T 1070/12 () of 15.11.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T107012.20131115
Datum der Entscheidung: 15 November 2013
Aktenzeichen: T 1070/12
Anmeldenummer: 98954184.2
IPC-Klasse: A61B 10/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zur Entnahme von biologischen Proben
Name des Anmelders: Caisley International GmbH
Name des Einsprechenden: IDnostics AG
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 114(1)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 43(1)(b)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung (nein)
Dokument zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Zweiteilige Anspruchsform (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 12. März 2012 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung wurde über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1 014 861 entschieden.

II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte hiergegen am 9. Mai 2012 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 12. Juli 2012 eingereicht.

III. Mit Bescheid vom 31. Juli 2013 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit.

IV. Am 15. November 2013 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Parteien die folgenden abschliessenden Anträge stellten:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents mit dem Anspruchsatz gemäss dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag.

V. Die unabhängigen Ansprüche gemäss Hauptantrag lauten wie folgt:

"1. Vorrichtung mit mindestens einem Proben Kapseldeckel (64,90) und mindesten einem Probenbehälter (60,86) zur Entnahme von biologischen Proben, wobei

- die Vorrichtung über eine Aufnahme (10,14) verfügt, welche in der Lage ist einen oder mehrere Probenkapseldeckel aufzunehmen,

- die Vorrichtung über eine weitere Aufnahme (3,16) verfügt, welche in der Lage ist einen oder mehrere Probenbehälter aufzunehmen,

- die Vorrichtung über eine Mechanik (7,9,12,18-21) verfügt, welche den Probenkapseldeckel und den Probenbehälter in einem Arbeitsgang mit der Entnahme einer biologischen Probe entweder durch den Probenkapseldeckel oder den Probenbehälter zur Probenkapsel zusammenfügt, wobei entweder die Probenkapsel ein oder mehrere Teile (59,53) umfaßt, die beim Entnehmen der Probe abgetrennt werden können im als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben, oder ein oder mehrere Bestandteile (85,89) der Probenkapsel nach dem Zusammenfügen der Probenkapsel eine Ohrmarke ergeben, die von der Probenkapsel abgetrennt werden kann um als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben."

"18. Probenkapsel mit einem Probenbehälter (60) und einem Probenkapseldeckel (64), wobei der Probenbehälter und der Probenkapseldeckel in einem Arbeitsgang mit der Entnahme der Probe entweder durch den Probenkapseldeckel oder den Probenbehälter zur Probenkapsel zusammenfügbar sind, und wobei sie einen oder mehrere Teile (59,53) umfaßt, die beim Entnehmen der Probe abgetrennt werden können um als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben."

"19. Probenkapsel mit einem Probenbehälter (86) und einem Probenkapseldeckel (90), wobei der Probenbehälter und der Probenkapseldeckel in einem Arbeitsgang mit der Entnahme der Probe entweder durch den Probenkapseldeckel oder den Probenbehälter zur Probenkapsel zusammenfügbar sind, und wobei ein oder mehrere Bestandteile (85,89) der Probenkapsel nach dem Zusammenfügen der Probenkapsel eine Ohrmarke ergeben, die von der Probenkapsel abgetrennt werden kann um als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben."

Die Ansprüche 2 bis 17 und 20 bis 33 sind abhängige Ansprüche, wobei Anspruch 12 folgendermassen lautet:

"12. Vorrichtung nach Anspruch 1) dadurch gekennzeichnet, daß

- diese über eine Elektronik verfügt, die eingegebene oder automatisch eingelesene Seriennummern der Probenkapseln und eingegebene oder automatisch eingelesene Informationen über das Lebewesen, dessen Probe entnommen wurde und andere, die jeweilige Probenentnahme betreffende Informationen assoziiert und

- diese Daten samt der Information über die Assoziation dieser Daten auf einem Speichermedium ablegt."

