European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:T088812.20131108 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 08 November 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0888/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00958529.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08F 2/00 C08F 10/02 C08L 23/04 C08L 23/06 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | POLYETHYLEN FORMMASSE MIT VERBESSERTER ESCR-STEIFIGKEITSRELATION UND SCHWELLRATE, VERFAHREN ZU IHRER HERSTELLUNG UND IHRE VERWENDUNG | ||||||||
Name des Anmelders: | Basell Polyolefine GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | THE DOW CHEMICAL COMPANY Borealis Technology OY |
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Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) (Alle Anträge) Verspätetes Vorbringen - Beweismittel zugelassen (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden betrifft die am 8. Februar 2012 mündlich verkündete und am 29. Februar 2012 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Aufrechterhaltung in geändertem Umfang des europäischen Patents Nr. 1 228 101 auf Grundlage des Hauptantrags.
II. Das erteilte Patent hatte vier Ansprüche, wobei Ansprüche 1, 3 und 4 folgenden Wortlaut hatten (Hervorhebungen sind die des Patents):
"1. Polyethylen Formmasse mit multimodaler Molmassenverteilung, die eine Gesamtdichte von >=0.940 g/cm**(3) besitzt und einen MFI190/5 im Bereich von 0.01 bis 10 dg/min, dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Menge von 30 bis 60 Gew.-% an niedermolekularem Ethylenhomopolymer A enthält, das eine Viskositätszahl VZA im Bereich von 40 bis 150 cm**(3)/g besitzt, eine Menge von 30 bis 65 Gew.-% an hochmolekularem Copolymer B aus Ethylen und einem weiteren Olefin mit 4 bis 10 C-Atomen, das eine Viskositätszahl VZB im Bereich von 150 bis 800 cm**(3)/g, besitzt, und eine Menge von 1 bis 30 Gew.-% an ultrahochmolekularem [sic] Ethylenhomo- oder -copolymer C, das eine Viskositätszahl VZC im Bereich von 900 bis 3000 cm**(3)/g besitzt.
3. Verfahren zum Herstellen einer Polyethylen Formmasse nach Anspruch 1, bei dem die Polymerisation der Monomeren in Suspension bei Temperaturen im Bereich von 20 bis 120 °C, einem Druck im Bereich von 2 bis 60 bar und in Gegenwart eines hochaktiven Ziegler-Katalysators durchgeführt wird, der aus einer Übergangsmetallverbindung und einer aluminiumorganischen Verbindung zusammengesetzt ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Polymerisation dreistufig geführt wird, wobei die Molmasse des in jeder Stufe hergestellten Polyethylens jeweils mit Hilfe von Wasserstoff geregelt wird.
4. Verwendung einer Polyethylen Formmasse nach Anspruch 1 zur Herstellung von Hohlkörpern wie Kraftstoffbehälter, Kanister, Fässer oder Flaschen, wobei die Polyethylen Formmasse zunächst in einem Extruder bei Temperaturen im Bereich von 200 bis 250°C plastifiziert und dann durch eine Düse in eine Blasform ausgepresst und dort abgekühlt wird."
III. Einsprüche gegen das Patent wurden am 2. April 2004 (Einsprechende 01) sowie am 1. April 2004 (Einsprechende 02) eingelegt.
Die Einsprechenden machten die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) sowie Artikel 100 b) EPÜ geltend.
Die Einsprüche stützten sich unter anderem auf das Dokument D1 (US-A-4 336 352).
