European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2013:T083312.20131007 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 07 October 2013 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0833/12 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07075729.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61F 2/36 A61F 2/40 |
||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Mehrteiliges oder modulares orthopädisches und traumatologisches Implantat | ||||||||
Name des Anmelders: | aap Implantate AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Neuheit - (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Mit der am 16. November 2011 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung No. 07 075 729.9 zurückgewiesen.
II. Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gekommen, dass die beanspruchte Erfindung nicht neu sei gegenüber der Offenbarung der
D1: DE 11 2004 001 893 T5.
III. Gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Anmelderin) am 16. Januar 2012 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die vorgeschriebene Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 16. März 2012 eingereicht.
IV. Mit Bescheid vom 7. Mai 2013 lud die Kammer zu einer mündlichen Verhandlung. In einer vorläufigen Stellungnahme wurde die Beschwerdeführerin auf Einwände unter Art. 54, 83 und 84 EPÜ aufmerksam gemacht.
V. Am 2. September 2013 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie den Antrag auf mündliche Verhandlung zurücknehme und um eine schriftliche Entscheidung bitte.
VI. Mit der Beschwerdeschrift hatte die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluss der Prüfungsabteilung im vollen Umfang aufzuheben und die Erteilung des Patents zu beschließen.
Mit der Beschwerdebegründung teilte die Beschwerdeführerin mit, dass dem Beschwerdeverfahren die am 27. Februar 2009 eingereichten Ansprüche zugrunde liegen.
VII. Für die vorliegende Entscheidung hat, neben der D1, auch die folgenden Entgegenhaltung eine Rolle gespielt:
D3: EP-A-1 085 220.
VIII. Der der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Anspruch 1 lautet:
"Mehrteiliges oder modulares orthopädisches und traumatologisches Implantat, dessen Verbindungen fügbar und lösbar sind, wobei die eine Komponente mit einer bohrungsförmigen Struktur und die Gegenkomponente mit einer zapfenförmigen Struktur versehen ist und durch diese neben einer formschlüssigen Verbindung auch eine definierte Winkelposition festlegbar ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die zapfenförmige Struktur der Verbindung eine dessen Elastizität erhöhende Innenbohrung / Innenkontur aufweist, die zum auslaufende Ende dieser zapfenförmigen Struktur hin offen ist und
dass die zapfenförmige Struktur auf die bohrungsförmige Struktur abgestimmte Kontaktbereiche und kontaktfreie Bereiche aufweist, die zu einer Spannungsoptimierung und der Reduzierung von Mikrobewegungen in der Verbindung führen."
IX. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Dokument D1 offenbare keine Innenbohrung, "die zum auslaufenden Ende dieser zapfenförmigen Struktur offen ist". Bei einer Bohrung in einem Zapfen, die als an einem Ende oder zum auslaufenden Ende hin offen beschrieben ist, sei dies gleichbedeutend damit, dass die Öffnung einseitig sei, d.h. dass eine Sacklochbohrung vorliege. Dagegen offenbare die D1 eine beidseitig offene Durchgangsbohrung.
Da der Zapfen gemäß der Anmeldung eine Sacklochbohrung aufweise, sei es - im Gegensatz zur Ansicht der Prüfungsabteilung- auch nicht möglich nach Einsetzen des Zapfens in die Zapfenaufnahme eine Befestigungsschraube (wie in D1 vorgesehen) einzubringen. Damit sei bei der beanspruchten Erfindung aufgrund der Sacklochbohrung das gleichzeitige Vorliegen einer Schraubverbindung technisch undenkbar. Eine Verspannung durch eine Befestigungsschraube sei auch deshalb ausgeschlossen, da diese die Spannungsverteilung, die bei einer einseitig offenen Bohrung durch die Elastizität des Zapfens erreichbar ist, unterdrücken würde.
Somit sei sowohl durch den Wortlaut des Anspruchs 1, als auch technisch keine Übereinstimmung zwischen D1 und dem Anspruch 1 der Anmeldung vorhanden und der Gegenstand des Anspruchs sei daher neu.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit, Artikel 54 EPÜ
Dokument D1 ist die deutsche Übersetzung der PCT- Anmeldung WO 2005/034817. Die Übersetzung wurde vor dem Prioritätstag der Anmeldung (11. Juli 2007) am 7. September 2006 veröffentlicht und ist daher Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ.
