2012 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 08 103 906.7 zurückzuweisen.

II. Die Prüfungsabteilung hat festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem seinerzeit vorliegenden einzigen Antrag, eingereicht in elektronischer Form am 15. August 2011, über den Offenbarungsgehalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und damit gegen Artikel 123(2) EPÜ verstößt.

Des Weiteren hat die Prüfungsabteilung festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 vom Stand der Technik gemäß Dokument

US 2002/100171 A1 (D2)

neuheitsschädlich vorweggenommen wird.

III. Die Beschwerde führerin rügt in der Beschwerdebegründung das Vorgehen der Prüfungsabteilung hinsichtlich der Verfahrensführung, insbesondere sei auf die Zurückweisungsgründe vorher nicht hinreichend hingewiesen worden.

In dem Bescheid der Kammer gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 31. Januar 2013 teilt die Kammer der Beschwerde führerin die vorläufige Auffassung mit, dass sie ihre verfahrensrechtlichen Bedenken teilt und unter Rückerstattung der Beschwerdegebühr eine Zurückverweisung an die erste Instanz beabsichtigt. Die Beschwerde führerin wurde aufgefordert zu diesem Bescheid Stellung zu nehmen.

IV. In ihrem Schreiben vom 9. April 2013 beantragt die Beschwerde führerin die erstinstanzliche Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten und die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Hilfsweise beantragt die Beschwerde führerin eine mündliche Verhandlung und weiterhin hilfsweise die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der diesem Schreiben beigefügten Hilfsanträge 1 bis 5.

V. Der Anspruch 1, eingereicht in elektronischer Form am 15. August 2011, lautet wie folgt:

Kofferaufbau (1) eines Lastkraftwagens (L), Aufliegers (A) und/oder Anhängers mit einem Paneel, insbesondere Dachpaneel (3), Seitenwandpaneel (2) und/oder Bodenpaneel (4), wobei das Paneel eine innere Decklage (20), eine äussere Decklage (18) und einen dazwischen angeordneten Kernbereich (22) aufweist, wobei das Paneel wenigstens eine Befestigungseinrichtung (8) zum Befestigen von Zusatzeinrichtungen des Kofferaufbaus (1) umfasst, wobei die Befestigungseinrichtung (8) ein zur Innenseite des Paneels geöffnetes Schienenelement (10) und ein separates mit dem Schienenelement verbundenes Versteifungsprofil im Wesentlichen im Kernbereich (22) des Paneels aufweist und wobei die Befestigungseinrichtung (8) in einer Öffnung (28) der inneren Decklage (20) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Schienenelement (10) dazu ausgebildet ist, ohne das Versteifungsprofil (14) von der Innenseite der inneren Decklage (20) an der Innenseite des Paneels montiert zu werden und dass das Versteifungsprofil (14) dazu ausgebildet ist, erst nach der Montage des Schienenelements an der Innenseite des Paneels mit dem Schienenelement (10) verbunden zu werden.

VI. Die Beschwerde führerin brachte im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Die Patentansprüche seien jeweils nach den Bescheiden der Prüfungsabteilung vom 4. Juni 2010 und 4. April 2011 substantiell geändert wurden. Weiterhin sei jeweils eine ausführliche Begründung dem Patentbegehren beigefügt worden.

Daher stelle die Prüfungsabteilung erstmals in der Entscheidung fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber dem Dokument D2 sei. Im letzten Prüfungsbescheid sei die mangelnde Neuheit des seinerzeit vorliegenden Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument EP 0 124 807 A (D1) beanstandet worden.

Zudem werde erstmals in der angegriffenen Entscheidung gerügt, dass eine Verbindung des Versteifungsprofils mit dem Schienenelement an der Innenseite des Paneels ursprünglich nicht offenbart sei. Dieses Merkmal war in der letzten Änderung dem Anspruch hinzugefügt worden und somit noch nicht Gegenstand einer Diskussion gewesen.