VI. Von den zitierten Dokumenten sind die folgenden für diese Entscheidung von Bedeutung:

D2: US-A-3 731 414;

D3: US-A-5 461 805;

D11: EP-A-0 012 597;

D14: A. Gaw et al. "Rapid genotyping of low density lipoprotein receptor knockout mice using a polymerase chain reaction technique", Laboratory Animals 29 (1995), 447-449.

VII. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Mit der Einfügung der Angabe "beim Entnehmen der Probe" gehe Anspruch 1 über den Inhalt der ursprünglichen Offenbarung hinaus, da in der zur Stützung herangezogenen Passage auf Seite 12, erster Absatz erwähnt sei, dass es notwendig sein könne, bei der Entnahme der Probe eine Markierung am Lebewesen anzubringen. In diesem Zusammenhang könne die Probenkapsel einen oder mehrere Teile umfassen, die abgetrennt werden könnten, um als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben, oder diese Bestandteile der Probenkapsel könnten nach dem Zusammenfügen der Probenkapsel eine Ohrmarke ergeben, welche nur unter Hinterlassung von sichtbaren Beschädigungen an entweder Ohrmarke oder Lebewesen entfernt werden könne. Die Passage auf Seite 12, aus der sich die Einfügung der Angabe "beim Entnehmen der Probe" ableiten lasse, verknüpfe diese Angabe nicht grundsätzlich mit einer Ohrmarke, sondern nur mit einer fälschungssicheren Ohrmarke.

Der Austausch des Begriffes "Möglichkeit" gegen "Elektronik" in Anspruch 12 verstosse gegen Artikel 123(2) EPÜ. Zwar werde auf Seite 12 der ursprünglichen Beschreibung in Zeile 32 auf die Elektronik der Vorrichtung eingegangen. Diese führe aber dort eine ganze Reihe von speziellen Schritten aus, die sich nicht in Anspruch 12 wiederfänden, der sehr viel allgemeiner gefasst sei. Dies gelte auch in Bezug auf die Verwendung des Begriffs "Elektronik" auf Seite 14, Zeile 31 und Seite 15, ab Zeile 24.

Der in der Beschwerdebegründung erhobene Einwand unter Artikel 100(b) EPÜ werde zurückgenommen.

Dokument D11 sei prima facie relevant, da ein Patent-Familienmitglied von D11 das einzige vorveröffentlichte Dokument in der IPC-Klasse A01K11/00 sei, der auch das Streitpatent zugeordnet worden sei, und sei deshalb im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

Der Gegenstand der Ansprüche 18 und 19 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. D3 zeige eine Probenkapsel gemäss Anspruch 19 in der erteilten Fassung. Das als erfinderisch gegenüber D3 betrachtete Merkmal bestehe darin, dass Ohrmarke und Probenbehälter trennbar ausgebildet seien (und die Ohrmarke als Markierung im Gewebe des Lebewesens verbleibe). In der Beschreibung werde ausgeführt, dass (bislang) eine gleichzeitige (mit der Markierung) Entnahme einer Gewebeprobe nicht stattfinde. In diesem Zusammenhang werde auf D14 verwiesen, wo auf Seite 448 beschieben werde, dass zur Durchführung einer DNA-Analyse kleine Gewebescheiben verwendet werden können, die man erhält, wenn Mäuse mittels Durchstechen des Ohres identifiziert (also markiert) werden. Aus D14 sei damit bei Mäusen bekannt, dass beim Setzen einer Identifikation gleichzeitig eine Gewebeprobe für DNA-Untersuchungen gewonnen werden könne. Dass eine solche Probe in einem Probenbehälter aufgefangen werden müsse, um einer späteren Aufarbeitung zugeführt werden zu können, sei für den Fachmann selbstverständlich. In Kenntnis von D14 würde der Fachmann ohne Weiteres auf die Idee kommen, die z.B. in D3, D2 oder D11 beschriebenen Ohrmarken so abzuändern, dass ein abnehmbarer Probebehälter enthalten sei. Im Falle von D2 würde es ausreichen, über das offene Ende der an der weiblichen Marke angesetzten Kavität 20 ein Röhrchen mit geeignetem Durchmesser zu stülpen, in das bei der Markierung des Lebewesens die ausgestanzte Gewebescheibe hineinfiele und das nach Markierung abgezogen werden könne. Eine ähnliche Fortbildung der in D11 gezeigten Ohrmarke würde ebenfalls zu einer Ohrmarke gemäss Anspruch 19 führen.