Dokument D1 zeigt unbestritten die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1, nämlich ein
mehrteiliges oder modulares orthopädisches und traumatologisches Implantat (D1, Figur 1, bestehend aus Schaft No. 1, separatem proximalen Körper, No. 2 und Hüftkopf, No. 3),
dessen Verbindungen fügbar und lösbar sind (Paragraph [0027], letzter Satz und Paragraph [0028], erster Satz),
wobei die eine Komponente mit einer bohrungsförmigen Struktur (Figur 1, No. 14, "Bohrung") und die Gegenkomponente mit einer zapfenförmigen Struktur (Figur 1, No. 15, "Zapfen") versehen ist und durch diese neben einer formschlüssigen Verbindung (Paragraph [0042]: "diametraler Presssitz zwischen dem Zapfen und der Bohrung") auch eine definierte Winkelposition (Paragraph [0036]: "...Drei bis sechs diskrete Positionen..." durch Positionierung von Abschnitt 18 in den Aufnahmelöchern No. 17, siehe Figur 2) festlegbar ist.
D1 offenbart überdies ein Bohrungsloch (Figur 2, No. 7) durch den Zapfen (No. 15).
Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, dass das beanspruchte Merkmal, wonach die Innenbohrung zum auslaufenden Ende der zapfenförmigen Struktur hin offen ist, nur so ausgelegt werden könne, dass die Öffnung einseitig sei, dass also eine Sackbohrung vorliege. Die D1 könne den beanspruchten Gegenstand daher nicht neuheitsschädlich vorwegnehmen. Dieser Ansicht kann sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht anschließen:
Das in D1 offenbarte Bohrungsloch befindet sich im Inneren des Zapfens und ist daher eine Innenbohrung. Da die in D1 gezeigte Innenbohrung an beiden Enden offen ist (siehe Figur 2), ist sie sowohl zum auslaufenden Ende als auch zum proximalen Ende der zapfenförmigen Struktur hin offen. Eine Innenbohrung in einem Zapfen (sei sie nun durchgehend oder ein Sackloch) erhöht zwangsläufig dessen Elastizität im Vergleich zu einem Zapfen aus Vollmaterial. Die in Anspruch 1 geforderten Merkmale der Innenbohrung sind daher vollständig in D1 offenbart.
Die vorliegende Anmeldung selbst gibt keinerlei Hinweis, die Lehre auf eine Sacklochbohrung zu beschränken. In den Zeichnungen ist keine Schnitt-Darstellung enthalten, die eine entsprechende Interpretation stützen würde. Wie in der angegriffenen Entscheidung erwähnt, wird zudem der im Anspruch verwendete Begriff "Innenbohrung" im Stand der Technik sowohl für ein Sackloch, als auch für ein durchgehendes Loch verwendet (siehe Dokument D3, Paragraph [0006]). Die von der Beschwerdeführerin propagierte Auslegung, wonach eine "zum auslaufenden Ende der zapfenförmigen Struktur hin offene Innenbohrung" notwendigerweise ein Sackloch sein muss, ist daher zu eng.
Weiterhin weist die in D1 offenbarte, zapfenförmige Struktur (Figur 2, No. 15) Kontaktbereiche (Figur 2A, No. 4 und 5) und kontaktfreie Bereiche (No. 5b, sowie der Bereich zwischen No. 4 und 5) auf. Die Bereiche No. 4, 5 bewirken die Endverriegelung der Gegenkomponente (D1, "proximaler Körper", No. 2 mit zapfenförmiger Struktur No. 15) mit der die bohrungsförmige Struktur aufweisenden Komponente ("Schaft", No. 1) durch Presspassen (Paragraph [0041],[0042]). Die Kontaktbereiche und kontaktfreien Bereiche sind also auf die bohrungsförmige Struktur, i.e. auf die Bohrung im Schaft abgestimmt. Der erreichte Presssitz bewirkt zwangsläufig eine Reduzierung von Mikrobewegungen.