VII. Daher seien die in der Entscheidung für die Zurückweisung der Patentanmeldung angeführten Gründe in den Mitteilungen der Prüfungsabteilung nicht genannt worden, so dass erstmals in der Entscheidung die Gründe für die Zurückweisung der Anmeldung gehört wurden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Gemäß Artikel 113 (1) EPÜ 1973, dürfen Entscheidungen des Europäischen Patentamts nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

3. Auf die Mitteilung der Prüfungsabteilung gemäß Artikel 94 (3) EPÜ vom 4. Juni 2010 reicht die Anmelderin am 17. Juni 2010 geänderte Patentansprüche ein und beantragt, diese der weiteren Prüfung zugrunde zu legen.

Dieser Antrag wird in einer weiteren Mitteilung nach Artikel 94 (3) EPÜ am 4. April 2011 beschieden. Dabei stellt die Prüfungsabteilung fest, dass der Gegenstand des Anspruch 1 nicht neu sei gegenüber dem Dokument D1 (EP 0 124 807 A). Des Weiteren gehe das mit der Änderung in den Anspruch 1 aufgenommene Merkmal "… separat von der Innenseite der inneren Decklage (20) … montiert ist …" über den Offenbarungsgehalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.

Am 15. August 2011 reicht die Beschwerde führerin erneut einen geänderten Anspruch 1 ein und beantragt, diesen zum Gegenstand des weiteren Prüfungsverfahren zu machen. Die Beschwerde führerin führt dazu aus, dass sich der neue Anspruch 1 aus dem ursprünglichen Anspruch 1 und der Beschreibung, Seite 3, Absätze 2 und 3, sowie Seite 12, zweiter Absatz ergebe.

4. In der am 13. Januar 2012 zur Post gegebenen Entscheidung stellt die Prüfungsabteilung fest, dass die mit der Online-Einreichung vom 15. August 2011 eingereichte Änderung Sachverhalte einbringe, die über den Offenbarungsgehalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgingen.

Des Weiteren stellt die Prüfungsabteilung fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument D2 (US 2002/100171) A1 nicht neu sei.

5. Die Kammer vertritt, wie folgend begründet, die Auffassung, dass die Beschwerde führerin nicht über die Gründe der Zurückweisung von der Prüfungs abteilung informiert wurde und sie somit keine Gelegenheit hatte, sich zu diesen Gründen zu äußern.

5.1 Die Beschwerde führerin wurde erstmals in der Entscheidung darüber informiert, dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 nicht neu gegenüber dem Dokument D2 sei.

5.1.1 Das Dokument D2 wurde von der Prüfungsabteilung in Zusammenhang mit der Neuheitsprüfung überhaupt nur ein einziges Mal, und zwar in der Stellungnahme zur europäischen Recherche genannt (das sogenannte Form 1507), auf die die Mitteilung der Prüfungsabteilung vom 4. Juni 2010 Bezug nimmt. Nach einer Beanstandung der mangelnden Neuheit mit einer Merkmalsanalyse in Bezug auf Dokument D1, schließt sich dort der Satz an: "Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird ebenfalls in Dokument D2 und D3 gezeigt und ist somit nicht neu", vgl. Stellungnahme zur europäischen Recherche, Seite 2, 3. Absatz.

Damit hat die Beschwerde führerin auch für den ursprünglich eingereichten Anspruch zu keinem Zeitpunkt im Verfahren eine detaillierte Begründung gehört, durch welche Offenbarungsstellen in D2 einzelne Merkmale der Erfindung neuheitsschädlich vorweggenommen werden.

Eine solche Diskussion der Merkmale hat immer nur vor dem Hintergrund des Dokuments D1 stattgefunden, vgl. Stellungnahme zur europäischen Recherche und Bescheid vom 4. April 2011.

5.1.2 Des Weiteren hat die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung korrekterweise festgestellt, dass sich der Gegenstand des Anspruch nach ihrem letzten Bescheid geändert habe, siehe Seite 3, 3. Absatz. Mit dieser Änderung hat die Anmelderin, da sie ein Merkmal aus der Beschreibung in den Anspruchs wortlaut aufgenommen hat, diesen hinsichtlich seines Gegenstands verändert.

