T 0983/12 () of 31.5.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T098312.20160531
Datum der Entscheidung: 31 Mai 2016
Aktenzeichen: T 0983/12
Anmeldenummer: 02740489.6
IPC-Klasse: F03D 9/00
H02J 3/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 418 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WINDENERGIEANLAGE UND VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINER WINDENERGIEANLAGE
Name des Anmelders: Wobben, Aloys
Name des Einsprechenden: Woodward Kempen GmbH
NORDEX ENERGY GmbH
ABB Schweiz AG
Vestas Wind Systems A/S
Gamesa Eólica S.L.
Senvion GmbH
VESTAS-CELTIC WIND TECHNOLOGY LIMITED
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Änderungen - Offenbarung durch Zeichnung
Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0191/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die am 20. Februar 2012 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 1 386 078 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde,

- hat die Einsprechende VI (RePower Systems AG) als Beschwerdeführerin am 17. April 2012 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr entrichtet, und am 2. Juli 2012 die Beschwerdebegründung eingereicht,

- hat die Einsprechende II (Nordex Energy GmbH) als Beschwerdeführerin am 20. April 2012 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr entrichtet, und am 21. Juni 2012 die Beschwerdebegründung eingereicht,

- hat die Einsprechende I (Woodward Kempen GmbH) als Beschwerdeführerin am 25. April 2012 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr entrichtet, und am 2. Juli 2012 die Beschwerdebegründung eingereicht,

- hat die Patentinhaberin (Wobben Aloys) als Beschwerdeführerin am 30. April 2012 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr entrichtet, und am 2. Juli 2012 die Beschwerdebegründung eingereicht.

II. Mit ihren Einsprüchen hatten die Einsprechenden I bis VII das gesamte Patent im Hinblick auf

Artikel 100(a) i.V.m. 52(1), 54(1) und 56 EPÜ

Artikel 100(b) i.V.m. 83 EPÜ

Artikel 100(c) i.V.m. 123(2) EPÜ

angegriffen.

Der Einspruch der Einsprechenden IV war bereits mit Schreiben vom 15. Dezember 2008 und jener der Einsprechenden VII mit Schreiben vom 22. Dezember 2008 zurückgenommen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Einspruchsgründe nach Artikel 100(a), (b) und (c) der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Unfang gemäß dem Hilfsantrag 1B nicht entgegenstünden.

III. Mit Schreiben von 30. Mai 2016 hat die Beschwerdeführerin/Einsprechende II ihre Beschwerde zurückgenommen.

IV. Am 31. Mai 2016 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, d.h. Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag), hilfsweise im Umfang eines der Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht mit der Beschwerdebegründung, weiter hilfsweise als Hilfsantrag 5 die Zurückweisung der Beschwerden der Einsprechenden 1 und 6, d.h. Aufrechterhaltung des Patents in der durch die Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung, oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hilfsantrags 6 eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

Die Einsprechenden I und VI als Beschwerdeführerinnen beantragen alle die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Einsprechenden II,III und V als Verfahrensbeteiligte haben keine Anträge gestellt.

V. Die zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung maßgebende Fassung des für diese Entscheidung relevanten Anspruchs 1 der geltenden Anträge lautet wie folgt (Änderungen stets durch die Kammer hervorgehoben):

Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt)

"Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage mit einem von einem Rotor antreibbaren elektrischen Generator zum Abgeben elektrischer Leistung an ein elektrisches Netz, insbesondere dessen angeschlossenem Verbraucher, wobei Blindleistung in das elektrische Netz eingespeist wird und die Blindleistung durch einen Phasenwinkel Phi vorgegeben wird, welcher einen Winkel zwischen dem Strom und der Spannung der eingespeisten elektrischen Leistung beschreibt und der Phasenwinkel mithin den Blindleistungsanteil der von der Windenergieanlage abgegeben Leistung bestimmt, dadurch gekennzeichnet, dass der Phasenwinkel Phi in Abhängigkeit vom Betrag von wenigstens einer im Netz erfassten Spannung verändert wird, dass der Phasenwinkel unverändert ist, solange die Netzspannung zwischen einem vorbestimmten unteren Sollwert (Umin) und einem vorbestimmten oberen Sollwert (Umax) liegt, wobei der untere Spannungswert geringer ist als ein Sollspannungswert und der vorbestimmte obere Spannungswert größer ist als ein vorbestimmter Sollspannungswert und dass bei Überschreiten des vorbestimmten oberen Spannungswertes (Umax) oder bei Unterschreiten des vorbestimmten unteren Spannungswertes (Umin) der Betrag des Phasenwinkels mit weiter ansteigender oder sinkender Spannung ansteigt."