IV. In der Entscheidung T 1111/06 vom 26. Februar 2009 bezüglich des Widerrufs des vorliegenden Patents wurde entschieden, dass der Gegenstand des dritten Hilfsantrags, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 26. Februar 2009 und bestehend aus zwei Ansprüchen, den Erfordernissen der Artikel 83, 84 und 123(2) EPÜ entsprach. Die Angelegenheit wurde an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen. Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags hatte folgender Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung einer Polyethylen Formmasse mit trimodaler Molmassenverteilung, die eine Gesamtdichte von >=: 0,940 g/cm3 [sic] besitzt und einen MFI190/5 im Bereich von 0,01 bis 10 dg/min, dadurch gekennzeichnet, dass die Polymerisation der Monomeren in Suspension bei Temperaturen im Bereich von 20 bis 120°C, einem Druck im Bereich von 2 bis 60 bar in Gegenwart eines hochaktiven Zieglerkatalysators durchgeführt wird, der aus einer Übergangsmetallverbindung und einer aluminiumorganischen Verbindung zusammengesetzt ist, und dass die Polymerisation dreistufig in drei hintereinandergeschalteten Stufen geführt wird, wobei die Molmasse des in jeder Stufe hergestellten Polyethylens jeweils mit Hilfe von Wasserstoff geregelt wird, und die Polyethylen Formmasse eine Menge von 30 bis 60 Gew.-% an niedermolekularen [sic] Ethylenhomopolymer A enthält, das nach der ersten Polymerisationsstufe eine Viskositätszahl VZA im Bereich von 40 bis 150 cm**(3)/g besitzt, eine Menge von 30 bis 65 Gew.-% an hochmolekularem in der zweiten Polymerisationsstufe gebildetem Copolymer B aus Ethylen und einem weiteren Olefin mit 4 bis 10 C-Atomen, das eine Viskositätszahl VZB im Bereich von 150 bis 800 cm**(3)/g besitzt, und eine Menge von 1 bis 30 Gew.-% an ultrahochmolekularem in der dritten Polymerisationsstufe gebildeten [sic] Ethylenhomo- oder -copolymer C, das eine Viskositätszahl VZC im Bereich von 900 bis 3000 cm**(3)/g besitzt."
Anspruch 2 entsprach dem erteilten Anspruch 4.
V. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 8. Februar 2012, die Grundlage der vorliegenden Beschwerde ist, wurde entschieden, dass das Patent auf Grundlage des Hauptantrags, entsprechend dem dritten Hilfsantrag gemäß Entscheidung T 1111/06 aufrechterhalten werden konnte, wobei eine Reinschrift dieses Antrags mit Telefax vom 7. Dezember 2011 eingereicht wurde.
Gemäß Entscheidung der Einspruchsabteilung war der Gegenstand des Hauptantrags neu, weil dieser eine mehrfache Auswahl aus D1 verlangte. Der Gegenstand des Hauptantrags beruhte auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Nächstliegender Stand der Technik war D1, Beispiel 2. Der Gegenstand des Hauptantrags unterschied sich von der Lehre dieses Beispiels durch die Herstellungsreihenfolge der drei Polymerfraktionen, nämlich A-B-C anstelle von C-A-B gemäß D1. Beispiel 4 und Vergleichsbeispiel 1 des Patentes belegten, dass ein Verfahren mit den drei Polymerisationsstufen, verglichen mit einem Verfahren mit zwei Polymerisationsstufen A und B zu einer sehr großen Verbesserung der Schwellrate führe. Beispiel 2 und Vergleichsbeispiel 3 von D1 zeigten, dass ein Verfahren mit der Herstellungsreihenfolge C-A-B nur eine geringe Verbesserung der Schwellrate gegenüber einem Verfahren nur mit den Polymerisationsstufen A und B ergäbe. Die viel größere Verbesserung der Schwellrate als Ergebnis der anspruchsgemäßen Herstellungsreihenfolge sei D1 nicht zu entnehmen, da gemäß der Lehre von D1 die zwei Herstellungsreihenfolgen gleichwertig seien. Somit konnte eine erfinderische Tätigkeit anerkannt werden.
VI. Gegen diese Entscheidung wurde am 13. April 2012 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr von der Einsprechenden 02 Beschwerde eingelegt.
VII. Die Beschwerdebegründung ging am 22 Juni 2012 ein.
VIII. Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin erwiderte mit Schreiben vom 6. November 2012. Zwei Anspruchssätze als erste und zweite Hilfsanträge wurden eingereicht.
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterschied sich vom Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag dadurch, dass die Komponente C auf Ethylencopolymer beschränkt wurde.
Dementsprechend hatte der letzte Satz des Anspruchs folgenden Wortlaut:
"...in der dritten Polymerisationsstufe gebildeten Ethylencopolymer C, das eine Viskositätszahl VZc im Bereich von 900 bis 3000 cm**(3)/g besitzt."