Aus den gleichen Gründen sei auch der Gegenstand des noch allgemeineren Anspruchs 18 nahegelegt. Der Gedanke, im Rahmen der Markierung im Ohrbereich von Tieren gleichzeitig eine Probe zu gewinnen, sei bereits aus D14 bekannt gewesen. Demgegenüber könne die Aufgabe des Patents im wesentlichen nur darin bestehen, ein System bereitzustellen, mit dem sich die gleichzeitige Markierung und Probenentnahme durchführen liesse, und hierbei Verfälschungen auszuschliessen. Ein Fachmann wäre wie erwähnt ohne weiteres in der Lage, eine bekannte Ohrmarke so weiterzubilden, dass die von ihr ausgestanzte Probe in einem Probenbehälter aufgefangen und weiterverarbeitet werden kann. Im Übrigen seien dem Fachmann Biopsieeinrichtungen (Standardbiopsien, Schussbiopsien) bekannt, bei denen eine Probe unmittelbar nach der Entnahme verkapselt wird. Es läge also nahe, eine grundsätzlich zur Gewinnung einer Probe geeignete Einrichtung gemäss D2 oder Dl1 so fortzubilden, dass in einem Arbeitsgang ein Aufnehmen der gewonnenen Probe in einem Probebehälter erfolgen könne.

Zum Anmeldezeitpunkt sei es weiterhin bekannt gewesen, Rinder zur Identifizierung mit Ohrmarken zu versehen, ausserdem sei die Rinderseuche BSE ein vorherrschendes Thema gewesen. Es sei deshalb eine sichere Zertifizierung (z.B. mittels DNA-Mapping) von Schlachttieren gefordert worden. Es sei also klar gewesen, dass neben der Identifizierung auf jeden Fall auch eine Zertifizierung von Schlachttieren erfolgen müsse, womit sich die Frage stellte, wann eine für ein DNA-Mapping erforderliche Probe sinnvollerweise gewonnen werden sollte. Da aus D11 bekannt gewesen sei, dass beim Setzen einer Ohrmarke ein Stück Ohr ausgestanzt werde, wäre der Fachmann auf die Idee gekommen, dass man mit dem Setzen einer Ohrmarke ohne Weiteres eine für einen DNA-Mapping geeignete Probe gewinnen könne. Hiervon ausgehend sei es bis zu der beanspruchten Probenkapsel kein weiter Weg mehr, da nur eine von der Ohrmarke abtrennbare Einrichtung zum Auffangen der ausgestanzten Probe fehle, zu deren Realisierung der Fachmann wie erwähnt ohne Aufwand in der Lage wäre. In D3 werde in Figur 8 ein solcher Behälter zur Probenentnahme beschrieben und auch die Problematik der Abtrennbarkeit der Ohrmarke diskutiert. Ausgehend von D14, wo die grundsätzliche Idee der gleichzeitigen Probengewinnung und Markierung bereits beschrieben sei, wäre der Anspruchsgegenstand also durch D3 nahegelegt.

Aus der Würdigung von D3 in der angepassten Beschreibung sei nicht zu ersehen, worin die Erfindung bestehe. Dies hätte vermieden werden können, indem die Ansprüche 18 und 19 in der zweiteiligen Form abgefasst worden wären.