Hilfsantrag 1

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lautet wie im Hauptantrag mit folgenden Hinzufügungen im kennzeichnenden Teil:

"der Phasenwinkel Phi in Abhängigkeit vom Betrag von wenigstens einer im Netz erfassten Spannung kapazitiv oder induktiv verändert wird, bis die Spannung einen vorgegebenen Sollwert annimmt,..."

Sowie als letztes kennzeichnenden Merkmal:

"so dass bei steigender Spannung oberhalb des oberen Spannungswertes (Umax) bis zu einem Maximalwert (Phimax) der Phasenwinkel Phi ansteigt und dass bei fallender Spannung unterhalb des unteren Spannungswertes (Umin) bis zu einem Minimalwert (Phimin) der Phasenwinkel Phi abfällt."

Hilfsantrag 2

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 lautet wie im Hilfsantrag 1 mit folgender Hinzufügung als letztes kennzeichnendes Merkmal:

",und dass die Regelung direkt oder indirekt das Bestätigen [sic] einer Schalteinrichtung im Netz bewirkt."

Hilfsantrag 3

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 lautet wie im Hilfsantrag 1 mit folgender Hinzufügung als letztes kennzeichnendes Merkmal:

"...wobei die Regelung direkt oder indirekt das Bestätigen [sic] einer Schalteinrichtung im Netz bewirkt und für Teilbereiche des Netzes (6, 7) entsprechende Spannungserfassungen und Regelungen mittels des Phasenwinkels Phi getrennt vorgenommen werden."

Hilfsantrag 4

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 lautet wie im Hilfsantrag 3 mit folgender Änderung im letzten kennzeichnenden Merkmal:

"...dass die Regelung direkt oder indirekt das Bestätigen [sic] einer Schalteinrichtung im Netz bewirkt..."

Hilfsantrag 5

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 lautet wie folgt:

"Windenergieanlage mit einem mit einem Rotor antreibbaren elektrischen Generator zum Abgeben elektrischer Leistung an ein elektrisches Netz, insbesondere dessen angeschlossene Verbraucher, wobei mittels eines Frequenzumrichters (18) Blindleistung in das elektrische Netz einspeisbar ist und die Blindleistung durch einen Phasenwinkel Phi vorgegeben ist, der den Blindleistungsanteil der von der Windenergieanlage abgegebenen Leistung bestimmt, dass der Phasenwinkel Phi in Abhängigkeit vom Betrag von wenigstens einer im Netz erfassten Spannung veränderbar ist und dass der Phasenwinkel unverändert bleibt, solange die Netzspannung zwischen einem vorbestimmten unteren Spannungswert(Umin) und einem vorbestimmten oberen Spannungswert (Umax) liegt, wobei der untere Spannungswert (Umin) geringer ist als der vorbestimmte Netzspannungssollwert (Usoll) und der vorbestimmte obere Spannungswert (Umax) größer ist als der vorbestimmte Netzspannungssollwert(Usoll), und dass bei Überschreiten des vorbestimmten oberen Spannungswertes (Umax) oder bei Unterschreiten des vorbestimmten unteren Spannungswertes (Umin) der Betrag des Phasenwinkels mit weiter ansteigender oder sinkender Spannung ansteigt, so dass bei steigender Spannung oberhalb des oberen Spannungswertes (Umax) bis zu einem Maximalwert (Phimax) der Phasenwinkel Phi ansteigt, der bei noch weiter steigender Spannung beibehalten wird und dass bei fallender Spannung unterhalb des unteren Spannungswertes (Umin) bis zu einem Minimalwert (Phimin) der Phasenwinkel Phi abfällt, der bei noch weiter fallender Spannung beibehalten wird."

Hilfsantrag 6

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 lautet wie im Hilfsantrag 5 mit folgender Änderung des letzten Merkmals:

"... der Phasenwinkel Phi stetig linear ansteigt, der bei noch weiter steigender Spannung beibehalten wird und dass bei fallender Spannung unterhalb des unteren Spannungswertes (Umin) bis zu einem Minimalwert (Phimin) der Phasenwinkel Phi stetig linear abfällt, der bei noch weiter fallender Spannung beibehalten wird."