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags definierte ebenfalls, dass die Komponente C ein Copolymer war. Ferner wurde der Gehalt von Comonomer der Komponente B auf bis zu 5 Gew.-% beschränkt.
IX. Am 22. März 2013 erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung.
Am 11. April 2013 erging ein Bescheid der Kammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung.
X. Mit Schreiben vom 10. Juni 2013 legte die Beschwerdeführerin eine Erklärung eines technischen Sachverständigens bezüglich der Bedeutung von "Schwellrate" im vorliegenden Patent und "die swell" in D1.
XI. Mit Schreiben vom 5. Juli 2013 reichte die Beschwerdegegnerin einen Versuchsbericht ein.
XII. Mit Schreiben vom 08.10.2013 beantragte die Beschwerdeführerin, den Versuchsbericht der Beschwerdegegnerin wegen mangelnder Relevanz nicht zuzulassen.
Die Beschwerdeführerin machte mit Schreiben vom 14. Oktober 2013 weitere Angaben. Ferner wurde mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde.
XIII. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2013 machte die Beschwerdegegnerin weitere Erläuterungen zum Versuchsbericht.
XIV. Die Einsprechende 01 (Verfahrensbeteiligte gemäß Artikel 107 EPÜ, Satz 2) hat weder schriftlich noch mündlich zu der Beschwerde Stellung genommen. Es wurde lediglich mit Schreiben vom 2. September 2013 mitgeteilt, sie würde an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen.
XV. Die mündliche Verhandlung fand am 8. November 2013 ohne Beteiligung der Beschwerdeführerin/Einsprechenden 02 sowie der Einsprechenden 01 statt. Während der Verhandlung wurde der Antrag, den Versuchsbericht der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin in das Verfahren zuzulassen, abgelehnt.
XVI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden.
a) Hauptantrag
Artikel 54 EPÜ
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei durch D1 vorweggenommen. Es bedürfte entgegen der Argumente der Beschwerdegegnerin (siehe unten) keiner mehrfachen Auswahl aus D1. Vor allem offenbare D1 insbesondere im Beispiel 2 bevorzugt die Herstellung eines Polymers bestehend aus drei Fraktionen entsprechend den Fraktionen A, B und C des Streitpatents in einem mehrstufigen Verfahren (C-A-B). Die Viskositätszahlen seien zwar in D1 nicht offenbart, könnten aber anhand der anderen Angaben in D1 bezüglich Viskosität berechnet werden und entsprächen denen des geltenden Anspruchs.
Obwohl Beispiel 2 von D1 eine andere Reihenfolge als das gemäß dem geltenden Anspruch 1 aufweise, ginge aus der Gesamtoffenbarung von D1 hervor, dass die Reihenfolge dieser Stufen auch der gemäß dem Patent entsprechen könnte. Die verschiedenen Reihenfolgen seien in D1 als gleichwertig dargestellt.
Demzufolge sei der beanspruchte Gegenstand dem Fachmann lediglich durch eine einzige Auswahl aus der Gesamtoffenbarung von D1, nämlich zwischen den Reihenfolgen C-A-B und A-B-C offenbart.
b) Artikel 56 EPÜ
Nächstliegender Stand der Technik sei ebenfalls D1, Beispiel 2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich hiervon höchstens durch die Reihenfolge der Verfahrensschritte, die aber bereits durch D1 vorgeschlagen wurde. Ferner lagen im Patent selber keine Beweise vor, dass hierdurch ein unerwarteter technische Effekt hervorgerufen sei. Auch könne ein Vergleich der Ergebnisse im Streitpatent mit den Ergebnissen von D1 keinen entsprechenden Effekt belegen, unter anderem weil die verwendeten Messmethoden für die Schwellrate (Patent) bzw. "die swell" (D1) unterschiedlich seien, wie durch die mit Schreiben vom 10. Juni 2013 eingereichte Erklärung des Sachverständigers erläutert.
