T 1124/12 () of 17.6.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T112412.20130617
Datum der Entscheidung: 17 Juni 2013
Aktenzeichen: T 1124/12
Anmeldenummer: 06020981.4
IPC-Klasse: B62D 55/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Raupenfahrzeug
Name des Anmelders: Rolic Invest Sarl
Name des Einsprechenden: Kässbohrer Geländefahrzeug AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag, zweiter Hilfsantrag - nein
Stützung durch die Beschreibung (erster Hilfsantrag - nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 28. März 2012 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchs abteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1908672 zurückgewiesen worden ist.

II. Die Einspruchs abteilung hat entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt erfinderisch im Hinblick auf die Dokumente

(D1) Catalog of American Army Vehicles of World War II, Portrayal Press, 1996;

(D2) Der Pistenbully 300 Polar, Prospekt, April 2004;

(D3) Fahrmechanik der Kettenfahrzeuge, Merhof, W.; Leuchtturm Verlag, 1982

im Sinne des Artikels 56 EPÜ ist.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt.

IV. Am 17. Juni 2013 fand eine Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Beschwerde führerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerde gegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder hilfsweise die Aufhebung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche gemäß dem 1. Hilfsantrag, eingereicht als 3. Hilfsantrag mit Schreiben vom 19. Februar 2013 oder gemäß dem 2. Hilfsantrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2013.

V. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:

Als Raupenfahrzeug ausgebildetes Pistenpräparationsfahrzeug mit einem von einem Antrieb antreibbaren Fahrwerk, das mehrere an Achsen gelagerte Räder für eine Laufkette aufweist, wobei das Fahrwerk eine maximale Spurbreite (W) und zwischen vorderster und hinterster Achse der Räder (3, 3a) eine Traktionslänge (L) aufweist, wobei die Spurweite (W) der Abstand zwischen rechtem und linkem Rad auf der gemeinsamen Achse auf gegenüberliegenden Seiten des Fahrzeugs ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Steuerverhältnis (S) berechnet als Traktionslänge (L) dividiert durch Spurbreite (W) kleiner gleich 1,4 - beträgt und dass der Antrieb eine Leistung von mindestens 450 PS aufweist, vorzugsweise 500 PS, aufweist.

VI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet wie folgt, der Unterschied zum Anspruch 1 wie erteilt ist im Fettdruck dargestellt; Hervorhebung durch die Kammer:

Als Raupenfahrzeug ausgebildetes Pistenpräparationsfahrzeug mit einem von einem Antrieb antreibbaren Fahrwerk, das mehrere an Achsen gelagerte Räder für eine Laufkette aufweist, wobei das Fahrwerk eine maximale Spurbreite (W) und zwischen vorderster und hinterster Achse der Räder (3, 3a) eine Traktionslänge (L) aufweist, wobei die Spurweite (W) der Abstand zwischen rechtem und linkem Rad auf der gemeinsamen Achse auf gegenüberliegenden Seiten des Fahrzeugs ist, und wobei die Traktionslänge (L) der Achsabstand zwischen vorderster Achse und hinterster Achse ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Steuerverhältnis (S) berechnet als Traktionslänge (L) dividiert durch Spurbreite (W) kleiner gleich 1,4 - beträgt und dass der Antrieb eine Leistung von mindestens 450 PS, vorzeugsweise 500 PS, aufweist.

VII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lautet wie folgt, der Unterschied zum Anspruch 1 wie erteilt ist im Fettdruck dargestellt; Hervorhebung durch die Kammer:

Als Raupenfahrzeug ausgebildetes Pistenpräparationsfahrzeug mit einem von einem Antrieb antreibbaren Fahrwerk, das mehrere an Achsen gelagerte Räder für eine Laufkette aufweist, wobei das Fahrwerk eine maximale Spurbreite (W) und zwischen vorderster und hinterster Achse der Räder (3, 3a) eine Traktionslänge (L) aufweist, wobei die Spurweite (W) der Abstand zwischen rechtem und linkem Rad auf der gemeinsamen Achse auf gegenüberliegenden Seiten des Fahrzeugs ist, wobei die Traktionslänge L der Achsabstand zwischen vorderster Achse und hinterster Achse ist, an der die Antriebsräder und/oder Tragräder für die Laufkette gelagert sind und somit die Traktionslänge im Wesentlichen der Laufkettenlänge entspricht, die den Boden kontaktiert, dadurch gekennzeichnet, dass das Steuerverhältnis (S) berechnet als Traktionslänge (L) dividiert durch Spurbreite (W) kleiner gleich 1,4 - beträgt und dass der Antrieb eine Leistung von mindestens 450 PS, vorzeugsweise 500 PS, aufweist.

