T 1027/12 (Verfahren zur Datenkommunikation von Busteilnehmern/HILSCHER) of 22.5.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T102712.20190522
Datum der Entscheidung: 22 Mai 2019
Aktenzeichen: T 1027/12
Anmeldenummer: 05798012.0
IPC-Klasse: G06F 13/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR DATENKOMMUNIKATION VON BUSTEILNEHMERN EINES OFFENEN AUTOMATISIERUNGSSYSTEMS
Name des Anmelders: Hilscher Gesellschaft für Systemautomation mbH
Hilscher, Hans Jürgen
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Anmeldung Nr. 05798012.0 aufgrund des Artikels 97(2) EPÜ mangels Klarheit (Artikel 84 EPÜ) zurückgewiesen wurde. In einem Obiter Dictum führte die Prüfungsabteilung weitere Klarheitsmängel an und nahm kurz zur erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) der Ansprüche 1 und 11 des Hauptantrages Stellung, wobei sie unklare technische Merkmale der Ansprüche 1 und 11 unberücksichtigt ließ.

II. Mit Schreiben vom 29. Januar 2012 beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des Hauptantrages vom 21. Juli 2011, oder gemäß eines der Hilfsanträge 1-3 vom 21. August 2011. Die Beschwerdeführerin beantragte ferner die Rückzahlung der Beschwerdegebührwegen wegen Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 EPÜ und wegen Verstoßes gegen die Prozessökonomie.

III. Mit Schreiben vom 8. Februar 2012 reichte die Beschwerdeführerin einen Hilfsantrag 4 und mit Schreiben vom 12. Mai 2019 einen Hilfsantrag 5 ein.

IV. Die Kammer lud entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin zur mündlichen Verhandlung und legte in einem Bescheid ihre vorläufige Meinung zu der Beschwerde dar. Die Kammer teilte im Grundsatz die Meinung der Prüfungsabteilung hinsichtlich der mangelnden Klarheit der Ansprüche 1 und 11 des Hauptantrages.

V. Die Kammer legte außerdem dar, dass ihr keine abschließende Meinung der Vorinstanz über Neuheit und erfinderische Tätigkeit vorliege, insbesondere keine Beurteilung, welche alle Merkmale des Anspruchs einbezieht. Eine Zurückverweisung an die erste Instanz erschien der Kammer damit wahrscheinlich (Artikel 111(1) EPÜ), sollte der Zurückweisungsgrund der mangelnden Klarheit (Artikel 84 EPÜ) behoben werden. Die Kammer war auch der vorläufigen Meinung, dass die Zurückweisung des Hauptantrages unter Artikel 84 EPÜ nicht als überraschend für die Beschwerdeführerin gewertet werden konnte und damit kein Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ vorlag.

VI. Am 22. Mai 2019 fand die mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf ein neuer Hauptantrag eingereicht wurde. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde zurückgenommen.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des Hauptantrages vom 22. Mai 2019 zu erteilen. Sie stimmte einer Zurückverweisung an die erste Instanz zu, sollten die Ansprüche des Hauptantrags den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ genügen.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet :

"Verfahren zur Datenkommunikation, zur Kopplung von untereinander über einen seriellen Datenbus kommunizierenden Busteilnehmern eines offenen Automatisierungssystems mit verteilter Steuerung, welche über mindestens zwei Kommunikations-Controller (KC) mit einer übergeordneten Steuereinrichtung (CPU) zusammenarbeiten, bei dem:

jeder Kommunikations-Controller (KC) aus mindestens drei frei programmierbaren Kommunikations-ALU (RPA, TPA, PEA) aufgebaut ist, die nämlich die erste Kommunikations-ALU (RPA), die zweite Kommunikations-ALU

(TPA) und die dritte Kommunikations-ALU (PEA) genannt werden,

in einem Befehlscode der ersten und zweiten Kommunikations-ALU (RPA, TPA) der Kommunikations-ALUs mehrere Befehle kodiert sind,

in der ersten und zweiten Kommunikations-ALU (RPA, TPA) Logikfunktionsblöcke (FI, Z, V, CRC) parallel zueinander angeordnet sind und gleichzeitig den Befehlscode verarbeiten, welche die Kommunikationsfunktionen ausführen,

die erste Kommunikations-ALU (RPA) den Empfang und die Dekodierung eines Bit oder Nibble-orientierten, seriellen Datenstroms und dessen Seriell/Parallelwandlung in Byte, Wort oder Doppelwort Darstellung durchführt,