Der Versuchsbericht der Beschwerdegegnerin vom 5. Juli 2013 sei nicht zuzulassen, da dieser verspätet vorgelegt wurde und den geforderten Vergleich zwischen D1 und dem Streitpatent nicht erbringe.
c) Hilfsantrag 1
Es lägen keine Beweise, dass die Beschränkung der Komponente C auf Copolymere einen technischen Effekt hervorrufe. Diese Alternative werde auch bereits von D1 vorgeschlagen.
d) Hilfsantrag 2
Es lägen ebenfalls keine Beweise vor, dass die Beschränkung des Comonomeranteils der Komponente B einen technischen Effekt hervorrufe. Diese Menge läge ebenfalls im Bereich der Offenbarung von D1.
XVII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Hauptantrag
Artikel 54 EPÜ
Die Beispiele von D1 offenbarten eine andere Herstellungsreihenfolge als die gemäß dem geltenden Anspruch. Auf Basis der Beschreibung von D1 bedürfe es einer mehrfachen Auswahl, um zu dem Gegenstand des Anspruchs zu gelangen. Der beanspruchte Gegenstand sei daher neu.
Artikel 56 EPÜ
Den nächstliegenden Stand der Technik bildete D1, insbesondere das Verfahren nach Beispiel 2. Hiervon unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die Reihenfolge der Herstellung, nämlich A-B-C anstelle von C-A-B.
Im Versuchsbericht vom Juli 2013 werde versucht, die Lehre von D1, Beispiel 2, mit der Reihenfolge der Verfahrensschritte C-A-B nachzuarbeiten. Dies wäre jedoch mit der vorhandenen Anlage nicht ohne Weiteres möglich, da diese auf die patentgemäße Reihenfolge A-B-C ausgelegt war. Die verwendete Reihenfolge des Vergleichsversuchs (C-B-A) entspreche immerhin einer der gemäß D1 offenbarten Möglichkeiten.
Der Versuchsbericht sei erst im Juli 2013 eingereicht worden, weil derartige Versuche technisch komplex und zeitaufwändig seien. Dieser sei ins Verfahren zuzulassen.
Die Aufgabe gegenüber D1 war die Bereitstellung von Zusammensetzungen mit verbesserter Schwellrate sowie verbessertem Verhältnis zwischen Steifigkeit und Spannungsrissbeständigkeit.
Aus dem Beispielspaar des Patents Beispiel 4/Vergleichsbeispiel sei ersichtlich, dass sich eine Verbesserung der Schwellrate durch Verwendung eines dreistufigen Verfahrens (A-B-C) anstelle eines lediglich zweistufigen Verfahrens (A-B) erzielen lasse. Der Vergleich mit D1, Beispiel 2 (drei Stufen, C-A-B) und Vergleichsbeispiel 3 (zwei Stufen, A-B) zeige, dass auch, wenn hier ebenfalls eine Verbesserung der Schwellrate festgestellt wurde, diese Verbesserung nicht so groß ausfalle wie im Falle des patentgemäßen Verfahrens.
In beiden Fällen seien vergleichbare Mengen der Komponente C eingesetzt worden (Patent 10%, D1, 6%). Die Molmasse der jeweiligen Komponenten C sei ebenfalls vergleichbar. Das Mengenverhältnis der Komponenten A und B in D1 Beispiel 2 sei jedoch nicht offenbart.
Obwohl im Streitpatent (Zunahme der Strangdicke) und in D1 (Gewicht der Formkörper) unterschiedliche Messmethoden für die Schwellungseigenschaften verwendet würden, ließen sich erhaltenen Ergebnisse der Messmethoden durch Umrechnung vergleichen.
Dass sich diese Aufgabe durch eine andere Reihenfolge der Verfahrensschritte lösen lasse, sei dem zitierten Stand der Technik nicht zu entnehmen.