VIII. Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Das Dokument D2 stelle den nächsten Stand der Technik dar und offenbare alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 wie erteilt. Damit unterscheide sich der Gegenstand des strittigen Anspruchs lediglich dadurch, dass das Steuerverhältnis, der Quotient aus Traktionslänge und Spurbreite kleiner 1,4 sei, und dass die Leistung mindestens 450 PS betrage. Das in D2 offenbarte Fahrzeug weise eine Motorleistung von 430 PS auf. Beide Merkmale dienten dazu, die Manövrierfähigkeit des Fahrzeugs zu verbessern. Dies gebe auch das strittige Patent als zu lösende Aufgabe an, vgl. Paragraph [0004]. Aus dem Dokument D3, welches sich als allgemeines Lehrbuch mit der Fahrmechanik von Kettenfahrzeugen auseinandersetze, sei dem Fachmann bekannt, dass ein kleines Lenkverhältnis lambda (das dem Steuerverhältnis S gemäß dem Anspruchs wortlaut entspreche) die Lenkwilligkeit verbessere, vgl. Gleichung (60) auf Seite 84 und Kapitel 6, Seite 103, dort insbesondere die Tabelle 6. Weiterhin offenbare D3, dass sich eine hohe Motorleistung positiv auf die Lenkwilligkeit auswirke, vgl. dito und Seite 104, letzter Absatz. Daher sei auch eine Erhöhung der Motorleistung von 430 auf 450 PS nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend anzusehen. Auch wenn D3 in erster Linie Panzer zeige, richte sich D3 an den Fachmann der Fahrzeugtechnik, vgl. Vorwort, vorletzter Absatz. Insbesondere sei D3 als Nachweis des allgemeinen Fachwissens zu betrachten, da D3 auf Seite 302 explizit auch Baufahrzeuge nenne. Daher seien alle Merkmale des kennzeichnenden Teils als in D3 offenbart, oder zumindest als nahegelegt anzusehen. Im übrigen müsse bei der Traktionslänge, die zur Berechnung des Steuer verhältnisses benötigt werde, die Laufkettenlänge herangezogen werden, die den Boden berühre, denn nur die habe einen Einfluss auf die Fahrmechanik. Dies erkläre das strittige Patent in Paragraph [0007], zweiter Satz. Die Aussage, dass die Traktionslänge den Achsabstand zwischen der vordersten und der hintersten Achse darstelle (vgl. Paragraph [0007], erster Satz), stehe im Widerspruch dazu und könne nur dann gelten, wenn sich alle Räder in einer Ebene befänden. Da es aber auch Kettenfahrzeuge gäbe, bei denen das hinterste und/oder das vorderste Rad höher gesetzt seien, sei bereits das erteilte Patent unklar, da es nicht auf die Ausführungs form, dass sich alle Räder in einer Ebene befinden müssen, eingeschränkt sei. Somit sei aber eine technisch sinnvolle Interpretation des Paragraphen [0007] zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur dann möglich, wenn als Traktionslänge der fahrmechanisch relevante Teil der Laufkette, nämlich der, der in Bodenkontakt stehe, betrachtet werde.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 erfülle nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ. So stehe die Einfügung "und wobei die Traktionslänge (L) der Achsabstand zwischen vorderster und hinterster Achse ist" im Widerspruch zu der Beschreibung, gemäß der die "Traktionslänge L im Wesentlichen der Laufkettenlänge entspricht, die den Boden kontaktiert", vgl. Paragraph [0007], zweiter Satz. Wie bereits ausgeführt, seien beide Aussagen nur dann zueinander widerspruchsfrei, wenn sich alle Räder in einer Ebene befänden. Da aber das Patent auf diese Ausführungsform nicht eingeschränkt sei, sei somit Anspruch 1 weder klar noch durch die Beschreibung gestützt.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sei ebenfalls unklar. Die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 vorliegende Unklarheit könne nicht dadurch beseitigt werden, dass nunmehr beide sich einander widersprechenden Aussagen des Paragraphen [0007] in den Anspruchswortlaut aufgenommen werden. Selbst wenn man der Auffassung der Patentinhaberin folgen wolle, dass nunmehr klargestellt sei, dass sich alle Räder des Fahrzeugs in einer Ebene befänden, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 durch die Kombination der Dokumente D2 und D3 bzw. des allgemeinen Fachwissens nahegelegt, aus denselben Gründen, wie für den Hauptantrag vorgetragen.