VI. Zur Frage der Zulässigkeit der Änderungen, Artikel 100(c) und Artikel 123(2) EPÜ, haben die Einsprechenden I und VI als Beschwerdeführerinnen Folgendes vorgetragen:

Die Figur 3 sei die einzige Offenbarungsquelle für die Hinzufügung der Phasenwinkelregelung in Abhängigkeit der Spannung wonach u.a. der Betrag des Phasenwinkels mit weiter ansteigender oder sinkender Spannung ansteigt. Diese Änderung sei isoliert aus der Figur 3 herausgegriffen. Das Diagramm der Figur 3 zeige aber in Kombination auch ein lineares Verhältnis der Phasenwinkeländerung in Bezug zu der Spannung sowie eine Punktsymmetrie des Diagramms, wobei Usoll den Symmetriepunkt darstelle. Diese Eigenschaften seien allerdings nicht in den geänderten Anspruch 1 übernommen worden, somit ergebe sich eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung.

Eine Kennlinie sei ein Fachbegriff zum Definieren eines gesamten Regelverhaltens, wobei alle Merkmale die Regelung beeinflussen, und erfindungswesentlich seien. Sonst gebe die Beschreibung keinen Anhaltspunkt darüber, welche Eigenschaften der Figur 3 wichtig, unwichtig oder zusammenhängend seien.

Hilfsantrag 6 sei nicht zuzulassen, weil er keine zeitige Reaktion auf schon lange im Verfahren befindliche Einwände darstelle. Außerdem räume dieser Hilfsantrag nicht eindeutig alle behobenen Einwände aus, und sei deswegen prima facie nicht gewährbar und mithin nicht zuzulassen.

VII. Die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin hat zur Frage der Zulässigkeit von Änderungen im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ Folgendes vorgetragen:

Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 beanspruche allgemein eine Veränderung des Phasenwinkels in Abhängigkeit der Spannung als grundlegenden Erfindungsgedanken. Um das in Absatz [22] angegebene Ziel einer Stabilisierung zu erreichen, sei nur diese Abhängigkeit erfindungswesentlich, sonstige Grenzwerte hingen von den betreffenden Windenergieanlagen ab und seien von geringer Bedeutung. Der geänderte Anspruch 1 nach dem Hauptantrag definiere die erfindungswesentlichen Aspekte, wonach die Steigung des Phasenwinkels oberhalb von Umax und die Abnahme unter Umin erfolge. Dabei seien die Spannungswerte Phimin und Phimax an keiner Stelle als kritisch dargestellt und spielten eine sekundäre Rolle. Dass der Betrag des Phasenwinkels mit weiter ansteigender oder sinkender Spannung ansteige, liefere einen klaren Hinweis darauf, dass die Veränderung wie im Diagramm dargestellt auch eine stetige Eigenschaft aufweise.

Zur Frage der Zulassung des Hilfsantrags 6 seien durch Hinzufügen der einfachen Bestimmung "stetig linear" eindeutig alle Einwände bezüglich etwaiger unzulässigen Erweiterung behoben, und der Hilfsantrag 6 sei somit prima facie gewährbar. Es sei auch von der Patentinhaberin nicht zu erwarten, dass sie sofort und zu jedem Einwand einer Gegenpartei neue Anspruchssätze einreichen müsse.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Hauptantrag-Unzulässige Erweiterung, Artikel 100(c), 123(2) EPÜ

2.1 Der erteilte Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wurde während der Prüfung gegenüber der ursprünglich eingereichten Fassung des Anspruchs unter anderem dadurch geändert, dass im Oberbegriff die Definition der Blindleistung durch den Phasenwinkel Phi zwischen dem Strom und der Spannung der eingespeisten elektrischen Leistung hinzugefügt wurde. Im kennzeichnenden Teil wurde zudem der folgende Wortlaut hinzugefügt: "...dass der Phasenwinkel unverändert ist, solange die Netzspannung zwischen einem vorbestimmten unteren Sollwert (Umin) und einem vorbestimmten oberen Sollwert (Umax) liegt, wobei der untere Spannungswert geringer ist als ein Sollspannungswert und der vorbestimmte obere Spannungswert größer ist als ein vorbestimmter Sollspannungswert und dass bei Überschreiten des vorbestimmten oberen Spannungswertes (Umax) oder bei Unterschreiten des vorbestimmten unteren Spannungswertes (Umin) der Betrag des Phasenwinkels mit weiter ansteigender oder sinkender Spannung ansteigt."