Auch ohne Beweise ließe sich aufgrund theoretischer Überlegungen ein Vorteil des anspruchsgemäßen Verfahrens ableiten: Im Verfahren gemäß Beispiel 2 von D1 werde im ersten Schritt das ultrahochmolekulare Polymer C hergestellt. Dies bleibe im weiteren Verfahren als getrennte Phase, etwa wie ein Füllstoff vorhanden, statt einen Beitrag zu den Gesamteigenschaften der Polymerzusammensetzung zu leisten. Bei dem patentgemäßen Verfahren sei Komponente C in Anwesenheit der Komponenten A und B hergestellt. Hierdurch entstünde eine wesentlich homogenere Zusammensetzung bei dem alle Fraktionen A, B und C zur Gesamtpolymereigenschaften beitrügen.
b) Hilfsantrag 1
Durch die Beschränkung der Komponente C auf Copolymere werde die Spannungsrissbeständigkeit verbessert. Dies gehe aus einem Vergleich des Beispiels 1 des Patents (Homopolymer) mit den Beispielen 2-4 (Copolymer) hervor. Auch wenn die Zusammensetzungen nicht direkt vergleichbar seien, könne man davon ausgehen, dass die Verbesserung der Spannungsrissbeständigkeit auf die Anwesenheit des Copolymers zurückzuführen sei. Insbesondere wiesen die Beispiele 1 und 2 des Streitpatents das gleiche Verhältnis Homo/Copolymer auf.
Für diese Verbesserung enthalte der Stand der Technik keine Lehre.
c) Hilfsantrag 2
Es gelten die gleichen Argumente wie für den Hilfsantrag 1.
XVIII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende O2) beantragte die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patentes in geänderter Form auf der Basis der Ansprüche wie eingereicht als dritter Hilfsantrag am 26. Februar 2009, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage einer der mit Schreiben vom 6. November 2012 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2.
Die Einsprechende 01 hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
2.1 Artikel 54 EPÜ
2.1.1 Der Stand der Technik D1 offenbart in Anspruch 1 dreikomponentige Ethylenpolymerzusammensetzungen, deren Komponenten A, B, C sich in ihrem Molekulargewicht - ausgedrückt in "viscosity average molecular weight" - unterscheiden (A: Niedrig; B: Hoch; C: Ultrahoch). Es ist nicht strittig, dass die Molekulargewichte der jeweiligen drei Komponenten im vorliegenden Anspruch 1 des Streitpatents kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber den Komponenten A, B und C von D1 bilden. Die Komponenten A und B sind in einem Mengenverhältnis von 30/70 bis 70/30 vermischt. Die Komponente C ist in einer Menge, bezogen auf die gesamte Zusammensetzung, von 1-10 Gew.-% anwesend (Anspruch 1).
Gemäß Anspruch 1 von D1 kann jede der drei Komponenten entweder ein Homo- oder ein Copolymer sein.
Die Herstellung der Zusammensetzung kann entweder durch getrennte Herstellung der drei Komponenten mit anschließender Vermischung (Spalte 3 Zeile 47-50, Beispiele 1, und 4) oder durch ein mehrstufiges kontinuierliches Polymerisationsverfahren (Spalte 3, Zeilen 51-54, Beispiele 2 und 3) erfolgen.
Bei dem mehrstufigen Verfahren kann die ultrahochmolekulargewichtige Komponente (C) in jedem der drei Stufen hergestellt werden, wobei bevorzugt ist, diese in der ersten oder in der letzten Stufe herzustellen (Spalte 4, Zeilen 42-54). Somit sind gemäß der Lehre von D1 die mögliche Reihenfolgen als bevorzugt offenbart:
C-B-A oder C-A-B bzw. A-B-C (Spalte 4 Zeilen 54-56).
Beispiel 2 von D1 veranschaulicht ein mehrstufiges Verfahren, bei dem die Komponenten in der Reihenfolge C-A-B hergestellt werden, wobei die Komponente C ein Homopolymer ist.
2.1.2 Ein Verfahren gemäß dem Gegenstand von Anspruch 1 lässt sich aus der gesamten Offenbarung von D1 nur durch eine mehrfache Auswahl an Merkmale innerhalb der Lehre von D1 erzielen.
Zunächst muss die Art der Polymere für die Komponente A (Homopolymer) und B (Copolymer, Art des Comonomers) ausgewählt werden.
Anschließend sind die Mengenverhältnisse der drei Komponenten auszuwählen.