IX. Die Beschwerdegegnerin erwiderte im Wesentlichen:

D2 offenbare alle Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1. Die unterscheidenden Merkmale - nämlich das Steuerverhältnis sei kleiner als 1,4 und die Motorleistung größer als 450 PS - dienten dazu, die Flächenleistung des Fahrzeugs zu erhöhen. Dazu müsse es nicht nur leicht manövrierbar sein, sondern die Motorleistung müsse auch ausreichen, um Zusatzgeräte, wie etwa eine Schneefräse zu betreiben. Diese Merkmale hingen technisch zusammen, denn ein breiteres Fahrzeug habe eine höhere Flächenleistung. Dies komme durch ein besseres Steuerverhältnis und eine breitere Fräse zustande, wobei eine breitere Fräse mehr Leistung benötige. Schon deshalb zöge der Fachmann nicht das Dokument D3 in Betracht. D3 richte sich an den Fachmann der Wehrtechnik, da dort ausschließlich Panzer gezeigt seien. Diese Fahrzeuge seien vom Einsatzzweck und von der Fahrmechanik nicht mit Pistenraupen vergleichbar: Stahlketten anstatt elastischer Bänder und ein viel höheres Flächengewicht machten dies deutlich. Von daher erfahre der Fachmann aus D3 keine Anregung. So sei die Traktionslänge im Patent eindeutig und klar definiert. Wie in den Figuren des Streitpatents gezeigt, lägen alle Räder in einer Ebene. Somit stünden die Aussagen in Paragraph [0007], erster bzw. zweiter Satz nicht im Widerspruch zueinander. Auf jeden Fall müsse die Traktionslänge zwischen vorderster und hinterster Achse gemessen werden, da nur dieser Wert von den Fahrbedingungen unabhängig sei. Würde das Fahrzeug beispielsweise stärker einsinken, wie in Fig. 62 der D3 (siehe Seite 109) gezeigt, veränderte sich dadurch auch die Kettenauflagelänge. Da aber zur Definition der Erfindung eine klare geometrische Größe nötig sei, könne nur der Achsabstand zwischen der vordersten und der hintersten Achse die Traktionslänge definieren, die eben im Ausführungsbeispiel auch der Kettenaufstandslänge entspreche. Jede andere - widersprüchliche - Interpretation schließe der Fachmann daher selbstverständlich aus.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 sei klar definiert. Die Einfügung des ersten Satzes des Paragraphen [0007] behebe die Beanstandungen hinsichtlich des Anspruchs 1 wie erteilt. Dadurch, dass nun eine klare Definition der Traktionslänge vorliege, die sich von der aus dem Stand der Technik, insbesondere D3, unterscheide, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 auch erfinderisch.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 beinhalte nun die ersten beiden Sätze des Paragraphen [0007]. Da nur dann die Aussagen beider Sätze zueinander widerspruchsfrei seien, wenn alle Räder des Fahrzeuges in einer Ebene lägen, sei nun auch der Schutzbereich des Anspruchs 1 auf diese Ausführungsform begrenzt. Durch diese Klarstellung würde auch der Gegenstand des Anspruchs 1 erfinderisch.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch die Kombination des Dokuments D2 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen, belegt durch Dokument D3, nahegelegt. Damit erfüllt der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt nicht die Anforderung des Artikels 56 EPÜ 1973.

2.1 Der Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1 ist unstrittig aus dem Dokument D2 bekannt.

2.2 Damit unterscheidet sich der Gegenstand des strittigen Anspruchs vom Raupenfahrzeug gemäß D2 dadurch, dass das Steuerverhältnis - berechnet als Traktionslänge dividiert durch Spurweite - kleiner gleich 1,4 ist und dass der Antrieb eine Leistung von mindestens 450 PS aufweist.

2.3 Die mit dieser Merkmalskombination zu lösende Aufgabe besteht darin, die Manövrierfähigkeit des Fahrzeugs zu verbessern, vgl. Paragraph [0004].

2.3.1 Die Beschwerdegegnerin gibt an, dass mit den Merkmalen des kennzeichnenden Teils die Aufgabe gelöst werde, die Flächenleistung des Fahrzeugs zu erhöhen. Da die Motorleistung zu einem ganz erheblichen Teil in den Antrieb der Anbauaggregate - zum Beispiel der Schneefräse - fließe, würde die Mehrleistung von 20 PS gegenüber der Pistenraupe gemäß D2 vor allem dem Betrieb einer breiteren Schneefräse zugutekommen. Insgesamt würde damit das Fahrzeug breiter gestaltet, so dass die daraus resultierende größere Spurweite W für ein günstigeres Steuerverhältnis sorge. Damit sei dieses Fahrzeug gut manövrierbar, was sich ebenfalls auf die Effizienz auswirke.