Anspruch 1 fordert zwar außerdem, dass die Kontaktbereiche und kontaktfreien Bereiche zu einer "Spannungsoptimierung" führen, es bleibt jedoch unklar, für welche Belastung und im Vergleich zu welchem Referenzwert eine "Spannungsoptimierung" erreicht werden soll. Dieses Merkmal ist daher breit auszulegen.
Durch die geometrisch ähnliche, d.h. gleiche oder im Wesentlichen gleiche Form der Kontaktbereiche mit den entsprechenden Zonen des diametralen Presssitzes in der Schaftbohrung gemäß D1 ergibt sich zumindest bei unbelasteter oder axial belasteter Verbindung eine "Spannungsoptimierung".
Die D1 offenbart daher alle Merkmale des Kennzeichens des Anspruchs 1.
Die weitere Argumentation der Beschwerdeführerin zielt im Wesentlichen darauf ab, dass in D1 die Verspannung der Verbindung zwischen Schaft und Gegenkomponente durch eine Befestigungsschraube erforderlich sei. Die D1 offenbart jedoch (Paragraph [0041], [0042]) vor allem eine Endverriegelung des proximalen Körpers mit dem Schaft durch Presspassen des Zapfens in der entsprechenden Bohrung des Schaftes. Zwar ist in Paragraph [0038], letzter Satz, offenbart, den proximalen Körper mittels eines durch die Bohrung verlaufenden Stabes unter Krafteinwirkungen mit dem Schaft zusammenzubauen. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine fakultative, keineswegs zwingend zu nutzende Verwendung der Bohrung ("...könnte auch verwendet werden..."). Vielmehr werden noch weitere, ebenfalls fakultative Verwendungen offenbart (siehe Paragraph [0038]), wie das "lösbare In-Eingriff-Nehmen eines Bolzens oder Stabs" z.B. zur "Entfernung des Halses vom Schaft" oder zur "Entfernung der zusammengebauten Konstruktion aus dem Knochen" oder das "lösbare In-Eingriff-Nehmen eines Stopfens", um "das Loch zu verschließen und die Innenflächen sauber zu halten". Das zwingende Vorhandensein einer Befestigungsschraube kann aus der Offenbarung der D1 daher nicht abgeleitet werden. Schon aus diesem Grund wird die Argumentation der Beschwerdeführerin als nicht überzeugend angesehen.
Außerdem würde das in D1 offenbarte mehrteilige Implantat selbst dann unter den Wortlaut des Anspruchs 1 fallen, wenn eine solche Befestigungsschraube vorhanden wäre: Da der Begriff Durchgangsbohrung wie bereits dargelegt nicht auf eine Sacklochbohrung beschränkt ist, wird ein Einbringen der Schraube von proximal durch die im Anspruch definierten Merkmale nicht ausgeschlossen. Auch mit einer solchen Schraube käme es zu der weiter oben diskutierten Spannungsoptimierung und zu einer Reduzierung von Mikrobewegungen. Die Formulierung des Kennzeichens mit zwei hierarchisch gleichwertigen, durch "dass" eingeleiteten und mit "und" parallel verbundenen Nebensätzen bewirkt, dass der Anspruch keine funktionelle Koppelung zwischen dem Merkmal der "Spannungsoptimierung" und dem Merkmal der durch die Innenbohrung erhöhten Elastizität des Zapfens bedingt. Es ist daher unerheblich, ob es durch eine eventuell vorhandene Schraube zu einer Unterdrückung der durch die Elastizität des Zapfens erreichbaren Spannungsverteilung kommt, da die Kontaktbereiche und kontaktfreie Bereiche trotzdem zu einer Spannungsoptimierung und zur Reduzierung von Mikrobewegungen in der Verbindung führen. Nicht mehr ist in Anspruch 1 gefordert.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher nicht neu gegenüber der Offenbarung der D1.
3. Bei dieser Sachlage braucht auf die im Ladungsbescheid vom 7. Mai 2013 erwähnten Einwände bezüglich Artikel 84 und 83 EPÜ nicht weiter eingegangen zu werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.