5.1.3 Damit aber liegt gegenüber der Situation zum Zeitpunkt des letzten Bescheids der Prüfungsabteilung bzw. der Stellungnahme zur europäischen Recherche eine neue Sachlage vor. Insbesondere hat die Prüfungs abteilung zu keinem Zeitpunkt im Verfahren vor ihrer Entscheidung Bedenken zu diesem - in den Anspruch 1 aufgenommenen - Merkmal geäußert.

5.1.4 Somit ist es auch unerheblich, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls von Dokument D1 neuheitsschädlich getroffen wird, wie es die Entscheidung der Prüfungs abteilung mit Bezug auf die vorherigen Amtsbescheide auf Seite 5, 3. Absatz behauptet: auch mit Bezug auf D1 wurde das dem Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal nie diskutiert.

5.2 Weiterhin hat die Prüfungsabteilung mit der Entscheidung erstmals die Änderungen des Anspruchs 1, eingereicht am 15. August 2011, hinsichtlich der Zulässigkeit in Bezug auf Artikel 123(2) EPÜ bewertet und festgestellt, dass das Merkmal, dass das Versteifungsprofil an der Innenseite des Paneels mit dem Schienenelement verbunden wird, nicht der ursprünglich eingereichten Fassung zu entnehmen sei.

5.2.1 Im Bescheid vom 4. April 2011 stellt die Prüfungsabteilung fest, dass die Änderung des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 gegen den Artikel 123(2) EPÜ verstoße, da das eingefügte Merkmal "separat von der Innenseite der inneren Decklage (20) … montiert ist …", nicht in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbart sei.

5.2.2 Der daraufhin mit Schreiben vom 15. August 2011 vorgelegte Anspruch 1 enthält eine korrigierte Formulierung des beanstandeten Merkmals und weiterhin das Merkmal, wonach "das Verstärkungsprofil (14) dazu ausgebildet ist, erst nach der Montage des Schienenelements an der Innenseite des Paneels mit dem Schienenelement (10) verbunden zu werden". Entgegen der Darstellung der Prüfungsabteilung in der Entscheidung, hat sich die Beschwerde führerin in ihrer Eingabe vom 15. August 2011 nicht zu der beanstandeten unzulässigen Erweiterung geäußert, vgl. Entscheidung, 1.4.

Die im Bescheid vom 4. April 2011 genannte Beanstandung gemäß Artikel 123(2) EPÜ betrifft daher einen anderen Gegenstand, als den der der Entscheidung zugrunde liegt (siehe auch oben, Punkt 5.1.2).

5.2.3 Das dem vorliegenden Anspruch mit der Änderung von 15. August 2011 neu hinzugefügte Merkmal ist im Verfahrenverlauf erstmals in einem Anspruch vorhanden. Da die Beschwerde führerin weiterhin in ihrer Eingabe präzise angegeben hat, in welchen Beschreibungs teilen der ursprünglich eingereichten Anmeldung sie dieses Merkmal offenbart sieht (vgl. Schreiben vom 15. August 2011, Seite 1), hatte sie nach Auffassung der Kammer davon ausgehen können, dass die Änderungen von der Prüfungsabteilung geprüft werden und ggf. in einem weiteren Bescheid beanstandet werden. Da aber die Prüfungsabteilung in der Entscheidung erstmalig diese Beanstandungen, die unzulässige Erweiterung betreffend, genannt hat, hatte die Beschwerde führerin keine Möglichkeit mehr, sich zu der Auffassung der Prüfungsabteilung zu äußern.

6. Aus den genannten Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass es sich vorliegend um einen wesentlichen Verfahrensmangel handelt. Die Kammer sieht es dabei als erwiesen an, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Missachtung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und der Notwendigkeit, Beschwerde einzulegen, besteht. Daher ist gemäß Regel 103(1)a EPÜ der Beschwerde führerin die Beschwerde gebühr zurückzuzahlen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Prüfungsverfahren fortzusetzen.

3. Die Rückzahlung der Beschwerde gebühr wird angeordnet.

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