2.3.2 In der Beschreibung ist kein Hinweis zu entnehmen, dass mit den Merkmalen des kennzeichnenden Teils die Aufgabe gelöst werden soll, die Flächenleistung zu erhöhen. Insbesondere steht die Beschreibung im Widerspruch zum Vorbringen der Beschwerde gegnerin bezüglich der technischen Implikationen von Schneefräse, Motorleistung und Fahrzeugbreite. So ist in Paragraph [0002] beschrieben, dass aus Gründen einer optimierten Flächenleistung immer breitere Raupen bei gleichzeitig hoher Antriebsleistung mit entsprechend breiten Anbauaggregaten gebaut würden, dieses Streben aber zu Lasten der Manövrierfähigkeit gehe, da derart breite Raupen unzufriedenstellend drehen. Daraus folgt nach Ansicht der Kammer, dass eine weitere Verbreiterung des Fahrzeug zur Optimierung der Manövrierfähigkeit nicht in Frage kommen soll; ferner sind in der Beschreibung keinerlei Anhaltspunkte vorhanden, die die Argumentation der Beschwerde gegnerin stützen könnten.

2.4 Dem Fachmann für Kettenfahrzeuge ist bekannt, dass ein kleines Steuerverhältnis und eine hohe Motorleistung die Lenkwilligkeit verbessern. Das Dokument D3, welches die Kammer als ein allgemeines Lehrbuch zur Fahrdynamik von Ketten fahrzeug technik ansieht, offenbart diese Merkmale auf den Seiten 103 ff. So offenbart Tabelle 6 ein Steuerverhältnis von kleiner als 1,4 als gut, siehe zweite Reihe. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass eine hohe Motorleistung die Manövrierfähigkeit verbessert, vgl. Seite 104, letzter Absatz. Die Anwendung beider Kriterien auf eine Pistenraupe gemäß D2 kann damit nicht eine erfinderische Tätigkeit begründen.

2.4.1 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass das Dokument D3 nicht einschlägig sei, da es sich ausschließlich mit Panzern beschäftige. Die Fahrmechanik von Schneeraupen sei aber eine andere, da diese keine Stahlketten sondern elastische Bänder und ein geringeres Flächengewicht aufwiesen.

2.4.2 Die Kammer folgt hier der Auffassung der Einspruchs abteilung (vgl. Entscheidung, Punkt 2.4), dass es sich bei D3 um eine Erläuterung des technischen Fachwissens eines Fachmanns zur Fahrdynamik von Kettenfahrzeugen handelt. Gemäß dem Vorwort ist das in D3 nieder gelegte Fachwissen für alle Arten von Raupenfahrzeugen anwendbar. So ist beispielsweise in Abb. 63 (Seite 110) dargestellt, dass der Einfluss der Kettenbreite - die bei einer Pistenraupe zur Verteilung der Flächenlast größer ist als bei einem Panzer - auf die Fahrdynamik vernachlässigbar ist.

2.4.3 Die Beschwerde gegnerin führt weiter aus, dass dem Lenkverhältnis gemäß D3 (vgl. Gleichung 60, Seite 84) eine andere Definition der Traktionslänge zugrunde liege. Diese bemesse sich beim Erfindungsgegenstand aus dem Abstand zwischen vorderster und hinterster Achse, während in die Gleichung 60 der D3 die Kettenaufstands länge einginge. Dies sei bei den dort gezeigten Panzerfahrzeugen ein Unterschied, da dort die vorderste und hinterste Achse jeweils angehoben seien.

Die Beschwerde gegnerin argumentiert weiter, die Traktionslänge entspreche auch bei den Fahrzeugen, deren Räder auf der vordersten und/oder hintersten Achse hochgesetzt sind, dem Abstand zwischen der vordersten und der hintersten Achse, da nur diese Größe vom jeweiligen Fahrzustand unabhängig sei. In diesem Fall sei die Traktionslänge nicht mit der Kettenauflagelänge identisch. Diesen Standpunkt hat auch die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung vertreten.