Im Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung war das Verfahren zum Betreiben einer Windenergieanlage zum Abgeben elektrischer Leistung an das Netz nur dadurch gekennzeichnet, "dass der Phasenwinkel Phi in Abhängigkeit von wenigstens einer im Netz erfassten Spannung verändert wird". Sonst fehlten im Anspruch 1 jegliche Angaben zur genauen Art der Abhängigkeit.

2.2 Als Grundlage in der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung verweist die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin auf den vorletzten Absatz der Seite 5 der veröffentlichten internationalen Anmeldung (entspricht dem Absatz [0022] der Patentschrift). Dieser Absatz lautet wie folgt "Die in Figur 3 gezeigte Darstellung veranschaulicht den Zusammenhang zwischen der Spannung im Netz und dem Phasenwinkel. Weicht die Spannung von ihrem Sollwert Usoll ab, der zwischen den Spannungswert Umin und Umax liegt, wird entsprechend der Kennlinie in dem Diagramm der Phasenwinkel p derart verändert, dass abhängig von dem Vorzeichen der Abweichung entweder induktive oder kapazitive Blindleistung eingespeist wird, um auf diese Weise die Spannung an dem Spannungserfassungspunkt (22 in Figur 1) zu stabilisieren." Sonstige Passagen oder Textstellen zur genauen Abhängigkeit der Phasenwinkel sind in der ursprünglichen Anmeldung nicht auffindbar.

Der zitierte Absatz liefert demnach keinen expliziten Hinweis darauf, wie zumindest die wesentlichen Eigenschaften der Phasenwinkelanpassung in Abhängigkeit der verschiedenen Spannungswerten geregelt werden sollen. Diese Abhängigkeit wird nur durch den Verweis auf die Figur 3 angedeutet. Dem wurde auch nicht von der Beschwerdeführerin/Patentinhaberin widersprochen.

2.3 Um zu beurteilen, ob durch die Änderung im erteilten Anspruch 1 kein neuer Sachverhalt, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinausgeht, hinzugefügt wurde, ist somit festzustellen, was der Fachmann eindeutig und unmittelbar aus der Figur 3 über die Abhängigkeit der Phasenwinkel von der Spannung im Netz ableitet.

3. Eine Zeichnung wie hier zum Beispiel ein Diagramm kann nach ständiger Rechtsprechung im Prinzip als Grundlage für neuaufzunehmende Merkmale dienen, insbesondere wenn Funktion und Struktur unmittelbar, vollständig und eindeutig für den Fachmann ersichtlich sind und keine Widersprüche mit den übrigen Offenbarungsstellen bestehen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7.Auflage 2013 (RdBK), II.E.1.5).

Weiterhin ist es nach Artikel 123(2) EPÜ nur dann zulässig, ein isoliertes Merkmal aus einer Merkmalskombination herauszugreifen, wenn der Fachmann zweifelsohne erkennen kann, dass keinerlei eindeutig erkennbare funktionale oder strukturelle Verbindung zwischen den Merkmalen der spezifischen Kombination mit den anderen Merkmalen besteht, das herausgegriffene Merkmal somit nicht untrennbar mit diesen Merkmalen verknüpft ist und in allgemeinem Kontext angewendet werden kann (siehe RdBK , II.E.1.2). Dieser Grundsatz gilt auch für die Aufnahme von Merkmalen aus Zeichnungen, siehe z.B. T 191/93, Gründe 3.7.

3.1.1 Im vorliegenden Diagramm der Figur 3 dient die dargestellte Kennlinie dazu, ein Regelverhalten anzugeben, das den einzustellenden Phasenwinkel in Abhängigkeit von einem gemessenen Spannungswert im Netz bestimmt, wobei die Kennlinie einen erkennbaren Verlauf im Phasenwinkel-Netzspannung Koordinatensystem aufweist. Das Diagramm der Figur 3 ist in dem Sinne schematisch, dass es für die Spannung, die Phasenwinkel Phimax,Phimin sowie die Lage der Referenzachse, die nicht eindeutig auf der Null-Ebene für Phi liegt, keine absolute Werte eingibt. Allerdings ist für den Fachmann im Diagramm sofort erkennbar, dass die Kennlinie einen besonderen Verlauf hat, der von bestimmten qualitativen Eigenschaften geprägt ist.