die zweite Kommunikations-ALU (TPA) die Wandlung von Byte, Wort oder Doppelwort-Darstellung in Bit oder Nibble-orientierten serielle Daten und das Kodieren und Senden diese seriellen Datenstroms durchführt und

die dritte Kommunikations-ALU (PEA) über eine Überwachungslogik verfügt, welche eine Vielzahl von Ereignissen gleichzeitig überwacht und welche im Ereignisfall innerhalb eines Systemtaktes mit dem zugehörigen Programmcode startet, wobei in einem Systemtakt mehrere Befehle ausgeführt werden, und die dritte Kommunikations-ALU (PEA) den Sende- und Empfangsverlauf eines zugehörigen Datenpakets steuert,

wodurch die Kommunikationsfunktionen nicht fest vorgegeben sind, sondern mittels der frei programmierbaren Kommunikations-ALUs (RPA, TPA, PEA) ausgebildet sind, wobei jeder Kommunikations-Controller (KC) durch Einlesen eines Identifizierungscodes in der Startphase und danach jede zugehörige Kommunikations-ALU (RPA, TPA, PEA) passend konfiguriert, und wodurch mittels der übergeordneten Steuereinrichtung (CPU) und jedem Kommunikations-Controller (KC) Übergänge zwischen Netzwerken realisiert werden."

Der unabhängige Anspruch 9 gemäss Hauptantrag lautet :

"Vorrichtung zur Datenkommunikation, zur Kopplung von untereinander über einen seriellen Datenbus kommunizierenden Busteilnehmern eines offenen Automatisierungssystems mit verteilter Steuerung, mit:

mindestens zwei Kommunikations-Controllern (KC), welche mit einer übergeordneten Steuereinrichtung (CPU) zusammenarbeiten und welche mindestens drei frei programmierbare Kommunikations-ALUs (RPA, TPA, PEA) aufweisen, die nämlich die erste Kommunikations-ALU (RPA), die zweite Kommunikations-ALU (TPA) und die dritte Kommunikations-ALU (PEA) genannt werden,

einem Befehlscode, in welchem mehrere Befehle kodiert sind,

einer parallelen Anordnung von mindestens zwei Logikfunktionsblöcken (FI, Z, V, CRC), die gleichzeitig den Befehlscode verarbeiten, in der ersten und zweiten Kommunikations-ALU (RPA, TPA), welche die Kommunikationsfunktionen ausführen,

die erste Kommunikations-ALU (RPA) den Empfang und die Dekodierung eines Bit oder Nibble-orientierten, seriellen Datenstroms und dessen Seriell/Parallelwandlung in Byte, Wort oder Doppelwort Darstellung durchführt,

die zweite Kommunikations-ALU (TPA) die Wandlung von Byte, Wort oder Doppelwort Darstellung in Bit oder Nibble-orientierten serielle Daten und das Kodieren und Senden diese seriellen Datenstroms durchführt und

die dritte Kommunikations-ALU (PEA) über eine Überwachungslogik verfügt, welche eine Vielzahl von Ereignissen gleichzeitig überwacht und welche im Ereignisfall innerhalb eines Systemtaktes mit dem zugehörigen Programmcode startet, wobei in einem Systemtakt mehrere Befehle ausgeführt werden, und die dritte Kommunikations-ALU (PEA) den Sende- und Empfangsverlauf eines zugehörigen Datenpakets steuert,

wodurch die Kommunikationsfunktionen nicht fest vorgegeben sind, sondern mittels der frei programmierbaren Kommunikations-ALUs (RPA, TPA, PEA) ausgebildet sind, wobei jeder Kommunikations-Controller (KC) durch Einlesen eines Identifizierungscodes in der Startphase und danach jede zugehörige Kommunikations-ALU (RPA, TPA, PEA) passend konfiguriert, und wodurch mittels der übergeordneten Steuereinrichtung (CPU) und zweier Kommunikations-Controller (KC) Übergänge zwischen Netzwerken realisiert werden."

Entscheidungsgründe

1. Hintergrund der Erfindung

1.1 Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Datenkommuni-kation zwischen Busteilnehmern über einen seriellen Datenbus eines offenen Automatisierungssystems. Die Busteilnehmer arbeiten mit der verteilten Steuerung des Automatisierungssystems über einen Kommunikations-Controller (KC) zusammen, der aus mindestens drei programmierbaren Kommunikations-ALUs aufgebaut ist. Die Kommunikationsfunktionen sind nicht fest vorgegeben, sondern sind auf Basis der frei programmierbaren und auf Kommunikationsfunktionen optimierten Kommunika-tions-ALUs ausgebildet (siehe Abbildung 5 mit einem aus drei Kommunikations-Controllern (KC) bestehenden Kommunikations-Prozessor (KP)).