Als nächster Schritt muss die Art der Herstellung gewählt werden, nämlich entweder getrennte Herstellung, gefolgt von Vermischung oder ein mehrstufiges Verfahren Bei der mehrstufigen Herstellung ist ferner die Reihenfolge der Schritte auszuwählen.
Es wurde aber nicht von der Beschwerdeführerin gezeigt, dass die so ausgewählten Merkmale durch eine Offenbarung in D1 miteinander verknüpft sind.
2.1.3 Der Gegenstand des Hauptantrags ist somit neu gegenüber der Offenbarung von D1.
2.2 Artikel 56 EPÜ
2.2.1 Nächstliegender Stand der Technik
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer Polyethylenformasse mit multimodaler Molmassenverteilung, die bei der Herstellung von Hohlkörpern durch Blasformextrusion verwendet wird (siehe Patent Absatz [0001]).
Aufgabe der Erfindung war die Entwicklung einer Polyethylen Formmasse, mit der sich gegenüber bekannten Werkstoffen ein besseres Verhältnis von Steifigkeit zu Spannungsrissbeständigkeit realisieren ließe, und die außerdem eine hohe Schwellrate ihrer Schmelze besitze, sowie ein Verfahren für deren Herstellung (Absätze [0008] und [0010]).
2.2.2 Im Einklang mit den Verfahrensbeteiligten wird D1, insbesondere das Verfahren gemäß Beispiel 2 als nächstliegender Stand der Technik angesehen.
D1 betrifft, wie in Abschnitt 2.1.1 oben beschrieben, Polyethylenzusammensetzungen bestehend aus drei Komponenten sowie deren Herstellung.
Beispiel 2 von D1 offenbart ein mehrstufiges Verfahren, wobei in einem ersten Schritt ein Homopolyethylen mit ultrahochmolekularem Gewicht hergestellt wird (Polymer "C"). Das Produkt wird in einen zweiten Reaktor geleitet, in dem die Herstellung eines Polymers "A" mit niedrigen Moleklargewicht stattfindet. Das Produkt dieses zweiten Schrittes wird in einen dritten Reaktor geführt, in dem ein Copolymer "B" mit hohem Molekulargewicht hergestellt wird.
2.2.3 Es ist nicht strittig, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem Verfahren gemäß Beispiel 2 von D1 lediglich durch die Reihenfolge der Polymerisationsstufen A-B-C anstelle von C-A-B wie in D1 unterscheidet.
2.2.4 Aufgabe und Lösung
Das Streitpatent enthält keinen Vergleich mit der Lehre von D1, da lediglich ein Vergleich mit einem in zwei Stufen hergestellten Polymer enthaltend die Komponenten A und B angeboten wird.
Als Beweis für eine verbesserte Wirkung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik bezüglich Schwellrate und Verhältnis zwischen Steifigkeit und Spannungsrissbeständigkeit verwies die Beschwerdegegnerin auf die jeweils beobachteten Effekte (1) bei einem Vergleich zwischen einer in drei Stufen C-A-B hergestellten dreikomponentigen Polymerzusammensetzug und einer in zwei Stufen A-B hergestellten zweikomponentigen Polymerzusammensetzung (Vergleich zwischen Beispiel 2 und Vergleichsbeispiel 3 der D1) und (2) bei einem Vergleich zwischen einer in drei Stufen A-B-C hergestellten dreikomponentigen Polymerzusammensetzung (gemäß Beispiel 4 des Streitpatents) und einer in zwei Stufen hergestellten Polymerzusammensetzung (gemäß dem Vergleichsbeispiel des Patents).
Bei dem Beispiel 2 von D1 ist festzustellen, dass die Komponente C in einem Gewichtsverhältnis von 6% vorhanden ist, wobei die Gewichtsverhältnisse der Komponente A und B weder für Beispiel 2 noch für Vergleichsbeispiel 3 offenbart sind. Dagegen wird für das Beispiel 4 des Streitpatents eine Menge an Komponente C von 10 Gew.-% bezogen auf A, B und C verwendet.