So sind zum Beispiel, wie auch von der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin anerkannt, fünf Hauptbereiche erkennbar: von links nach rechts ist zunächst ein erster Bereich mit konstantem Phasenwinkel Phimin ersichtlich, danach folgt ein zweiter Bereich, in dem der Phasenwinkel stetig bis zu einem Grundphasenwinkelwert ansteigt; ein dritter Mittelbereich oder "Totband", in dem zwischen den Spannungswerten Umin und Umax der Phasenwinkel konstant auf einem Grundphasenwinkelwert bleibt und ein vierter Bereich, in dem der Phasenwinkel wieder stetig bis zu einem konstanten Wert Phimax im letzten Bereich ansteigt.

Wie von den Beschwerdeführerinnen­­-Einsprechenden vertreten, fallen dem Fachmann aber auch weitere Eigenschaften der Kennlinienverlauf sofort auf. So erfolgt das An- bzw. Absteigen des Phasenwinkels eindeutig linear und monoton, und der Kennlinienverlauf weist eine gewisse Symmetrie auf. Insbesondere ist auffällig, dass Usoll in der Mitte zwischen Umin und Umax liegt, dass Phimin und Phimax von der Abzissachse gleich beabstandet sind, und dass die Steigung der beiden An- und Absteigsegmente gleich ist.

3.1.2 Analog wie bei einer Zeichnung, stellt sich die Frage, ob und inwiefern der Fachmann diese verschiedenen erkennbaren Aspekte oder Eigenschaften als unabhängig voneinander und nicht als integralen Teil einer Gesamtlehre wahrnimmt. Wie bereits festgestellt, wird nach Absatz [0022] die Figur 3 als einzige Information über die Regelfunktion in Form einer Kennlinie angegeben, wobei nirgendwo in der ursprünglichen Beschreibung diese Regelfunktion näher beschrieben oder angedeutet ist. Insbesondere erhält der Fachmann aus den ursprünglichen Anlagen keine Angaben, dass bei der Lösung der technischen Aufgabe der Erfindung (Seite 2, 2. Absatz der veröffentlichen Anmeldung bzw. Absatz [0007] der Patentschrift) bestimmten Aspekten des Kennlinienverlaufs nach der Figur 3 mehr Gewicht beigemessen werden soll als anderen. Weder aus seinem Verständnis dieser Problematik der unerwünschten Netzspannungsschwankungen bei schwankender Wirkleistungsabgabe der Windenergieanlage noch aus seinen Kenntnissen der Regelungstechnik hat er Anlass zu vermuten, dass nur wenige Aspekte zu der beanspruchten, regeltechnischen Lösung wesentlich beitragen, geschweige denn welche diese Aspekten sein könnten. Letztlich ist die Darstellung der Kennlinie in der Figur 3 zweifellos schematischer Natur, d.h. sie bezweckt eben die wesentlichen Merkmale des Verlaufs wiederzugeben. Der Fachmann wird somit durch den expliziten Verweis auf die Kennlinie der Figur 3 davon ausgehen, dass deren Verlauf in der Gesamtheit aller seiner schematisch dargestellten Eigenschaften die geforderte Regelung des Phasenwinkels in Abhängigkeit der Spannung sicherstellt, um dadurch die im selben Absatz [0022] erwähnte Spannung am Spannungserfassungspunkt zu stabilisieren. Nach Meinung der Kammer ist im Rahmen einer Regelfunktion für den Fachmann auch prinzipiell davon auszugehen, dass zur Durchführung des Verfahrens alle dargestellten Eigenschaften einer Kennlinie wichtig sind, um das Regelungsziel zu erreichen.

3.1.3 Demnach bildet das Diagramm der Figur 3 mit dessen Kennlinie eine vollständige Lehre zur Ausführung der Erfindung, worin alle von dem Fachmann eindeutig und unmittelbar erkennbaren Merkmale in Kombination das Regelungsziel der Erfindung verwirklichen. Ähnlich wie bei ursprünglichen Anmeldungsunterlagen sollte diese Kennlinie nicht als "Reservoir von Regeleigenschaften" (Baukasten) angesehen werden, mit denen beliebige Regeloptionen konstruiert werden können; vielmehr ist sie ein eigenständiges Regelwerk, das auch in seiner Gesamtheit zu betrachten ist, und somit auch nur in seiner Gesamtheit beansprucht werden kann.