2.4.4 Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Traktionslänge gemäß der Definition der Patentschrift und die Ketten auflage länge gemäß D3 dieselbe fahrmechanische Größe darstellen, nämlich die Laufkettenlänge, die den Boden kontaktiert. Die Manövrierfähigkeit des Kettenfahrzeugs hängt aber fraglos von der Laufkettenlänge, die den Boden kontaktiert (bzw. der Kettenauflagelänge), ab. Insofern ist es aus Sicht der Kammer nur schlüssig, dass zur Beschreibung des Steuerverhältnisses (bzw. der Lenkwilligkeit) - als eine die Manövrierfähigkeit bestimmende Größe - die Laufkettenlänge, die den Boden kontaktiert, verwendet wird (bzw. die Kettenauflagelänge), zumal diese gemäß der Beschreibung des Streitpatents, Paragraph [0007], vom Begriff der Traktionslänge explizit mitumfasst ist.

3. Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 (eingereicht als Hilfsantrag 3 mit Schreiben vom 19. Februar 2013) ist nicht durch die Beschreibung gestützt und verstößt somit gegen Artikel 84 EPÜ 1973.

3.1 Gemäß Artikel 84 EPÜ 1973 müssen Patentansprüche den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird; sie müssen deutlich und knapp gefasst sein und von der Beschreibung gestützt werden.

3.2 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 wie erteilt dadurch, dass im Oberbegriff das Merkmal "und wobei die Traktionslänge (L) der Achsabstand zwischen vorderster Achse und hinterster Achse ist" hinzugefügt wurde.

3.3 Die Kammer folgt nicht dem Vorbringen der Beschwerde gegnerin, dass durch die Aufnahme einer Definition aus der Beschreibung in den Anspruch nunmehr klar definiert sei, was unter der Traktionslänge zu verstehen sei. Wie bereits zum Hauptantrag ausgeführt (siehe oben, Punkte 2.4.3 und 2.4.4), ist durch die Formulierung des erteilten Anspruchs 1 nicht ausgeschlossen, dass auch Fahrzeuge unter den Schutzbereich fallen, deren Räder auf der vordersten und hintersten Achse höher liegen als die verbleibenden. Bei diesen Fahrzeugen steht aber das in den Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 neu aufgenommene Merkmal im Widerspruch zu der Beschreibung, gemäß der die Traktionslänge im Wesentlichen der Laufkettenlänge entspricht, die den Boden kontaktiert.

4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 ist nicht erfinderisch, da sein Gegenstand durch den Stand der Technik nahegelegt ist.

4.1 Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass in den Oberbegriff des Anspruchs das folgende Merkmal aufgenommen wurde: "wobei die Traktionslänge L der Achsabstand zwischen vorderster Achse und hinterster Achse des Fahrzeugs ist, an der die Antriebsräder und/oder Tragräder für die Laufkette gelagert sind, und somit die Traktionslänge L im Wesentlichen der Laufkettenlänge entspricht, die den Boden kontaktiert".

Die Merkmale entstammen dem ersten und zweiten Satz des Paragraphen [0007] der Beschreibung des Streitpatents.

4.2 Die Kammer folgt dabei nicht der Auffassung der Beschwerde gegnerin, wonach nun durch die Aufnahme des ersten und des zweiten Satzes des Paragraphen [0007] in den Anspruch 1 Fahrzeuge vom Schutzbereich ausgeschlossen seien, deren vorderste und hinterste Achse gegenüber den mittleren Achsen angehoben sind. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, das eingefügte Merkmal lasse sich nur widerspruchsfrei auf Fahrzeuge lesen, deren Räder alle in einer Ebene lägen, wie es eben auch das Streitpatent im Ausführungs beispiel offenbare. Somit seien alle anderen Fahrzeugtypen, insbesondere Fahrzeuge, wie sie D3 offenbare, ausgeschlossen. Damit könne D3 nicht mehr als einschlägiges Fachwissen zur Ergänzung der Offenbarung von D2 herangezogen werden.

4.3 Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Formulierung des Anspruchs 1 klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ 1973 ist, wie es die Beschwerde führerin bestreitet, da sich die Teilmerkmale des eingefügten Merkmals widersprechen.

Nach Ansicht der Kammer macht es für die Interpretation des Anspruchs 1 keinen Unterschied, ob der Begriff "Traktionslänge" in der Beschreibung (wie beim Hauptantrag) oder durch die Aufnahme der betreffenden Passage in den Anspruch 1 mit denselben Worten nun im Anspruchswortlaut definiert ist. Somit verändert das in den Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 eingefügte Merkmal seinen Gegenstand im Vergleich zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht inhaltlich. Daher ist aus den bereits für den Hauptantrag ausgeführten Gründen der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht erfinderisch.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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