Es ist somit aufgrund sowohl der Unbekanntheit des Verhältnisses A/B bei der Zusammensetzung gemäß D1 wie auch der unterschiedlichen Mengen an Komponente C schon nicht möglich, anhand des durch die Beschwerdegegnerin angestrebten indirekten Vergleichs festzustellen, ob ein mit dem Unterscheidungsmerkmal, nämlich die Reihenfolge der Polymerisationsstufen A-B-C anstelle von C-A-B in D1 verbundener technischer Effekt vorliegt.
Hierdurch erübrigt sich die Frage der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Methoden zur Bestimmung der Schwellrate im Streitpatent und D1.
2.2.5 Der mit Brief vom 5. Juli 2013 eingereichte Versuchsbericht ist ca. 4 Monate nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingegangen. Die Zulässigkeit dieser Angabe unterliegt somit den Bestimmungen des Artikels 13(3) VOBK.
Maßgeblich für die Zulassung verspätet vorgetragener Tatsachen ist, dass diese prima facie hochrelevant sind.
Zweck des Versuchsbericht war es, einen Vergleich zwischen dem patentgemäßen Verfahren und dem Beispiel 2 gemäß D1 darzustellen. Somit sollten die Vorteile der Reihenfolge der Polymerisationsschritte gemäß Streitpatent gezeigt werden.
Im Vergleichsbeispiel 2 dieses Berichts wurde ein dreistufiges Verfahren durchgeführt, bei dem die drei Polymerfraktionen in der Reihenfolge C-B-A hergestellt wurden.
D1 Beispiel 2 verwendet jedoch eine andere Reihenfolge, nämlich C-A-B (siehe oben).
Folglich entspricht der verspätet eingereichte Vergleichsversuch nicht der Lehre von D1.
Ferner weisen die Viskositätszahlen der Komponenten C gemäß dem patentgemäßen Versuch (1050 cm**(3)/g - im Bereich gemäß Anspruch 1) und die gemäß dem Vergleichsversuch (513 cm**(3)/g - außerhalb des anspruchsgemäßen Bereichs) erhebliche Unterschiede auf, wobei beide nach Aussage der Beschwerdegegnerin im Bereich von D1 liegen würden.
Der Versuchsbericht stellt damit aufgrund der verwendeten Reihenfolge der Herstellung die Lehre von D1, Beispiel 2 nicht dar.
Somit erweist sich der mit Brief vom 5. Juli 2013 eingereichte Versuchsbericht als nicht relevant, da er die Argumentation der Beschwerdegegnerin nicht untermauern kann.
In Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 114(2) EPÜ sowie Artikel 13(3) VOBK entscheidet die Kammer daher, den Vergleichsversuch nicht in das Verfahren zuzulassen.
2.2.6 Objektiv zu lösende technische Aufgabe
Die Behauptung, dass das vorliegende Verfahren zu einer wesentlich homogeneren Zusammensetzung mit den damit verbundenen Vorteilen führt, ist dem Streitpatent nicht zu entnehmen, und darüber hinaus nicht belegt worden, und zwar weder allgemein noch im spezifischen Fall der in den Beispielen von D1 verwendeten Bedingungen. Dieser von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Vorteil kann daher bei der Formulierung der gegenüber D1 gelösten Aufgabe nicht berücksichtigt werden.
Da keine Beweise für einen mit dem Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1 (Herstellungsreihenfolge der Fraktionen A,B,C) verbundenen technischen Effekt vorliegen, ist die objektiv zu lösende Aufgabe lediglich als die Bereitstellung eines weiteren Verfahren zur Herstellung multimodaler Polymerzusammensetzungen zu formulieren. Diese Aufgabe wird durch die Reihenfolge der Polymerisationsschritten gelöst, nämlich A-B-C.
2.2.7 Naheliegen der Lösung
D1 offenbart, dass jeder der drei Komponenten entweder ein Homo- oder Copolymer sein kann (D1, Anspruch 1). Ferner offenbart D1, dass es im Falle einer mehrstufigen Verfahrensweise vorteilhaft sei, die Komponente C entweder in der ersten oder in der dritten Stufe herzustellen, wobei die Reihenfolgen C-B-A, C-A-B sowie A-B-C explizit offenbart sind (Spalte 4, Zeile 55).