Somit schließt die Kammer, dass das Herausgreifen lediglich einzelner Eigenschaften aus der Gesamtheit dieser Kennlinie eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt.

3.2 Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin vertritt nun die Auffassung, dass der vorletzte Absatz der Seite 5 der veröffentlichten Anmeldung (Absatz [0022] der Patentschrift) zwar auf das Diagramm der Figur 3 Bezug nimmt, aber auch die Stabilisierung als einziges erfindungswesentlicher Ziel vorstellt. Deshalb reiche schon der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 aus, die Veränderung der Phasenwinkel in Abhängigkeit der Spannung als erfindungswesentlich zu definieren. Im geänderten Anspruch 1 seien weitere Haupteigenschaften der Figur 3 durch die Steigerung des Phasenwinkels oberhalb von Umax und die Abnahme unter Umin angegeben. Dabei seien die Spannungswerte Phimin und Phimax für den Fachmann klar erkennbar nicht kritisch und spielten nur eine sekundäre Rolle.

3.2.1 Diese Auffassung vermag die Kammer aber nicht zu überzeugen. Durch die Bezugnahme auf das Diagramm der Figur 3 definiert der vorletzte Absatz von Anmeldungsseite 5 nur eine ganz bestimmte Abhängigkeit der Phasenwinkeländerung von der Spannungsabweichung, die zum gewünschten Ziel führt ("um auf diese Weise ... zu stabilisieren"). Wie bereits argumentiert, werden dadurch alle erkennbaren Eigenschaften dieses Diagramms miteinbezogen. Wenn tatsächlich zum Beispiel die Spannungswerte Phimin und Phimax sekundäre Aspekte bilden würden, und lediglich das Totband zwischen Umin und Umax wesentlich wäre, dann würde der Fachmann erwarten, dass die Beschreibung diesbezüglich einen expliziten oder zumindest impliziten Hinweis enthält.

3.2.2 Es kann auch dahingestellt bleiben, ob - wie von der Beschwerdeführerin/Patentinhaberin vertreten - der jetzige Anspruchswortlaut, wonach der Betrag des Phasenwinkels mit weiter ansteigender oder sinkender Spannung ansteigt, einen klaren Hinweis darauf gibt, dass die Veränderung ein stetiges Verhältnis aufweist. Selbst unter der Annahme, dass die Kammer ein solches stetiges Verhältnis im jetzigen Wortlaut des Anspruchs erkennen könnte, würde dieses zusätzliche Merkmal nicht genügen, um sämtliche bereits angegebenen direkt erkennbaren Eigenschaften des Diagramms zu definieren.

3.3 Folglich wurde der erteilte Anspruch 1 des Hauptantrags durch das Hinzufügen isolierter Teile der Kennlinie der Figur 3 unzulässig erweitert. Somit verstößt auch diese Änderung gegen die Erfordernisse des Artikels 100c) EPÜ gegenüber der Anmeldung wie eingereicht.

4. Hilfsanträge 1 bis 5: Unzulässige Erweiterung, Artikel 123(2) EPÜ

4.1 Anspruch 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 sind u.a. dadurch geändert worden, dass nun im kennzeichnenden Teil weitere Merkmale des Kennlinienverlaufs nach der Figur 3 aufgenommen worden sind. Insbesondere steigt der Phasenwinkel bei steigender Spannung oberhalb des oberen Spannungswertes Umax bis zu einem Maximalwert Phimax an und fällt bei fallender Spannung unterhalb des unteren Spannungswertes Umin bis zu einem Minimalwert Phimin der Phasenwinkel ab.

Die weiteren Merkmale, die im Anspruch 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 aufgenommen worden sind, bestimmen den genauen Kennlinienverlauf nicht weiter, sondern betreffen andere Aspekte des Verfahrens (kapazitive oder induktive Spannungsänderung, Schalteinrichtung, getrennte Regelungen von Teilbereiche des Netzes).

4.2 Obwohl Anspruch 1 dieser Hilfsanträge nunmehr die zusätzliche Eigenschaft der Grenzwerte Phimin ,Phimax des Diagramms in Figur 3 definiert und somit die Phasenwinkelabhängigkeit näher bestimmt, fehlen noch immer weitere der oben bereits angedeuteten Aspekte des in der Figur 3 dargestellten Verlaufes (Steigung, Abfall des Totbandes ist beidseits stetig und linear; symmetrischer Verlauf mit Umax Umin gleichermaßen von Usoll und Phimax Phimin gleichermaßen von dem Grundphasenwinkel beabstandet). Keiner dieser Hilfsanträge enthält sämtliche in Kombination stehenden Merkmale, die im Diagramm der Figur 3 von dem Fachmann sofort ersichtlich sind. Somit vermögen diese Hilfsanträge die bereits erwähnte und unter Artikel 123(2) EPÜ unzulässige Zwischenverallgemeinerung nicht zu beheben.

Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin hat zur unzulässigen Erweiterung der Hilfsanträge 1 bis 4 keine weitere Ausführungen gemacht.

4.3 Da keiner der Hilfsanträge 1 bis 4 gewährbar ist, kann es dahingestellt bleiben, ob sie aus verfahrensrechtlicher Sicht zuzulassen sind oder nicht.

4.4 Der einzige Anspruch des Hilfsantrags 5 liegt der aufrechterhaltenen Fassung zugrunde. Dieser Anspruch definiert nunmehr eine Windenergieanlage wie im erteilten Anspruch 8, wobei der erteilte Anspruch 8 dieselbe Veränderung der Phasenwinkel in Abhängigkeit der Netzspannung wie im erteilten Anspruch 1 aufweist. Gegenüber der Fassung des Anspruchs 8 wie erteilt wurde außerdem die Phasenwinkelabhängigkeit dadurch ergänzt, dass bei weiter steigender oder fallender Spannung die Grenzwerte Phimax und Phimin beibehalten werden sollen.

4.5 Auch wenn angenommen wird, dass das stetige Verhältnis der Phasenwinkeländerung zur Spannung implizit von dem Fachmann aus dem geänderten Wortlaut abgeleitet werden könnte, fehlen immer noch die bereits erwähnten und in Zusammenhang stehenden Merkmale, die den Kennlinienverlauf in seiner Gesamtheit für den Fachmann kennzeichnen, wie zum Beispiel das nicht stetige sondern vielmehr lineare Verhältnis der Phasenwinkeländerung zur Spannung, sowie die gleichen Abstände zwischen Umax Umin und Usoll und zwischen Phimax Phimin und dem Grundphasenwinkel. Somit ist auch der Anspruch 1 in der aufrechterhaltene Fassung unzulässigerweise zwischenverallgemeinert und erweitert worden, Artikel 123(2) EPÜ.

5. Hilfsantrag 6 : Zulässigkeit unter Artikel 13(3) VOBK

5.1 Hilfsantrag 6 wurde erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Sie stellt somit eine Änderung des Vorbringens im Sinne des Artikels 13(1) u. 13(3) VOBK dar, deren Zulassung nach Maßgabe der dort ausgeführten Kriterien erfolgt. Nach Art 13(3) VOBK sollen Änderungen nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen werden, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder dem bzw. den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist. Nach ständiger Rechtsprechung (siehe RdBK, IV.E.4.4.2) wenden die Kammern bei verspätet eingereichten, geänderten Ansprüchen u. a. das Kriterium der "eindeutigen Gewährbarkeit" an. Eindeutig gewährbar sind solche Anspruchssätze, bei welchen für die Kammer ohne großen Ermittlungsaufwand sofort ersichtlich ist, dass die Änderungen den aufgeworfenen Fragen erfolgreich Rechnung tragen, ohne ihrerseits zu neuen Fragen Anlass zu geben.

5.2 Der Hilfsantrag 6 fügt dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 5 den Begriff "stetig linear" hinzu. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin/Patentinhaberin reicht diese Änderung alleine prima facie nicht aus, um alle Einwände in Bezug auf die oben ausgeführte unzulässige Erweiterung zu beheben. So sind zum Beispiel weder die relative Größe der Grenzwerte, noch das Verhältnis der Steigung der beiden Korrekturfunktionen angegeben. Der zumindest quasi-symmetrische Ablauf der Phasenwinkel zwischen zwei symmetrisch gelegenen Werten (Phimax, Phimin) ist auch nicht definiert. Somit ist der Hilfsantrag 6 nicht eindeutig gewährbar.

Somit hat die Beschwerdekammer entschieden, in der Ausübung ihres Ermessens gemäß Art 13(3) VOBK den Hilfsantrag 6 nicht zuzulassen.

6. Da keine gewährbare Fassung vorliegt, die als Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents dienen könnte, ist das Patent, Artikel 101(2) und 101(3)(b) EPÜ zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

Quick Navigation