VIII. Die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten entscheidungsrelevanten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Aus der Beschreibung und der Abhängigkeit des ursprünglichen Anspruchs 27 gehe hervor, dass die Eigenschaft der Ohrmarke, nur unter Hinterlassung von sichtbaren Beschädigungen an entweder Ohrmarke oder Lebewesen entfernt werden zu können, ein fakultatives Merkmal sei und daher nicht in die Ansprüche 1 und 19 aufgenommen werden müsse, um das Erfordernis von Artikel 123(2) EPÜ zu erfüllen.

Die Verwendung des Begriffes "Elektronik" in Anspruch 12 stelle keine unzulässige Erweiterung dar, da die in diesem Anspruch definierte Funktion generell nur mit Hilfe einer Elektronik durchgeführt werden könne und dieser Terminus auch an den entsprechenden Stellen der Beschreibung (Seite 10, Zeilen 2 bis 6; Seite 14, Zeile 31 und Seite 15, Zeilen 23 und 32) verwendet werde.

Das Dokument D11 sei nicht prima facie relevant und daher nicht in das Verfahren einzuführen.

Es gebe für den Fachmann keinerlei Anlass, die Lehren von D3 und D14 zu verknüpfen. Selbst wenn er dies täte, würde er nicht zu einem Gegenstand gelangen, der alle Merkmale der Ansprüche 18 und 19 aufwiese, da das Merkmal der Abtrennbarkeit in keinem der beiden Dokumente offenbart oder nahegelegt sei. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann dieses Merkmal leicht realisieren könnte, bedeute nicht, dass er dies auch tatsächlich tun würde, da hierzu keinerlei Veranlassung bestehe.

D2 sei vom Erfindungsgegenstand weiter entfernt. Es werde dort überhaupt keine Gewebescheibe ausgestanzt, wie von der Beschwerdeführerin behauptet. Auch veranlasse nichts in D14 den Fachmann dazu, ein Röhrchen über das offene Ende der an der weiblichen Marke angesetzten Kavität in D2 zu stülpen. Die Ansprüche 18 und 19 seien daher auch nicht durch eine Kombination der Dokumente D2 und D14 nahegelegt.

Die zweiteilige Anspruchsform sei in der vorliegenden Situation nicht zweckdienlich. Aus der Würdigung von D3 in der angepassten Beschreibung sei klar ersichtlich, worin die Erfindung liege.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

Anspruch 1 basiert auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 23 und 26 in Verbindung mit Figur 16 (woraus insbesondere hervorgeht, dass die Abtrennung der als Markierung im Gewebe verbleibenden Probenkapselteile beim Entnehmen der Probe erfolgt) sowie Seite 12, Zeilen 3 bis 4 der ursprünglichen Beschreibung wie veröffentlicht (WO-A-99/12475). In dem nachfolgenden Satz der Beschreibung (Zeilen 5 bis 7) ist erwähnt, dass die Bestandteile der Probenkapsel nach dem Zusammenfügen der Probenkapsel eine Ohrmarke ergeben können, die nur unter Hinterlassung von sichtbaren Beschädigungen an entweder Ohrmarke oder Lebewesen entfernt werden kann. Das letztgenannte Merkmal ist auch Gegenstand des ursprünglichen Anspruchs 27. Da dieser von Anspruch 26 abhängig ist und aufgrund der Verwendung des Wortes "können" im entsprechenden Beschreibungstext ist klar, dass es sich hierbei um ein fakultatives Merkmal handelt. Die Tatsache, dass dieses Merkmal nicht mit in den Anspruch aufgenommen wurde, stellt also keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

Anspruch 19 basiert auf dem ursprünglichen Anspruch 26. Auch hier stellt die Weglassung des erwähnten fakultativen Merkmals keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

Anspruch 18 basiert auf dem ursprünglichen Anspruch 23 in Verbindung mit Figur 16.