1.2 Die erste Kommunikations-ALU (RPA) ist auf den Empfang und die Dekodierung von Daten und die Parallelwandlung von Bit in Byte optimiert. Die zweite Kommunikations-ALU (TPA) ist auf die Seriellwandlung von Byte in Bit und das Kodieren und Senden von Daten optimiert. Die dritte Kommunikations-ALU (PEA) überwacht eine Vielzahl von Ereignissen und startet innerhalb eines Systemtaktes den zum Ereignis gehörigen Programmcode.

1.3 Gemäß der Beschwerdeführerin leiste der vorliegende Kommunikations-Controller (KC), dass in einem Systemtakt mehrere Befehle ausgeführt werden und dass Übergänge zwischen unterschiedlichsten Netzwerken realisiert werden können. Damit werde erreicht, dass der Anschluss beliebiger Busteilnehmer mit individueller, interaktiver Kommunikation möglich ist. Teile des Gerätes seien einfach auszutauschen und eine hochgenaue Synchronisation sei automatisch möglich.

2. Hauptantrag - Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

2.1 Die Prüfungsabteilung beanstandete die Struktur der Merkmale der Ansprüche 1 und 11 des Hauptantrages in der Fassung vom 21. Juli 2011, wobei durch die wiederholte Verwendung der Wörter "wodurch" und "indem" Merkmale in einer unklaren Weise verknüpft würden. Es sei damit nicht klar (Artikel 84 EPÜ) welche Merkmale zum Erreichen der Ziele benötigt seien und welche Merkmale den daraus resultierenden Zielen entsprechen würden.

2.2 Die Kammer teilte im Grundsatz die Meinung der Prüfungsabteilung hinsichtlich der mangelnden Klarheit der Ansprüche 1 und 11. Es war nicht erkennbar, wie durch eine sehr breit und unabhängig voneinander definierte Optimierung einer ersten und zweiten Kommunikations-ALU (RPA, TPA), sowie einer speziellen Überwachungslogik der dritten Kommunikations-ALU (PEA) die beiden im Anspruch definierten Effekte erzielt werden können, nämlich dass "in einem Systemtakt mehrere Befehle ausgeführt werden" und dass "Übergänge zwischen den unterschiedlichen Netzwerken realisiert werden können".

2.3 Der von der Beschwerdeführerin am 22. Mai 2019 eingereichte neue Hauptantrag mit Ansprüchen 1 bis 16 und unabhängigen Ansprüchen 1 und 9 behebt diese Klarheitsmängel.

2.4 In den Ansprüchen 1 und 9 wurden die von der Kammer als wesentlich erachteten Merkmale aufgenommen, die einen nach Seite 17, dritter Absatz und folgende, "quasi dezidierten" Kommunikations-Controller (KC) ermöglichen. Laut der Beschreibung, Seite 22, letzter Absatz, und Seite 23, besteht der Kommunikations-Controller (KC) aus einer "Receive Processing" ALU (RPA), "Transmit Processing" ALU (TPA) und einer "Protocol Execution" ALU (PEA), mit genau vorgegebenen Aufgaben. Der spezielle Aufbau der RPA und TPA (u.a. parallele Anordnung der Logikfunktionsblöcke) ermöglicht die parallele Ausführung mehrerer Befehle in einem Takt.Mit der Aufnahme der zusätzlichen Merkmale wird im Anspruch klar dargestellt, dass die PEA per Hardware eine Vielzahl von Ereignissen parallel überwacht und durch Abarbeitung eines dem Ereignis zugeordneten Stücks Programmcode innerhalb eines Systemtaktes reagiert.

2.5 Mit der Behebung der bereits von der Prüfungsabteilung identifizierten Klarheitsmängel und der Aufnahme von zusätzlichen wesentlichen Merkmalen erfüllen die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.

3. Da Ansprüche in einer geänderten Fassung vorliegenden, zu der sich die Prüfungsabteilung als erste Instanz noch nicht geäußert hat, verweist die Kammer die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung, insbesondere der Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und der erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ), zurück.

4. Grundlage für die weitergehende Prüfung sind die Ansprüche 1 bis 16 des während der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2019 eingereichten Hauptantrags.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

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