Der Gegenstand des Anspruchs 1 besteht somit lediglich in einer nicht zielgerichteten Aneinanderreihung von aus D1 bekannten Verfahrensvarianten und stellt somit eine naheliegende Lösung des objektiven Problems der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens dar.
Das Argument der Beschwerdegegnerin (siehe oben, Abschnitt XVII.(a), letzter Absatz), ein Vorteil ließe sich aufgrund theoretischer Überlegungen ableiten, ist nicht überzeugend. Dieses Argument basiert lediglich auf unsubstantiierten Annahmen bezüglich der morphologische Unterschiede zwischen dem Produkt gemäß D1, Beispiel 2 und dem Produkt gemäß Streitpatent und den daraus resultierenden Eigenschaften. Daher bleibt der unsubstantiierte Vortrag der Beschwerdegegnerin als reine Vermutung, der daher nicht zur Stützung einer erfinderischen Tätigkeit dienen kann. Sollten jedoch diese morphologischen Unterschiede und die daraus resultierenden Eigenschaften für den Fachmann auf Grund seines Fachwissens selbstverständlich sein, wäre der behauptete Effekt anzuerkennen. Er wäre dann aber aus den selben Gründen für ihn zu erwarten, womit das Erzielen dieses Effekts keine erfinderische Tätigkeit begründen könnte.
2.2.8 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht damit nicht den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ.
2.3 Der Hauptantrag wird daher zurückgewiesen.
3. Erster Hilfsantrag
Der Gegenstand von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich von dem Hauptantrag dadurch, dass die Komponente C ein Ethylencopolymer ist.
3.1 Artikel 56 EPÜ
3.1.1 Das Patent enthält Beispiele, bei dem die Komponente C sowohl ein Homopolymer (Beispiel 1), wie auch ein Copolymer ist (Beispiele 2-4). Da jeweils auch andere Merkmale gleichzeitig variiert wurden, unter anderem der Anteil an Komponenten A, B und C, lässt sich aus einem Vergleich der Eigenschaften der jeweiligen Zusammensetzungen jedoch kein mit der Beschaffenheit der Komponente C verbundener technischer Effekt ableiten.
Die Zusammensetzungen der Beispiels 1-4 weisen
unterschiedliche Mengenverhältnisse der Komponenten A und B auf:
Bei Beispiel 1 beträgt das Verhältnis Komponente A: Komponente B 0,35:0,45. Das Beispiel 2 weist ein Verhältnis von 0,45:0,45 auf, während die Beispiele 3 und 4 ein Verhältnis von 0,55:0,35 aufweisen.
3.1.2 Folglich kann anhand der vorliegenden Beweise die gegenüber D1 durch den Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags zu lösende technische Aufgabe, wie im Falle des Hauptantrags, nur als die Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung multimodaler Polyethylenformmassen formuliert werden.
3.1.3 Da bereits D1 in Anspruch 1 sowie in Spalte 2 Zeile 30 offenbart, dass die Komponente C ein Copolymer sein kann, erweist sich die Beschränkung der Komponente C gemäß dem vorliegenden Hilfsantrag 1 als eine naheliegende Lösung des objektiv zu lösenden Problems.
3.1.4 Der Gegenstand des Hilfsantrags 1 erfüllt demzufolge nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
3.2 Der Hilfsantrag 1 ist daher zurückgewiesen.
4. Zweiter Hilfsantrag
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags dadurch, dass der Gehalt an Comonomer in Komponente B auf bis zu 5 Gew.-% beschränkt ist.
4.1 Artikel 56 EPÜ
Es liegen keine Beweise vor, dass der nun spezifizierte Gehalt an Comonomer in der Komponente B zu einem technischen Vorteil führt.
Dies wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten.
Somit kann dies nur als eine weitere beliebige, nicht zielgerichtete Einschränkung innerhalb der Lehre von D1 bewertet werden. Als solche kann sie keine erfinderische Tätigkeit begründen. Der Gegenstand des Hilfsantrags 2 erfüllt demzufolge nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ. Der zweiter Hilfsantrag wird ebenfalls zurückgewiesen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Europäische Patent Nr. 1228101 wird widerrufen.