Anspruch 12 basiert auf dem ursprünglichen Anspruch 12, wobei das Wort "Möglichkeit" durch "Elektronik" ersetzt wurde. Der spezifischere Terminus "Elektronik" ist schon deshalb gerechtfertigt, weil die in diesem Anspruch definierte Funktion generell nur mit Hilfe einer Elektronik durchgeführt werden kann. Überdies wird dieser Terminus auch an den entsprechenden Stellen der Beschreibung (Seite 10, Zeilen 2 bis 6; Seite 14, Zeile 31 und Seite 15, Zeilen 23 und 32) verwendet.

Nach Auffassung der Kammer sind folglich die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfüllt.

3. Dokument D11

Die Dokumente D10 bis D13 wurden von der Einspruchsabteilung nicht zugelassen (siehe Punkt 12.3 der Entscheidungsgründe). Dieser Teil der Entscheidung wurde in der Beschwerdebegründung nicht angegriffen. Diese Dokumente, und damit auch D11 (worauf sich die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung bei ihrer Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit teilweise stützte), sind daher nicht Bestandteil des faktischen Rahmens des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.

Das Dokument D11 wird von der Kammer auch nicht als prima facie relevant angesehen, da es lediglich ein Gerät zur Anbringung einer Ohrmarke offenbart. Hierbei wird zwar biologisches Gewebe ausgestanzt, das dann in einen Hohlraum 16' des Stanzinstruments fällt (1. Absatz von Seite 6). Dieser nach aussen und innen offene Hohlraum 16' kann aber nicht als "Probenbehälter" angesehen werden. Eine "Probenkapsel", worauf die unabhängigen Ansprüche 18 und 19 gerichtet sind, ist in D11 gar nicht offenbart. Das von der Beschwerdegegnerin angeführte Argument, dass ein Patent-Familienmitglied von D11 das einzige vorveröffentlichte Dokument in der IPC-Klasse A01K11/00 sei, der auch das Streitpatent zugeordnet worden sei, impliziert nach Auffassung der Kammer nicht, dass dieses Dokument prima facie relevant ist. Die Kammer sieht sich daher nicht veranlasst, D11 in Ausübung ihres Ermessens unter Artikel 114(1) EPÜ zu berücksichtigen.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 D3 als Ausgangspunkt

Der nächstliegende Stand der Technik für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 19 wird durch Dokument D3 gebildet. D3 offenbart (mit den Worten von Anspruch 19) eine Probenkapsel mit einem Probenbehälter (60) und einem Probenkapseldeckel (40; obwohl dies nicht explizit offenbart ist, werden beim Durchstossen des Ohrs 9 mit dem am Ansatz 40 befindlichen Dorn 41 - wie in Figur 7 gezeigt - notwendigerweise am Dorn haftende Blut- und Gewebebestandteile und damit eine "Probe" in den - im Ausführungsbeispiel von Figur 8 - Hohlraum des Behälters 60 überführt, der damit einen "Probenbehälter" bildet), wobei der Probenbehälter und der Probenkapseldeckel in einem Arbeitsgang mit der Entnahme der Probe entweder durch den Probenkapseldeckel oder den Probenbehälter zur Probenkapsel zusammenfügbar sind (Spalte 3, Zeile 53 bis 62), und wobei ein oder mehrere Bestandteile der Probenkapsel nach dem Zusammenfügen der Probenkapsel eine Ohrmarke ergeben (Spalte 4, Zeile 33 bis 37).

Der Gegenstand von Anspruch 19 unterscheidet sich somit von D3 dadurch, dass die Ohrmarke von der Probenkapsel abgetrennt werden kann, um als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben.

Der durch dieses Unterscheidungsmerkmal bewirkte technische Effekt liegt darin, dass nach der Probenentnahme mit der von der Probenkapsel getrennten Ohrmarke eine Markierung des Gewebes erfolgt.

Die dem Unterscheidungsmerkmal zugrundeliegende objektive technische Aufgabenstellung besteht darin, bei der Kennzeichnung von Lebewesen mit gleichzeitiger Probengewinnung eine Verfälschung durch vorsätzlichen Missbrauch oder Probenverwechslungen weitgehend auszuschliessen (s. Absätze [0020] und [0022] der Patentschrift).

Dem Dokument D3 selbst ist kein Hinweis auf die erfindungsgemässe Lösung zu entnehmen. Die Problematik eines Missbrauchs ist dort zwar in Spalte 4, Zeile 35 bis 41 im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel von Figur 8 angesprochen, jedoch soll durch die Kappe (65) das Abtrennen der Ohrmarke (30) vom Gewebe und dem Behälter (60) gerade verhindert werden. Die Lehre von D3 führt somit vom Erfindungsgegenstand weg.

Das von der Beschwerdeführerin entgegengehaltene Dokument D14 gibt in dem die Seiten 447 und 448 überbrückenden Satz einen Hinweis darauf, dass zur Durchführung einer Probenanalyse kleine Gewebescheiben verwendet werden können, die bei der Identifizierung, also Markierung von Mäusen mittels Durchstechen des Ohres erhalten werden. Dies ist jedoch kein Hinweis auf die oben erwähnte erfindungsgemässe Lösung und die zugrundeliegende Aufgabe. Auch an anderer Stelle von D14 befindet sich kein solcher Hinweis. Dies gilt auch für das von der Beschwerdeführerin ebenfalls zitierte Dokument D2, das lediglich die Anbringung einer Ohrmarke beschreibt. Die Entnahme einer Probe mit einer Probenkapsel ist in D2 nicht offenbart und damit auch keine Trennbarkeit derselben von der Ohrmarke. Selbst wenn man annähme, dass dem auf dem Gebiet der Tiermarkierung tätigen Fachmann Biopsieeinrichtungen bekannt gewesen sein könnten, bei denen Proben unmittelbar nach der Entnahme verkapselt werden (wofür keine Beweismittel vorliegen), ergäbe sich noch immer kein Hinweis auf das Merkmal der Trennbarkeit der Probenkapsel von der Ohrmarke. Ausgehend von D3 wird der Anspruchsgegenstand für den Fachmann also weder unter Heranziehung von D14 noch von D2 nahegelegt.

4.2 D2 als Ausgangspunkt

Dokument D2 ist vom Erfindungsgegenstand weiter entfernt als D3, da in D2 wie erwähnt gar keine Probenkapsel offenbart ist. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass es ausreichen würde, über das offene Ende der an der weiblichen Marke angesetzten Kavität ein Röhrchen mit geeignetem Durchmesser zu stülpen, in das bei der Markierung des Lebewesens die ausgestanzte Gewebescheibe hineinfalle und das nach Markierung abgezogen werden könne, ist rein spekulativ. Es gibt keinerlei Hinweis, der den Fachmann hierzu veranlassen würde. Ausserdem wird keine Gewebescheibe ausgestanzt. Dies wird vielmehr durch den zur Stabilisierung beim Durchstechen des Gewebes eingesetzten Führungsstab (26) verhindert.

4.3 D14 als Ausgangspunkt

Dokument D14 vermittelt, wie erwähnt, lediglich die allgemeine Lehre, kleine Gewebescheiben, die bei der Markierung von Mäusen erhalten werden, zur Probenanalyse zu verwenden. Von den Anspruchsmerkmalen ist in D14 weder eine Probenkapsel mit einem Probenbehälter und einem Probenkapseldeckel offenbart, wobei der Probenkapseldeckel und der Probenbehälter in einem Arbeitsgang mit der Entnahme der Probe entweder durch den Probenkapseldeckel oder den Probenbehälter zur Probenkapsel zusammenfügbar sind, noch dass ein oder mehrere Bestandteile [der Probenkapsel nach dem Zusammenfügen der Probenkapsel] eine Ohrmarke ergeben, die beim Entnehmen der Probe abgetrennt werden kann um als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben. Es gibt keinen Hinweis in D14, dass die gewonnene Gewebeprobe in einem Probenbehälter aufgefangen werden muss, um einer späteren Aufarbeitung zugeführt werden zu können. Dies ist weder zwingend noch für den Fachmann unbedingt selbstverständlich. Auch die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Behauptung, dass aufgrund der BSE-Problematik klar gewesen sei, dass neben der Identifizierung auch eine Zertifizierung von Schlachttieren erfolgen müsse, legt dies nicht nahe. Ausserdem erfordert der Anspruchswortlaut nicht nur einen Probenbehälter, sondern eine Probenkapsel mit einem Probenbehälter und einem Probenkapseldeckel, die zur Probenkapsel zusammenfügbar sind. Auch sind die nach der Markierung im Gewebe verleibenden Stanz-Löcher keine Bestandteile einer Probenkapsel, die nach dem Zusammenfügen der Probenkapsel eine Ohrmarke ergeben, die beim Entnehmen der Probe abgetrennt werden kann. D14 ist somit vom Erfindungsgegenstand weiter entfernt als D3. Da D3, wie oben erwähnt, das Unterscheidungsmerkmal, dass die Ohrmarke von der Probenkapsel abgetrennt werden kann, um als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben, nicht offenbart, führt auch eine Kombination mit D3 ausgehend von D14 nicht zum Erfindungsgegenstand. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Fachmann ausgehend D14 Veranlassung gehabt hätte, die Lehre von D3 heranzuziehen.

4.4 Somit führt keine der von der Beschwerdeführerin zitierten Kombinationen der Dokumente D2, D3 und D14 in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 19. Dies gilt analog auch für den unabhängigen Anspruch 18, der sich von D3 ebenfalls durch das oben diskutierte Merkmal unterscheidet, dass die Probenkapsel einen oder mehrere Teile umfasst, die beim Entnehmen der Probe abgetrennt werden können, um als Markierung im Gewebe des Lebewesens zu verbleiben. Anspruch 1, der - als Alternativen - die Merkmale der unabhängigen Ansprüche 18 oder 19 umfasst, wurde in der Beschwerdebegründung nicht als naheliegend angegriffen.

Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 18 und 19 beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

5. Anspruchsform

Die zweiteilige Anspruchsform gemäss Regel 43(1)(b) EPÜ sollte nach dieser Vorschrift dann gewählt werden, wenn sie zweckdienlich ist. Letzteres ist in der vorliegenden Situation nicht der Fall, insbesondere da in D3 von einer "Probenkapsel" und einer "Probenentnahme" entsprechend dem Wortlaut von Anspruch 18 und 19 gar nicht die Rede ist, so dass die zweiteilige Form ein falsches Bild vom Stand der Technik vermitteln würde oder eine komplexe Formulierung erfordern würde. Nach gefestigter Rechtsprechung ("Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 7. Auflage 2013, Abschnitt II.A.2.1.1) ist in solchen Fällen die einteilige Anspruchsform vorzuziehen, wenn aus der Beschreibung klar hervorgeht, welche Merkmale aus dem Stand der Technik bekannt sind. Dies ist aufgrund der Würdigung von D3 auf Seite 1A der angepassten Beschreibung der Fall, insbesondere auch im Hinblick auf die erwähnten probenbezogenen Merkmale. Im Gegensatz zu der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Meinung ist es somit für den Leser der Patenschrift klar, worin die Erfindung liegt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 33 gemäß Hauptantrag eingereicht in der mündlichen Verhandlung;

- Beschreibung: Seiten 1A, 2 und 18, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, und Seiten 3 bis 17 der Patentschrift;

- Zeichnungen 1 bis 26 der Patentschrift.

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